Eine aktuelle Studie des IMAS-Instituts im Auftrag des Seniorenbundes hat ergeben, dass 84% der Menschen ihre Wohnsituation mit dem Pensionseintritt nicht verändern. Erst viel später, oft wenn es gesundheitlich nicht mehr anders geht, wird räumlich etwas verändert.
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Eine aktuelle Studie des IMAS-Instituts im Auftrag des Seniorenbundes hat ergeben, dass 84% der Menschen ihre Wohnsituation mit dem Pensionseintritt nicht verändern. Erst viel später, oft wenn es gesundheitlich nicht mehr anders geht, wird räumlich etwas verändert. Dann allerdings meist überstürzt und der Not gehorchend.
Doch in den nächsten Jahren kommt eine Generation ins Alter, die sich agil und junggeblieben fühlt, wie keine zuvor. Eine Generation, die die Jahre nach der Erwerbstätigkeit, wenn die Kinder ausgeflogen sind, lange gesund genießen möchte. Es ist die Generation der Babyboomer, die schon einmal die Welt auf den Kopf gestellt hat.
Die Menschen dieser Generation haben gesehen, wie ihre Eltern und Großeltern die Augen vor dem Älterwerden verschlossen und passiv abgewartet haben, bis es gar nicht mehr anders ging. Die in viel zu groß gewordenen Häusern, die letztlich mehr Last als Freude waren, vereinsamten oder deren eigene Wünsche nie wahr geworden sind.
Doch die Babyboomer sind anders.
Sie werden mit offenen Augen älter und übernehmen jetzt schon Verantwortung für das, was kommen wird. Sie sind es gewohnt, nicht einfach Gegebenheiten hinzunehmen, sondern sich ihre Welt so zu formen, wie sie es gerne hätten. Abseits von Konventionen oder „weil es immer schon so war“.
Die heute 60-jährigen haben nicht vor, einfach zu warten, bis körperliche Gebrechen sie dazu zwingen, ihre gewohnte Umgebung oft recht abrupt zu verlassen.
Es ist auch eine Generation, die in ihrer Jugend bereits andere Erfahrungen mit Wohnen gemacht hat. Wer schon als junger Mensch in einer Studenten-WG gewohnt hat, kann auch später die Vorteile und Herausforderungen eines gemeinsamen Wohnprojekts besser einschätzen.
Die Vision vom Altern in Gemeinschaft
So sind die bei einem Glas Wein geäußerten Pläne unter Freunden „wenn wir mal alt sind, dann ziehen wir zusammen in ein Haus“ nicht mehr bloß daher gesagten Ideen und Luftschlösser. Sondern es sind durchaus ernst gemeinte Visionen eines Alterns in Gemeinschaft.
Diese Generation verlässt sich nicht mehr darauf, dass die Kinder sie eines Tages schon versorgen werden. Wer sagt denn, dass die Kinder dann überhaupt am selben Ort wohnen werden? Vielleicht wollen sie das Haus der Großeltern in einem Dorf am Land gar nicht übernehmen. Jedenfalls, und das ist die wichtigste Erkenntnis, muss rechtzeitig mit allen Beteiligten darüber geredet werden!
Als Edith Zehentmayer in die Pension eintrat, wurde ihr bewusst, dass ihre Wohnsituation für den neuen Lebensabschnitt nicht förderlich war. Im Haus, das sie teilweise vom Vater geerbt, seit über 40 Jahren bewohnte, lebten auch ihre Töchter.
Die jüngere in einer eigenen Wohnung im Erdgeschoss, die ältere mit dem kleinen Sohn mit ihr zusammen im ersten Stock. So gerne sie Kinder und Enkelkind um sich hatte: Raum für ihren eigenen Rückzug gab es nicht.
Neues WOHNEN 70plus
In dieser Situation erfuhr sie von „neues WOHNEN 70plus“, einer Beratung, um eigene Visionen vom Wohnen jenseits der 70 zu entwickeln.
Zu den drei Treffen mit den Beraterinnen Sonja Schiff (Alternswissenschafterin) und Ursula Spannberger (Architektin), waren alle Beteiligten eingeladen. Jede kam zu Wort. Die ungewohnten Fragen gaben neue Impulse und luden zum weiterdenken ein.
Bereits beim gemeinsamen Begehen des Hauses in der Bestandsaufnahme gab es Ideen für kleine, schnell umsetzbare Veränderungen. Doch die Fragen gehen viel tiefer und bleiben nicht bei kosmetischen Veränderungen stehen.
Wie will ich wirklich leben? Was ist mir wichtig? Auf welche Annehmlichkeiten möchte ich nicht verzichten und was ist nur Gewohnheit?
Überraschend war, dass es im Endeffekt gar nicht nur ums Wohnen ging. Es kamen Themen auf den Tisch, die die Beziehungen der Bewohner untereinander betrafen. Aber auch unausgesprochene, vom Vater zusammen mit dem Haus geerbte Vorstellungen und Erwartungen.
Es war aber eine Schlüsselfrage, die für Frau Zehentmayer letztlich ausschlaggebend war:
Gibt mir die Wohnung Energie oder nimmt sie mir Energie?
Beim Abschlussgespräch mussten alle lachen. Als die Beraterinnen vorschlugen, dass eine eigene kleine Wohnung in der Nähe die Situation entspannen und beleben könnte, hatte Frau Zehentmayer, die zur gleichen Überzeugung gekommen war, den Mietvertrag schon in der Tasche!
Altenpflegeexpertin und Alterswissenschaftlerin Sonja Schiff hat bei ihren Hausbesuchen viele Menschen erlebt, die sich in Wohnsituationen befinden, die ihre Lebenssituation massiv erschweren.
Da gibt es Menschen, die komplett vereinsamen, obwohl sie gerne noch aktiv am Leben teilnehmen würden, nur weil sie nicht mehr alleine über die steile Stiege hinunter kommen und es im Haus keinen Lift gibt. Da gibt es Häuser, deren Räume nach und nach nicht mehr betreten werden, weil die Bewohner von der Instandhaltung überfordert sind.
Gebäude sollen die Bedürfnisse ihrer Nutzer erfüllen
Architektin und Mediatorin Ursula Spannberger weiß aus ihrer Arbeit, dass Räume ganz allgemein das Leben behindern oder erleichtern können und deshalb gut geplant sein müssen. Gebäude sollen ja kein Selbstzweck sein, sondern die Bedürfnisse ihrer Nutzer erfüllen.
Dazu ist es aber notwendig, dass die Nutzer selbst ihre Bedürfnisse an den Raum erkennen und formulieren können. Etwas, das Nicht-Architekten nie gelernt haben. Sie hat deshalb eine eigene Methode entwickelt, mit der sie anhand von 9 RAUM.WERTEN Menschen anleitet, ihre Wünsche an den Raum nachvollziehbar darzulegen.
Dabei geht es in 9 Kategorien um die Funktionen die der Raum erfüllen soll. Ebenso geht es um Nähe und Distanz, die möglich sein sollen oder die Flexibilität, die eine vielseitige Nutzung ermöglicht.
Jünger wird niemand!
Die vereinten Kompetenzen dieser zwei Frauen mit einem so unterschiedlichen Background ergeben ein gemeinsames Herzensthema. Denn eines ist beiden klar: Jünger werden auch wir nicht mehr! Umso wichtiger ist es, Wissen und Erfahrung weiter zu geben.
In Vorträgen und Workshops für Gemeinden, Institutionen oder Wohninitiativen leiten sie die Teilnehmer an, sich zuerst einmal mit der Gegenwart zu beschäftigen. Welche Elemente meines derzeitigen Wohnens schätze ich, welche behindern mich eher? Dann geht es in die Vergangenheit: Welche Wohnstationen gab es in meinem Leben? In welchen Räumen war ich besonders glücklich? Welche Situationen haben mich belastet?
Aus dieser Reise können viele wichtige Elemente mitgenommen werden, die auch das Bild für die Zukunft beeinflussen, das erst im dritten Schritt gezeichnet wird. Wie sehe ich mich als älterer und alter Mensch? Was ist mir auf jeden Fall auch in Zukunft wichtig? Welche Träume wurden noch nicht gelebt? Worauf muss ich bei der Wahl einer neuen Wohnsituation achten?
Babyboomer: Wohnen im Alter
Wenn wir ans Wohnen für Senioren denken, stehen uns Treppenlifte und Griffe an der Badewanne vor Augen. Wir denken meistens an die Bedürfnisse von wirklich hochbetagten und pflegebedürftigen Menschen.
Doch was ist mit der Zeit davor, zwischen etwa 60 und 85? Das sind 25 Jahre Lebenszeit – also etwa gleich viel die Zeit, die man im Leben mit den Kindern im gleichen Haushalt verbringt. Die in den Planungen und Überlegungen oft gar nicht vorkommen. Jeder Raumplaner, jeder Politiker hat in seinen Planungen junge Familien mit (kleinen) Kindern berücksichtigt. Warum fällt die Zeitspanne nach den Kindern so aus unserem Fokus?
Doch gerade hier liegt ein großes Veränderungspotential!
Es sind gesunde Jahre und lebensfrohe Menschen mit Träumen und Plänen. Es sind Menschen, die die Flexibilität und die finanziellen Mittel haben, um ihr Leben und Wohnen noch einmal neu zu erfinden. Die sich innerlich und äußerlich zurücklehnen können und von ihren Erfahrungen, ihren Erkenntnissen profitieren und ihr Wissen weitergeben können.
Langsam kommt diese Erkenntnis auch bei Planern und Wohnbauträgern an. Manche Immobilienbüros eröffnen eigene Abteilungen für die „silberne“ Kundschaft.
Die Politik hat hier noch Nachholbedarf. Dabei hat es große volkswirtschaftliche Effekte, wenn rechtzeitig geplant wird und so die Zeit in Pflegeeinrichtungen weit nach hinten geschoben werden kann. Es hat Auswirkungen, wenn Wohnraum für Familien frei wird, weil Paare nach dem Auszug der Kinder sich räumlich wieder verkleinern.
Es hat Auswirkungen, wenn schon frühzeitig in der Familie darüber gesprochen wird, ob es wirklich sinnvoll ist, das Haus in der kleinen Landgemeinde für die Enkel zu erhalten, die aber längst im Ausland leben. Im Land Salzburg denkt man bereits darüber nach und möchte entsprechende Lösungen auch in der Wohnbauförderung berücksichtigen.
Die Erfahrungen aus 5 Pilotberatungen haben Sonja Schiff und Ursula Spannberger in einem Buch zusammengefasst, das vom Land Salzburg im Colorama Verlag herausgegeben wurde:
Türen für die eigene Zukunft öffnen
Die Fragen, die in der persönlichen Beratung gestellt werden, kann man mit diesem Leitfaden selbst erarbeiten. Entweder Schritt für Schritt die Gegenwart analysieren, durch die Wohn-Vergangenheit reisen und dann eine persönliche Vision entwickeln. Oder einfach beim Durchblättern über Fragen nachdenken, die einen ansprechen.
Es ist ein sehr individuelles Workbook für die persönliche Zukunft, in dem keine vorgefertigten Lösungen vorgeschlagen werden, sondern Türen zu eigenen, ganz persönlichen, unterschiedlichen Möglichkeiten geöffnet werden.
Die Jugend der Babyboomer war frei und bunt und im besten Sinne revolutionär.
Kritisch die überkommenen Ansichten hinterfragen und mit dem eigenen Leben in Beziehung bringen, das waren die Stärken dieser Generation, die sich grundlegend von der vorhergegangenen unterscheidet. Diese Stärken bringen die Menschen mit, wenn sie in den kommenden Jahren nach und nach in Pension gehen und in einen neuen Lebensabschnitt eintreten.
Sie haben statistisch gesehen noch ca ein Drittel ihres Lebens vor sich und sie haben vor, diese Jahre nicht nur vorbeiziehen zu lassen, sondern sinnvoll zu gestalten. Das Wohnen bietet dafür den persönlichen Rahmen. Für die Gesellschaft ist dies eine große Chance, Älterwerden neu zu denken, aber auch ein Auftrag, flexibler zu planen und neue Wege zu gehen.
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