Kann Werbung die Welt verändern?

06.08.2019
Gesellschaft

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Gute Frage. Das begehrte und weltweit wichtigste Festival der Werbeindustrie ist vieles – es ist provokativ, innovativ, mutig, inspirierend und natürlich kreativ. 2019 hat das Festival ein weiteres Attribut hinzugefügt: sinnsuchend.

Kann Werbung die Welt verändern? Das Cannes Lions International Festival of Creativity hat sich auf die Suche nach dieser Frage gemacht und fand viele sinnstiftende Kampagnen.

Die diesjährigen Gewinner zeigten, dass Vermarkter nach neuen Strategien suchen, um die Macht der Marken zu nutzen, Gespräche über soziale Themen anzuregen.

Immer mehr Führungskräfte werden von ihren Kunden dazu getrieben, die Kraft des sozialen Zwecks zu erkennen, um dadurch den langfristigen Geschäftserfolg zu sichern. Zu viele Unternehmen produzieren immer noch Marketing- und Werbemaßnahmen, die unsere Umwelt belasten, falsche Stereotypen bedienen und schlicht ‚fake’ sind.

In einer Zeit, in der es Menschen egal wäre, wenn ¾ aller Marken verschwinden und 78% der Verbraucher der Meinung sind, Unternehmen sollten sich mit gesellschaftlich wichtigen Themen befassen, können Marketing und Werbung eine starke Kraft sein, um bedeutende Veränderungen voranzutreiben.

Die diesjährigen Cannes Lions-Gewinner haben bewiesen, dass ‚Marketing mit Sinn’ funktioniert.

Vom Regenbogen zur Gewitterwolke

In der Werbung ging es früher um Perfektion: Supermodels, schöne Häuser, schnelle Autos und Traumferien. Das hat Verbraucher früher angesprochen. Die Gesellschaft hat sich über die Jahrzehnte verändert. Wirtschaftskrisen, eine kritische junge Generation, die Erkenntnis, dass die Realität weniger unter dem Regenbogen stattfindet, der portraitiert wird, hat viele ‚Zielgruppen’ ernüchtert.

Heute fordern Verbraucher Authentizität. Sie wollen Gewitterwolken sehen, um sich verstanden zu fühlen. Vermarkter und Marken zeigen die Herausforderungen und Realitäten des Lebens auf. Sie zeigen Menschen mit Krankheiten, Behinderungen und von Rassismus konfrontiert.

Die Aufgabe für Werber heute: greifbare Lösungen statt müder Werbeslogans entwickeln

In der IKEA-Kampagne „ThisAbles“ wurde eine Reihe von kostenlosen Adaptern vorgestellt, mit denen die Produkte des schwedischen Unternehmens für Menschen mit Behinderungen benutzerfreundlicher anzuwenden sind. Mitgedacht wurde die Kampagne von einem Mitarbeiter der Kreativagentur McCann Tel Aviv, der an Zerebralparese erkrankt ist.

Geräusche in textbasierte Nachrichten verwandeln

Den begehrten Innovationspreis verlieh die Jury der Kampagne von Area 23 für Wavio und ihr Projekt „See Sound“. Die mobile App wird durch maschinelles Lernen in Zusammenarbeit mit Google zur Erkennung alltäglicher Geräusche aktiviert. Sie benachrichtigt Benutzer über normale und abnormale Geräusche in und um das Haus mit textbasierten Benachrichtigungen auf ihrem Smartphone.

Laut Bill Yom, globaler Kreativdirektor von Cheil Worldwide und Jurypräsident der Innovation Lions, waren die Juroren beeindruckt von der Idee, schwerhörigen Menschen zu helfen und dem „schönen Design“ des Produktes.

„Wir wollten dieses Projekt auszeichnen, um der Branche zu signalisieren, dass Innovationen und die richtige Kommunikation dazu Menschen hilft“, sagte Yom.

 

Auch der Xbox Adaptive Controller von Microsoft ist für Menschen mit Behinderungen zum großen Erfolg geworden. Mit dem Adapter kann fast jeder die Freude und Herausforderung von Videospielen erleben.

Der diesjährige Cannes Lions Creative Data Award ging an Black & Abroad. Ein Unternehmen, das sich auf Reiseerlebnisse für Schwarze spezialisiert hat. Jedes Mal, wenn jemand den Satz ‚Zurück nach Afrika‘ in den sozialen Medien verwendete, reagierte die Marke mit wunderschönen Bildern des Kontinents.

 

Barrierefreies São Paulo

São Paulo ist die größte Stadt Lateinamerikas mit 12,2 Millionen Einwohnern und mehr als 50.000 Straßen und Alleen. Laut Gesetz sollten diese für alle zugänglich sein. Die Realität ist, dass nur 9% der Bürgersteige Zufahrtsrampen haben. Ein Drama für Rollstuhlfahrer. Um darauf aufmerksam zu machen, wurden Graffiti-Künstler eingeladen, Bordsteine ​​zu malen.

Die Arbeiten wurden fotografiert und auf Instagram gestellt. Auf einer Website ermutigte man weitere Graffiti-Künstler, sich der Initiative anzuschließen und all jene Bordsteine ​​zu bemalen, die eine Zugangsrampe für Rollstuhlfahrer benötigen. Alle Graffiti-Werke bildete man mit Adresse auf Instagram ab, um das Auffinden für das Rathaus und die Behörden zu vereinfachen.

Der Wunsch nach Barrierefreiheit ist nicht nur in São Paulo Thema, sondern auch in unserer Heimat. Bei uns würden auf diese Kampagne Bußgelder regnen.

Die Gemeinsamkeit dieser preisgekrönten Kampagnen

Es handelt sich bei all diesen Kampagnen um greifbare Lösungen für Probleme, mit denen Menschen in ihrem täglichen Leben konfrontiert sind. Diese Probleme wurden in außergewöhnliche und empathische Geschichten verpackt, um sie dem Betrachter auf emotionale Weise näher zu bringen.

Nachhaltigkeit als Basis vieler Kampagnen

Ogilvy beeindruckte mit dieser bildstarken Kampagne. ‚Spar dir den Flug‘ lautete der Aufruf für das Sommerticket der Deutschen Bahn. Bei den Mobile Lions belohnte man die Arbeit der Frankfurter Kreativen mit einem silbernen Löwen. Die verschiedenen Motive spielte man passgenau an Zielgruppen aus, die sich für Reisen in die jeweils gezeigten Regionen interessiert hatten.

Sie wurden versehen mit den dazu passenden Ticketpreisen, die auf Basis der jeweils nächstgelegenen Bahnhöfe bzw. Flughäfen ermittelt worden waren. Eine sympathische Kampagne, die Reisen im eigenen Land auslobt.

Neue Schriftart entwickeln schlägt Werbebanner

Schüler von High Schools, die in den USA für ihre Abschlussprüfung studieren, werden in dieser heiklen Phase von unzähligen Universitäten des Landes angeworben. Die Aufgabe der Agentur Naked war es schließlich, einen Weg zu finden, für die RMIT University auf unkonventionelle Weise zu werben.

Die Lösung: Ein Service zu entwickeln, das Studenten beim Lernen hilft und gleichzeitig die Botschaft von RMIT vermittelt. Vor diesem Hintergrund entwickelte man nach viel Recherche den ultimativen Lern-Hack – die Schriftart Sans Forgetica. Die weltweit erste Schriftart, die speziell für die Speicherung von gelerntem Wissen entwickelt und getestet wurde.

Die Schriftart steht als kostenloser Download für Mac oder PC zur Verfügung.

 

Wenn Unternehmen Städte sanieren

Amerikaner lieben Pizza und hassen Schlaglöcher. Das Werbeteam für Domino’s Pizza nahm diese Erkenntnis zum Anlass, diese Schlaglöcher zu reparieren.

Damit tauchte der Pizzariese Domino’s in die Welt der Stadterneuerung ein. Im Juni davor kündigte das Unternehmen an, es würde einer Handvoll amerikanischer Städte und Gemeinden helfen, einige ihrer chronischen Schlagloch-Probleme zu beheben.

„Wir wollen keine gut schmeckende Pizza an ein Schlagloch verlieren und eine wunderbare Mahlzeit ruinieren“, lautete die Pressemitteilung.

 

Im Rahmen des „Paving for Pizza“-Programms übergab Domino´s Bargeld an Gemeinden in ganz Amerika. Die Städte veranlassten folglich Arbeiter, Risse und Schlaglöcher zu reparieren. Ganz ohne Gegenleistung ging das freilich nicht. Für die einmalig geleisteten USD 5.000 Zuschuss müssen die ausgebesserten Stellen mit dem Logo der Pizza-Kette sowie dem Spruch »Oh yes we did« versehen werden.

Im Gegensatz zu kreativen Aktionen von Bürgern (z.B. Bepflanzung der Schlaglöcher, Graffiti), die auf das Fehlen regelmäßiger Instandhaltung von Straßen hinweisen, wurde diese Kampagne national und international bekannt.

Die American Society of Civil Engineers schätzt, dass die Kosten zur Reparatur schlechter Straßen und zerstörter Infrastruktur bis 2022 240 Milliarden Dollar betragen werden. Man hofft nun darauf, dass viele Unternehmen dem Beispiel Domino’s folgen werden.

Die Kampagne Paving for Pizza beinhaltete Ambient Media, Digital- und PR-Maßnahmen. In jede Stadt hat man schließlich Kits mit Markenartikeln geschickt, denen für das Pflastern Dollars gewährt wurden. Und jedes gepflasterte Schlagloch kennzeichnete man mit Dominos „Oh Yes We Did“.

Der Tag der Pflasterung war sogar mit gebrandeten Verkehrsschildern und Aufklebern für Bauhelme versehen, damit jede Stadt das Erlebnis im Fernsehspot nachempfinden konnte.

Das digitale Erlebnis fand auf pavingforpizza.com statt. Dort ermutigte man Gemeinden dazu, ihre Nominierungen für Dominos einzureichen, um Beweise für das Konzept vorzulegen.

 

Die massive Vorarbeit in der Kampagnenarbeit bleibt oft ungesehen

Die Agentur erklärt: „Wir haben 1.300 Bezirksregierungen angerufen und ihnen Spenden für die Pflasterung angeboten. Dabei haben wir festgestellt, dass es überraschend schwierig ist, kostenloses Geld zu verschenken. Man ließ uns wissen, dass wir unsere Pizzanase dorthin stecken, wo sie nicht hingehört.

Letztendlich haben wir eine Partnerstadt (Bartonville, Texas) als Prototyp für das Projekt gewonnen, die es anderen potenziellen Stadtverwaltungen ermöglichte, das Konzept zu überprüfen. Es gab immer noch eine Menge Skepsis, aber wir sind hartnäckig geblieben – das hat sich am Ende ausgezahlt.“

Die Resonanz war nach drei Monaten so überwältigend, dass Domino beschloss, das Programm zu erweitern und sich dazu zu verpflichten, mindestens eine Community in jedem Bundesstaat zu pflastern. Dies führte zu Milliarden von Medienimpressionen.

 

Fazit: Kann Werbung die Welt verändern?

Stadtmarketing Austria hat Festival-Chairman Philip Thomas gefragt, wie das Zusammentreffen von Weltklasse-Kreativen und professionellen Influencern in Cannes genutzt werden kann, um die größten Probleme der Welt nicht nur anzusprechen sondern Lösungen dafür zu entwickeln?“

Philip Thomas antwortete: „Es erfordert Ehrlichkeit und offene Kommunikation. Über diese Probleme nur zu sprechen, wird uns als Gesellschaft nicht weit bringen. Wir müssen einen Plan erstellen und Maßnahmen ergreifen.

Dieses Festival heißt eine Reihe von Initiativen willkommen, die globale Herausforderungen angehen. Wir unterstützen zum Beispiel die Unstereotype Alliance, die Führungskräfte aus Wirtschaft, Technologie und Kreativwirtschaft zusammenbringt, um die Darstellung gesellschaftsschädigender Klischees in der Werbung zu thematisieren.“

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Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren. Daniela Krautsack ist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.

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