Stadtmarketing und Glokalisierung

10.07.2018
Gesellschaft

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Die Ausgangssituation: Stadtmarketing setzt sich für zukunftsorientierte, gesamtstädtische Strategien und passgenaue Strukturen ein, um vorhandene Ressourcen auf eine starke Stadt und Region hin auszurichten und diese nachhaltig zu etablieren.

Deshalb ist die Bündelung von Kräften unterschiedlicher PartnerInnen, ob privat oder öffentlich, ein zentrales Ziel.[1]

 

Die Glokalisierung

Glokalisierung ist ein Neologismus, gebildet aus den Begriffen „Globalisierung“ und „Lokalisierung“, wobei die beiden Worte nicht als Gegensätze, sondern als verbundene Ebenen zu verstehen sind. Glokalisierung besitzt unter anderem eine kulturelle, ökonomische, politische und soziologische Dimension.

Globales Handeln mit weitgreifenden Auswirkungen für das Lokale und Regionale steht in ihrem Zentrum oder anders und internationaler ausgedrückt: „acting local at the level of global“.

Kulturell betrachtet können Individuen dank dieser Verbindung ihre Identitäten und kulturellen Besonderheiten bewahren. Für „glokalisierte“ Gemeinschaften bedeutet dies achtsam mit Identität und Besonderheiten des Einzelnen umzugehen.[2] Ökonomisch gesehen sind Firmen, Unternehmen oder Initiativen lokal verortet, hingegen die unternehmerischen Aktivitäten global organisiert.

 

Die teilweise berechtigte Kritik an der Glokalisierung besteht darin, dass es in ihr Abgrenzungen gäbe und eigentlich des überregionalen und internationalen Verständnisses fehle. Sowohl der städtische als auch der ländlich-regionale Lokalismus würden kulturell und sprachlich mit dem Globalismus verschmelzen, der aber nicht international, sondern vorwiegend angelsächsisch sei.

Generell unterminiere die Glokalisierung die Öffnung zum Nachbarn und fördere in regressiver Weise Stammesidentitäten.[3]

 

Die Beispiele

Anhand von zwei recht unterschiedlichen, aber bedeutsamen Beispielen lassen sich „glokale“ Initiativen gut aufzeichnen und die Vorteile sowie die Problematiken erkennen.

Darüber hinaus hat sich der Autor dieses Beitrages für Initiativen entschieden, die von Frauen gegründet oder sich vornehmlich mit der Fokussierung auf Frauen beschäftigen. Denn hierin liegt ein besonderer Wert, weil Glokalisierung z.B. Bildung, Unabhängigkeit und Freiheit benötigt und die Herausforderungen beim Thema der Frauenrolle nach wie vor prekär sind.

Die internationalen Beispiele dienen als Anregung und sollen zudem zukunftsträchtige Intension im Sinne des Stadtmarketings und der Entwicklung in Österreich sein.

 

Made auf Veddel

Die Geschichte

Vor knapp 150 Jahren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war Hamburg das Ziel von Millionen Menschen aus ganz Europa. Auswanderer, die von einem besseren Leben in Übersee träumten.
Bevor sie an Bord der Schiffe gingen, um nach Nord- oder Südamerika auszureisen, wurden sie im Hamburger Stadtteil „Veddel“, einer Elbinsel, einquartiert.[4]

Seit den 1960ger-Jahren ist die „Veddel“ ein Ort, der stark von Einwanderern und Flüchtlingen geprägt ist. Eine kleine Welt für sich und doch permanent im Wandel begriffen. Hier wurde vor 10 Jahren, im Oktober 2008, das Projekt „Made auf Veddel“, ein Verein zur Integration von Frauen mit Migrationshintergrund e.V. gegründet.

 

Die Idee

„Made auf Veddel”. In der Mitte Sibilla Pavenstedt mit Mitarbeitern und Teilnehmerinnen. (c) Nico Pätzold
„Made auf Veddel”. In der Mitte Sibilla Pavenstedt mit Mitarbeiterinnen und Teilnehmerinnen. (c) Nico Pätzold

Die aus Bremen stammende Modedesignerin Sibilla Pavenstedt, die seit Jahrzehnten internationale Mode von Hamburg aus kreiert, initiierte „Made auf Veddel“. Mode und die Integration ausländischer Frauen wurden – und werden seither – miteinander verwoben. „Herzstück ist ein ehemaliges Ladenlokal, wo sich die Frauen regelmäßig treffen und ausgebildet werden.

Für sie geht es dabei nicht nur um das Eintauchen in die Welt der Mode, um Techniken wie Stricken, Häkeln oder Nähen, sondern auch um die Verbesserung von Lebensqualität“, heißt es auf der Homepage. „Made auf Veddel“, sagt Sibilla Pavenstedt[5] „ist der Ort, wo soziale Barrieren überwunden werden, wo die deutsche Sprache gelernt wird und sich berufliche Perspektiven eröffnen.

Jedes Stück, das hier in Handarbeit entsteht, trägt stets ein Etikett mit dem Namen der Frau, die es hergestellt hat – als sichtbares Zeichen für die Freiheit, den eigenen Lebensweg selbst zu bestimmen – und dies dauerhaft in seiner eigenen Entwicklung. Und die Frauen verdienen ihr eigenes Geld damit. Außerdem ist das Projekt eines in Selbstverwaltung, was einen jeweils anderen persönlichen Bezug evoziert.“

 

Die Ziele

„Das Prinzip ist einfach: In den Herkunftsländern der Frauen hat Handarbeit eine lange Tradition. Dieses große Potential wird bei „Made auf Veddel“ gefördert und mit hiesigen verwoben. Durch professionelle Ausbildung und moderne Maschinen bei der Herstellung hochwertiger Accessoires, Kleidungsstücke und Kollektionen.

Ihre Arbeiten können sie im Ausbildungsatelier oder zu Hause erstellen und dabei ihre Zeit frei und individuell abgestimmt einteilen. Dies ermöglicht den Teilnehmerinnen einen Alltag, in dem Familie und Arbeit vereinbar sind. Dadurch erhalten die Frauen nicht nur eine längerfristige und verlässliche Perspektive, sondern können auch aus eigener Kraft ihr Einkommen erzielen.

Einer der schönsten Wege, das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten zu stärken und die persönliche Eigenständigkeit zu fördern.
Doch auch in anderen Bereichen werden die Frauen unterstützt. Etwa bei der Verbesserung von Deutschkenntnissen – ein wichtiger Schlüssel für den eigenen Weg.

In der Summe geht es um Wertschätzung: für die geleistete Arbeit – für jede Idee, die gemeinsam entsteht – für die Entscheidung, etwas zu verändern. Wertschätzung für die Frauen von „Made auf Veddel“. In ihrem Alltag, in ihren Familien und der Gesellschaft, in der sie seit vielen Jahren leben.“[6]

„Made auf Veddel”. Näherin. (c) Nico Pätzold
„Made auf Veddel”. Näherin. (c) Nico Pätzold

Made auf Veddel (Film aus dem Jahr 2013, zum 5-jährigen Jubiläum produziert, 5. Min)

 

Frauen in Bergregionen

Die Konferenz

„Das Engagement von Frauen ist eine wesentliche Voraussetzung für einen lebenswerten ländlichen Raum“, postulierten Bundes- und Landesbäuerin Andrea Schwarzmann und der damalige Bundesminister Andrä Rupprechter[7] bei einer Pressekonferenz anlässlich der internationalen Konferenz „Frauen in Bergregionen“[8] und des Bundesbäuerinnentages 2017 in Alpbach in Tirol.

 

„In allen Gebirgsregionen stellt sich das Problem der Abwanderung. Es sind gerade die jungen Frauen, die vom ländlichen Raum in die Städte abwandern. Das liegt nicht zuletzt an den fehlenden Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten.
Der Zukunftsraum Land braucht Chancengerechtigkeit und neue Perspektiven. Frauen spielen dabei eine besonders wichtige und zentrale Rolle“,
erklärte seinerzeit Rupprechter.

 

Die globalen Herausforderungen und regionale Lösungen

An der internationalen Konferenz, die am 18. und 19. April 2017 stattfand, nahmen Vertreterinnen verschiedenster Organisationen aus Südamerika, Asien, Afrika und Europa teil.

Trotz regionaler Unterschiede stehen die Frauen in aller Welt vor ähnlichen oder sogar identischen Herausforderungen und Problemen. Es gibt mindestens eine Gemeinsamkeit: sie streben eine Stärkung ihrer Rolle an.

Lösungen sind weltumspannend nur gemeinschaftlich zu finden, aber lokal entsprechend den Erfordernissen abzuwandeln und anzuwenden. Selbst in Europa und in Österreich gibt es rudimentäre und notwendige Änderungsoptionen, z.B. dass eine Landwirtschaft nicht oder äußerst selten auf weibliche Nachkommen aufgeteilt wird, und meist der Sohn den Hof übernimmt.[9]

Die zukünftige Herausforderung wird – neben vielen weiteren – sein, derlei Traditionen zu überwinden und die Ressourcen in Bergregionen sowie die Kontrolle darüber für jeden zugänglich zu machen, ohne Ansehen des Standes, der Rolle, des Gender etc.[10]

 

Stärkung regionaler Traditionen

Dann wird sich auch die eklatante Abwanderung junger Menschen – vor allem von Frauen aus europäischen Berggegenden relativieren. Eine Stärkung von handwerklichen regionalen Traditionen, in einem heutigen ökonomischen Sinn – und hier schließt sich ein Kreis zu „Made auf Veddel“ – ist ebenfalls Überdenkens-wert.

 

Tshering Sherpa, Koordinatorin für Frauenprojekte in der Himalaya-Region, ist ebenfalls mit dem Thema Abwanderung konfrontiert. „Für eine positive Entwicklung der Bergregionen müssen wir die Wirtschaftskraft in diesen Gebieten stärken. Die Frauen sind in dieser Hinsicht besonders aktiv und müssen noch stärker integriert und dabei unterstützt werden“, betonte Sherpa bei ihrer Rede.

Frauen in Chitre, Dhawalagiri (Westliche Region), Nepal. (c) Tine Rossing, Vancouver/Kanada
Frauen in Chitre, Dhawalagiri (Westliche Region), Nepal. (c) Tine Rossing, Vancouver/Kanada

Das „International Centre for Integrated Mountain Development“ (ICIMOD), mit dem Sherpa u.a. arbeitet, ist ein regionales zwischenstaatliches Lern- und Wissensaustauschzentrum, das die acht regionalen Mitgliedsländer des Hindukusch-Himalaya: Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, China, Indien, Myanmar, Nepal und Pakistan – umfasst und in Katmandu, Nepal beheimatet ist.

 

Glokalisierung und Klimawandel

Globalisierung und Klimawandel haben einen zunehmenden Einfluss auf die Stabilität fragiler Bergökosysteme und die Lebensgrundlagen der Bergbevölkerung. Das ICIMOD zielt darauf ab, insbesondere den Bergbewohnerinnen zu helfen, diese Veränderungen zu verstehen, sich an sie anzupassen und neue Möglichkeiten zu nutzen, während sie gleichzeitig die vorgelagerten und nachgelagerten Probleme angehen.
Das ICIMOD unterstützt regionale grenzüberschreitende Programme durch Partnerschaften mit regionalen Partnerinstitutionen, erleichtert den Erfahrungsaustausch und dient als regionale Wissensdrehscheibe. [11]

Allerdings ergibt sich beispielsweise in Indien und Nepal die Problematik des Kastensystems – welches eigentlich in den 1960er-Jahren abgeschafft wurde – jedoch bei der Bevölkerung immer noch angewandt wird. Frauen haben in diesem System überdies einen untergeordneten Rang und so bedarf es der Aufklärung und alternativer regionaler Projekte.

Das Institut ist nicht nur für die Himalaya-Hindukusch beispielgebend, sondern für alle gebirgige Regionen.

 

Musonda Mumba

Musonda Mumba, die für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen tätig ist, erklärte kürzlich in einem Zeitungsinterview: „Frauen sind wesentlich an der Erhaltung der ökologischen Systeme beteiligt. Bei meiner Arbeit in den Gebirgsregionen von Peru, Nepal und Uganda habe ich deutlich gesehen, was die Frauen in diesem Bereich positives leisten.“

Musonda Mumba, Programme Officer, United Nations Environment Programme The Mountain Partnership Steering Committee met on 23-24 April 2018 at the Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) headquarters in Rome, Italy. This was the second meeting of the Steering Committee after its election at the Fifth Global Meeting of the Mountain Partnership in December 2017. © FAO/Roberto Cenciarelli
Musonda Mumba, Programme Officer, United Nations Environment Programme The Mountain Partnership Steering Committee met on 23-24 April 2018 at the Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) headquarters in Rome, Italy. This was the second meeting of the Steering Committee after its election at the Fifth Global Meeting of the Mountain Partnership in December 2017. © FAO/Roberto Cenciarelli

Bei der Konferenz in Tirol, die im Zuge der Österreichischen Präsidentschaft der Alpenkonvention stattfand, wurde folglich eine Deklaration[12] mit dem Titel „Regionale Lösungen für globale Herausforderungen“ ausgearbeitet. Ziel ist es, die vielfältigen Initiativen von Frauen zu stärken und zu vernetzen.

Zentrale Forderungen sind Maßnahmen, um den Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt zu verbessern, eine gezielte Aus- und Weiterbildung sowie eine verstärkte Zusammenarbeit der internationalen Organisationen, um Frauen bei ihren vielfältigen Aufgaben zu unterstützen.

 

Claus Friede

[1] Siehe Stadtmarketing- und Entwicklungskonzepte diverser Metropolen, Städte und Regionen im deutschsprachigen Raum.

[2] SEIBERT, Barbara: „Glokalisierung. Ein Begriff reflektiert gesellschaftliche Realitäten. Einstieg und Debattenbeiträge.“ LIT Verlag, Münster 2016, S. 11.

[3] Vgl.: ZENKLUSEN, Stefan: „Triumph des Hyperprovinzialismus“; in: Stefan Zenklusen: Im Archipel Coolag. Soziognostische Denk-Zettel aus der neualten Zivilisation. wvb, Berlin 2006; sowie: Glokalismus als globale und anthropologische Regression. auf www.stefanzenklusen.ch; Regressive Aspekte des Glokalismus.“ auf www.theoriekritik.ch

[4] Vgl.: Auswanderermuseum „BallinStadt Hamburg

[5] In einem Interview mit Claus Friede im Jahr 2017

[6] Quelle und weitere Informationen hier

[7] Ministerium für ein Lebenswertes Österreich (2014-2018) / Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Seit 8. Jänner 2018: Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus)

[8] Vgl.: http://www.fraueninbergregionen.at/

[9] Vgl.: Interview mit Musonda Mumba in der Tiroler Tageszeitung vom 23.04.2017. Quelle

[10] Siehe dazu auch das kritische YouTube-Video: ÖBV-Bäuerinnenaktion in Alpbach: mit Chor, Kühen und Kreativität sowie die Homepage der Österreichische Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung (ÖBV) im Verbund mit der Bewegung „La Via Campesina”

[11] Vgl.: International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD)

[12] Die Deklaration (deutsch und englisch) ist hier zu finden.

 

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