Wohn- und Architekturpsychologie: Was bedeutet sie in Bezug auf Städte und welchen Einfluss hat sie auf den Freizeitwert einer Stadt? Zwei Interviews im Rahmen der SonderdenkwerkStadt von Stadtmarketing Austria.
Anlässlich der SonderdenkwerkStadt in Salzburg vom 13.07 bis 15.07.2020 sprach Stadtmarketing Austria mit Dr. Harald Deinsberger-Deinsweger, Architekt, Univ.-Lekt. für Wohnbau-Psychologie und Gründer vom Institut für Wohn- und Architekturpsychologie (IWAP) sowie mit der Wirtschaftsmediatorin, Raumgestalterin und Innenarchitektin Bettina Purkarthofer Msc.
Was ist Wohn- und Architekturpsychologie?
Harald Deinsberger-Deinsweger: Das Institut habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Herbert Reichel vor circa fünf Jahren gegründet. Und unser zentrales Anliegen war, das Wissen aus der Forschung in die Praxis zu bringen.
Das heißt, wir haben in unterschiedlichen Teilgebieten der Psychologie recherchiert, Wahrnehmungspsychologie, Sozialpsychologie, Umweltpsychologie, bis hin zur Gehirnforschung und so weiter.
Wir haben gesucht, systematisiert, was man für die Praxis braucht, wenn es darum geht, menschliche Räume, Gebäude oder ganze Stadtquartiere zu gestalten oder zu planen.
Die Wohn- und Architekturpsychologie beschäftigt sich generell mit drei zentralen Fragen.
1. Die erste Frage ist, wie wirken Räume, Gebäude oder auch das Umfeld auf den Menschen bzw. auf das menschliche Befinden und Verhalten, auf das zwischenmenschliche Zusammenleben? Es gibt räumliche Strukturen, die eher das Miteinander fördern, andere eher das Gegeneinander, andere eher das Nebeneinander.
2. Dann geht es um die Frage, wie räumliche Strukturen sich auf die persönliche Entwicklung und Entfaltung auswirken? Insbesondere jene von Kindern, aber auch von Erwachsenen.
3. Dann geht es um die Frage der Gesundheit. Es gibt jede Menge psychologische Aspekte, die sich auch auf die Gesundheit auswirken.
Jene nach dem menschengerechten Lebensraum, im gebauten Umfeld. Welche Qualität muss er da aufweisen? Welche Bedürfnisse soll er erfüllen können, damit er überhaupt als menschlich bezeichnet werden kann?
Was bedeutet Wohn- und Architekturpsychologie in Bezug auf Städte?
Harald Deinsberger-Deinsweger: Wir sehen eine Stadt primär als menschlichen Lebensraum, was sie auch sein soll. Nicht bloß als eine Unterteilung von Nutzungskategorien und Nutzungseinheiten.
Das heißt, unsere primäre Kritik an der Stadtplanung derzeit ist, dass man in Nutzungskategorien denkt und nicht in Lebensraumkategorien.
Das ist der große Schwerpunkt bei uns.
Was kann man dazu beitragen, damit die menschliche Qualität von Städten steigen kann?
Das ist nicht immer eine Frage des Preises. Aus unserer Sicht, der Sicht der Wohn- und Architekturpsychologie, machen teurere Materialien, teurere Bauweisen oder teurere Ausstattungen nicht unbedingt mehr Wohnqualität. Es geht um die Erfüllung von zentralen Bedürfnissen.
Das gibt dann die richtige Strukturierung von Räumen und den richtigen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mitteln. Das heißt, wir machen nichts anderes, als dafür zu sorgen, dass mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die bestmögliche Qualität generiert werden kann.
Worauf müssen Städte in Zukunft achten, damit die Menschen dort gerne wohnen und leben?
Harald Deinsberger-Deinsweger Wir gehen so heran, dass wir den entsprechenden Stadtteil oder das Projekt analysieren und darauf aufbauend Empfehlungen geben, in welche Richtung es gehen sollte. Unsere primären Einsatzgebiete sind meistens zweierlei.
Erstens die Planungsanalyse. Wir analysieren Planungen und geben daraufhin gezielte Empfehlungen ab, was man noch besser machen könnte.
Zweitens die Bestandsanalyse. Wenn beispielsweise schon irgendwo Probleme, wie Leerstände, Vandalismus oder Verwahrlosung auftreten und so weiter.
Konflikte unter den Nachbarn sind auch ein sehr häufiges Thema. Wenn man diese genau analysiert, kann man häufig herausfinden, woran das liegt. Dann vielleicht auch noch gegensteuern.
Die Basis zu all dem ist die Analyse, eine fundierte, gewissenhafte Analyse des Projektes oder des Planungskonzeptes und darauf aufbauend kann man so gut wie immer Verbesserungsmöglichkeiten oder auch Empfehlungen darlegen, die dann im Endeffekt eine positive Wirkung auf das Zusammenleben der Menschen haben, auf das Befinden der Menschen.
Welchen Einfluss hat die Wohn- und Architekturpsychologie auf den Freizeitwert einer Stadt?
Bettina Purkarthofer: Aus Wohn- und Architekturpsychologischer Sicht sind es vor allem die erholsamen Umwelten, die einen maßgeblichen Beitrag für den Freizeitwert und damit auch für die Lebensqualität im urbanen Raum leisten.
Wir sprechen hier von attraktiven Freibereichen, von natürlichen Erholungsräumen für unterschiedliche Nutzergruppen und damit auch über sehr vielfältige, abwechslungsreiche Freizeitinteressen. Wenn es gelingt, dies in der ganzen Bandbreite umzusetzen, dann ist schon sehr viel in Richtung Freizeitwert getan.
Was ist die Rolle der Wohn- und Architekturpsychologie bei der Schaffung von Freibereichen?
Bettina Purkarthofer: Es ist so, dass die Wohn- und Architekturpsychologie die Wirkungszusammenhänge zwischen Mensch und gebauter Umwelt kennt, respektive natürlicher Umgebung, natürlicher Umwelt. Und auch die Einflüsse auf Stressverhalten, aber auch auf Erholung und Gesundheit.
Auf Basis fundierter wissenschaftlicher Studien können richtungsweisende Empfehlungen für die Gestaltung von erholsamen Umwelten gegeben werden.
Warum sind diese erholsamen Umwelten so wichtig?
Ganz einfach, weil sie dazu beitragen, dass gerade Stress, Spannungen, ja sogar Aggressionen abgebaut werden und umgekehrt, Erholung, Entspannung, Leistungsbereitschaft, Gesundheit und natürlich Kontaktbereitschaft gefördert werden.
In diesem Zusammenhang von größter Bedeutung ist die Einbindung der Natur in die gebauten Umwelten.
Warum spielt die Natur eine so besondere Rolle?
Bettina Purkarthofer: Natur ruft bei den meisten Menschen positive Emotionen hervor. Das ist rein evolutionsbedingt zu sehen. Ganz einfach deshalb, weil wir immer in der Natur gelebt haben. Die Natur hat uns mit allem versorgt, was zum Überlegen nötig war.
Auch unsere Sinnesorgane, unser Nervensystem und unser Gehirn, die ja ein Gesamtsystem bilden, haben sich in permanentem Austausch mit der Natur entwickelt. Und so gesehen, kann man davon ausgehen, dass die natürlichen Stimuli, also die Sinnesreize, die aus der Natur kommen, in uns ein besonderes Wohlgefühl auslösen.
Das Gehirn funktioniert in diesem Fall am besten und wir fühlen uns auch am wohlsten.
Die Natur hat eine ganze Reihe von positiven Wirkungen auf den Menschen.
Der Blick in die Natur wirkt erholsam für das Gehirn, gleichzeitig wird aber auch die Konzentrationsfähigkeit erhöht.
Was sicher sehr bedeutend ist, vor allem für den städtischen Bereich: Natur kann das Sicherheitsgefühl erhöhen, respektive Angst reduzieren und beim Abbau von Spannungen, von Konflikten helfen.
Womit sich auch die Gefahr reduziert, was der Herr Deinsberger schon erwähnt hat, für Vandalismus, Kriminalität oder auch Verwahrlosung.
Ebenfalls wichtig für die Stadt ist, dass Natur unser Empfinden für Stress abschwächen kann. Also die Wirkung von Stress schwächen kann.
Denn alles, was wir als schön empfinden, wirkt tendenziell für uns auch Stress reduzierend.
So gesehen sind zum Beispiel begrünte Siedlungen in unserem Empfinden weitaus weniger dicht als unbegrünte. Oder wenn wir uns Häuser betrachten mit Bäumen, wirken diese weitaus weniger massiv.
Insgesamt kann man sagen, dass schöne, grüne Städte erholsamer wirken.
Natur fördert auch die Bereitschaft zur sozialen Interaktion, damit auch das soziale Gefüge, das soziale Miteinander. Das sind jetzt nur einige Wirkungen. Wobei eine habe ich vielleicht noch vergessen, die ganz bedeutend ist. Der Blick in die Natur hat maßgebliche Wirkung auf Heilungserfolge, zum Beispiel nach Operationen.
Es gibt Studien, wonach Patienten, die die Möglichkeit haben, von ihrem Krankenzimmer aus ins Freie zu blicken, weitaus weniger Medikamente benötigen und die Genesungszeit eine viel kürzere ist, als bei Patienten, die jetzt nur in kahle Wände blicken.
Also, man sieht die Wirkung der Natur ist eine sehr vielfältige.
Studien belegen es sehr klar, dass generell natürliche Räume für ein besseres, gesünderes und sicheres Leben sorgen. Andererseits aber Bereiche, wo das grün nicht in ausreichenden Maßen vorhanden ist, die subjektive Wohlfühlqualität oder Wohnqualität ebenso beeinträchtigt wird, zum Beispiel hässliche Häuser oder Lärm. Oder vor allem auch nicht vorhandene oder unbefriedigende Nachbarschaften.
Wie lässt sich die Natur aus Wohn- und Architekturpsychologischer Sicht optimal in Städte integrieren?
Bettina Purkarthofer: Betrachten wir Stadtparks als Naherholungsräume in der Stadt, dann ist es das Wichtigste für das Gelingen eines solchen Naherholungsraumes, dass er eine Vielzahl an Nutzungsmöglichkeiten anbietet, die den verschiedenen Interessen und Bedürfnissen der unterschiedlichen Nutzergruppen auch entspricht.
Primärer Beweggrund in einen Park zu gehen, ist sicher die Erholung.
Zweites Motiv ist die Freude an der Bewegung, sei es spazieren gehen, Walken, Laufen oder Rad fahren. Das heißt, wir brauchen eine Vielzahl an interessanten Wegführungen, die alle Bedürfnisse befriedigen.
Unter 30-jährige suchen vor allem den sozialen Kontakt. Also ist es ratsam, Begegnungszonen mit einzuplanen, auch sichtgeschützte Bereiche, wo man sich ungestört unterhalten kann.
Familien wiederum legen großen Wert auf ein nach Altersgruppen spezifiziertes Spielbereichsangebot. Also verschiedene Arten von Spielplätzen.
Und etwas ist allen Nutzungsgruppen sicher gemein, neben der Nutzungsvielfalt, der Ästhetik und dem gepflegten Zustand einer solchen Anlage. Vor allem sind es Themen wie Sicherheit, die leichte Erreichbarkeit vom eigenen Wohnumfeld, aber auch das Management solcher Bereiche durch klar geregelte Verhaltensvorgaben, Öffnungszeiten und dergleichen mehr.
Positiver Nebeneffekt von Parks: Wenn Menschen sich hier wohlfühlen, wird sich wahrscheinlich die Lust reduzieren, zur Erholung ins Grüne zu fahren mit dem Auto.
Gelungene Naherholungsbereiche in der Stadt wirken sich wirklich auf den Freizeitverkehr und damit auch auf die Luftgüte aus.
Das Grünvolumen einer Stadt ist ausschlaggebend für die Wohnqualität. Seien es Vorgärten, seien es Dachgärten, begrünte Fassaden, begrünte Innenhöfe, Balkone, Terrassen, das sind alles Faktoren, die die Erholung und damit die Lebensqualität in die Stadt bringen.
Und aber auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, eine Antwort auf den Klimawandel und die Begleiterscheinungen in Form großer Hitze und starker Niederschläge zu finden.
FAZIT:
Man sieht, Natur zu implementieren in den städtischen Raum ist quasi ein Muss, dass der Gesundheit, dem sozialen Leben und auch unserer Wirtschaft zugute kommen wird.
Weitere Interviews mit Martina Purkarthofer und Harald Deinsberger-Deinsweger erscheinen nächste Woche in unserem Blog.
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