Von einem, der auszog, Workation zu lernen
20.05.2022
Trends
20.05.2022
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Urs Treuthardt ist Geschäftsführer der Tourismusdestination Bodensee-Vorarlberg. Ende März machte er sich mit Sack und Pack und Familie auf nach Italien, um zwei Monate die neue Reiseart „Workation“ auszuprobieren. Im Interview erzählt er von seinen Beweggründen, Stolpersteinen und Sand im Laptop.
Im Moment sitze ich gerade in Santa Marina Salina auf den Liparischen Inseln an meinem Schreibtisch.
Ich war acht Wochen auf Sizilien auf Workation, aufgeteilt in drei Wochen Vacation und fünf Wochen Work. Dabei haben wir in zwei Locations jeweils ein Haus/Apartment gemietet. Vier Wochen im Süden von Sizilien (Granelli) und vier Wochen auf den Liparischen Inseln in Santa Marina Salina.
Das waren mehrere Beweggründe. Auslöser war aber sicherlich die Pandemie. Auch bei mir hat ein starkes Nachdenken eingesetzt, wie ich meine Zeitressourcen sinnstiftender einsetzen kann. Ich habe zwei Jungs im Alter von 6 und 3 Jahren, beide sehr lebhaft und unterhaltsam. Ich wollte mehr von dieser Lebhaftigkeit mitnehmen und Zeit mit meiner Familie verbringen. Es stellte sich also generell die Frage nach meiner Lebensgestaltung.
Ein weiterer Grund war der Wunsch nach einem Kulturwechsel. Nach über zwei Jahren zuhause in behüteter Umgebung, wollten wir wieder in andere Kulturen eintauchen, andere Sichtweisen und andere Lebensgefühle spüren.
Außerdem ist Workation ein Tourismustrend mit enormen Wachstumsraten. Auch bei uns in der Destination rechnen wir damit, dass wir mehr und mehr „Einheimische auf Zeit“ bekommen werden in den kommenden Jahren, die Arbeit und Tapetenwechsel miteinander kombinieren.
Ich wollte wissen, wie sich das Konzept von Workation anfühlt. Wie geht mein Umfeld und mein Team damit um? Wir reden immer von New Work, aber was ist das eigentlich genau? Welche Rolle in diesem Systemwandel übernehme ich als Führungsperson? Diesen Fragen wollte ich nachgehen.
Und der letzte Grund war einfach: Weil ich es konnte. Mein Team ist gut aufgestellt, meine Kinder sind noch nicht in der Schule und am wichtigsten, meine Frau wollte es auch.
Von wegen! Die Planungsphase hat 1,5 Jahre gedauert und bestand aus mehreren Phasen. Selbstverständlich kann sowas nur funktionieren, wenn man auch das entsprechende Team mit einem entsprechenden Mindset um sich hat. Die nötigen „Kommunikations- und Kollaborations-Tools“ wie MS Teams, Asana, Trello, Miro, etc. hatten wir schon vor der Pandemie im Einsatz. Während der Pandemie haben wir die Abläufe über diese Tools vertieft und effizienter gestaltet.
2021 haben wir dann die gesamten internen Kommunikationsabläufe (interne Korrespondenz, Datenablage über Sharepoint, Telefonanlage etc.) komplett über MS Teams umgesetzt. Für die Projektkoordination (Redaktion, Projektabläufe, Content-Produktion etc.) haben wir uns auf Asana ausgerichtet. Die Grundvoraussetzungen firmenseitig waren damit gegeben.
Entscheidender war aber die Planung rund um die Familie. Mein älterer Sohn geht in den Pflichtkindergarten. Wir mussten also in einem ersten Schritt schauen, ob wir ihn überhaupt für zwei Monate im April und Mai 2022 rausnehmen können. Dazu mussten wir im Jänner 2021 einen Antrag beim Land Vorarlberg stellen. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Erst nach diesem Entscheid konnten meine Frau und ich die weiteren Schritte mit unseren jeweiligen Arbeitgebern klären.
Parallel zu den Gesprächen mit den Arbeitgebern haben wir uns um die Unterkünfte gekümmert. Häuser und Wohnungen findet man primär über Ferienwohnungsportale. Diese sind aber über diesen langen Zeitraum sehr teuer und es bedarf eines persönlichen Gesprächs mit dem jeweiligen Vermieter. Wir haben aber auch unser Netzwerk in Sizilien angefragt, um direkte Kontakte zu Ferienwohnungsbesitzern zu bekommen. So haben wir dann auch die Wohnung in Santa Marina Salina gefunden.
Im Gegensatz zum Haus im Süden Siziliens, welches wir über eine Vermittlungsplattform gefunden hatten, war die Wohnung auf Salina um einiges preiswerter, da wir direkt mit dem Eigentümer verhandeln konnten. Eine Plattform, die für unsere Bedürfnisse nach Workation mit einer Familie geeignet gewesen wäre, haben wir für Sizilien nicht gefunden.
Eine zweimonatige Workation mit einer Familie zu planen setzt also viele Abklärungen voraus, wobei man erst nach den finalen Gesprächen mit den Arbeitgebern sagen kann, ob man tatsächlich für eine längere Zeit in Workation gehen kann oder nicht.
Primär musste die Location für mich in der gleichen Zeitzone sein, da dies die Kommunikation mit dem Team doch erheblich erleichterte. Weiters war mir wichtig, dass wir in unserem PKW anreisen konnten, da ich jederzeit meine Rückreise hätte antreten wollen, falls dies erforderlich werden sollte.
Und dann sollte der Ort auch kulturelle und klimatische Unterschiede zu meinem Wohnort in Bregenz aufweisen, denn wir wollten einen Tapetenwechsel.
Gerade wenn man mit der Familie auf Workation ist, sollte es einen Rückzugsort zum Arbeiten geben. Essentiell sind eine stabile Internetverbindung und ein guter Arbeitsplatz.
Im Nachhinein hätte ich für mich einen externen Arbeitsplatz gebraucht, an dem man sich untertags zum Arbeiten einfach und unkompliziert einmieten kann. Diese Infrastruktur war aber an meinen Locations nicht vorhanden. Für den Teil der „Vacation“ sollte die Location in einer schönen Gegend sein, in der man die Zeit mit der Familie auch genießen kann.
Auf Sizilien und den Liparischen Inseln sind die Anforderungen an „Vacation“ besser erfüllt als jene für „Work“. Gerade wenn man mit einer Familie reist. Ich würde in Zukunft also bewusst Locations wählen, welche eine zusätzliche „Workation- Infrastruktur“ bieten. Solche sind aber momentan gar nicht so einfach zu finden…
Kemenate statt Küstenblick. Weniger Instagram tauglich, aber dafür produktiv
Ich bin eigentlich ohne große Erwartungen in die Workation gegangen. Ich wollte einfach mehr Zeit mit meiner Familie verbringen und nach über zwei Jahren Pandemie in eine andere Kultur eintauchen. Beide Sachen haben sich für uns erfüllt.
Die Arbeitsinhalte, sprich die Arbeit, die ich während meiner Workation verrichtet habe, habe ich mir aber etwas anders vorgestellt. Ich dachte, dass ich mehr Zeit und Muße für die „großen“ Gedanken hätte. Das war aber nicht so. Ich konnte zwar wichtige Arbeiten – die ich im Büro schon lange vor mich hingeschoben hatte – erledigen und dabei einige Projekte verdichten.
Für neue Gedanken fehlte mir aber schlicht die Ruhe. Das mag daran gelegen haben, dass ich zwei sehr lebhafte Jungs habe, aber sicherlich auch daran, dass ich zu viel Ablenkung hatte. Ich habe gelernt, für zukunftsweisende neue Gedanken braucht es in den Arbeitsabläufen auch eine gewisse Routine.
Wenn ich damit beschäftigt bin, meinen Tag immer neu zu gestalten, dann fehlt mir die Energie, meine Gedanken in die Zukunft zu richten. Im Büro habe ich diese Routine und weiß ziemlich genau, was mich dabei erwartet.
Ich hätte mir auch erhofft, dass der Blick übers offene Meer oder auf die Nachbarinsel Stromboli mich inspiriert, in die Zukunft zu denken. Dem war aber gar nicht so. Im Gegenteil. Oft habe ich mich dabei ertappt, dass ich gedacht habe: „Hey, du musst arbeiten und nicht die Aussicht genießen!“ Ich war also noch nicht in der Lage, die schönen Dinge des neuen Standortes für mich zu nutzen.
Und noch eine wichtige Erkenntnis: Arbeitsplätze am Strand, auf der Terrasse oder am Pool sind nur was für schöne Fotos, um die Zuhausegebliebenen eifersüchtig zu machen. Das funktioniert wunderbar, hab ich alles ausprobiert. (lacht). Für konzentriertes Arbeiten sind diese aber völlig ungeeignet.
Wind, Sonne, Hitze, Kälte und Sand sind keine befruchtenden Elemente, um am Laptop konzentriert zu arbeiten. Ich konnte nur drinnen an einem alten Arbeitstisch mit Aussicht auf die weiße Wand konzentriert arbeiten. Eignet sich zwar nicht für Instagram, ist aber die Realität.
Ja, würde ich!
Aber nicht mehr für zwei Monate am Stück. Über einen solchen Zeitraum braucht es doch einiges an Vorbereitung und Abklärungen. Gerade wenn man das mit der Familie machen möchte.
Was ich mir aber durchaus vorstellen kann ist, dass ich in Zukunft an den Familienurlaub noch ein oder zwei Wochen remote vom Urlaubsort aus arbeite. Dafür müsste der Urlaubsort aber eigens dafür eingerichtete „Workspaces“ außerhalb dem Urlaubsdomizil bieten. Ich würde also nicht einfach von der Ferienwohnung oder dem Hotelzimmer aus weiterarbeiten.
Persönlich brauche ich zum Arbeiten einen räumlichen „Bruch“ zum Urlaubsdomizil, damit sich bei mir eine Arbeitsroutine einstellt, aus der ich dann wieder Energie schöpfen kann. Diese räumliche Trennung ist für mich auch für die Zeit mit der Familie wichtig. Ich möchte gegenüber meiner Familie nicht das Bild erwecken, dass sie einen „Störfaktor“ zu meiner Arbeit darstellen, sondern die Zeit mit ihnen in vollen Zügen genießen.
Wenn irgendwie möglich, einfach tun! Es macht jeder seine eigene Erfahrung und nur durchs Tun können wir auch glaubhaft über die „neue“ Arbeitswelt sprechen und unsere Erfahrungen in die zukünftige Entwicklung von Lebensräumen einfließen lassen. Insbesondere Führungspersonen sollten diese Erfahrungen machen. Stellt sich doch erst mit dem Tun heraus, wie gut die eigenen Führungsqualitäten und Strukturen im Unternehmen wirklich sind.
Ich habe auch meine Mitarbeiter befragt, wie sie die Zeit meiner Workation erlebt haben. Die grundlegende Rückmeldung dazu war: Was, du kommst schon wieder zurück?!
Ich bin mir nur noch nicht ganz sicher, ob sie das erschrocken, oder erfreut formulierten…
In dem Zusammenhang muss ich meinem Team, meinem Präsidenten und meinem Vorstand danken, dass sie mir diese Workation ermöglicht haben. Wenn gewisse Grundvoraussetzungen und der kulturelle Wandel in der Unternehmung noch nicht so stark gereift wären, hätte ich den Gedanken gar nicht erst fassen können.
Mehr zum Thema Workation lesen Sie hier.
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