Urbane Interventionen

24.02.2015
Trends

WAS DER TREND BEDEUTET

Nach Graffiti und Street Art sind Urbane Interventionen die nächste Generation künstlerischer Arbeiten im öffentlichen Raum. Sie beschäftigen sich meist räumlich mit allen Aspekten und Bestandteilen der Stadt. Die Straße wird zur Leinwand und Galerie, zum Atelier, Labor und Club.

Die Kunst kommt zum Publikum und schafft damit mehr Betrachtung als es ein Kunstwerk im Museum oder in der Galerie vermag. Modifizierte Straßenschilder, Schaukeln an Bushaltestellen und Bilder aus Sand oder Schnee fordern uns heraus, unsere Umwelt zu entdecken, sie auf neue Art wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren. Auf intelligente Art kommentieren und kritisieren diese Eingriffe. Sie nehmen Bezug auf die Planung, Nutzung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. Die Urban Art Szene ist lokal und erfolgreich auch international aktiv und macht nur dann von sich reden, wenn sie nicht an einem Ort verweilt. Das ist eine Szene, die wie kaum eine andere die zeitgenössische visuelle Sprache prägt. Gewachsen aus der Graffitikultur entstehen vor allem im letzten Jahrzehnt immer mehr Verbindungen und Wechselwirkungen mit Kunst, Architektur, Performance und Installation. Ihre Protagonisten überraschen, irritieren und provozieren durch ihre Eingriffe den Raum in Metropolen wie New York, London, Berlin – und Wien.

Heute reichen ‚urban interventions‘ über den künstlerischen Kontext hinaus in die Bereiche des City Branding und Produkt Branding, Architektur und viele Bereiche der Kommunikation.

In diesem Blog sehen wir uns 3 Ausprägungen von Urbanen Interventionen an:

  1. Bürger-Involvement – Einladung der Bevölkerung zur Mitgestaltung – urban intervention, um das soziale Gefüge zu stärken. Identitätsstiftend.
  2. Street Art – gesellschaftspolitische Strömungen und Meinungen dazu werden visualisiert. Provokativ. Kritisch. Kreativ. Oft ästhetisch.
  3. Landmarks – geographische Eingriffe ins Urban Design einer Stadt. Fördert soziale Inklusion. Wird zum Meeting Point. Schafft ein Unterscheidungsmerkmal, gibt einem Ort den ‚USP‘.

1. BÜRGERINVOLVIERUNG

100 in 1 Day – Toronto 2014

Die Aussendung dieser Stadtinitiative lautete wie folgt:

„Haben Sie Ideen, um aus Ihrer Stadt, Nachbarschaft oder Community einen besseren Lebensraum zu machen? Jetzt haben Sie die Möglichkeit, genau das zu beeinflussen. 100 in 1 day ist ein Festival, das anhand Ihrer urbaner Interventionen Toronto inspirieren wird. Aber nicht nur das. 100 Interventionen sollen veranschaulichen, wie Sie in Zusammenarbeit mit Ihren Nachbarn, Freunden, Gleichgesinnten und Andersdenkern den Lebensraum der Stadt verändern würden. Urbane Interventionen inspirieren, informieren und motivieren Communities, einen Wandel in Denk- und Arbeitsweisen hervorzurufen und schaffen ein Gemeinschaftsgefühl, das Gefühl kollektiver Kraft und einer aktiven Bürgerbeteiligung. You can make a difference! Let’s make June 7th a day Toronto will always remember.”

http://100in1day.ca/toronto/?page_id=420#/?id=461

Stichproben-Selektion:

  1. 1.       ‘The Love Lettering Project:

Das ‘Liebesbrief-Projekt’ ist ein Community Kunstprojekt, das Liebesbriefe an Fremde adressiert. Es soll die Beziehung von Fremden zum öffentlichen Raum und seinen Communities durch soziales Engagement verändern. Teilnehmer wurden im Juni eingeladen, einen Brief zu schreiben, der vermittelt, was man an der Stadt so mag, in der man lebt. Dann sollen die Briefe versteckt werden, um von einem Besucher der Stadt gefunden zu werden, der die Begeisterung für die Stadt kennenlernt und diese weiterkommunizieren kann. Das Kunstprojekt wurde bislang in über 25 Städten in Kanada, den USA und Großbritannien mit einer Teilnahme tausender BürgerInnen durchgeführt.

https://www.youtube.com/watch?v=V5a9wMBlyDM

https://www.youtube.com/watch?v=s_W003Qq_A0

  1. 2.       ‚The Children’s Book Bank‘:

Die Kinderbuch-Bank lädt zur Abgabe von Kinderbüchern, Jugendbüchern, Schulbüchern, Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, etc., um sie Kindern zur Verfügung zu stellen, die keine Bücher haben.

  1. 3.       ‚We’re not Sardines – improve public transportation‘
    Diese Intervention im U-Bahn-System Torontos sollte auf die unzureichende Frequenz von Zügen in Stoßzeiten hinweisen. Teilnehmer wurden aufgerufen, sich überdimensionale Sardinenköpfe überzustülpen, um visuell auf das Anliegen der Gruppierung aufmerksam zu machen.

Park it, Mister

Anstatt Autos zu parken, parken sich Menschen selbst im Kulturraum der Straße. Und nehmen sich zurück, was in Zukunftsstadt-Fantasien von autolosen Bürgern dominiert: die Straße, den Gehsteig, ungenutzte Flächen und ineffizient genutzte Räume.

2. STREET ART

Street Art ist zu einem Sammelbegriff für ein buntes Spektrum an Eingriffen im öffentlichen Raum geworden, die mit den Graffiti der siebziger Jahre nicht mehr viel gemeinsam hat. Aus den ersten Schriftzeichen entwickelten sich kunstvolle kalligrafische und dreidimensionale Bilder. Dann kamen die Wandwitze. Schnelle Pointen auf Stickern oder gesprüht mit Schablonen, die aufgrund der immer strengeren Anti-Graffiti-Gesetze entstanden.

Die neue Generation hat sich vom Medium Wand emanzipiert: Besonders beliebt sind heute Skulpturen und temporäre Eingriffe in den Stadtraum – auch bei Hausbesitzern. Denn die Kunst zerstört kein Eigentum, lässt sich notfalls schnell mit einem Besen wieder beseitigen und ist zudem auch allgemein zugänglicher. Graffiti waren meist urbane Codes von Insidern für Insider. Trotzdem liegt der Reiz und große Unterschied zur Kunst im öffentlichen Raum – von Reiterstandbildern bis zu Skulpturen von Niki de Saint Phalle – in der Illegalität: „Wenn man eine Förderung beantragt, schreibt man monatelang Konzepte und Budgetpläne, bis am Ende die Idee völlig verwässert ist und man die Lust am Projekt verloren hat“, meint der US-Strassenkünstler Brad Downey. „Die Legalität würde meine Arbeit verlangsamen. Ich will schnell viele Ideen realisieren – ohne Geld und lästige Bürokratie.“

Vor allem ist Street Art ein Spiel um Aufmerksamkeit: Der Londoner Slinkachu setzt Spielzeugfiguren aus, die man bisher nur als Bewohner von Modelleisenbahnanlagen kannte, und inszeniert mit ihnen surreale Miniwelten. Swoon ist New Yorkerin, die Papierschnitte an Fassaden tapeziert, obwohl ihre Arbeiten längst im Museum ausgestellt werden. Nick Georgiou recycelt in New York alte Zeitungen und produziert aus den Schnipseln absurde Tierskulpturen. Krystian Czaplicki aus Breslau liebt geometrische Abstraktionen – und setzt diese mit Styropor und alten Kartons im Stadtraum um. Und der US-Künstler Mark Jenkins provoziert die Passanten mit lebensgroßen Figuren aus Klebeband, wie Pferde, die auf Bäumen kleben. Als er in Washington Eisbärskulpturen aufstellte, eigentlich eine PR-Aktion für Greenpeace, um auf die Erderwärmung hinzuweisen, löste eine am Mülleimer befestigte Bärenfigur eine solche Panik aus, dass sogar ein Bombenentschärfungskommando eingeschaltet wurde. An solchen Beispielen sieht man: Street Art kann mehr. Mehr bewegen, mehr überraschen, mehr provozieren. In Museen und Galerien sind die Regeln starr und die Reaktionen eingeübt: Die Kunst hängt, liegt oder steht – der Betrachter sieht, staunt und geht. Künstler möchten mit der Stadt arbeiten und im realen Raum reale Erfahrungen sammeln.

Im Gedanken an die zunehmende Verödung von Stadtzentren, denke ich an eine künstlerische Strömung, auf die ich vor etwa 5 Jahren aufmerksam geworden bin. Gesichter im Fokus. Es geht dabei um das Sichtbarmachen von Bewohnern, Besuchern, all jenen, die die Plattform der Selbstdarstellung nutzen. Während einer Geschäftsreise nach Genf hörte ich durch Zufall von einem Fotografie-Outdoor-Festival, das gerade in einem 19.000 Seelen Ort am Genfer See stattfand. Spontan stieg ich in den Zug nach Vevey, ein verschlafenes Städtchen mit hübscher Seepromenade und konnte meinen Augen nicht trauen. In einem Festival-Parcour durch die Stadt lief ich an hochhaushohen Fotografien vorbei, stolperte über Interventionen in der Wiese, auf Bäumen und Laternenpfählen. Beim Gespräch mit Einheimischen erfahre ich von deren Begeisterung über die Verwandlung der Kleinstadt. Und hörte das erste Mal von JRs ‚Inside Out‘ Kampagne.

JR

Der französische Fotograf, Aktivist und Public-Art-Künstler JR erobert seit Jahren rund um den Globus den öffentlichen Raum. Mit seiner Installationsserie „Inside Out“ verwandelte JR den Times Square in New York in ein Gesichtermeer. Das war noch keinem vor ihm gelungen: Tausende Gesichter von Passanten wurden auf den Boden Manhattans affichiert. Ein Happening der Herzlichkeit in der New Yorker Betonwüste, das ganz nebenbei die Werbeflächen am Times Square in den Schatten stellte. Mit derselben impulsiven Neugier erkundete JR in seinem Projekt „Wrinkles of the City“ die Spuren der Zeit. Auf Dächern, Wänden und Mauern Berlins erzählte er die wechselvolle Geschichte der deutschen Hauptstadt mit Hilfe von monumentalen Porträts älterer Menschen. Deren Falten stehen für die Narben und Wunden der Stadt. Den Antrieb für sein künstlerisches Schaffen beschreibt er so: „Es ist sehr anmaßend zu glauben, Kunst könne die Welt verändern. Aber sie hat eine solche Kraft, sie verändert die Wahrnehmung.“


JRs Projekt ‚Inside Out‘

https://www.youtube.com/watch?v=4T1sEMhwEJA

‚Crown Fountain‘

Im Dezember 1999 beschlossen Lester Crown und seine Familie, ein Wasserspiel im Millennium Park zu sponsern. Im Gegensatz zu anderen Sponsoren handelte die Crown-Familie aktiv bei der Auswahl der Künstlers und hielten einen Design-Wettbewerb ab. Die Wahl fiel auf den katalanischen Konzeptkünstler Jaume Plensa. Die Crown Fountain ist ein Wasserspiel, interaktives Kunstwerk und eine Videoskulptur. Die Türme sind 15 Meter hoch und verwenden Leuchtdioden hinter Glasbausteinen. Über die Leuchtdioden werden digitale Videos von 1000 BürgerInnen der Stadt Chicago gezeigt. Am Ende jeder Videosequenz spitzen die aufgenommenen Menschen den Mund. An der Stelle des gespitzten Mundes ist eine Düse angebracht, durch die in diesem Moment Wasser gespritzt wird, so dass der Eindruck eines Wasserspeiers entsteht. Dies geschieht etwa alle fünf Minuten und es zaubert immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht der vielen Beobachter, wie sich vorwiegend Kinder um einen Platz vor dem riesigen Wasserstrahl reißen. Die Gestaltung des Brunnens wurde für seine künstlerischen und Entertainment-Funktionen gelobt. Plensa wollte den Betrachter in eine interaktive Beziehung mit der Kunst integrieren, was ihm aus eigener Erfahrung richtig gut gelang. Obwohl die Interaktivität eingeplant war, war Plensa über die Verwandlung des Brunnens in einen Wasserpark für Kinder in nur wenigen Stunden nach der Öffnung überrascht.

Sind ‚Brot und Spiele‘ noch Bestandteil unserer Kultur von morgen?

Kultur entsteht durch Spiel – den Spaß daran und durch die daraus entstehende Spannung. Die Straße stellt die Leinwand, die Stadt den Abenteuerspielplatz dar. Zweckgebundene Stadtmöbel werden zweckentfremdet. Jede Bushaltestelle, jede Sitzbank, jede Hausmauer ist ein nächstes, potenzielles Kunstwerk. Und die Künstler spielen mit dem Stadtraum, den Bewohnern und der Geschichte der künstlerischen Avantgarde. Ein Schuss Spontanität der Situationisten, ein paar choreografische Fluxus-Elemente, ein bisschen Land Art, eine Dosis Dada-Absurdität, verquirlt mit Ready-Mades und Minimalismus – und fertig ist die Street-Art-Skulptur. Aber man muss diese Bezüge auch nicht erkennen, um Street Art zu verstehen. Street Art funktioniert in unserem alltäglichen Lebensraum, ist Kunst für die Masse, und kann trotzdem intellektuell und konzeptionell sein und den Puls der Zeit darstellen.


3. LANDMARKS

Landmarks sind markante Punkte, die Markierungen für einen Ort darstellen und als Referenzierungspunkte  verwendet  werden.  Sie  besitzen  spezielle  visuelle  Eigenschaften,  sind einzigartig in ihrer Funktion oder in ihrer Bedeutung und befinden sich an einer zentralen oder auffällig gelegenen Position und stellen somit eine Hilfe für den Benutzer hinsichtlich Navigation und Raumverständnis dar. Unvergesslich dazu ein Interview, das ich auf meiner Forschungsreise mit dem Kreativdirektor von Coca Cola in Australien führen durfte. David Elsworth berichtete mir vom berühmten Coca Cola Landmark in Sydney und meinte: „Uns ist bewusst, dass wir nicht eine Flasche weniger verkaufen würden, wenn es morgen das Coca Cola Billboard in King’s Cross nicht mehr gibt. Aber wenn die Einwohner Sydneys ihren Treffpunkt verlieren, haben wir ein Imageproblem.“ Ich würde Landmarks als langfristig geplante urbane Interventionen beschreiben, die unbedingt eine gute Geschichte brauchen, um zu einem Treffpunkt wie das berühmte Coca Cola Billboard zu werden. Es gibt viele gute Geschichtenerzähler – einen guten auszusuchen ist ratsam.

VOM TREND ZUM DENKIMPULS FÜR IHRE UNTERNEHMUNG

Urbane Interventionen werden neben ‘Street Art’ als nächste Generation künstlerischer Arbeiten mit kommunikativen Motiven im öffentlichen Raum gesehen. Die Straße gilt schon längst als Leinwand und lädt ihre Bewohner zur Mitgestaltung ein. Der öffentliche Raum ist der ‘Spielplatz’ der Stadt, den BürgerInnen und Konsumentinnen noch nicht ausreichend nutzen. Diese Medienform darf involvieren, denn sie macht das Öffentliche zu einem privaten Erlebnis. Und, sie hat rund um den Globus und in vielen publizierten Interventionen gezeigt, dass sie es im Vergleich zu traditionellen Werbeträgern schafft, dem Megatrend ‘civic partizipation’ einen visuellen, sowie gedanklichen Raum zu geben. Einen Raum, um Storytelling für Marken zu betreiben und aktuelle Strömungen der Kreativindustrien für die Identitätspflege der Marke zu nützen. Warum nicht ‘urbane Interventionen’ rund um Shop-Eröffnungen oder die Präsentation einer neuen Kollektion andenken oder rund um temporäre oder thematische Highlights des Jahres, wie die Vienna Fashion Week, den Vienna Marathon, oder den Valentinstag einsetzen? Ein Tipp: ruhig mal junge KünstlerInnen für die Konzeptentwicklung von Marketingkampagnen einladen. Meiner Erfahrung nach liegen viele kreative Diamanten mit frischem Querdenker-Potential ungenutzt herum. Der regelmäßige Einsatz von urbanen Interventionen vermittelt „hier leben junge, kreative Köpfe“. Welchen Eindruck dies bei einem breiten Publikum hinterlässt, hängt vom Einsatz der Interventionen und der kreativen Richtung ab, die ein Ort einschlägt. Eine erfolgreiche Umsetzung basiert auf Grundregeln. Ein Ziel haben, Spielregeln definieren, freiwillige Partizipation aller Beteiligten und ein Feedback Loop, der Wertschätzung und ernsthaftes Interesse widerspiegelt.

Falls Sie mehr zu diesem Thema lesen möchten, empfehlen wir Ihnen, Daniela Krautsack auf Pinterest (unter: Daniela Krautsack) zu folgen, wo sie regelmäßig ein Urban Interventions Board befüllt.

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