Revitalisierung problembehafteter Stadtteile als kommunale Aufgabe

15.02.2023
Gesellschaft

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(c) Unsplash/Quaritsch Photography

Wir können uns keine maroden Stadtteile leisten. Dabei sind vielerorts Planungsfehler aus der Vergangenheit noch heute spürbar. Das Image unserer Städte leidet und das hat weitreichende Folgen: Es gefährdet potentielle Investitionen, befeuert Fachkräftemangel erhöht die Kriminalitätsrate und vor allem sinkt die Lebensqualität der BewohnerInnen.

Sukzessive erfolgte daher eine Revitalisierung solcher problembehafteter Stadtteile in vielen Städten. Dazu bedarf es zunächst einer gründlichen Analyse der individuellen Problemstellungen vor Ort.

Sind Verfehlungen von gestern heute schon ausgemerzt?

Bei  Quartiersgestaltungen wurden Wohngebiete häufig entlang ethnischer oder kultureller Linien aufgeteilt. Das bedeutet, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur dicht an dicht leben, ohne miteinander zu interagieren. Das führte zu einer Entstehung von „Ethnien-Ghettos“. Folglich oft zu sozialer Isolation und mangelnder Integration, was wiederum eine Vielzahl an Problemen verursachte.

Dazu zählen Kriminalität, mangelnde Bildungschancen und fehlende wirtschaftliche Perspektiven. Ohne Rücksicht auf die Bevölkerung waren Stadtteile oft Opfer von Fehlplanungen.

So wurden in sich funktionierende Quartiere beispielsweise von Autobahnen durchtrennt. Man achtete nicht immer auf die Anbindung an den öffentlichen Verkehr oder kümmerte sich kaum um die Gestaltung des öffentlichen Raumes.

Mitunter werden sie noch immer gemacht, diese Fehler, obwohl die Auseinandersetzung mit diesem Thema an Universitäten oder direkt in Stadtgemeinden inzwischen ein hohes Niveau an Wissen erreicht hat.

Mangelnde Bürgerbeteiligung: Fehlende Kommunikation mit der Bevölkerung vor Ort kann dazu führen, dass Entwicklungsprojekte nicht den Bedürfnissen der AnwohnerInnen entsprechen und sie sich dadurch ignoriert fühlen.

Verdrängung: Quartiersentwicklung kann zu einer Gentrifizierung und Verdrängung von lokalen Gemeinschaften führen, insbesondere von Menschen mit geringerem Einkommen.

Mangel an Diversität: Ein Mangel an Diversität in der Planung und Umsetzung von Entwicklungsprojekten kann dazu führen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen diskriminiert werden und ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden.

Mangel an sozialen Einrichtungen: Ein Mangel an Schulen, Gesundheitszentren und Freizeiteinrichtungen kann dazu beitragen, dass die Bevölkerung marginalisiert wird.

Fehlende Begrünung, Durchlüftung, Kühlung: Deutlicher denn je bekommen wir die Folgen des Klimawandels zu spüren. Städtebautechnisch kann das enorme Auswirkungen auf die Lebensqualität mit sich bringen. Zeitgemäße Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass Klimaschutz nicht nur mitgedacht, sondern als zentraler essentieller Baustein gelungener Quartiersentwicklung gilt.

Flächenverbrauch durch Individualverkehr: Laut UBA gehen im Durchschnitt 42 km² an biologisch produktiven Grundstücken an die Versiegelung von Flächen verloren. In unseren Städten widmen wir dem PKW einen enorm hohen Anteil an wertvollem Grund und Boden. Mit entsprechender öffentlicher Anbindung bzw. mit dem Sicherstellen ausreichender Nahversorgung vor Ort kann der Flächenverbrauch deutlich reduziert werden. Es hilft schon, wenn nicht jeder Haushalt auf mehrere Autos angewiesen ist.

Von städtebaulichen Maßnahmen & kleineren Interventionen

Um eine marode, verfallene und als unsicher geltende Nachbarschaft in ein attraktives Stadtviertel zu verwandeln, kommen sowohl große städtebauliche, also auch minimal invasive Eingriffe zum Einsatz. Bürgerbeteiligungsprozesse jeglicher Art sind mittlerweile „State of the art“.

Place making beispielsweise gilt als äußerst wirkungsvolles Instrumentarium, um Orte atmosphärisch aufzuladen. Dabei handelt es sich um einen integrativen kollaborativen Prozess. Es ist eine Denkweise oder Haltung, die Menschen zusammenbringt, um positive Veränderungen an einem Ort zu bewirken.

Zentrale Message dieser Methode: im Kollektiv trifft man die besten Entscheidungen für das Gemeinwohl, erreicht man den größten gemeinsamen Nenner.

Die liebevolle Gestaltung des öffentlichen Raums

Dazu gehören die Installation neuer Straßenlaternen, das Pflanzen von Bäumen, das Anlegen von Parks und Grünflächen, das Anbringen öffentlicher Kunstwerke und die Verbesserung von Geh- und Radwegen. Diese sorgen nachhaltig für Wohlbefinden bei BewohnerInnen und BesucherInnen.

Die Sanierung und Erhaltung von bestehenden Gebäuden oder historischer Strukturen sind im Sinne der Nachhaltigkeit sinnvoll. Sie tragen auch für den Erhalt des Charakters eines Stadtteils bei. Weiters trägt die Entwicklung neuer, gemischt genutzter Gebäude mit Wohn-, Gewerbe- und Einzelhandelsflächen zur Belebung eines Viertels bei.

Leistbares Wohnen und Arbeiten

Gemeinnützige Wohnbauprojekte aber auch eine Mietpreisbremse stellen bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit geringerem Einkommen sicher. Ähnliches gilt auch in Bezug auf sinnvolle, wünschenswerte Betriebsansiedlung, die den Branchenmix einer Stadt positiv beeinflussen sollen.

Hierfür entwickelt man eigene unterstützenden Förderprogramme, die beispielsweise Miet-, oder auch PR- und Marketingzuschüsse beinhalten.

Die Unterstützung lokaler Unternehmen durch die Bereitstellung von Krediten und anderen Ressourcen kann dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen, Steuereinnahmen zu generieren und neue Investitionen in die Nachbarschaft zu bringen. Dazu gibt es mittlerweile eine Reihe an Fördermaßnahmen, auf kommunaler, Landes-, Bundes- oder auch auf EU-Ebene.

Land Oberösterreich – Aktionsprogramm Leerstands- und Brachflächenrevitalisierung, Orts- und Stadtkernbelebung (land-oberoesterreich.gv.at)

Redesign Your City

Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung

Öffentliche Sicherheit spielt eine zentrale Rolle für die Attraktivität und das Wohlbefinden in den einzelnen Stadtteilen. Es ist also essentiell für Kommunen, sich kontinuierlich um Instandhaltungsmaßnahmen zu sorgen, denn das führt nachweislich zu einem Rückgang der Kriminalität. Das ist auch nachzulesen in der Broken-Windows-Theorie – Wikipedia.

Dort, wo Nachbarschaft gelebt wird, wo achtsam mit dem eigenen Lebensraum umgegangen wird, halten sich auch Vandalismus, Gewalt oder soziales Ungleichgewicht in Grenzen.

Mit Sicherheitsaspekten und Sicherheitsstandards beschäftigt sich auch eine Initiative der Association of Town Centre Management – einem englischen Verband für Stadtmarketing und Stadt- und Quartiersmanagement: die Purple Flag.

Im Rahmen der Purple Flag – for a better night out –  werden Städte und Stadtquartiere ausgezeichnet, die sich entsprechend bestimmter Anforderungen um Sicherheitsaspekte im lokalen Nachtleben und der night-time economy kümmern.

Es wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der einerseits eine Auseinandersetzung mit negativen Auswirkungen verlangt, als auch die Themen Sicherheit, Verbesserung der Gemeinschaft und das Potential für Wirtschaftswachstum mit einbezieht. Nottingham erhielt wiederholt die begehrte Auszeichnung.

Der Dachverband Stadtmarketing Austria bei der Fachstudienreise nach England 2016 in Nottingham

Kleine, aber feine Revitalisierung

Aber es geht nicht immer um große investive Maßnahmen. Oft genügen schon feine subtile oder experimentelle Interventionen, um ein Bewusstsein für den eigenen Lebensraum zu wecken und sich dafür einzusetzen.

Exemplarisch hierfür sei das ArchitektInnnen Kollektiv Wonderland genannt. Dieses hat nicht nur hierzulande spannende Interventionen zur Quartiersentwicklung realisiert: https://vimeo.com/439975305.

Als identitätsstiftende Maßnahme gelten auch Veranstaltungsformate in den Stadtteilen. Das sind beispielsweise Stadtteilfestivals oder Straßenzugfeste. Diese können eine lebendige Atmosphäre schaffen und gleichzeitig das kulturelle Erbe fördern.

Die DNA einer Stadt zum Ausdruck bringen

Um die eigene DNA einer Stadt wirksam zum Ausdruck zu bringen, darf man auch mitunter einfach den Dingen ihren Lauf lassen, dem Individuellen Raum geben und Ungewöhnliches zulassen. So hat sich beispielsweise Street Art in den letzten Jahren als zeitgenössische Kunstform im öffentlichen Raum etabliert.

Street Art prägt Städte ungemein und verleiht der Bevölkerung ein Sprachrohr. Oft kündigt sich die Stimmung junger progressiv denkender StadtbewohnerInnen durch die Kritik an, die sie auf Wände schreiben oder in Form von Stickern kleben. Wir tun gut daran, ihre Botschaften lesen zu lernen und mit ihnen in Kontakt zu treten.

Street Art kann eine lebendige und farbenfrohe Atmosphäre in heruntergekommenen Stadtteilen schaffen und gleichzeitig eine Plattform für lokale KünstlerInnen bieten, sich der Gemeinschaft vorzustellen.

Auf intelligente Weise plakativ sein

Der weltbekannte Grafiker und Designer Stefan Sagmeister zeigte in seiner MAK-Ausstellung ‚Beauty‘ viele Beispiele, wie Städte verschönert wurden. Was nicht nur zur Aufwertung für die Stadt führte. Er zeigte, wie sein Studio Sagmeister & Walsh zur Verschönerung einer verwahrlosten Unterführung der Brooklyn-Queens Schnellstraße in New York City beigetragen hatten.

Diese wurde von den BesucherInnen umliegender Bars nächtlich oft als Pissoir verwendet. Mit etwas Farbe und einer großartigen kreativen Umsetzung wurde das Wort ‚Yes‘ auf die Tunnelwände gemalt. Mittlerweile gilt das Motiv als beliebter Hintergrund für Hochzeitsfotos.

Von 1988 bis 1997 dekorierte Friedensreich Hundertwasser den Schornstein einer Müllverbrennungsanlage in Wien mit goldenen Kugeln. Er gestaltete bunte Säulen und schmückte die Anlage mit seinen Ornamenten. Trotz dieser bemerkenswerten Revitalisierung wurde Hundertwasser zum Gespött der Intellektuellen. Heute ist die Gegend ein Besuchermagnet.

Best Practice in der Quartiersentwicklung

Als nationale Beispiele gelungener Stadtentwicklungsprojekte sind die Grazer Stadtteile Lend, das sich vom zwielichtigen Rotlicht- zum beliebten Wohnviertel entwickelte, sowie Gries zu nennen. Viele Kommunen stehen erst am Anfang eines langwierigen Prozesses, um den funktionierende urbane Räume nicht mehr umhinkommen.

Auch in Wien, das in internationalen Rankings immer wieder als außerordentlich lebenswerte Stadt genannt wird, widmete man sich sehr intensiv den einzelnen Grätzln und es entstand eine ganze Reihe an Vorzeigekonzepten.

Weitere Beispiele finden Sie in diesem Beitrag zur innovativen Quartiersentwicklung.

Wohnsilos sprengen

Als städtebaulich problematische Zone galt auch zum Beispiel das sogenannte „Harter Plateau“ im oberösterreichischen Leonding. Großes Aufsehen erregte 2003 die Sprengung der beiden Hochhäuser, die man verächtlich als „Wohnsilos“ bezeichnet hat und die unter enormer Fluktuation und einem schlechten Image litten.

„Von den Hochhäusern in den Park“ lautete damals die Schlagzeile, als bei den 249 HochhausmieterInnen, die in ein neues Zuhause umgesiedelt wurden, Aufbruchsstimmung herrschte. Abgeschlossen ist sie noch nicht. Die Revitalisierung dieses Stadtteils, aber es gibt äußerst spannende Ansätze in Leonding, um in dessen Süden ein neues Herzstück der Stadt zu gestalten, das allen Anforderungen der heutigen Zeit Genüge tun wird.

So wie in Leonding findet Quartiersentwicklung heute weitgehend durchdachter statt. Man widmet sich auch den ungeliebten Zonen einer Stadt und verfolgt deren Revitalisierung. Sie erfolgt in enger Abstimmung mit der lokalen Gemeinschaft, um Probleme innerhalb von Städten zu vermeiden und sicherzustellen, dass alle Bevölkerungsgruppen von dieser Veränderung profitieren.

Großes Aufsehen erregte die Sprengung der beiden Hochhäuser am Harter Plateau.

Wo und wie werden wir leben?

Die Menschheit ist in Bewegung. Wir können davon ausgehen, dass die stetig wachsende Erdbevölkerung nicht zuletzt aufgrund der klimatischen Veränderungen, europäische Ballungszentren aufsuchen wird, um sich in diesen niederzulassen.

Eine alte Faustregel in der Integrationspolitik besagt, dass es fünf Jahre dauert, bis Neuankömmlinge die deutsche Sprache erlernt und eine Aus- oder Weiterbildung durchlaufen haben. Im Jahr 2033 werden also im besten Fall die Menschen, die heute schon hier sind, einige der dringend benötigten Fachkräfte sein.

Es gilt diesen Zuwachs in der Bevölkerung jetzt schon zu berücksichtigen und auch in der Stadtplanung endsprechend darauf zu reagieren.

Werden alle Problemstadtteile irgendwann „hip“ sein?

Wann ist ein Viertel hip? Wenn AkademikerInnen in sanierte Altbauten ziehen und vor aufgeklappten Laptops im Café sitzen? Wenn Yogastudios eröffnen und auf Industriebrachen Lesebühnen zelebriert werden?

In Stadtteilen, die als Problemviertel verschrien sind und dann auf die ewige Liste der baldigen Trendviertel gesetzt werden, werden ganze Häuserblöcke saniert und Lern- und Kreativzentren geschaffen. Aus Lagerhallen werden Co-Working-Büros.

Viele Kreative und Studierende ziehen in diese neuen hippen Gegenden. Dabei ist es nicht immer garantiert, dass es sich Alteingesessene nach der Umgestaltung ihres ehemaligen Problemviertels leisten können zu bleiben. Es kann funktionieren, wenn der Anteil an Sozialwohnungen entsprechend hoch ist.

Maßnahmen zur Revitalisierung müssen sorgfältig geplant und umgesetzt werden, um sicherzustellen, dass sie der bestehenden Gemeinschaft zugutekommen. Sie dürfen nicht zur Gentrifizierung und Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung führen.

Lesen Sie auch diesen Beitrag zum Thema ‚Schönheit‘ in Städten.

Daniela Limberger Vorstandsmitglied des Dachverbandes Stadtmarketing Austria

Daniela Limberger

Geschäftsführerin Agentur für Standort und Wirtschaft Leonding GmbH

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