TikTok für Städte
22.02.2023
Gesellschaft, Trends
22.02.2023
Gesellschaft, Trends
Junge Menschen sind die Zukunft von Städten. Wer sie erreichen will, stößt schnell auf die Social Media-Plattform TikTok. In welchen thematischen Nischen kleine und mittlere Städte einen eigenen TikTok-Kanal einsetzen und wie Städte dort sonst präsent sind, soll in diesem Beitrag erörtert werden.
Als Frequenzbringer, als potenzielle Arbeitskräfte, als TouristInnen oder kreative GestalterInnen eines urbanen, zukunftsgerichteten Lebensraums: Junge Menschen sind für Städte auf vielen Ebenen ein Gewinn. Sie beleben die Städte, modernisieren sie von innen heraus, attraktivieren sie für andere Menschen ihrer Generation.
Junge Menschen gezielt zu adressieren ist mit Aufwand verbunden. Denn längst haben sie sich von den herkömmlichen Aufmerksamkeitsmärkten zurückgezogen. Wenn, dann findet man Jüngere vor allem in sozialen Netzwerken.
Laut Reuters „Digital News Report“ informiert sich die Hälfte der 18-24-Jährigen nur mehr über Social Media, wobei eine Plattform dabei besonders hervorsticht: TikTok. Sie ist das altersmäßig jüngste Netzwerk. Weltweit gibt es bereits rund eine Milliarde TikTok-NutzerInnen, von denen sind über 60 Prozent in der Altersklasse zwischen 18 und 24 Jahre.
Das spiegelt sich auch in Österreich wider: Laut „Jugend-Internet-Monitor 2022“ von saferinternet.at verwenden hierzulande rund 70 Prozent der 11- bis 17-Jährigen Kinder und Jugendlichen TikTok, das entspricht rund 500.000 NutzerInnen alleine in dieser Altersklasse. Insgesamt nutzen hierzulande schon über 1,2 Millionen Menschen diese Plattform (Quelle: statista.com).
Mit einem Plus von 13 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 zählt TikTok damit zu den am schnellsten wachsenden Plattformen in dieser Zielgruppe. Nach WhatsApp, Insatgram und Youtube liegt die Plattform damit an vierter Stelle, der von den befragten Jugendlichen genutzten Sozialen Netzwerke.
Können Städte diese außergewöhnliche Ballung an jungen RezipientInnen nutzen? Wenn ja, wie? Und welche Kommunen gehen diesen Weg bereits bzw. haben sogar schon Erfolge damit erzielt? Diese Fragen sollen in diesem Text behandelt werden.
NutzerInnen jenseits der 35 Jahre missverstehen TikTok oft als reinen Spaßkanal, auf dem viel getanzt und noch mehr Nonsens verbreitet wird. Allerdings etabliert sich hier aktuell eine neue Form der digitalen Nachrichtenvermittlung, für die gerade in der Altersklasse zwischen 12 und 35 Jahren eine Riesennachfrage besteht.
Allerdings: Die Forschung zum Reuters Institute Digital News Report legt nahe, dass Nachrichten auf TikTok immer noch hauptsächlich von Social Media-Influencern oder AktivistInnen und nicht von JournalistInnen generiert werden.
Wer auf TikTok seine Zielgruppe punktgenau erwischt, darf jedenfalls mit enormen Reichweiten rechnen. Und muss dafür nicht einmal tanzen. Hochwertiger Content – etwa Tipps und Tricks, Behind the scenes, Arbeitsalltag etc. – setzt sich auch so nachhaltig durch.
Die Basis dafür ist allerdings der Wille, neue Medien zu nutzen. Freude am eigenen Tun und das Engagement, Einblicke in die eigene Organisation zuzulassen. Schließlich braucht es dann so, wie bei jedem Social Media-Kanal, noch die finanziellen als auch personellen Ressourcen, um professionellen Content zu erstellen und den Kanal zu bedienen.
Wichtig ist auch, dem Kanal ein oder mehrere immer wiederkehrende Gesichter zu geben, sodass ein Wiedererkennungswert entsteht. Authentizität gehört neben Videodominanz zu den Kernwerten der Zielgruppe.
TikTok als Kommunikationsvehikel für Städte steckt noch in den Kinderschuhen, vor allem in Österreich. Aber es zeichnen sich bereits Trends ab, wie urbane Räume diesen Kanal effektiv bespielen können. Thematisch gibt es einige Felder, die eine TikTok-Präsenz für Städte und Gemeinden sinnvoll erscheinen lassen. In folgenden vier Bereichen matchen Thema und Zielgruppe aktuell besonders gut:
Ganz klar ist die Attraktivitätssteigerung für junge TouristInnen ein guter Grund, als Stadt einen eigenen TikTok-Kanal zu betreiben.
Denn nach Insidertipps wird von der Zielgruppe mittlerweile unter anderem genau dort gesucht, wie sogar Prabhakar Rahavan, der Vizepräsident von Google, in diesem Bericht zugeben musste: „Unsere Studien zeigen, dass fast 40 Prozent der jungen Menschen bei der Suche nach einem Ort zum Mittagessen nicht zu Google Maps oder zur Google-Suche gehen, sondern zu TikTok oder Instagram.“
TikTok ersetzt also nach und nach Google und insofern ist eine Präsenz für touristisch relevante Städte dort sicher kein Nachteil.
In Österreich gehört Innsbruck Tourismus zu den TikTok-Pionieren unter den offiziellen Stadtinstitutionen. Von besonderen Plätzen der Stadt über Sportmöglichkeiten bis hin zu Dialektwörtern reicht der in unterhaltsamen Kurzvideos dargestellte Content. Über 7.000 UserInnen folgen dem Kanal, der bereits 2019 gelauncht wurde, aber erst im Laufe von 2021, nach den ärgsten Covid-Wirren, zu einer kongruenten Performance fand.
Eine mit knapp 27.000 Followern erheblich größere Community hat die norddeutsche Stadt Bremen mit ihrem TikTok-Kanal @visitbremen. Bereits seit 2021 nimmt Bremen im Stadtmarketing auf TikTok eine Vorreiterrolle ein, mit Geheimtipps, schönen Panoramen und lustigen Ideen.
Oliver Rau, Verantwortlicher der Stadt für Tourismus und Marketing, betont die Wichtigkeit der jungen Zielgruppe, nachdem in Sachen Reisen und Co. die davorliegenden Generationen – Generation Y und Babyboomer – so gut wie ausgereizt wären. Deshalb erweitert Bremen seine Social Media-Aktivitäten nun sogar auf Tinder!
Der Mangel an Auszubildenden und Fachkräften macht vielen Städten zu schaffen. Junge Menschen auf Arbeitssuche erreicht man heute aber kaum über Jobinserate oder öffentliche Jobausschreibungen.
Wo früher Wäschekörbe voller Bewerbungsschreiben durchzuackern waren, sucht man heute händeringend nach InteressentInnen. Die wiederum haben veränderte Ansprüche an die Arbeitswelt. Sie wollen von vornherein genau wissen, mit welchen Menschen und ChefInnen sie zu tun haben. Wie die Aufgaben aussehen, ob das Ganze auch Sinn und Spaß macht.
TikTok-Videos mit Einblicken in den Alltag auf einem Amt, in einem Büro oder einem anderen Job bei der Stadt helfen, diese Barrieren abzubauen.
Manche haben damit schon gute Erfahrungen gemacht, wie etwa die Stadt Heidenheim an der Brenz in Deutschland, deren TikTok-Kanal @heidenheim.de 2021 gestartet ist. Als Protagonistin hat sich hier eine Influencerin etabliert, die schon auf anderen Social Media-Kanälen das Gesicht der Stadtverwaltung gab.
„Behörden haben vermehrt mit Nachwuchsmangel zu kämpfen, was nicht zuletzt einem in die Jahre gekommenen Image zu verdanken ist. Das versuchen wir durch humorvolle TikToks auszuhebeln“, erzählt hier Julia Habla, Social Media-Managerin von Heidenheim.
An den Beiträgen beteiligen sich Mitarbeitende aus dem Rathaus, sogar der Oberbürgermeister macht mit. Dem Kanal folgen rund 5400 Menschen. Besonders weite Kreise zog das Tanzvideo des Gärtners Leon: Mehr als 290.000 Views, 22.000 Likes und 320 Kommentare. Die beworbene Stelle besetzte man in der Folge rasch.
Wie trifft man Entscheidungen in einer Stadt? Wie werden Interessen abgewogen und wie sieht der Alltag eines Bürgermeisters aus? Und welche Rechte haben die BürgerInnen? Für das Wissen darum, wie Demokratie von der Basis weg funktioniert, kann es nie zu früh sein.
Städte, die den Anspruch politischer Bildung für junge Menschen erheben, werden an Social Media-Kanälen nicht vorbeikommen. Die entsprechenden zündenden Ideen für die unterhaltsame Umsetzung in Videos vorausgesetzt.
Einer, der diesen Spagat zwischen Bildung und Entertainment beherrscht, ist Matthias Beer, Bürgermeister des bayrischen Markts Beratzhausen mit rund 5.500 EinwohnerInnen. Als @tiktok_buergermeister schart er inzwischen eine doppelt so große Follower-Community auf TikTok um sich und unterhält sie mit selbstironischen Einblicken in seinen Bürgermeister-Alltag.
Seine Grundbotschaften definiert er so: „Was tut eine Kommune bzw. wie funktioniert Kommunalpolitik? Und: Das Bürgermeister-Image jünger und nahbarer zu machen. Der Bürgermeister ist nicht immer so korrupt oder ignorant, wie er in Kinderbüchern gerne dargestellt wird“, sagt der Jungvater.
Beer sieht den Wirkungskreis des Tiktok-Kanals, den er privat und ohne Einsatz öffentlicher Gelder betreibt, weit über seine Kommune hinaus. „Um die BürgerInnen vor Ort zu erreichen sind Facebook oder Instagram sicher bessere Netzwerke. TikTok ist da eher weiter gespannt.“
Allerdings hat auch er schon zwei Stellen mit jungen Menschen besetzen können – aufgrund der TikTok-Präsenz. „Die sehen halt: Ah, das könnte ein cooler Chef sein, da bewerbe ich mich mal“, meint Beer.
Sympathische Formate wie Comedy funktionieren gerade bei jungen Menschen gut und bieten neben Unterhaltung auch viel Identifikationspotenzial mit einer Stadt, sofern sie gut verortet sind.
So kann die Attraktivität von Städten für die Generation Z gesteigert und neugierig gemacht werden auf den Lebensraum, der dann fürs Studium oder als berufliche Homebase in Erwägung gezogen wird. Langfristig verspricht das positive Auswirkungen auf die Standortqualitäten einer Stadt.
Was macht Graz lebenswert? Wo gibt es den besten Döner? Und wie heißt überhaupt die Hauptstadt von Niederösterreich? Mit solchen – teils gar nicht Graz-bezogenen – Fragen und einem Mikro bewaffnet, machen die jungen TikToker von @graz.stabil die Stadt unsicher.
Mit ihrem Street Comedy-Format, das die fünf Masterminds im Rahmen ihres Journalismus-Studiums an der FH Joanneum entwickelt haben, sorgen sie seit Dezember 2021 für Lacher und Millionen Views.
Fast 40.000 Menschen folgen dem Account. Zwar gibt es keine genauen Zahlen, aber es ist vorstellbar, dass für einige junge Leute die Stadt Graz erst damit auf der Landkarte der möglichen Orte zum Studieren oder Leben aufschien. So sorgt ein gut gemachter TikTok-Kanal für eine Umwegrentabilität, die den Standort abzusichern hilft.
Dieses letzte Beispiel zeigt, dass attraktive Orte und Städte sowie Veranstaltungen und Sehenswürdigkeiten von Jugendlichen für ihre Social Media-Aktivitäten genutzt werden – unabhängig vom Einfluss der Stadtverantwortlichen. Das als Chance zu erkennen und zu nutzen ist eine Herausforderung an die für Kommunikation Verantwortlichen in den Städten.
TikTok gehört zur chinesischen Muttergesellschaft ByteDance. Als Datenverantwortliche für den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) wird in der „Privacy Policy“ die TikTok Technology Limited, ein irisches Unternehmen („TikTok Irland“) angeführt.
Die Datenschutzrichtlinien in Irland sind jedoch anders als in der restlichen EU, weshalb es schwieriger ist, einfach einen Einblick zu bekommen bzw. über etwaige Probleme in Kenntnis gesetzt zu werden.
Unter dem Titel „China liest mit“ berichtet die Süddeutsche Zeitung am 4. Juli 2022 über aufgedeckte Zensur zu China kritischen Themen sowie heimliches Stummschalten von UserInnen, die bestimmte Wörter verwendeten.
Der Bericht von Simon Hurtz endet mit dem Satz: „Ob angebliche Spionage oder mutmaßliche Zensur, am Ende läuft es auf eine Frage heraus: Vertraut man Tiktok? In der Vergangenheit hat das Unternehmen immer wieder Gründe geliefert, misstrauisch zu bleiben.“
Wohl deshalb stellen kritische Geister die Frage, ob es für öffentliche Stellen moralisch vertretbar sei, TikTok als Plattform für ihre Städte zu nutzen. Eine Antwort darauf sollten Stadtverantwortliche jedenfalls parat haben, wenn man sie damit konfrontiert.
TikTok ist derzeit das schnellst wachsende Medium von Menschen der Altersgruppe bis 25 Jahre. Diese zu erreichen ist auch für Städte interessant, sei es als potenzielle Arbeitskräfte, als TouristInnen oder als GestalterInnen zukunftsfähiger urbaner Räume.
Wie für jeden Social Media-Kanal gilt es auch hier ausreichend Personal- und Finanz-Ressourcen bereit zu stellen, um ansprechende Inhalte (Content) für die Zielgruppe zu gestalten.
In diesem Text werden gelungene Beispiele aus Deutschland und Österreich sowie Chancenfelder aufgezeigt. Zudem wird dargelegt, wie Stadtverwaltungen, Stadtmarketing-Organisationen oder die Stadtpolitik dieses neue Medium bespielen können, um für jene Generation sichtbar zu werden, die die nächsten Jahrzehnte gesellschaftspolitisch prägen wird. Es wird zudem auf die kritischen Hintergründe der Plattform TikTok verwiesen.
Weiterführende Links: Infografik der Statistik Austria zur Altersstruktur in Österreich: Altersstruktur_Österreich
Titelbild (c) Olivier Bergeron on Unsplash
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