Urban Manufacturing: Die Rückkehr des Handwerks in die Innenstädte
24.01.2023
Wirtschaft
24.01.2023
Wirtschaft
Der Trend zu traditionellem Handwerk ist trotz unseres digitalen Zeitalters oder vielleicht genau deswegen ungebrochen. Immer mehr Menschen wollen genau wissen, wer ihre Produkte wo fertigt.
Seit der Unterzeichnung der Charta von Athen von Le Corbusier im Jahr 1933 hat sich der Ansatz mehr und mehr durchgesetzt, in einer Stadt müssten die Funktionen räumlich getrennt sein. Damit verschwand nicht nur das Handwerk aus der Innenstadt, sondern auch das Wohnen.
Idealerweise sollte heute nicht nur das Handwerk, die urbane Produktion, sondern auch das Wohnen in die Innenstadt zurückkehren. Außerdem denken ProjektentwicklerInnen heute vielfach multifunktionale Konzepte an und setzen sie zum Teil auch um.
Mischformen aus Handel, Gastronomie und Dienstleistung sind häufig. Schadstoff- und lärmarmes Handwerk kommt nur langsam hinzu, obwohl diese urbane Produktion die Chance bietet, Herstellung und Vertrieb regional einzubetten und flexibel zu gestalten. Das birgt viel Potenzial, die lokalen Ökonomien zu stärken.
In diesem Beitrag beobachten wir die Entwicklung und die Chancen für Städte und ihre Lebensqualität.
Seit den 2000er Jahren hat man erkannt, dass die durch die Charta von Athen einsetzende Ent-urbanisierung fast schon einer Enteignung der innerstädtischen ImmobilienbesitzerInnen gleichkommt.
„Belebung und Stärkung der Ortskerne“ war plötzlich das Thema. Zumal sich ab 2010 auch der großflächige Einzelhandel, bedrängt durch die Verlagerung ins Online-Geschäft, mehr und mehr zurückzog.
Die Folgen zeigen sich am augenfälligsten bei nächtlichen Spaziergängen durch die österreichischen Innenstädte. Ganze Etagen, der erste und zweite Stock, einst Verkaufsflächen oder Lager, stehen leer. Erst die oberen Geschoße sind manchmal bewohnt.
Die einstige Produktion im Herzen der europäischen Städte hat sich an die Peripherie verlagert. Die Beschäftigung in den Innenstädten konzentrierte sich zunehmend auf Verwaltung. Bis man auch sie zunehmend an die Peripherie verlagert hat, genauso wie zuvor schon große Teile des Handels, der Gastronomie, des Dienstleistungssektors und sogar der Kultur. Bildungseinrichtungen wie Schulen wanderten ohnehin schon früh an die grüne Wiese.
Städte, die heute an der Spitze des Lebensqualitätsindizes stehen, haben früh erkannt, dass eine lebenswerte Stadt von einer gesunden Durchmischung der Funktionen abhängt. Nur diese Mischung ermöglicht kurze Wege und damit eine Reduktion der PKW-Belastung, was zu mehr Lebensqualität führt.
Damit bleiben diese Städte attraktiv für hochwertige nationale und internationale Unternehmen, die wiederum ehrgeizige, top ausgebildete junge ArbeitnehmerInnen anziehen, die die lokale Wirtschaft enorm ankurbeln.
Teils Jahrhunderte alte Handwerksbetriebe, die bis heute in den großteils eigenen Immobilien produzieren, haben also in den Innenstädten überlebt. Der Beginn des Handels als eigene Betriebsform abseits der klassischen Märkte lässt sich in die Zeit des Vormärz ab 1848 datieren.
Bis dahin war es üblich, dass HandwerkerInnen in ihren Produktionsstätten, LandwirtInnen am Markt und GastronomInnenen in ihren Gastwirtschaften direkt an die KundInnen verkauften. Die Zünfte und Manufakturen waren das gesetzliche Regulativ.
Diese Unternehmen sind traditionell am Standort aufgebaut – sie konnten über Jahrhunderte bestehen und eigene Produkte zu Markenzeichen machen.
Mancherorts sind sie zu Hotspots und Sehenswürdigkeiten in den Innenstädten geworden, wie beispielsweise die Hofbäckerei Edegger in neunter Generation in Graz, Lederwaren Winkelmayr seit 1667 in Wels, Hutmacherei Bittner in Bad Ischl seit 1862 oder in Salzburg der Schirmmacher „Kirchtag“, der Uhrmachermeister Gilli und die Schlosserei Wieber in der Salzburger Getreidegasse, die seit fünfhundert Jahren Zunftzeichen fertigt.
Viele von ihnen würden heute keine Betriebsstättengenehmigung in diesen innerstädtischen Lagen mehr erhalten und bleiben somit einzigartig.
Dabei handelt es sich um HandwerkerInnen, die die Innenstädte als ideale Schau- und Kommunikationsräume begreifen und mit neuen Geschäftsmodellen in unkonventionelle Leerstände drängen. Ob Lifestyle-Objekte, Bekleidung oder Möbel – Manufakturen in der Stadt produzieren in der Regel hochwertige, design-orientierte Produkte.
Sie sind Pioniere, die städtische Räume als Produktionsstandort zurückerobern – sofern sie leise und emissionsfrei arbeiten. Entscheidend ist die die Nähe zum/zur Konsumenten/Konsumentin. Die urbane Lage ermöglicht bestimmte Maschinen mit anderen Manufakturen zu teilen.
Dieser Trend beruht auf Produkten, die für EndkonsumentInnen von besonderer, persönlicher Bedeutung sind – maßgeschneidert und von außergewöhnlicher Wertigkeit und Qualität. Innovative Technologien und Werkstoffe spielen bei hocheffizienter, emissionsfreier, wohnverträglicher Produktion eine wesentliche Rolle.
Ein Beispiel aus Ried im Innkreis ist das Haus der Nachhaltigkeit, „Die Giesserei“, in dem PartnerInnen aus verschiedenen Betriebsformen kooperieren und in einem revitalisierten Gebäude aus dem Jahr 1455 Raum für Veranstaltungen geboten wird. Neben diesem Haus haben sich kleinere Handwerksbetriebe angesiedelt und ein neues Lebensgefühl in die Stadt gebracht.
Ein weiteres Beispiel ist die Kunstdruckwerkstätte „Oskart“ von Oskar Pointecker, die mit einer 150 jährigen Druckerpresse Karten herstellt und außerdem Platz für Kreative bietet.
Beispiele aus Salzburg sind der Messermacher Kapeller, der seit 2016 ein Geschäft in der Salzburger Getreidegasse betreibt, die Upcycling Werkstätte von Janett Sumbera und Brigitte Schöllbauer, die scheinbar Wertloses in Neuwertiges verwandeln. Klagenfurt etwa hat sich Geigenbauer Florian Brandstätter nur wenige Gehminuten vom Stadtzentrum angesiedelt, ebenso wie die Manufaktur „Trachtencoutoure Erbstücke“ von Ulli Seebacher.
Das „Schuhlabor“ in Hall in Tirol ist spezialisiert auf Schischuhe, die den KundInnen in etwa zwei Stunden angepasst werden. Der Handwerksbetrieb schafft für seine internationalen KundInnen besondere Aufenthaltsqualität, weil er inmitten der Altstadt angesiedelt ist und man die Wartezeit mit Bummeln und Shoppen verbringen kann.
Handwerksbetriebe nutzen immer öfter neue Multi-use-Vertriebsformen, Concept Stores, gemeinsame Verkaufsflächen von unterschiedlichen Handwerken, Handwerkerhäuser oder Coworking Spaces. Zusammenschlüsse mehrerer Handwerksbetriebe an einem Ort, die Workshops anbieten, ein kleines Café betreiben und sämtliche Produkte direkt verkaufen, sind beliebte Hotspots in den Städten geworden.
Es sind Pop up-Stores, die saisonal in leerstehenden Geschäften öffnen oder Concept Stores wie in der Linzer Innenstadt, die Mode, Geschenke und vieles andere anbieten. Hier hat sich also mittlerweile eine neue Szene etabliert, die persönliche Einkaufserlebnisse schafft. In Hall in Tirol öffnen Handwerksbetriebe ihre Werkstätten beim Haller Nightseeing zur Shopping-Night und bieten damit neue Einblicke.
Ein weiteres Beispiel ist die Edelwerkstadt in Wels, die sich dem Vertrieb von Kunst, Handwerk und Vintage-Produkten verschrieben hat.
HandwerkerInnen schaffen vielfach neue Markt- und Festivalformate, die Partizipation und Teilnahme ihrer KundInnen ermöglichen.
Vor allem neue Marktformate kommen diesen neuen HandwerkerInnen entgegen. Edelstoff oder Feschmarkt sind beispielsweise Präsentations-, Verkaufs- und Vernetzungsplattform, die jungen Kreativen, DesignerInnen und KünstlerInnen ein Sprungbrett bieten.
Neu sind auch Festivals, die durch Österreich und Deutschland touren, um mit einem Thema beim urbanen Publikum zu punkten. Die „Wearfair“ kündigt ihre Stationen online an und wird von AusstellerInnen unter dem Motto „Kleidung fair produziert“ verkauft – Schauplätze sind leerstehende Fabrikshallen.
Als Festivalformat im Jänner wurde von mir das „Hand Kopf Werk“-Festival 2014 in Salzburg entwickelt. HandwerkerInnen und KopfwerkerInnen der Salzburger Altstadt waren und sind eingeladen bei Workshops, Führungen, Beratungen oder Vorträgen ihre handwerklichen, geistigen und kreativen Potentiale zu zeigen.
Aus kommunaler Sicht ergeben sich durch die Förderung urbaner Produktion viele Vorteile, zugleich zeigen sich aber auch etliche Hindernisse.
Die bestehenden Betriebe sollten also bestmöglich unterstützt werden, neue Verordnungen und gewerberechtliche Vorgaben sollen keine Hürden aufbauen. Neuansiedler oder Rückkehrer sind lärmarme Gewerke wie Goldschmiede, Hutmacher, Schneidereien, Maßhemden… Diese Unterscheidung muss man treffen und sich überlegen: Was bedeutet das für die Innenstadt, wenn man auch Handwerk ansiedeln möchte?
Urbane Produktion beeinflusst Stadtplanung, deren Entwicklung und Wirtschaftsförderung in folgenden Punkten:
Die Rückkehr handwerklicher Betriebe in die Innenstädte bietet eine Chance, Leerstände zu minimieren und neue Attraktivität zu schaffen. BesucherInnen wollen in den Citys bunte Vielfalt erleben und Dinge kaufen, bei denen man spürt, dass sie „von Hand“ gearbeitet sind.
Ein neuer Trend zur Vernetzung von Arbeit und Wohnen ist ein weiterer Baustein für die Zukunft des urbanen Raumes. Alteingesessene Betriebe sollten unterstützt und neues Handwerk willkommen geheißen werden – dann werden alte Gassen in Zukunft wieder blühen und gedeihen.
Titelbild: Urban Manufacturing: Schuhwerkstatt Kollmann (c) Nicole Hubmann
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