Städtische Radwege: 10 Qualitäts-Kriterien
08.11.2022
Gesellschaft, Trends
08.11.2022
Gesellschaft, Trends
Große Umbrüche prägen das Mobilitätsverhalten in Städten. Sich klimaschädlich in die Stadt zu stauen, viel Zeit für Parkplatzsuche aufzuwenden um dann fürs Stehenlassen des Pkw tief in die Tasche greifen zu müssen, macht das Auto als Verkehrsmittel in Städten zunehmend unattraktiv. Die Lösung? Städtische Radwege!
Fahrräder sind immer öfter das Mittel der Wahl, um sich in der Stadt schnell, klimaschonend, gesundheitsfördernd und ohne Zusatzkosten von A nach B zu bewegen. Allerdings wird die täglich wachsende Zahl an FahrradfahrerInnen in der urbanen Verkehrsplanung, vor allem in kleinen und mittleren Städten, noch nicht ausreichend berücksichtigt.
Viele Jahrzehnte lang wurden Städte rund ums Auto gebaut – jetzt wäre das Gegenteil geboten. Hierfür müsste man in Mitteleuropa einfach nur „back to the roots“, denn die meisten Städte hier sind lange vor dem Automobil-Boom entstanden und waren seit jeher für FußgängerInnen und maximal Pferdefuhrwerke ausgelegt.
Wie man die Prioritäten unter den VerkehrsteilnehmerInnen heutzutage neu verteilt, hat beispielsweise Tel Aviv bei der Adaption seiner Strandpromenade vorgezeigt. Man plante erst den Strand als Aufenthaltsplatz für Erholungssuchende, dann die Flaniermeile für FußgängerInnen. Danach die Radfahrstraße der Küste entlang, letztlich eine Spur für den öffentlichen Verkehr. Am Ende blieb für den Pkw-Individualverkehr kein Platz mehr übrig…
„Bikers first“ sollte auch in unseren Breiten das Motto im Stadtverkehr sein. Adäquate Verkehrswege-Planung ist dafür Voraussetzung. Folgende 10 Punkte machen Radwege zu dem, was sie genuin sein sollten: Komfortable Direktverbindungen von da nach dort für alle auf zwei Rädern.
In Parade-Fahrradstädten wie Amsterdam oder Kopenhagen sieht man sie an wichtigen Verkehrsadern überall: Die bauliche Trennung der Straßenspuren für Autos und Fahrräder. Sie wirkt im Sinne der Sicherheit, der Sichtbarkeit und der Aufwertung des Radverkehrs zu einem gleichberechtigten Verkehrsmittel.
Auch in Österreich raten ExpertInnen wie jene der Radlobby zu einer strikten Trennung des Fahrradverkehrs vom Kraftfahrzeugverkehr. Zumindest auf stärker befahrenen Straßen. Als Entscheidungshilfe, wie bereits in diesem Beitrag erwähnt, dient hier das Aufkommen und auch die Geschwindigkeit der Autos. Je schneller Kraftfahrzeuge fahren und je mehr Kraftfahrzeuge es sind, desto eher ist der Verkehr zu trennen.
Heather Kaths, die erste deutsche Uni-Professorin für Radverkehrsfragen an der Uni Wuppertal betont in diesem Interview: „Eine gute Abtrennung ist sehr wichtig. Und die beste Abtrennung ist eine physikalische Trennung, nicht nur eine Markierung, sondern Bäume oder ein Grünstreifen zwischen Auto- und Radverkehr.“
Schlechte Fahrbahnbeläge und Hindernisse auf dem Fahrradweg sind häufige Auslöser für Unfälle. Alleinunfälle von RadfahrerInnen sind bis zu 90 Prozent durch schlechte Oberflächen mitverursacht. Dazu gehören Unebenheiten und Asphaltbeschädigungen, wechselnde Radweg-Beläge, Rinnen, unzureichende Absenkungen zu Gehsteigen etc.
Ältere VerkehrsteilnehmerInnen auf zwei Rädern sind von diesen Unfallrisiken besonders betroffen. Aber auch RennradfahrerInnen mit dünner Bereifung leiden unter schlechter Beschaffenheit von Radwegen. Im Gegensatz zum vierrädigen Auto, das Unebenheiten ganz anders ausgleichen kann, ist eine durchgängig rolltaugliche Oberfläche essenziell für die Sicherheit und den Komfort von RadfahrerInnen.
E-Scooter, Kinderwägen, Kleinkinder auf Laufrädern, InlineskaterInnen, RadfahrerInnen. Derzeit sind viele autofreien Verkehrsflächen einer breiten Misch-Nutzung mit sehr unterschiedlichen Tempolevels ausgesetzt. Vor allem seit dem immer größer werdenden E-Bike-Trend sind die unterschiedlichen Nutzungsinteressen von FußgängerInnen und RadfahrerInnen nicht mehr kompatibel, wie das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) beispielweise hier erhoben hat.
Getrennte Streckenführungen sind also dringend zu empfehlen und in der Verkehrsplanung entsprechend frühzeitig zu berücksichtigen. Gemischter Rad- und Fußverkehr ist laut Radlobby Österreich höchstens punktuell sinnvoll und sollte nur gezielt eingesetzt und gestaltet werden.
Was nützt ein gut ausgebauter Radweg, wenn am Zielort die sicheren, nahen Abstellplätze fürs Rad fehlen? Insofern müssen – genauso wie lange Zeit für den Pkw – auch fürs Fahrrad geeignete Parkmöglichkeiten in die Verkehrsplanung von Städten mit einfließen.
Es braucht sie im öffentlichen Raum, im Wohnbau und bei Geschäfts- und Nutzbauten in ausreichendem Ausmaß, witterungsgeschützt und sicher absperrbar. Barrierefreie Zugänglichkeit und gut sichtbare Beschilderung für die Auffindbarkeit sind essenziell für qualitativ hochwertige Radabstellanlagen.
Gute, attraktive Radwege bieten die Möglichkeit zum Überholen und Nebeneinanderfahren. In der neuen, seit Oktober 2022 gültigen Richtlinie für die Radverkehrsplanung in Österreich sind auch neue Mindestwerte für die Radwegbreite empfohlen, die dem Trend zum E-Bike und Lastenrad gerechter werden können.
Generell sollen Radwege und Radfahrstreifen in allen Kategorien künftig um 30 bzw. 50 Zentimeter breiter als bisher ausgeführt werden. So könnten längerfristig die steigenden Unfallzahlen mit beteiligten RadfahrerInnen verringert werden.
Klaus Robatsch, Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit im KFV, führt das in diesem SN-Interview konkret aus: „Wenn ein Radweg parallel zum Fließverkehr im Ortsgebiet mit 50-km/h-Beschränkung verläuft, beträgt die Mindestbreite 1,80 Meter, bei mehr als 50 km/h Limit 2,30 Meter. Bei sogenannten Radrouten, die großzügiger ausgebaut sind, sind das Mindestmaß 2,60 Meter.“
Radverkehrs-Forscherin Heather Kaths geht noch weiter und sagt: „Ein optimaler Radweg wäre drei Meter breit. Eineinhalb bis zwei Meter ist meiner Ansicht nach das Minimum.“
Es geht nicht nur um Radwege selbst. An ihnen entlang sollten Städte auch notwendige bzw. komfortable Items und Vorrichtungen in gewissen Abständen zur Verfügung stellen, um die Attraktivität der Strecken für die radelnden VerkehrsteilnehmerInnen noch zu erhöhen.
Dazu gehören Radservice-Stationen mit Radpumpen und Werkzeug-Auswahl oder gut platzierte Trinkwasserbrunnen. In vielen progressiven Radfahr-Metropolen werden entlang der Radrouten auch zur Fahrbahn geneigte Müllbehälter oder Fußraster an Ampelkreuzungen geboten. Gerade am Anfang der Entwicklung sollten die Städte hier unterstützen.
Egal, ob es gerade finstere Nacht ist oder tiefster Winter: Ein guter Radweg ist ganzjährig und rund um die Uhr befahrbar. Das erfordert Top-Infrastruktur, ständige Wartung und Instandhaltung.
Radwege sollten, genauso selbstverständlich wie Auto-Verkehrsstraßen, stets bestens ausgeleuchtet, gut beschildert und die Fahrbahnen laufend von Rollsplit, Laub, Eis & Schnee befreit werden.
RadfahrerInnen sollten aus allen Richtungen durchgehende, direkte Radrouten durch die Stadt – etwa durch Parks oder entlang von Schienenwegen oder Flüssen – geboten werden. Dass Radwege im Nirgendwo enden, in einen Gehsteig oder auf eine Autostraße einmünden, muss der Vergangenheit angehören.
Wichtig außerdem: Eine klare, gut sichtbare Kennzeichnung von oft gefährlichen Übergängen auf Kreuzungen, Brücken, Unterführungen o.ä. Gut funktioniert eine farbige Kennzeichnung auf dem Asphalt, vorzugsweise in Rot.
Radwege, die zu eng neben parkenden Autos oder auch hinter parkenden Autos vorbeiführen, bergen ein großes Risiko für RadfahrerInnen. Laut einer Erhebung der Radlobby bewegen sich drei Viertel aller RadfahrerInnen innerhalb des Türöffnungsbereiches eines Kfz, der ca. 75 cm breiten „Dooring-Zone“.
Somit laufen sie Gefahr, von plötzlich aufgehenden Autotüren erfasst zu werden. Darüber hinaus halten Kfz-LenkerInnen bei 80 % der Überholvorgänge den erforderlichen Sicherheitsabstand zu RadfahrerInnen nicht ein.
Auch die Angst vor rückwärts ausparkenden Autos fährt am Rad in der Stadt leider zu oft mit. In der Verkehrsplanung sollte also stärker darauf geachtet werden, parkende Autos und Radfahrwege räumlich strikt zu trennen.
Durch Veränderungen in den kleinräumigen Umfeldbedingungen kann sich auch die Qualität eines Radweges verschlechtern. Überhängender Bewuchs im Sommer, neu hinzugekommene Schilder oder Masten, Nutzung als Abstellplätze für Mülltonnen etc. sind mögliche Parameter, die den Radweg maßgeblich negativ beeinflussen.
Auch veränderte Verkehrsströme aufgrund einer Weiterentwicklung einzelner Stadtteile wirken sich auf Nutzungsintensität und –qualität von Radwegen aus. Insofern ist nach der Errichtung von qualitativ hochwertigen Radverkehrswegen auch ständiges Monitoring eine Aufgabe der Stadtverantwortlichen.
Wer seine Stadt radfahrtauglich gestalten will, wird mit kosmetischen Maßnahmen nicht weit kommen. Das Fahrrad steht in Städten längst synonym für den Paradigmenwechsel im Mobilitätsverhalten – weg vom teuren Klimakiller Auto, hin zum sauberen, bewegungsfreundlichen Zweirad.
Die städtische Verkehrsplanung ist aufgerufen, dieser Entwicklung endlich durch eine Aufwertung des Radverkehrs und eine infrastrukturelle Gleichstellung mit PKWs Rechnung zu tragen. In diesem Text werden 10 Kernpunkte eines modernen, urbanen Radwegenetzes im Detail erörtert.
Folgende Beiträge empfehlen wir weiterführend zu diesem Thema:
Mehr Radverkehr hält Stadtzentren lebendig
Radverkehr: Was Sie bei der Planung beachten sollten
Titelbild: Städtische Radwege (c) Ernesto Velazquez on Pixabay
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