Wieviele Freiräume braucht die Stadt?

01.06.2021
Gesellschaft

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In der Coronakrise hat sich gezeigt, wie wichtig der öffentliche Raum für Menschen ist. Das ‚draußen an der frischen Luft sein‘ hätte im Lockdown in Städten als eine Art Schutzsphäre wirken können. Und doch hat sich überall, nicht nur in Österreich, sondern auf der Welt gezeigt, dass die Stadt und die Freiräume, wie wir sie kannten, in einer Pandemie nicht funktionierten.

Im vergangenen Corona-Jahr haben viele Menschen den öffentlichen Raum anders und sogar intensiver genutzt als zuvor. Nämlich jene, die nicht über Dachterrassen, Balkone oder großzügig angelegte Gärten verfügen. Die Regeln der Bundesregierung reduzierten den Flaneur zum flotten Spaziergeher und die Hundebesitzerin zum Gassi-Gehen mit Alibi.

Vom Herumschlendern in Städten, diesem in Verbindung treten mit der Umgebung des Raumes, konnte keine Rede sein. Das Gespräch zwischen Mensch und Stadt war unterbrochen, als würde man die gegenseitige Sprache nicht mehr verstehen. Die Konzert-Ankündigungen an den Häuserfassaden und Plakatständern waren veraltet und die Schaufenster und Fassaden von Lokalen, Kinos und Geschäften erinnerten an die Feiertage rund um Weihnachten.

 

Wanted: der ’neue‘ öffentliche Raum

Leere Spielplätze und Marktplätze, die für Menschenmengen erbaut wurden, strahlten etwas Einsames und Unwirtliches aus. Die Erinnerung an den ersten Lockdown im Frühjahr 2020, als die Spielplätze wochenlang mit rot-weißen Absperrbändern der Polizei verhängt wurden, wird bei drei Generationen als Trauma hängenbleiben.

Der öffentliche Raum war – es läßt sich kaum beschönigen – für viele BewohnerInnen von Städten in der Corona-Krise eine herbe Enttäuschung. Der Stadtraum bewies sich aufgrund vieler enger Gassen und Wege als mäßig gut belüfteter Zufluchtsort.

Es wurde deutlich, dass unsere Innenstädte vor allem auf Konsum maßgeschneidert sind. Es gibt wenige konsumfreie Verweilzonen. In vielen Fußgängerzonen gibt es, wenn die Lokale geschlossen und die Schanigärten versperrt sind, nicht mal einen Stuhl zum Ausruhen.

Während sich also viele Familien in winzigen Wohnungen aufhielten, standen riesige Geschäfts- und Einkaufscenterflächen, Hotels und Eventlocations leer. Vielleicht merken wir uns für den nächsten Lockdown im kommenden Herbst: Auch wenn alles geschlossen ist, müssen Gebäude nicht komplett mißachtet wie nach einem Atomunfall aussehen. Denn ein öffentlicher Raum, in dem sich Menschen (auch mit Abstand) willkommen fühlen, ist eine Art Therapie. Vielleicht wird aus dem Stadtmarketing-Manager in der nächsten Corona-Episode ein Stadtteil-Pandemie-Kurator, dessen Ziel die Aufrechterhaltung des Lebens im Stadtraum ist.

 

Zumindest etwas gelernt

„Corona hat auch uns gezeigt, wie wichtig öffentliche Räume sind“, sagt Mag. Natalie Wojtech, Gruppenleiterin
Bürgerservice, Gesellschaft und Soziales der Marktgemeinde Rankweil in Vorarlberg und fährt fort: „Die wenigsten Leute haben ein Einfamilienhaus mit großem Garten – gerade in Vorarlberg ist der finanzielle Druck wegen hoher Wohnungspreise groß; und die Wohnungen werden immer kleiner. Parallel dazu steigt die Bedeutung des öffentlichen Raumes.

Wir haben eine Elternbefragung in Kinderbetreuungseinrichtungen durchgeführt. Das Feedback der Eltern deckt sich mit den vielen anderen Rückmeldungen erschöpfter Bürger. Wir werden bei der Pump Track Bahn von BesucherInnen überrannt. Da sind viele entkräftete Eltern dabei, die nicht mehr wissen, was sie mit den Kindern in den Wohnungen tun sollen.“

 

Was lehrt uns die familienfreundlichste Gemeinde aus Vorarlberg?

Rankweil wird seit Jahren als familienfreundlichste Gemeinde Österreichs ausgezeichnet. Ein guter Grund, genauer hinzuschauen, was dieser 12000-Seelen-Ort so gut hinbekommt.

„Am 28.5. war der Weltspieletag“, erklärt Natalie Wojtech, „da haben wir mitten am Marktplatz eine Pump track Bahn aufgestellt, die wellenförmig gebaut wurde. Darauf kann man mit seinem BMX-Rad oder Roller fahren. Man bewegt sich so fort, dass man der Wellenbewegung folgt. Die Bahn kommt extrem gut an – vor allem nach dem Corona Lockdown. Die Botschaft dieser einwöchigen Pop-up Installation war: Kinder in die Mitte!“

Die Pump Track Bahn kam besonders ei Jugendlichen gut an – Copyright Marktgemeinde Rankweil

Temporäre Aktionen wie diese Pop-up Interventionen sorgen für viel Aufmerksamkeit und machen den Ort attraktiv. Wojtech erzählt weiter: „Im Winter haben wir mit dem Bauhof Schneehügel gemacht. Bei der Straßenreinigung hat der Bauhof den Schnee zu sieben 10m hohen Hügeln Schnee aufgeschaufelt und für die Kinder freigeben. Die Schneetürme wurden ganzen Winter bespielt.

Wir sind im Rankweiler Ortsteil Brederis gerade dabei, einen Generationenpark zu schaffen. Das soll eine  Begegnungszone für Senioren und Kinder und Jugendliche werden. Wir wollen den demografischen Wandel thematisieren und Begegnungsräume bauen. Wenn wir von Spielplätzen sprechen, denken die meisten nur an Kinder. Wir erarbeiten das Konzept des Generationenparks gerade mit Bevölkerungsbeteiligung – das wäre der Versuch, eine gute Aufenthaltsqualität für alle Altersgruppen herzustellen. Es läuft gerade ein Ortskern Entwicklungsprozess.“

Bewegungspark für Senioren – Copyright: Marktgemeinde Rankweil

 

Was brauchen Kinder in der Stadt?

Aber wer fragt die Kinder und Jugendlichen, wie sie sich Freiräume in ihrer Stadt vorstellen? Denn Fakt ist: Kinder brauchen Bewegung, Raum für Fantasie und Rückzug, Flächen und Bereiche, in denen sie sich autonom bewegen und positionieren. Sie brauchen Flächen, die sie kreieren können.

Stark befahrene Straßen cluttern Stadtteile zu und Eltern trauen sich nicht, ihre Kinder alleine in die Schule oder in die Freizeit zu schicken. Wohnortstraßen als Spielorte sind handverlesene Prestigeprojekte und definitiv noch kein Standard. Als Ersatz für natürlich bespielte Freiräume in Städten werden dann Spielplätze gebaut. Die oft leer stehen.

Wenn Kinder ihre Stadt planen könnten, sähe sie so aus: Auf Brachflächen entstünden Sportplätze, Bäche, Matschrutschen und aus Straßen würden Gehwege entstehen. Die wären für die Fußgänger da, nicht für Parkplätze. Es gäbe Go Kart – Wege und Klettergerüste an jeder Ecke. Häuser würden nicht nur aus Ziegel und Beton gebaut. Wir würden in Baumhäusern wohnen. Logischerweise, meinte ein 4jähriger Bub, würden auf den Bäumen Zuckerl wachsen, und grinste. Und es gäbe keine Autos in der Innenstadt. Überall meinte ein 7jähriges Mädchen, würde man das Zwitschern von Vögeln hören. Wenn Kinder ihre Stadt planen könnten, würde das mehr Lebensqualität für alle bedeuten.

 

Spielend lernen

Kinder begreifen die Welt spielend. Ein kindgerechter Spielort bietet das Recht auf Entfaltung, ist barrierefrei und leicht erreichbar, regt auf vielfältige Weise die Bewegungsfreiheit und Kreativität an und ermöglicht freies und naturnahes Spiel.

Wie könnte Salzburg in Zukunft aussehen? Das fragte der Brite Andy Field VolksschülerInnen vor einigen Jahren. Tendawa (9) mochte an Salzburg die Stadtbibliothek und Shahmain (9) den Mönchsberg. Die Jungs trafen Stadtverantwortliche, um mit diesen über die Stadt, deren Zukunft, sowie ihre Hoffnungen und Ängste zu sprechen.

„Lookout“ nannte sich das Projekt von Andy Field, der damit schon in verschiedenen Städten wie Kairo, Vancouver, Auckland, Riga oder auch in China zu Gast war. „Jene, die Städte umgestalten, sind meist weiß, männlich, Akademiker. Ich finde es spannend, verschiedene Stimmen und Perspektiven in die Kunst und in die politische und soziale Kommunikation zu bringen“, sagt Field. Stimmen von Menschen, die sonst nicht die Möglichkeit haben, mitzugestalten. Stimmen von Kindern beispielsweise.

 

Wunschkataloge von den Kleinsten einholen

Die SchülerInnen malten und schrieben über ihre Wünsche und schlüpften in die Rolle von Architekten, Städteplanern und Journalisten, um über die Stadt, wie sie ist und wie sie sein wird, nachzudenken. Was sich die Kinder für Salzburg wünschen? „Frieden und Natur“, sagt Tendawa. Und Shahmain will, „dass jeder gleich behandelt wird.“

Hoch über der Stadt trafen ein Volksschulkind aus Salzburg und ein einzelner Festivalbesucher zusammen. Gemeinsam machten sie sich Gedanken über die Zukunft der Stadt: Sie sprachen über utopische Architekturvorhaben und Bauten, die man besser abreißen sollte, über zeitlose Sehenswürdigkeiten und schnelllebige touristische Attraktionen, über tatsächliche demographische Entwicklungen und imaginierten Fortschritt. Die Kinder wünschten sich weniger Müll, weniger Verkehr, mehr Raum. Es ging nicht um mehr Spielplätze, sondern darum, die Stadt als Freiraum zu nutzen.

 

Die Jugendlichen nicht in der Spielraum-Planung vergessen

Projektmanager- und -entwickler Ingo Naschhold vom Planungsbüro für urbane Bewegungsräume und Freiraumplanung sagt, es gäbe vier Grundelemente für eine jugendgerechte Stadt. Das Verhältnis unter den vier Elementen bilde ein Gleichgewicht – das sei in heutigen Städten verloren gegangen.

Die Erdoberfläche werde zunehmend versiegelt, das Wasser sei unter den Strassen versteckt, die Luft mit Emissionen belastet und das Feuer in Städten, das symbolisch für die Energie einer Stadt steht, erlischt zunehmend. Es sei wichtig, die Wünsche der Jugendlichen zu erfragen und sie zu integrieren.

Naschhold empfiehlt:

ERDE:

  • Das Entsiegeln von Flächen zu ermöglichen
  • Freiraumflächen mit Bäumen und Wiesen schaffen
  • Kommunale Eigentumsverhältnisse stärken
  • Die Stadt grüner machen
  • Inklusion und Barrierefreiheit
  • Vertical farming ermöglichen
  • Urbane Freiräume schaffen, in denen man sich bewegen kann

WASSER:

  • Flüsse offenlegen, um das Wasser begehbar und erlebbar zu machen
  • Der ökologische Kreislauf sollte gefördert werden

LUFT:

  • Verkehrsreduzierte innenstadt
  • Lärmtoleranz entwickeln
  • Weniger emissionen, mobilitätsgerechte infrastruktur
  • Fasenloses Pflaster

FEUER:

  • belebt die Innenstädte, das entsteht durch Projekte und Aktuere, die städte beleben.
  • Das passiert auch durch Beteiligungsprozesse mit BürgerInnen zu aktivieren – hier gilt es auch, alle Generationen einzuladen. Damit schafft man Akzeptanz aller BewohnerInnen.

 

Apropos: Kinderlärm ist Zukunftsmusik

Und Partygebrüll habe auch eine gewisse Qualität in der Stadt, sagt Naschhold. Die BürgerInnen sollten eine neue Lärmtoleranz entwickeln – es sollten Gebiete geschaffen werden, wo sich Jugendliche austoben können.

 

Internationale Beispiele – Freiräume in der Stadt

In einem Multikulti-Viertel in Kopenhagen entstand vor vielen Jahren eine skurril-bunte Parklandschaft. Das Ergebnis ist ein begehbares Kunstwerk, ein Spielplatz der Nationen. Wenn schon zugebaut, dann zumindest richtig auffällig.

Die Farben Rot, Grün und Schwarz bestimmen Superkilen, das auf einem drei Hektar großen, ehemaligen Bahngelände in Nørrebro in Kopenhagen gebaut wurde. Ein schwarzer Marktplatz, ein grüner Park und ein rosaroter Platz stellen einen riesigen Spielplatz dar. Mit Stadtmöbeln aus über 50 Ländern, darunter brasilianische Telefonzellenenglische Mistkübel und Fahrradständer aus Ghana.

Ich habe schon so oft darüber geschrieben, aber es ist einfach ein fantastisches Beispiel für Freiräume der besonderen Art. Der Crown Fountain ist ein interaktives Kunstwerk im öffentlichen Raum und eine Videoskulptur im Millennium Park in Chicago. Entworfen wurde er vom spanischen Künstler Jaume Plensa und ausgeführt von Krueck and Sexton Architects.

Der Brunnen besteht aus einem reflektierenden Pool aus schwarzem Granit, der zwischen zwei Glasziegeltürmen platziert ist. Die Türme sind 15,2 m hoch und verwenden Leuchtdioden (LEDs), um digitale Videos von 1000 BewohnerInnen Chicagos auf ihren Innenflächen anzuzeigen. Das Wasser ist von Mai bis Oktober in Betrieb, stürzt die beiden Türme mit Unterbrechungen hinab und spritzt durch eine Düse an der Vorderseite jedes Turms.

Anwohner und Kritiker haben den Brunnen für seine künstlerischen und Unterhaltungsfunktionen gelobt. Die Nutzung von Wasser ist unter den vielen Brunnen Chicagos einzigartig, da sie die physische Interaktion zwischen der Öffentlichkeit und dem Wasser fördert.

Der Brunnen ist ein beliebter Treffpunkt für Familien. Es ist ein öffentlicher Spielplatz und bietet den Menschen einen Rückzugsort vor der Sommerhitze, so dass sich Kinder im Wasser des Brunnens austoben können.

 

Freiräume zum Träumen

Das ist ein Ort, der zum Verweilen einlädt. Wo man sich verstecken kann. Wenn der Freiraum ein Spielplatz ist, sollte dieser Möglichkeiten bieten, sich abzureagieren. Freiräume sollten alle Besucher, ob Kinder, Eltern, Grosseltern, zufriedenstellen. Und Entdeckungsmöglichkeiten bieten. Vielseitigkeit ist wichtig, sodass man sich am gleichen Ort eine Zeitlang lang beschäftigen kann.

Letzteres ist die Essenz von «Spielen». Sozialkompetenz, Nächstenliebe oder Kreativität lernt man nicht in der Schule, sondern auf dem Spielplatz oder ‚auf der Strasse‘. Unsere Kinder und ihre Spiellust müssen besser in die Gesellschaft und den öffentlichen Raum integriert werden.

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Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren. Daniela Krautsack ist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.

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