Urbanisierung: Aus starken Städten werden städtische (rurale) Räume mit wachsenden Umlandgemeinden. Wohin entwickeln sich die Trends? Hier ein paar Beispiele aus österreichischen Städten und Gemeinden.
Urbanisierung zählt zu den Trends der Zukunft, aus starken Städten werden städtische (rurale) Räume mit wachsenden Umlandgemeinden. Wohin sich die Trends entwickeln – ob Zuzug in die Stadt oder Flucht aufs Land – hier ein Blick auf österreichische Städte und Regionen als Beispiele wohin es die Menschen zieht.
Urbanisierung ist nicht gleich Verstädterung
In Österreich gibt es bereits 830 von insgesamt 1.200 Gemeinden mit einer negativen Bevölkerungsentwicklung, Tendenz steigend. Die Menschen fliehen vom Land und ziehen in die Stadt – bis Corona ein Umdenken schuf. Die frische Landluft soll das schicke Cityflair ergänzen.
Urbanisierung leitet sich vom lateinischen „urbanus“ (Stadt) und steht für die Veränderung des Lebens in der Stadt. Wer in westeuropäischen Industriestaaten auf dem Land wohnt, lebt größtenteils urban. Die Infrastruktur ist ähnlich der Stadt, es gibt kaum Unterschiede bei Schulen, ärztlicher Versorgung, dem Verkehrsnetz oder Einkaufsmöglichkeiten.
Der wesentliche Unterschied ist, dass Städte Arbeitsplätze schaffen, die es so auf dem Land nicht gibt. Diese Berufschancen wie im Banken- und Dienstleistungssektor, veranlassen Menschen die ländlichen Gegenden zu verlassen, weil die Infrastruktur wie Straßen, Öffentliches Verkehrsnetz und schnelles Internet fehlen.
Urbanisierung beinhaltet mehr als den Wandel von Lebensräumen.
Corona und seine Folgen
43 Prozent der Immobiliensuchenden wollen ein Haus oder eine Wohnung auf dem Land und fast 60 Prozent wollen aus den Bezirkshauptstädten absiedeln, zeigt eine aktuelle Studie von sReal.
Wohnbauforscher Wolfgang Amann zu dieser Entwicklung: „Wer immer es sich leisten kann, wird in Zukunft sein eigenes Arbeitszimmer haben wollen. Kleinere Wohnungen werden aus der Mode kommen, weil Home-Office dauerhaft einen anderen Status haben wird.
Wenn man mit drei Arbeitstagen im Büro und zwei Arbeitstagen zu Hause auskommt, könnte das Haus am Land und eine kleine Wohnung in der Stadt ein Lebensmodell sein.“
Die Stadt verliert an Attraktivität, da sich die Menschen auf dem Land sicherer fühlen, hat Corona gezeigt. Der Nachteil des Pendelns zum Arbeitsplatz wird mit Mobile Office-Möglichkeiten ausgeglichen, indem von zu Hause ausgearbeitet wird. (https://www.versicherungen.at/news/die-wohnbeduerfnisse-der-oesterreicher)
Stadt ist nicht gleich Stadt
Das Cityflair ist abhängig von der Größe einer Stadt und hier gibt es Größenunterschiede. Österreich wächst jährlich um etwa 60.000 Einwohner. 40.000 Menschen zogen in die Bundeshauptstadt Wien und die restlichen verteilen sich auf die neun Bundesländer.
„Keine andere Hauptstadt in der EU hat einen so hohen Verdichtungsgrad wie Wien. … Das frühere West-Ost-Gefälle wurde von einer intensiven Land- Stadt-Wanderung in die Ballungsräume der Bundesländer – beispielsweise in die Landeshauptstädte Innsbruck, Linz oder Graz – abgelöst“, so Gottfried Kneifl vom IWS (Initiative Wirtschaftsstandort OÖ, www.iwsooe.at).
Die Steiermark ist das Bundesland mit den größten Ungleichheiten zwischen der Hauptstadt Graz als südliches Zentrum und dem steirischen Oberland.
Graz als die schnellst wachsende Stadt Österreichs
Die Bevölkerungszahl von Graz stieg bis in die 1970er Jahre auf heute knapp 295.000 Einwohner durch Zuzug und Zuwanderung stetig an. Ab 2001 verringerte sich die Zahl, da viele Grazer in die Umlandgemeinden zogen. Seither haben tendenzielle weniger Bewohner ihren Hauptwohnsitz in Graz gemeldet. Zeitgleich nimmt die Zahl der Zweitwohnsitze – derzeit 36.400 – zu.
Denn, jüngere Beschäftigte leben während der Woche in der Stadt und haben ihren Hauptwohnsitz bei den Eltern außerhalb von Graz. Der Wirtschaftsstandort und die Bauwirtschaft profitieren von den meist jüngeren Leuten, die in Graz ihren Zweitwohnsitz haben.
Gleichzeitig ist Graz die am schnellsten wachsende Stadt Österreich – Cityschick und Annehmlichkeiten des Wohnens ergänzen sich.
Re-design Eisenerz
Viele Bürgermeister kleiner Gemeinden plädieren für den Erhalt der Kleinstrukturen, die lebensfähig waren und jahrhundertelang gut funktioniert haben, um der Abwanderung entgegen zu wirken. Das steirische Eisenerz ist seit der Jahrtausendwende mit einem Rückbau der Stadt befasst.
In den 50er-Jahren lebten 13.000 Menschen in der obersteirischen Bergbaustadt. Waren damals 4.200 Menschen auf dem Erzberg beschäftigt, sind es heute nur mehr 170, auch wenn damals wie heute zwei Millionen Tonnen Erz im Jahr abgebaut werden. Seither werden alte Gebäude und 700 Wohnungen abgerissen, 500 weitere werden saniert.
Seit 2007 versucht die Stadt mit dem Rückbauprogramm „Re-design Eisenerz“ der sinkenden Bevölkerungszahl gerecht zu werden. Wo andere Gemeinden weiterhin Grünland in Bauland umwidmen, um ihren Einwohnern den Traum vom Eigenheim zu erfüllen, hat sich Eisenerz zum Schrumpfen entschlossen.
Die zweigeschossigen Mehrparteienhäuser wurden in der Zwischenkriegszeit für die damals wachsende Zahl der Bergarbeiter und ihren Familien gebaut. Heute wohnen hier nur noch eine Handvoll Eisenerzer. Der Schrumpfungsprozess ist fast vollzogen.
Heute leben nur mehr 3.800 Einwohner in Eisenerz. So viele wie Ende des 19. Jahrhunderts, bevor der industrielle Bergbau am Erzberg begann.
Wirtschaftsstärkste Region Österreichs Linz – Wels
Die Region zwischen Linz und Wels ist österreichweit der Raum mit der höchsten Dichte an Groß- bzw. Mittelstädten. Die Landeshauptstadt Linz wächst aufgrund des geografischen Vorteils, wirtschaftlicher Prosperität, bester Zugverbindungen, dem Schiffsverkehr auf der Donau und einer starken Industrie.
Es hat sich ein Umland gebildet, das günstigere Grundstückspreise bietet, verkehrstechnisch angebunden ist und die umliegenden Städte wie Leonding, Traun, Marchtrenk und Ansfelden ständig wachsen lässt. Sie sind durch die Bundesstraße und Westbahnstrecke mit Wels zusammengewachsen.
Selbst Linz hat mit mehr als 200.000 Einwohnern keine Großstadtcharakteristik und durch die unmittelbare Nähe weiterer bedeutender regionaler Zentren setzt die Stadt vergleichsweise wenig Speckgürtel an.
Die enge Verflechtung von städtischer Dichte und weitläufigem ländlichen Freiraum für Betriebsansiedlung, suburbane Entwicklung wie auch für Nahversorgung und Erholung macht diesen Raum in Österreich einzigartig.
Der Oberösterreichische Zentralraum gehört mit rund 312.000 Arbeitsplätzen zu den wirtschaftsstärksten und schnellst entwickelnden Kleinregionen in ganz Europa.
Die Quasi-Stadt
Das oberösterreichische Beispiel, Salzburg mit seinem Umland oder das vorarlbergische Rheintal zeigen deutlich, dass die wohl wichtigste Entwicklung der nächsten Jahre die „Zwischenräume“ sind. Gemeinden und Städte wachsen zu einer „Quasi-Stadt“ zusammen.
Nicht jede Gemeinde braucht ein Schwimmbad, einen Gerichtsstandort und höhere Schulen, aber alle Bewohner dieser Regionen brauchen bestmögliche Infrastruktur in Straßen, Datenleitungen und öffentlichen Verkehr, Kinderbetreuung sowie Gestaltungsfreiraum für die unmittelbare Nachbarschaft.
Die Städte brauchen das Land und ländliche Gemeinden die Vitalität und Vielfalt der Städte.
Die Aufgaben sind größer als noch vor dreißig Jahren. Höhere Flexibilität und Mobilität, steigende Lebenserwartung und die damit verbundene Wohlfühlatmosphäre sowie Individualität, Nachbarschafts-Netzwerke und Internationalität ermöglichen.
Durch neue Formen der Vernetzung und Mobilität wird Urbanität vor allem zu einer neuen Lebens- und Denkweise. Ganz dem Ideal von J.W. Goethe entsprechend: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!“.
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