In diesen Tagen ist Österreich Weltmeister in der Disziplin der meisten Covid-Infizierungen. Das zwingt uns zu Verhaltensänderungen, deren Tragweite uns noch gar nicht bewusst ist.
In diesen Tagen ist Österreich Weltmeister in der Disziplin der meisten Covid-Infizierungen. „Die Österreicher haben im Sommer und in den Herbstferien getanzt“, meint der deutsche Journalist Roland Tichy im Corona-Quartett auf ServusTV. In Richtung Corona-Hochburg, möchte man addieren. Darauf passt auch das Zitat einer alten Postkarte, die auf der Pinwand in meinem 70er Jahre Kinderzimmer hängt: ‚Ich hab getanzt, als gäb’s kein morgen mehr.‘ Das zwingt uns zu Verhaltensänderungen, deren Tragweite uns noch gar nicht bewusst ist.
Herr und Frau Österreicher und ihr Lockdown
Es werden Verhaltensregeln in der Pandemie definiert, die in Europa von Land zu Land sehr verschieden sind. Die sich rasch ändern, weil man sie an Infektionszahlen anzupassen versucht.
Die suboptimale Kommunikation dieser Regeln seit dem zweiten Lockdown verursacht eine Unsicherheit im Land. Im Supermarkt braucht man eine Maske, auf der Baustelle nicht. Auch wenn die Schulen offen sind, steht der Schulbetrieb. „Das holen die Kinder im Dezember rasch auf“, versichert mir die Lehrerin meines Volksschulkindes.
Der Handel sagt: „Das Wintergeschäft ist tot.“ Die Skisport-Hotellerie sagt: „Wir brauchen die Gäste zum Überleben“. Die Stadthotellerie sagt: „Unser Geschäft, vor allem mit dem internationalen Gast, ist kaputt.“ Und entlässt bis zu 70% ihrer Angestellten. Amazon feiert, die lokalen Online-Marktplätze kommen nicht in die Gänge.
Die Ängste, die durch die Medien transportiert werden, führen dazu, dass Länder, wie unser Nachbarland Deutschland auch ohne Lockdown im Lockdown sind. Und: wenn Regeln unlogisch sind, beginnen sich Herr und Frau Österreicher, Ihre Einhaltung zu verweigern.
Worüber sorgen wir uns?
Wenn Österreich Weltmeister ist, wird international berichtet und dasVertrauen ist futsch, in unser Land zu fahren. Wenn der Lockdown am 7.12. zu Ende geht, laden die Tourismusorte die Leute zum Schifahren ein und bäm, werden die Infektionszahlen wieder nach oben schießen.
Haben wir im Sommer erlebt, haben wir nach den Herbstferien erlebt. Warum soll das nach den Weihnachtsferien anders sein? Keine/r weiß, ob sie/er sich über das Ende des Lockdowns und das Etappengeschäft bis zum dritten Lockdown freuen soll.
Unsicherheit ist für die Wirtschaft grundsätzlich immer schlecht. Keiner investiert was. Wir erdrücken den Konflikt mit frisch gedrucktem Geld. Die EU zieht die Macht der Länder an sich und treibt sie in die Unabhängigkeit.
Die Einsicht, dass die Pandemie Wirtschaft und Gesellschaft trotz des voraussichtlich im ersten Quartal 2021 zur Verfügung stehenden Impfstoffes Covid-19 noch länger belasten wird, setzt sich durch.
Es scheint nicht nur schwierig, sondern schier unmöglich, nach einem so einschneidenden Ereignis wieder zur Tagesordnung überzugehen. Zumal die Verletzungen, die das Virus der Wirtschaft zugefügt hat, statistisch gesehen erst in den kommenden Jahren absehbar werden.
Die Welt verändert sich – zum guten oder nicht zum guten
Was es jetzt braucht, ist
Mut
Fantasie und
kreative Lösungen.
Die Risikogruppen müssen zum Arzt. Eine Idee, wie man sie sicher von zuhause zum Arzt und zurückfährt, sind Taxigutscheine. Es braucht nachbarschaftliche Hilfe, nicht nur beim Einkaufen, sondern auch beim Vermitteln wichtiger News.
In meiner Arztpraxis, die vor dem zweiten Lockdown brechend voll war, war ich eine Woche im Lockdown ganz allein im Wartesaal. Mein Arzt, Dr. Mückstein, meinte: „Wir sorgen uns um unsere älteren Patient*innen. Sie trauen sich nicht in die Praxis.“
Wer nämlich die Pressekonferenz mit dem Aufruf, bei Krankheitssymptomen jeglicher Art (die nichts mit Covid zu tun haben) zum Arzt zu gehen – die ich zufälligerweise in meiner Facebook-Timeline erwischt habe – nicht hört, bleibt halt leider zuhaus‘.
Wir könnten ältere Menschen, die alleine wohnen, in den vielen leerstehenden Hotels unterbringen. Da könnten sie bequem schlafen, frühstücken, fernsehen. Man könnte ein hotelinternes Telefon-Plaudernetz einführen. Das Personal bliebe beschäftigt, die Familien wären entlastet, die älteren Menschen sozial eingebunden.
Die gesellschaftliche Polarisierung
Neben den wirtschaftlichen Verwerfungen kommen seit dem Sommer gesellschaftliche hinzu. Die Gruppen, die nicht gefährdet sind, treten im atmosphärischen Kampf gegen jene Risikogruppen an, die geschützt werden müssen.
Wenn wir die Debatte führen, ob wir Weihnachten mit der Familie feiern oder die Enkelkinder im Arm halten dürfen, hetzt das diese Gruppen gegeneinander auf.
Die nachdrücklichen ‚Empfehlungen‘, mit wem wir Weihnachten feiern dürfen, wirkt auf Menschen wie ein Hohn, wenn auf dem Parkett der Wirtschaft die Konsumenten im Dezember erneut tanzen gehen.
Auf die Verängstigung im ersten Lockdown folgte rasch eine kollaborative Resilienzansage. Überall gab es übers Jahr 2020 ergreifende Beispiele der Solidarität, der Kreativität im Umgang mit der Einsamkeit. In allen Krisenzonen der Welt erlebten Menschen eine transformative Energie, eine geheimnisvolle Kraft, die Menschen dazu befähigt, in schwierigen Zeiten über sich hinauszuwachsen.
Verhaltensänderungen beim Einkaufen
Der Einkauf im Supermarkt avanciert für viele isolierte Mitbürger*innen zum einzigen Abenteuer des Alltags. Da ist Stress oft vorprogrammiert. Auch in der Einkaufswelt hat laut Thomas Schäfer-Elmayer, seines Zeichens österreichische Institution in Sachen Benehmen, der höfliche Umgang Vorrang.
Er bedauert: „Leider wird unsere Mimik durch die Gesichtsmasken weitgehend versteckt. Der freundliche Ton, die lachenden Augen und ein paar anerkennende Worte, zumindest Grüßen, Bitte und Danke, gehören zum Einkaufen dazu – in diesen Zeiten aber besonders.“
Verhaltensänderungen bei Begrüßungen
Klassische Begrüßungsrituale sind seit Monaten tabu. Einschätzungen von Experten lassen befürchten, dass uns die Distanzbegrüßung länger begleiten wird. So sehr wir traditionelle Begrüßungs-, Umarmungs- und Bussigesten vermissen, unsere Gesundheit hat Vorrang.
Dieser Verzicht ist Ausdruck von zeitgemäßem Anstand. Blickkontakt, Lächeln oder eine höfliche Verbeugung sind heute schon gewohnte Begrüßungsbotschaften. Das kenne ich eigentlich nur von meinen Reisen durch Japan. Dort war beherztes Händeschütteln schon bei meiner ersten Japan-Reise vor 15 Jahren ein Riesen-Faux-pas.
Grüßen ist ein elementarer Bestandteil unserer Kommunikation. Es wirkt ulkig, wenn das ‚Griaß Di‘ zweier alpenländischer Mitbürger mit dem indischen Begrüßungsritual – die Handinnenflächen vor der Brust zusammengelegt und der ganze Oberkörper nach vorn geneigt – untermalt wird. Das bringt aber zumindest Humor in die Begrüßungssituation.
Und wie hält der Gentleman in Zeiten von Corona der Dame die Tür auf? Geht eigentlich problemlos, wenn beide die Luft anhalten und den Kopf voneinander wegdrehen. Und der Dame bitte genügend Zeit geben, sich aus der Gefahrenzone zu bewegen.
Verhaltensänderungen im Geschäftsleben
Während die Gesellschaft auf Abstand geht, erfreuen sich Videokonferenz-Tools großer Beliebtheit. Bei beruflichen Videocalls gelten andere Maßstäbe: „Ein gepflegtes Äußeres finde ich bei Business Calls besonders empfehlenswert.“
Socken auf Bücherregalen, im Hintergrund lärmende Kinder oder der Partner, der bei einer Verhandlung unachtsam durchs Bild marschiert: Störquellen lauern überall.“ Die Toleranz ist von allen Seiten da, aber sie ist endlich.
„Wir zoomen“ heißt es heute in vielen Firmen, und damit ist dem US-Videokonferenz-Dienst etwas gelungen, was der Traum jeder Marketingabteilung ist. Der Name des Unternehmen ist zum Synonym für einen Service geworden, den weltweit Millionen Menschen nutzen.
„Was mir gut beim neuen Kommunizieren über Videocalls gefällt ist, dass die Leute warten müssen, bis der andere ausgeredet hat. Die Leute haben sich an den neuen Stil gewöhnt, man ist ja auf stumm geschalten. Bevor man etwas sagt, denkt man mehr nach. Man ist disziplinierter„, sagt Doris Haider, City Managerin aus St. Valentin.
„Wir haben ein Elektrolastenfahrrad für St. Valentin angekauft“, sagt Doris Haider, „denn man kann Vieles in der Stadt mit dem Fahrrad erledigen. Unser Fahrrad verleihen wir als Unterstützung an jene Betriebe, die im harten-, als auch im soften Lockdown an ihre Kund*innen ausliefern dürfen. Der Apotheker, die Druckerei, die Floristin kann mit Hilfe des Elektrolastenfahrrads Geld verliehen. Corona hat das lokale Einkaufsverhalten gefördert. Weil die Leute merken, dass es sinnvoller ist, lokal zu kaufen. Und sie fahren viel Fahrrad oder gehen zu Fuß, da haben kleinere Städte von der Krise gefühlsmäßig profitiert.“
Die Regeln auf österreichischen Schleichwegen
Waffen darf man verkaufen, Bücher nicht. Dabei könnte man Bildung die Waffe der Gegenwart nennen. Manche Verordnungen wirken so abstrus, dass Kollaborationen zwischen Unternehmen entstehen, die sich Verkaufsschleichwege suchen.
Da findet man kreative Partnerschaften, die völlig kontaktlos sind, aufgrund der Regeln aber verboten sind. Und gerade am Land, wo das Vertrauensverhältnis zwischen Handel und Bewohner*innen ein anderes als in der Stadt ist, sind kreative Lösungen möglich. Da wird eine Rechnung zum Produkt gelegt und darauf vertraut, dass sie online überwiesen wird.
Wo liegt im Paradigmenwechsel der Pandemie eine Chance, wo eine Gefahr?
DI Markus Steinbichler aus dem Wiener GB Stadtteilbüro für die Bezirke 6, 12, 13, 14, 15 und 23 sagt: „Die Chance der Pandemie besteht darin, dass wir den persönlichen Kontakt und die Nähe zu anderen Menschen wieder als wichtig einschätzen.
Die digitale Welt ist – aus meiner Erfahrung mit Communities – nur eine sinnvolle Ergänzung, kein vollwertiger Ersatz im zwischenmenschlichen Miteinander.
Die Gefahr besteht genau darin: Dass alles künftig auch – schlimmstenfalls nur noch – kontaktlos, unpersönlich, digital erledigt wird. Und dass Menschen zunehmend vereinsamen, sich von Medien verrückt und panisch machen lassen und in eine seltsame Parallelwelt abdriften.“
Auch die Vernetzung von Menschen in Nachbarschaften könne in der digitalen Welt nur begrenzt und nicht im gleichen Ausmaß wie bei Treffen mit persönlichem Austausch erfolgen, ist DI Steinbichler überzeugt. Vor allem non-verbale Kommunikation und das „Lesen zwischen den Zeilen“ sind bei Online-Meetings schwer möglich.
Mag. Roland Murauer, GF bei CIMA Beratung und Management GmbH erkennt das Potential von KMUs: „Große Chance besteht darin, dass viele KMUs die Notwendigkeit erkannt haben, sich stärker digital weiter zu entwickeln.
Darüber hinaus haben auch viele politische Verantwortungsträger erkannt bzw. werden es in den nächsten Monaten noch stärker erkennen, wie wichtig es ist, stationäre Handels-, Gastro- und Dienstleistungsbetriebe in den Städten, insbesondere in den Kernlagen, zu haben.“
Die größte Gefahr der Verhaltensveränderungen durch die Covid-Krise bestehe laut Mag. Murauer darin, dass es zu einem starken „Kahlschlag“ in den innerstädtischen Wirtschaftsstrukturen kommt und man sich die Kaufkraft, die derzeit stark in den Online-Handel abgewandert ist, nicht wieder zurückholen kann.
Was wird sich grundlegend verändern, wenn die Krise vorbei ist?
„Grundsätzlich bin ich skeptisch, ob die vielen Ankündigungen, Prognosen und auch „Rütli-Schwüre“ das Konsum- und Mobilitätsverhalten wirklich grundlegend verändern“, meint Mag. Murauer von CIMA.
Was sich seiner meiner Meinung jedoch ändern wird, ist die generelle Ansicht, dass die Menschheit quasi „unverwundbar“ ist und dass eine derartige Pandemie im 21. Jahrhundert quasi das gesamte Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgefüge global stark bedrohe.
Zudem glaubt er, dass viele Akteure (zumindest in Europa), welche in den letzten Jahren nach schlanken Staatsstrukturen, geringen öffentlichen Ausgaben und „mehr Privat statt Staat“ geschrien haben, nun den Wert einer guten Gesundheitsversorgung sowie starker staatlicher Strukturen wieder mehr zu schätzen wissen.
Durch die Covid-Krise wird sichtbar, wie wir das Gefühl von Sicherheit wiederfinden können: Wir lassen uns wieder auf das Neue, das Vielfältige, das Wachsende und Vergehende ein. Wir treten mit der Natur in einen neuen Dialog. Nicht umsonst boomt alles, was mit Natur zu tun hat: Heimwerken und Garteln. Fahrradfahren. Wandern. Kochen im Freien. Achtsamkeitstechniken. Stress abbauen über tiefes Ein- und Ausatmen.
Titelbild: Verhaltensänderungen durch Covid: Ausstellungen werden vielleicht öfter im öffentlichen Raum stattfinden. (c) Daniela Krautsack
Daniela Krautsack
DanielaKrautsackist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren.DanielaKrautsackist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.
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