Die Post-Corona-Stadt
31.03.2021
Gesellschaft
Wie werden wir Städte nach dieser monumentalen Krise nutzen und erleben? Hier geben Vordenker und Zukunftsforscher frische Impulse für die Zeit nach Corona, inklusive Best Practice-Beispielen.
31.03.2021
Gesellschaft
Wie werden wir Städte nach dieser monumentalen Krise nutzen und erleben? Hier geben Vordenker und Zukunftsforscher frische Impulse für die Zeit nach Corona, inklusive Best Practice-Beispielen.
Wie werden wir Städte nach dieser monumentalen Krise nutzen und erleben? Hier geben Vordenker und Zukunftsforscher frische Impulse für die Post-Corona-Stadt und die Zeit nach Corona, inklusive Best Practice-Beispielen.
„Ohne Plan B ist es das Naheliegendste, zum Status Quo zurückzukehren. Deshalb müssen wir jetzt Zukunftsbilder entwickeln und uns Zukunft zutrauen.“ So beschreibt der deutsche Soziologe Harald Welzer in diesem spannenden Interview die Situation, vor der wir derzeit, mitten in der Covid-Krise, stehen.
Nämlich: uns auf die Welt nach Corona vorzubereiten, um sie mitgestalten zu können. Transformation „by Design“ statt „by Desaster“. Jetzt heißt’s, die „positive Utopiefähigkeit zu forcieren“, wie Welzer es nennt.
Das gilt natürlich auch und ganz besonders für Städte, sind es doch jene gesellschaftlichen Räume, die in diesem ersten Virus-Jahr intensiv von allen ökonomischen, sozialen oder kulturellen Veränderungen getroffen wurden.
Deshalb stellen wir in diesem Text die Frage nach dem Danach und reichen sie gleich an bekannte Trend- und Zukunftsforscher aus dem deutschsprachigen Raum weiter: Wie wird die Pandemie unsere Städte hinterlassen? Was an Gewohntem kehrt nicht wieder? Wo liegen neue Chancen? Und wie können wir sie optimal nutzen?
Corona selbst war höchstens ein Verstärker, meint zum Beispiel Zukunftsforscher Andreas Reiter. Denn: „Die drei wichtigen Treiber, die die Grundstruktur von Städten nachhaltig verändern, wirken schon länger auf sie ein und verändern sie.
Das sind: die digitale Transformation, der Klimawandel und der Strukturwandel.“ Covid habe da lediglich noch mehr Druck auf das bestehende System gebracht.
Nähern wir uns also den Teilbereichen der Städte, die covidbedingt in Zukunft etwas anders ticken könnten. Und zwar:
Viele Firmen lassen bereits ihre Bürositze auf, durch die Homeoffice-Regelung wird zunehmend Remote gearbeitet. Eine Stadt ohne Büros, ist das denkbar? Reiter: „Bei weitem nicht alle Büros werden verschwinden, grobe Schätzungen gehen von 20-30 Prozent aus.
Die Entwicklung gibt es schon länger und einige haben es längst erkannt, dass nicht jeder Mitarbeiter durchgehend einen Büroplatz braucht: Ernst & Young betreibt zum Beispiel schon seit 20 Jahren Desk-Sharing.“
Reiters Grundthese lautet: Büros werden künftig mehr zu Social Hubs, mit Clublounges, Räumen für Kreativ- oder Gruppenarbeit. „Die Menschen werden multilokal arbeiten, auf Homeoffice allein wird und kann es sich nicht beschränken.
Büros werden in einer Mischform funktionieren, als Co-Working-Spaces, wo manche da sind und die anderen sind gerade unterwegs und man mischt sich bewusst mit Mitarbeitern aus anderen Unternehmen.“ Sprich: Das ganze Thema Büro wird adaptiver und situationselastischer funktionieren in Zukunft.
Ähnlich bewertet dies Oona Horx-Strathern vom Zukunftsinstitut und fasst die neue Arbeitswelt im Begriff Neo Work zusammen, der hybride Formen zwischen Büro, HOFFICE (also: Home+Office) und Mobilität forcieren wird – was sich zwangsläufig auf Wohn- und Bürosituationen sowie auf die Verkehrsströme in Städten auswirken wird. Womit wir schon beim nächsten Punkt wären:
Multilokales Arbeiten könnte einen sehr positiven Effekt haben, meint Andreas Reiter: „Die Entzerrung der Hauptverkehrsströme morgens und am frühen Abend, also die Rush-Hour. Pendlerströme in diesen punktuellen Massen wird es viel weniger geben.“
Die Utopie, dass dann alle per Rad unterwegs sein werden, wird nicht halten. Aber konsequentere Schritte in Richtung autofreie Stadt sind zu gehen. In den Städten selbst lässt sich die Mobilität dank technischem Fortschritt noch besser verzahnen.
Reiter: „Es wird mehr on demand passieren, mithilfe von Apps, E-Scootern oder Carsharing etc. Da braucht es kreative Modelle.“
Als gelungenes Beispiel nennt er Augsburg: Ein Mobilitäts-Jahresabo für den öffentlichen Personennahverkehr inkludiert dort eine bestimmte Anzahl an Carsharing-Stunden oder E-Scooter-Kilometern. So ist auch die letzte Meile zum Ziel problemlos möglich.
Wo öffentlicher Verkehr nahtlos möglich ist, wird auch der urbane Raum größer verstanden. Das macht das Umland einer Stadt, weit über den viel zitierten Speckgürtel hinaus, attraktiver. Reiter: „Viel mehr junge Menschen werden ganz aufs Land ziehen, weil man eh Remote arbeiten kann.“
Während der Lockdowns wurde das ja auf breiter Basis erprobt, Umfragen wie jene des Umfrageinstituts Civey im November 2020 ergaben, dass in Deutschland bereits ein Drittel der Stadtbewohner mit dem Gedanken spielt, aufs Land zu ziehen.
Als Vorreiter dieser Entwicklung nennt er Berlin-Brandenburg, „wo man viel Intelligenz massiv ins Umland bringt.“ In Brandenburg gab es nach der Wende viele Leerstände. Die hat man modernisiert und zu Co-Living und Co-Working-Spaces umfunktioniert.
Bürgermeister bieten nun Kreativen günstige Entwicklungsräume, die dann auch in einer kritischen Masse samt ihrer jungen Familie zuziehen. Binnen einer Stunde ist man in Berlin Mitte. „Das bringt einen völlig neuen Spirit aufs Land“, sagt Andreas Reiter.
Sein deutscher Kollege Daniel Dettling geht damit d’accord, wie er in diesem Radiointerview festhält: „Überwiegend überlegen junge Familien, Kreative, Künstler und Startups“ einen Umzug in ländliche Umlandgemeinden. Davon könnten vor allem kleine und mittelgroße Städte zwischen 30.000 und 200.000 Einwohnern profitieren.
Natürlich nur, wenn die Infrastruktur vor Ort – Öffis, Kitas und Schulen, kulturelle Einrichtungen und schnelles Internet – stimmt. Dettling schätzt: „Städte werden dörflicher und grüner, Land wird digitaler und urbaner“.
Ein Konzept zur Verdörflichung von Städten, das der „15 Minuten Stadt“, wird in den Pariser Stadtteilen besonders konsequent verfolgt, sagt Andreas Reiter. Der Anspruch: Jeder Bürger der Stadt soll binnen 15 Minuten definierte essenzielle Orte – Lebensmittelmärkte und Apotheken, aber auch Buchläden beispielsweise – vorfinden.
Nach diesem Konzept werden von der Stadt Leerstände aufgekauft und zu günstigen Bedingungen an die neuen Mieter weitergegeben.
Okay, aber wer wird dann künftig in und nahe den Stadtzentren wohnen? Dettling meint: „Große Städte werden zu Orten von Senioren und Singles, beides wachsende Gruppen. Das hat natürlich Konsequenzen, Stichwort Einsamkeit. Das wird die soziale Frage in den großen Städten.“
Eine Antwort könnten Co-Living-Konzepte sein, die allerdings zwei Dinge verschränken müssen: „Gemeinschaftliches Wohnen jenseits Anonymität, aber ohne sich auf den Keks zu gehen.“
Shoppen als Motiv für einen Innenstadt-Besuch ist nicht erst seit Corona ein Auslaufmodell. „Das veränderte Konsumverhalten vollzieht sich bereits in den Generationen.
Laut der letzten Umfrage des IFH Köln zum Thema Vitale Innenstädte gibt es deutliche Unterschiede zwischen jungen und älteren Konsumenten. Junge zieht weniger das reine Kaufmotiv in die Stadt“, sagt Reiter.
Allerdings entsprächen dem unsere Innenstädte nicht, die ja seit dem Wirtschaftswunder in den 1960er Jahren fast nur entlang der Kauflogik angelegt wurden. Die greife jetzt aber nicht mehr.
Warum geht man also sonst in die Stadt? Reiter: „Schon in den letzten Jahren hat die Gastronomie den stationären Einzelhandel in der Bedeutung verdrängt.“ Es gehe jetzt – und erst recht nach der Pandemie – viel mehr um Socializing in der Stadt.
Zusammenkommen, Gespräche führen, miteinander Zeit verbringen, Sport machen, Projekte planen, gemeinsam essen, feiern. Shoppen ist nur mehr ein Puzzleteil von vielen.
Laut Andreas Reiter mit den 3 K’s: Kommunikation, Konsum, Kultur. Und als einen Hebel, die Stadt von innen heraus zu verjüngen, sieht er die Ansiedelung von Bildungsstätten: „Was spricht dagegen, in der Innenstadt verstreut kleine Campi und Mini-Institute anzusiedeln anstatt einer großen Alma Mater am Stadtrand?
Das könnte auf viele, auch niederschwelligere Bildungsstätten umgemünzt werden, Musikschulen etc.“ Das würde zu einer massiven Belebung der Innenstädte beitragen.
Bochum. Dort wird mitten in der Stadt das „Haus des Wissens“, ein multifunktionaler Hub gebaut, der unter anderem Universitätsinsitute, eine Volkshochschule, eine Markthalle und eine moderne Stadtbibliothek vereint.
Reiter betont: „Überhaupt sind Bibliotheken – wie früher die innerstädtischen Museen – die künftigen Ikonen von Städten. Sie funktionieren jetzt allerdings anders als früher, mit vielen multimedialen Angeboten und als Tech-Spielplatz.“
Migration könne ebenfalls ein Faktor für Verjüngung sein, allerdings: „Auch da zählt Bildung, aber in anderem Zusammenhang. Die Frage ist: Wie gelingt das Bildungs-Upgrading der nächsten Migrantengeneration? Und wie verändert sich dadurch ihr Lebensstil?“
Corona entpuppt sich in den Städten als Turbo einer Entwicklung, die schon lange vor der Krise ihren Ausgang nahm. Angemessene Adaptionen im Hinblick auf Digitalität, Klima- und Strukturwandel standen schon länger auf der To-Do-Liste der Städte. Die Pandemie hat diese Entwicklung massiv beschleunigt.
Zukunftsforscher schätzen, dass Städte „nach Corona“ veränderte Rollen als Nutzungs- und Erlebnisraum spielen werden. Sowohl als Arbeits- als auch als Freizeitort wird das Socializing, das Zusammenkommen mit anderen Menschen in verschiedenen Kontexten, maßgeblich an Bedeutung gewinnen.
Um die Städte – aufgrund der starken Tendenz zur Abwanderung ins Umland – vorm Veröden zu bewahren, gilt es, die Zentren mit jungen Bevölkerungsgruppen zu beleben. Das kann durch einen klugen Mix aus Bildungsangeboten sowie den 3 K’s gelingen – Kommunikation, Konsum, Kultur.
Titelbild: Haus des Wissens in Bochum (c) CROSS Architecture
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