Shopping auf Knopfdruck
22.01.2016
Trends
22.01.2016
Trends
Ein Beitrag von Daniela Krautsack, MBA, Urban Branding Expertin und Trendforscherin (Wien):
Wer heute einkaufen geht, tut das in vielen Fällen und zunehmend öfter im virtuellen Raum. Gibt es auch in Ihrem Alltag Situationen, in denen das Bestellen fehlender Produkte im Haushalt oder die Suche nach einem Geburtstagsgeschenk innerhalb von drei Minuten im Netz – inklusive mühefreier Lieferung an die Haustür – verlockender ist, als sich durch die Stadt zu quälen? Passiert das nur in Ausnahmesituationen, wie z.B. im Krankheitsfall oder wenn man, wie ich, im dritten Stock eines Hauses ohne Aufzug wohnt? Als Konsumentin mache ich mir im Moment des virtuellen Einkaufsvorganges keine Gedanken, ob meine Bequemlichkeit und die Freude, Zeit, Geld und eine Muskelzerrung gespart zu haben, einen Impact auf die Zukunft des Einzelhandels hat. Irgendwie erwarte ich nach all den Jahren, in denen man in den vielen Medien, die uns umgeben, über die Digitalisierung des Einkaufserlebnisses erfahren hat, dass sich auch traditionelle Handelsbetriebe innovative Konzepte einfallen lassen, um in Bezug auf Technik und Serviceleistung mit der Zeit zu gehen.
Damit nicht nur einzelne Unternehmen, sondern eine ganze Stadt oder Region zukunftsfähig bleibt, sehen wir uns am besten ein Beispiel einer ‚digitalen Einkaufsstadt‘ an. Ich entführe Sie gedanklich ins schöne Städtchen Coburg, dessen öffentlicher Raum seit letztem Jahr zwei Heimaten hat: die digitale und jene, durch die Bürgerinnen und Bürger sowie Gäste der Stadt traditionell zum Einkaufen spazieren. In Bayern wurde 2015 vom Bayerischen Wirtschaftsministerium und auf Initiative des Handelsverbands Bayern das Modellprojekt „Digitale Einkaufsstadt Bayern“ ins Leben gerufen. Aus dem Kreis der 36 Städte, die sich um den Titel und die damit verbundenen Beratungsleistungen, Aktivitäten und finanziellen Möglichkeiten bewarben, konnte Coburg neben Günzburg und Pfaffenhofen a.d. Ilm als Gewinner hervorgehen.
Das zentrale Ziel dieses Modellprojekts bestehe darin, neue Wege und Strategien zur optimalen Nutzung digitaler Innovationen zu testen, erfahre ich in meiner Online-Recherche. Die drei Städte werden von einer erfahrenen Expertengruppe (BBE Handelsberatung GmbH, CIMA Beratung+Management GmbH, und elaboratum GmbH) gecoacht. Dazu gibt es mediale Berichterstattung. Für den Einzelhandel bedeutet das folgendes: die effiziente Verknüpfung von stationärem und Online-Handel. Die Botschaft, die den Unternehmerinnen und Unternehmern, die noch Zweifel am dualen Auftritt haben, beherzt vermittelt wird, lautet: „Wer in Zukunft erfolgreich sein will, muss den Kunden das Beste aus beiden Welten bieten!“.
Was hat sich also seither in Coburg getan? Ich google ‚digitale Einkaufsstadt Coburg‘, und im Portal ‚Innenstadt‘ sticht mir sofort der Mittagspausenführer ins Auge.
Dort sind nach aktuellen Wochentagen alle Gastronomie-Betriebe aufgelistet, die ein Mittagsmenü anbieten. ‚Klare Ansage‘ und ‚nicht schlecht‘, denke ich spontan, aber in diesem Moment schießt mir der Gedanke an Foodora in den Kopf, den aus Deutschland stammenden Lieferservice, der seit kurzem auch in Wien verspricht, mir die köstlichsten Gerichte aus den Restaurants in meiner Umgebung nach Hause zu liefern. Ziemlich unpassend, die Analogie zum digitalen Menüplan des Wirten ums Eck, denke ich mir, aber warum Foodora in meinem Unterbewusstsein den Kampf Online vs Offline gerade gewonnen hat, kann ich nicht sagen. Ich weiß aber, dass die Plattform einer digitalen Einkaufsstadt, die schon noch zum Ziel hat, mich vor Ort zu bringen, viel visueller gestaltet sein muss, um mich vom einladenden Ambiente des Lokals zu überzeugen und eine persönliche Note, nennen wir es die Identität des Ladens, braucht. Weil ich vor kurzem selbst einer Community in meiner Nachbarschaft ins Leben geholfen habe, weiß ich, wie wichtig der persönliche Kontakt zwischen Lokalchef oder Chefkellner zum Besucher ist, damit man zum ‚begehrten‘ Stammgast wird. Würde mich auf der Lokalseite Coburgs ein freundliches Gesicht anlachen, mit einem kleinen Steckbrief des Lokals und einer einheitlichen visuellen CI, die beim Foto des Gastronomen beginnt und sich zum Stil der Textgestaltung zieht, würde das jeden Anbieter schlagen, der nur digital agiert. Aber zurück zur Tomatencremesuppe um €2,90, die es heute im Café Amadeus in Coburg gibt. Die Information zur Suppe und zum Lokal, das sie anbietet, lässt sich auch über eine App am Smartphone abrufen.
Ziel sei es nicht, meint das City Management Coburg, dass die Einzelhändler einen eigenen Shop zum Verkauf ihrer Produkte aufmachen. Man will den Einzelhändlern auf die digitalen Sprünge helfen. Noch gibt es gerade unter denen, die Angst vor der Konfrontation mit dem online Marktplatz haben, große Sorgen. „Online macht das Geschäft kaputt“ höre man jene UnternehmerInnen immer wieder sagen, die den Online-Handel als Konkurrenz sehen. Es gilt, diese Meinung rasch zu ändern und dadurch den stationären Handel mit digitaler Unterstützung zu stärken.
Der Inhaber eines Weingeschäftes in Coburg hat sich ins digitale Abenteuer aufgemacht und spricht aus Erfahrung: „Man kann nicht ‚nebenbei‘ online gehen. Es braucht Ressourcen und Mitarbeiter, die den Online-Auftritt betreuen. Obwohl unser Online-Umsatz noch gering ist und der Online-Auftritt einen schwer messbaren Werbeeffekt hat, es ist eine Tatsache, dass sich das Käuferverhalten ändert. Entweder man geht mit der Zeit oder man geht mit der Zeit.“ City Manager Jörg Hormann meint dazu: „Was in Coburg entsteht, könnte Modellcharakter für andere Städte in Deutschland haben. Unsere primäre Aufgabe am Weg zur digitalen Einkaufsstadt ist es, die Geschäftswelt zum Mitmachen zu motivieren.
VIDEO zur digitalen Einkaufsstadt in Coburg:
http://www.coburg.de/startseite/Leben-in-Coburg-2390-1/innenstadt/einkaufsstadt.aspx
Auf meine Frage, wie die Vision des City Managers für die digitale Einkaufsstadt aussieht, meint Hormann: „Wenn unsere Bemühungen erfolgreich sind, kann in 10 Jahren der Onlinekäufer nicht mehr vom Offlinekäufer unterschieden werden. Das gesamte Angebot einer Stadt ist online auffindbar und nutzbar. Bilder, emotionale Geschichten und Events machen neugierig, die eigene Stadt wieder zu entdecken. In den Geschäften selbst, bietet sich dem Kunden über eine Onlineschnittstelle dasselbe umfangreiche Sortiment, wie zu Hause im Internet. Ob der Einkäufer dann online oder offline, regional oder überregional kauft, entscheidet nicht mehr das Angebot, die Erreichbarkeit oder die Lage, sondern die Lust des Kunden am Einkaufen – über welchen Kanal ist dann egal.“
Ich befrage Roland Murauer von CIMA Österreich, der heimischer Experte zum Thema Digitalisierung von Einkaufsstädten ist, zur Schattenseite der glänzenden Medaille: „Jeder Begeisterung für diese ambitionierten Modellprojekte zum Trotz muss man zuerst eruieren, in welcher digitalen Entwicklungsstufe sich die Unternehmen der Stadt befinden. In Stufe 1 muss man die Angebote der Betriebe im Netz finden. Der Konsument muss sich über die Marken- und Angebotspalette informieren können. Das lokale Stadtmarketing benötigt also zumindest eine Übersichtsseite mit einer Marken- und Angebotspalette. Diese Webseite sollte dann eine Verlinkung zu einzelnen Unternehmen machen können. In Stufe 2 wird bereits mit Apps und QR-Codes gearbeitet, um mehr Serviceleistung und Interaktion zu bieten. Stufe 3 ist eine gemeinsame Vermarktungsplattform, über die man bestellen kann und Stufe 4 beinhaltet einen zusätzlichen Lieferservice. Fakt ist: Wenn man so eine Online-Präsenz aufbaut, muss man an seine Warenwirtschaft denken. Beides, der Verkauf im stationären Handel, wie auch jener übers Netz muß aufeinander abgestimmt sein. Wenn ich über die Online-Plattform meines Shops fünf von insgesamt 12 Sakkos verkaufe und dann zeitgleich 8 im Geschäft, muss das System die Blazer rechtzeitig nachbestellen, um den nächsten Online-Käufer nicht vor den Kopf zu stoßen. Sonst endet der bei den großen Online-Anbietern, die ihre Warenwirtschaft im Griff haben. Aber das ist die Kür, wir sprechen hier noch von wenigen, die Stufe 3 oder 4 bereits erreicht haben.“
Apropos Lieferung: Ich habe von einem Berliner Start-up erfahren, das im ‚Kiez-Kaufhaus ‘https://www.kiezkaufhaus.de/about.php‘ ein Sortiment lokaler Fachgeschäfte vereint, auf deren Online-Plattform man Waren bestellen kann und diese dann in eine virtuelle Einkaufstasche packt.
Egal, bei wie vielen Händlern Waren ausgewählt wurden, die virtuelle Einkaufstasche wird mittels Ökostrom geladenen Cargo-Bike noch am selben Tag um € 5 ins Haus gebracht. Hört sich so einfach an.
Shopping auf Knopfdruck bedeutet also nicht, dass dem stationären Handel die Knie schlottern müssen. Obwohl Produkte, wie Amazons Dash Button die Gesichter der Bipa und DM-Filialleiter um die Ecke sicher anfangs recht düster aussehen werden lassen. Der Dash Button, der wie eine Türklingel aussieht, bestellt nämlich ausgewählte Produkte übers heimische WLAN-Netz auf Knopfdruck nach.
Ein Beispiel: Ein Knopf an der Waschmaschine, mit dem man Waschpulver nachbestellt, sobald man merkt, dass man neues benötigt. Kunden aus den USA können derzeit aus 257 verschiedenen Produkten von 18 Firmen auswählen, mit denen Amazon zusammenarbeitet, darunter Hersteller von Erfrischungsgetränken, Haushaltstüchern, Fertiggerichten und Rasierern. Routine ist hier das entscheidende Stichwort: So ein Produkt funktioniert nur gut bei Leuten, die stets dasselbe kaufen. Die nicht auf Angebote anderer Anbieter achten, weil sie darauf vertrauen, bei Amazon einen fairen Preis zu bekommen. Ich finde die selbstklebenden Knöpfe irritierend, weil dadurch Wohnungen plötzlich mit Markennamen zugepflastert werden. Allein im Badezimmer gibt es eine Reihe von Produkten, die man immer wieder auf Vorrat kauft: Zahnpasta, Seife, Duschgel, Shampoo, Toilettenpapier, Kosmetiktücher, Wattestäbchen und so weiter – da würde neben dem Waschbecken eine beachtliche Werbewand entstehen.
Mein Fazit: Es gibt viele Gründe, um fürs Einkaufen das Haus zu verlassen. Nicht als Avatar, nicht als Kundennummer 3208497, sondern als Daniela, mit Lächeln am Gesicht und Einkaufstasche.
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