So kann Street-Art den urbanen Raum aufwerten

17.06.2020
Kultur

International ist Street-Art längst ein touristisch relevantes Thema. Auch in Österreich steigen Akzeptanz und Interesse an dieser urbanen Kunstform. Das zeigen vereinzelte Ansätze, Graffiti bewusst in Szene zu setzen.

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(c) S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

Ist das Kunst oder kann das weg? International ist Street-Art längst ein touristisch relevantes Thema. Auch in Österreich steigt Akzeptanz und Interesse an dieser urbanen Kunstform. Das zeigen viele einzelne Ansätze, Graffiti bewusst in Szene zu setzen.

Betonwände, die über Nacht zu bunten Bilderwelten mutieren. Ausrangierte Zugwaggons, die als Leinwand für gemalte Szenen und Botschaften zweckentfremdet werden. Hydranten, Schaufenster und Verkehrsschilder, die mit „Tags“ übersät sind: Graffiti ist in jeder Stadt präsent. Und es spaltet die Geister.

Street-Art: Ärgernis oder Aufwertung?

Für die einen ist Street-Art künstlerischer Ausdruck einer jungen, urbanen Generation, die über ihre gesprühten Werke ihre eigene Perspektive auf den Lebensraum Stadt eröffnet. Die auch auf aktuelle politische oder gesellschaftliche Themen reflektiert, wie es derzeit am Black-Lives-Matter-Beispiel zu beobachten ist. Und die letztlich auch das Interesse der Allgemeinheit anzieht. Für die anderen ist Street-Art pubertäre „Schmiererei“, die der Verwahrlosung einer Stadt Vorschub leistet und die hohe Reinigungskosten nach sich zieht. Die Frage ist: Wer liegt richtiger? Welche Bedeutung hat Graffiti für Städte in 2020? Werden bunte Bilder im öffentlichen Raum eher als Ärgernis oder Aufwertung wahrgenommen?

Diskussion um Kunst-Begriff

„Sowohl als auch“, meint Stefan Wogrin, der mit www.spraycity.at bereits seit 2001 ein Dokumentationsarchiv der Graffiti-Writing-Bewegung in Österreich betreibt. Die Einstellung der Österreicher gegenüber Graffiti hätte sich in den vergangenen 20 Jahren wesentlich gebessert. „Heute wird es als Kunstform im öffentlichen Raum anerkannt“, vor allem die großflächigen Wandgestaltungen.

„Die sogenannten Tags jedoch, also einfärbige Namen und Abkürzungen, werden von vielen immer noch als Schmiererei angesehen.“ Wogrin ist Kunsthistoriker und sieht das differenzierter. „Viele Tags können auch aus einer künstlerischen Perspektive betrachtet werden, insbesondere im Hinblick auf Typographie und Kalligraphie.

Das Graffiti-Glossar

Verschiedene Sichtweisen also und viele Fachbegriffe. Bevor wir tiefer in die Materie eintauchen, hier ein kurzer Überblick über verschiedene künstlerische Ausdrucksformen im öffentlichen Raum: 

  • Graffiti ist laut Wikipedia der Sammelbegriff für thematisch und gestalterisch unterschiedliche sichtbare Elemente, zum Beispiel Bilder, Schriftzüge oder Zeichen, die mit verschiedenen Techniken auf Oberflächen im privaten und öffentlichen Raum erstellt wurden. Graffitis werden zumeist unter Pseudonym und illegal gefertigt.
  • Street-Art bezeichnet verschiedene, meist nichtkommerzielle Formen von Kunst im öffentlichen Raum, die nach der Absicht der Verursacher dauerhaft dort verbleiben sollten. Unter Street-Art versteht man selbstautorisiert angebrachte Zeichen aller Art im urbanen Raum, die mit einem weiteren Personenkreis kommunizieren wollen. Im Gegensatz zu Graffiti überwiegt oft der Bildteil, nicht das kunstvolle Schreiben/Malen des eigenen Namens.
  • Murals (übersetzt: Wandbilder) sind fast immer Auftragsarbeiten, die zur Verschönerung von Gebäuden dienen und Einrichtungen oftmals in ihrer Aussagekraft unterstützen. Ebenfalls wird es oft durch Kunstevents ermöglicht, legal auf Wänden zu malen. Damit ist diese Form der Street-Art meist legal – im Gegensatz zu den meisten anderen Formen.
  • Tags sind laut der Wikipediaseite zum Graffiti-Jargon Signaturkürzel, die das Pseudonym eines Writers darstellt. Häufig als „Unterschrift“ unter gesprühten Bildern zu finden, gilt aber auch in der jugendlichen Gang-Kultur als territoriale Markierung. Vorrangiges Ziel ist es, einen guten und innovativen Style zu haben, sekundäres Ziel, in einer Stadt, einem Bezirk oder einer Gegend möglichst präsent zu sein.
  • Writings ist die Bezeichnung für die Gestaltung und das Anbringen künstlerischer Graffitis mit dem Namen als Basiselement der Komposition.

Ikonische Bilder als Besuchermagneten

Fakt ist: Ein ikonisches Wandbild im öffentlichen Raum kann zu einem Markenzeichen einer Stadt werden, man denke nur an den sozialistischen Bruderkuss von Breschnew und Honecker am noch bestehenden Rest der Berliner Mauer. Jeder Berlin-Tourist, der was auf sich hält, schießt davor zumindest ein Selfie.

Street-Art im urbanen Raum
Manche Wandgemälde werden zu Ikonen einer Zeit oder einer Stadt. So wie Dmitri Wladimirowitsch`s Bruderkuss an der Berliner Mauer. (c) visitBerlin_Foto_Philip_Koschel

Mitunter wird Graffiti auch als Kunstdruck ein weltweiter Topseller. Wie das Mädchen mit dem roten Herz-Luftballon, das als Schablonengraffiti des Künstlerpseudonyms Banksy zu allererst auf der  Londoner Waterloo Bridge zu finden war. Seit Banksy Anfang der 00er-Jahre mit Schablonen-Werken begann, die britische Hauptstadt zu verschönern, pilgern tausende Touristen jährlich auch deshalb nach London.

Imagepolitur dank legaler Wände

Graffiti kann also durchaus auf Image und Attraktivität einer Stadt wirken. Das haben auch international nicht so schillernde Städte wie Lodz, Bristol oder Tel Aviv erkannt und zeigen ihre Street-Art im Rahmen von eigenen Besucherprogrammen. Auch in Österreich tut sich was in Sachen konstruktivem Umgang mit Graffiti.

Wogrin: „Heute gibt es in den meisten österreichischen Städten viele Flächen, die gestaltet werden dürfen. Dadurch entsteht ja auch ein Mehrwert für die Städte. Das bunte Stadtbild ist auch ein Zeichen von Urbanität und Lebendigkeit.“

Die Image-Aufwertung einer Stadt ist somit eine mögliche Folge von Graffiti-Kunst. Mit städtischen Initiativen wie beispielsweise „SalzWand“ in Salzburg oder www.wienerwand.at in Wien, im Rahmen derer in den Städten bestimmte Flächen legal für Sprayer und Graffiti-Künstler freigegeben werden und per Karte im Internet für jedermann einsehbar sind, kann das durchaus forciert werden.

In Verbindung mit Street-Art-Festivals wie dem „Calle libre“ in Wien (heuer in verkleinerter Form von 1. bis 8. August) kann außerdem die positive Wahrnehmung urbaner Kunst verstärkt werden.

Alle diese Initiativen können die Nutzung illegaler Wände freilich nicht verhindern. Weil es in der Szene keinen Ruhm ohne Risiko gibt. Trotzdem gibt es laut Wogrin viele Künstler, die sich nicht in die Illegalität begeben möchten und an den legalen Flächen ihre Kreativität ohne Konsequenzen ausleben können.

Zwischen illegal und genial

Ein spannendes, weil ambivalentes Beispiel dafür ist der Wiener Donaukanal. „Hier wurden zunächst nur wenige Flächen für Graffiti zur Verfügung gestellt. Doch die offiziellen Flächen schienen den Writern nicht zu genügen und innerhalb weniger Jahre wurden beinahe alle innerstädtischen Kaimauern künstlerisch gestaltet“, erzählt der Spraycity-Gründer.

Das war zwar einerseits nicht erlaubt, andererseits schien es die Allgemeinheit nicht zu stören. Der Donaukanal mit seinen bemalten Wänden erlebte als Treffpunkt einen Aufschwung.

Und heute? „Werden die bunten Kaimauern sogar in den Sightseeing-Bussen als sehenswerter Ort beworben“, erzählt Wogrin. Eigene Street-Art-Führungen gibt’s längst in Wien, zuletzt erschien sogar ein Onlineguide namens „Vienna Murals“ des Autors Thomas Grötschnig, der seit ein paar Jahren auf seiner Facebookseite die Wiener Wandgemälde sammelt und dokumentiert.

Street-Art im urbanen Raum
Im Rahmen einer „Street Art River Cruise“ präsentiert die DDSG die Murals am Donaukanal für Interessierte (c) Pressebild Mural Harbor

Eigenes Graffiti-Reservat

Ein ähnlicher Zugang bewährt sich mittlerweile in Linz. 2012 entstand im Linzer Handelshafen ein überdimensionales Wandgemälde. Seither kamen im sogenannten Mural Harbor mehrere hundert Graffiti und Murals dazu, die im Rahmen von geführten Rundgängen besichtigt werden können.

Besucher können anschließend bei Workshops selbst zur Sprühdose greifen. Und dann gibt’s noch das „Museum auf Zeit“ für Urban Art, das den Sommer 2020 über öffentlich zugänglich ist: Die Hafengalerie ist deshalb ein Museum auf Zeit, da das Gebäude, in dem sie sich befindet, nach Jahresende einem Hotelprojekt weichen soll.

Auch andere österreichische Städte entdeckten Streetart schon als Thema, in Innsbruck und Salzburg beispielsweise gab’s das Underbridge-Festival. Graz versuchte es vor ein paar Jahren mit dem Livin’-Streets-Festival. 2020 scheint für solche Unternehmungen aber nicht das richtige Jahr zu sein, viele große und kleine Initiativen wurden wegen der Corona-Bestimmungen heuer gecancelt.

Unter anderem beispielsweise auch ein sehr ambitioniertes Festivalprojekt, das die Kunstinitiative Amstetten gemeinsam mit der Kulturabteilung der Stadtgemeinde geplant hatten. Das Urban Art Festival, bei dem das Zentrum Amstettens durch Profis und Laien mit Straßenmalerei, Graffiti und Street Art zum urbanen Playroom mutieren hätte sollen. Nachgeholt wird die Veranstaltung aller Voraussicht nach in 2021. 

Graffiti von Scheibbs bis Köflach

Amstetten ist mit über 23.000 Einwohnern immerhin ein Ballungsraum, den man auch urban denken kann. Weniger naheliegend ist dies in kleinen Städten wie Scheibbs mit knapp über 4.000 Einwohnern. Trotzdem sind hier Murals an den Wänden der Altstadt allgegenwärtig.

Engagierte Communities wie „Urban Playground“ in Klagenfurt treiben das Thema Streetart in der Stadt voran. (c) Urban Playground

Zu verdanken ist dies der mit den Jahren gewachsenen Eigeninitiative von Philipp Neolitzky. Der Scheibbser begann mit der Verschönerung einer verschimmelten Wand, der den Stadtgarten seiner Tante umrahmte. Im Zuge der niederösterreichischen Landessausstellung 2015 scharte er Graffiti-Künstler um sich, um der Stadt mehr Farbe zu verleihen.

Street-Art im urbanen Raum
(c) Urban Playground

Mittlerweile entstand dazu die Künstler-Plattform ionart.at, mit der er Künstlern aus aller Welt Flächen in ganz Österreich zur Verfügung stellt. Daraus resultierte wieder das  Kunstprojekt „Mural City“, das urbane Street-Art bis in in viele kleine Städte Österreichs hineinträgt.

Street Art wächst am gedeihlichsten in einer engagierten Community. In Klagenfurt etwa hat sich seit der Neuaufstellung des Vereins „Urban Playground“ im Herbst 2019 eine neue, umtriebige Szene für Jugendkultur formiert.

Bis zum Corona-Lockdown im März gab es wöchentliche Kulturveranstaltungen namens „Urban Lab“, einem Mix aus Urban Art Galerie, Auftritten, Workshops und Party. Die Labs werden nun langsam wieder hochgefahren.

(c) Urban Playground

Ein wesentliches Anliegen des Vereins ist es schließlich, sich mit Opinion Leadern zu vernetzen um Street Art im öffentlichen Raum zu etablieren. Beim „Urban Playground Festival“ Mitte August sind Graffiti Meetings und Competitions integraler Bestandteil. Angepeilt ist künftig die Expansion hin zu einer Graffiti Agentur mit internationalen Kontakten.

Corona an der Wand

Corona ist natürlich auch an der Graffiti-Szene nicht spurlos vorübergegangen. Wer dazu soziale Medien mit dem Hashtag #coronastreetart durchsucht, bekommt die breite Palette an urban-künstlerischer Auseinandersetzung mit der Pandemie präsentiert.

Auch in Österreich gibt’s da einiges zu sehen, das zeigt auch die aktuelle Fotosammlung auf spraycity.at. Wogrin: „Manche Künstler integrierten Botschaften die auf das Virus Bezug nahmen in ihre Werke. Teilweise entstanden auch große Corona-Schriftzüge.“

Und er schließt mit der Feststellung: „Graffiti kann nicht im Homeoffice stattfinden. Deshalb arbeiteten viele Künstler auch während der Ausgangsbeschränkungen im öffentlichen Raum.“

Fazit

Graffiti schaffte schließlich in den vergangenen Jahren in der Wahrnehmung der Österreicher den Turn von reinem Vandalismus hin zu einer – zumindest teilweisen – Betrachtung aus künstlerischer Perspektive.

Damit zeigt sich auch hierzulande jener Trend, der sich in vielen internationalen Städten längst durchgesetzt hat: Urbane Kunst als sehenswerten und sogar vermarktbaren Aspekt der Stadt anzuerkennen. Besuchertouren, Festivals und Workshops werden beispielsweise auch in heimischen Städten schon angeboten. Auch kleinere Städte können sich dank der beherzten Initiative einzelner Künstlerkollektive folglich bereits als Graffiti-Hotspots positionieren.

Die zunehmende Legalisierung von Wänden kann wahllose Schmierereien einzelner Sprayer zwar nicht verhindern. Sie zeugt aber von einer veränderten, gesellschaftlichen Haltung dieser Kunstform gegenüber, die ihrerseits Urbanität und Lebendigkeit einer Stadt kennzeichnet.

Titelbild: Das Mädchen mit dem Luftballon von Banksy (c) S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

Mehr zu diesem Thema finden Sie hier: https://www.stadtmarketing.eu/schoene-staedte/

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