Innovative Schulkonzepte in innerstädtischen Bereichen: Wie Schulen neue Wege gehen
05.10.2023
Architektur, Gesellschaft
05.10.2023
Architektur, Gesellschaft
In einer Welt, die sich ständig weiterentwickelt, ist die Bildung ein entscheidender Faktor für die Zukunft. Doch wie können Schulen in innerstädtischen Gebieten mit begrenztem Platz und oft veralteten Strukturen mit den Herausforderungen der modernen Bildung mithalten? In diesem Blogbeitrag werden wir einige inspirierende Beispiele innerstädtischer Schulkonzepte vorstellen, die alte Bildungskonzepte in die Zukunft geführt haben.
Der Begriff vom „Raum als dritten Pädagogen“ wurde bereits in den 60er Jahren von Loris Malaguzzi, einem der Wegbereiter der Reggio-Pädagogik, geprägt:
Er sieht das Kind als Konstrukteur seines eigenen Wissens, der Lehrer und das soziale Umfeld übernehmen die Rolle des zweiten Pädagogen und der Raum mit seiner materiellen Ausstattung ist der dritte Pädagoge – ein Konzept, das lange in Vergessenheit geriet und erst ab den späten 1980er Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat.
In der Reggio-Pädagogik spricht man von den 100 Sprachen des Kindes. Aus einem Gedicht von Loris Malaguzzi:
„Ein Kind hat 100 Sprachen, 100 Hände, 100 Weisen zu denken, zu spielen, zu sprechen, zu hören, zu staunen, zu lieben. 100 Welten zu entdecken, 100 Welten zu erfinden, 100 Welten zu träumen und noch 100,100 und noch mehr … „.
Heutzutage herrscht weitgehend die Einsicht, dass die Zukunft der Bildung eng mit der Gestaltung des Schulraums verknüpft ist. Herausforderungen wie Ganztagsschulen, Inklusion, Migration und die fortschreitende Digitalisierung erfordern neue Ansätze im Schulbau.
Zudem werden viele SchülerInnen in Berufen arbeiten, die heute noch gar nicht existieren. Die Halbwertszeit des Wissens liegt mittlerweile unter zehn Jahren.
Das bedeutet, dass SchülerInnen die Fähigkeit zum eigenständigen Lernen entwickeln müssen, um in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt erfolgreich zu sein.
Lernen, wie man lernt, ist von entscheidender Bedeutung. In diesem Kontext spielen innovative Lernraumkonzepte, die selbständiges Lernen ermöglichen, eine entscheidende Rolle.
Insbesondere vier solcher Konzepte haben sich in den letzten Jahren etabliert, die eine flexible und individualisierte Nutzung des Schulraums im Sinne einer pädagogischen Architektur ermöglichen:
Die Integration von Schulen in die städtische Umgebung sowie die Einbindung von PädagogInnen und anderen Interessengruppen in den Umstrukturierungsprozess bzw. Neubau von Schulen sind weitere wichtige Elemente für die Schaffung zeitgemäßer Bildungseinrichtungen.
Im nördlichen Teil der Stadt Salzburg nimmt derzeit mit dem Großprojekt „Schlau in Lehen“ ein neues Vorzeige-Bildungsprojekt Form an. Das Herzstück dieses Projekts bildet die umfassende Sanierung der Volksschule, die zudem gleichzeitig eine erweiterte Ganztagesbetreuung erhalten wird. Zusätzlich erfährt der angrenzende Kindergarten dann eine signifikante Erweiterung durch einen Zubau.
Hintergrund des Bauvorhabens sind die steigenden Anmeldezahlen in der Ganztagesbetreuung. Mit dem Um- und Zubau sollen neben der Modernisierung der Bildungseinrichtungen auch zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden.
Bei der Planung stand die ehrgeizige Zielsetzung im Vordergrund, die Anforderungen und Ansprüche in den Bereichen Pädagogik, Architektur, Nachhaltigkeit und Klimaschutz in einer harmonischen Einheit zu realisieren.
Die Erweiterung der Volksschule und der Neubau des Kindergartens werden als Holz-Hybridbau mit Begrünung als prägendem Element umgesetzt.
Holz ist nicht nur ressourcenschonend und energieeffizient, sondern hat auch nachweislich positive pädagogische Effekte. Es steigert die Konzentrationsfähigkeit der SchülerInnen und senkt das Stress- und Konfliktpotential – also eine Win-win-Situation für Kinder, PädagogInnen und Eltern.
Das Schulwartsgebäude der Volksschule wird abgerissen und durch einen barrierefreien Vorplatz ersetzt, der dann als einladender Empfangsbereich dient.
Um kurze Wege innerhalb des Schulgebäudes sicherzustellen, werden dort die SchülerInnen in neu entwickelten „Lernhäusern“ unterrichtet, die über eine zentrale Kaskadenstiege erschlossen werden. Sie sind quasi kleine Schulen in der großen Schule, wo jüngere und ältere Kinder mit- und voneinander lernen. Weiters sind Unterrichtsräume „für alle“ im Erdgeschoß geplant.
„Besonders wichtig als Schulerhalter ist es, dass auf Basis der pädagogischen Vorgaben der Schule bzw. der NutzerInnen wie Direktion, LehrerInnen und FreizeitpädagogInnen die Vorbereitung für den Architekturwettbewerb gemeinsam erarbeitet wurde. Der Raum ist der „dritte Pädagoge“ und damit ein ganz entscheidender Teil des pädagogischen Konzepts. Der richtige Raum verbessert den pädagogischen Erfolg, die Arbeitsbedingungen und das allgemeine Wohlbefinden.“
Vizebürgermeister Bernhard Auinger
Viele Städte und Gemeinden stehen also vor der Herausforderung, denkmalgeschützte Schulgebäude in Einklang mit modernen pädagogischen Ansprüchen zu bringen.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die gelungene Transformation historischer Bausubstanz zu zeitgemäßen Bildungseinrichtungen ist hier die Pestalozzischule in Leoben Donawitz.
Im Jahr 2016 wurde dann dieses ehrwürdige Schulgebäude einer tiefgreifenden Revitalisierung und Neuausrichtung unterzogen, um den Bedürfnissen einer modernen Bildungseinrichtung gerecht zu werden.
Die Herausforderung bestand nicht nur darin, die baulichen Auflagen des Denkmalschutzes zu erfüllen. Um Kosten zu sparen, entschied sich die Gemeinde, eine ebenfalls in die Jahre gekommene Volksschule sowie eine Polytechnische Schule nicht zu sanieren, sondern mit der Pestalozzi-Mittelschule zusammenzulegen.
Daraus ergab sich eine heikle soziale Ausgangslage: Während die Mittelschule das Gebäude als „ihres“ ansah, wollte die Volksschule ihren eigenen Standort anfangs nicht aufgeben. Die Polytechnische Schule hingegen hatte hohe Erwartungen in Hinblick auf die Nähe zur Mittelschule.
Das Gebäude musste also neu „verhandelt“ werden. Umgesetzt wurde dies im Rahmen eines umfassenden Partizipationsprozesses.
Das war keine klassische Schulbauplanung, sondern ein intensiver Planungsprozess, dem zu Beginn ein Bürgerbeteiligungsverfahren zuvorgegangen war. Vier Tage lang haben wir mit LehrerInnen, DirektorInnen, Eltern, Schülerinnen und Schülern, Behörden, Bundesdenkmalamt und PädagogInnen diskutiert und Ideen gesammelt. Am Ende ist der Großteil der Visionen in eine erste Entwurfsstudie eingeflossen.
Caren Ohrhallinger, Partnerin im Wiener Architekturbüro nonconform
Um die verschiedenen Ansprüche der drei Schulen zusammenzuführen, beauftragte die Stadt das Architekturbüro nonconform und die Forschungsplattform schulRAUMkultur. Das Ergebnis war dann eine der interessantesten Schulsanierungen, die bislang in Österreich umgesetzt wurde.
Ein weiteres herausragendes Vorzeigeprojekt ist beispielsweise die Komplettsanierung und Erweiterung der über 100 Jahre alten Volksschule Angedair im Herzen der Tiroler Bezirkshauptstadt Landeck. Für die architektonischen Umsetzung wurde dann das Wiener Architekturbüro „Franz&Sue“ mit dem internationalen Architekturpreis „best architects 20″-Award ausgezeichnet.
Das Hauptziel des Umbaus bestand dann darin, eine Umgebung zu schaffen, die den Schülerinnen und Schülern mehr Raum bietet, gleichzeitig für zusätzliches Licht und Transparenz sorgt und eine neue Raumstruktur schafft, die zeitgemäße Lehrmethoden unterstützt.
Ein zentraler Aspekt dieses Umbauprojekts war die Gestaltung der Schule als großes „Wohnzimmer“, das vielfältige Möglichkeiten zum Lernen und Spielen sowohl im Innen- als auch im Außenbereich bietet.
Um die vielfältigen Bedürfnisse aller Beteiligten umfassend zu verstehen, führte die erfahrene Architektin Ursula Spannberger eine detaillierte RAUM.WERT-Analyse durch. Basierend darauf wurde ein fundiertes Planungskonzept entwickelt.
Weitere Einblicke in den Nutzen von Beteiligungsprozessen für Gemeinden im Zusammenhang mit Schulumbauten finden Sie außerdem in unserem Beitrag „Der Wert von Beteiliungsprozessen im Bildungsbau“.
Im ersten Schritt erfolgte die Renovierung der erhaltenswerten Bausubstanz, während der Mittelbereich abgerissen wurde, um Platz für einen neuen Gebäudetrakt zu schaffen. Die Kernpunkte der Innengestaltung umfassen:
„Die Idee des Schulwohnzimmers ist uns hier gelungen. Das pädagogische Konzept und die Mittel wurden gut umgesetzt, der Bestand respektiert und der Neubau nicht versteckt.“
Erwin Stättner, Architekt Franz&Sue
Weitere inspirierende Beispiele von Schulumbauten, die den Wandel alter Gangschulen hin zur zeitgemäßen Schulumgebung erfolgreich bewältigt haben, sind zudem das Konrad Lorenz Gymnasium in Gänserndorf und die Volksschule BZI Leoben.
Mit dem Schulneubau im Bregenzer Stadtteil Schendlingen wurde im Jahr 2021 ein äußerst ambitioniertes Schulprojekt erfolgreich umgesetzt. Unter einer gemeinsamen pädagogischen Leitidee wurden beispielsweise die Volksschule (Grundschule) und die Mittelschule in einem neuen Gebäude zusammengeführt.
Die am westlichen Rand von Bregenz gelegene Schule sollte als neues Quartierzentrum die Entwicklung des Stadtteils vorantreiben und Schendlingen aufwerten. 63 Prozent der SchülerInnen haben hier eine nichtdeutsche Muttersprache, außerdem gilt das Viertel als sozialer Brennpunkt.
Die Schule sollte also nicht nur ihre Rolle als Bildungseinrichtung erfüllen, sondern auch als sozialer Anlaufpunkt und Freizeitort dienen. Gleichzeitig sollte sie eine flexible Raumstruktur bieten, die den Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern im Alter von 6 bis 14 Jahren gerecht wird.
Das Herzstück der Schule ist der zentrale Lichthof mit Begegnungszone, der die Verbindung zwischen Volksschule und Mittelschule darstellt. Klassen im herkömmlichen Sinne gibt es auf dem Campus nicht mehr. Stattdessen findet der Unterricht der insgesamt 600 SchülerInnen in acht autonomen Clustern statt, welche die Grundlage für die Umsetzung des innovativen pädagogischen Konzeptes bilden.
Jede dieser räumlich und organisatorisch voneinander getrennten „Kleinschulen“ ist 400 Quadratmeter groß und besteht aus mehreren Räumen, die zu einem zentralen Gemeinschaftsraum hin offen sind. Hinzu kommen ein Außenbereich, WC-Anlagen und jeweils ein Lehrerzimmer. Also eine Schule innerhalb der Schule. Auf zusätzliche Gruppenräume verzichtet man zur Unterstützung der Integration bewusst.
„Das ist dann nämlich nicht inklusiv, wenn für bestimmte Kinder wieder eigene Räume benötigt werden! Alle müssen mit allen klarkommen. Die Frage ist immer: Wie kriegen wir das zeitlich in einen Rahmen? Und nicht: Wie kriegen wir das räumlich in einen Rahmen!“
Tobias Albrecht, Schulleiter der Mittelschule
Ein kurzer Rundgang durch die Schule:
Die räumliche Gestaltung von Schulen ist also ein Schlüsselfaktor zur Schaffung einer erfolgreichen und zeitgemäßen Lernumgebung. Durch die aktive Einbindung von PädagogInnen, SchülerInnen und anderen InteressenvertreterInnen in den Planungsprozess werden dann zukunftsweisende Bildungseinrichtungen erschaffen.
Projekte wie beispielsweise die Volksschule Lehen, das Bildungszentrum Pestalozzi Leoben, die Volksschule Landeck und der Schulcampus Schendlingen Bregenz zeigen, wie modernes Schuldesign und innovative pädagogische Konzepte erfolgreich Hand in Hand gehen können.
Durch die geschickte Verschmelzung von Architektur und Pädagogik eröffnen uns diese visionären Schulkonzepte dann einen spannenden Weg in die Bildung von morgen, ein Weg, der unseren SchülerInnen ein starkes Fundament für ihre Zukunft schafft.
Titelbild: Bildungszentrum Pestalozzi, Foto: Kurt Hörbst
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