Podcast: Doris Haider und Daniela Krautsack im Gespräch mit Christian Mikunda

10.05.2022
Architektur, Gesellschaft

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Herzlich willkommen beim Podcast von STAMA Austria, dem Dachverband der österreichischen Stadtmarketing-Organisationen. Mein Name ist Doris Haider. Ich bin Vorstandsmitglied bei STAMA Austria und Geschäftsführerin der Stadtmarketing GmbH in St. Valentin. STAMA Austria konnte in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Niederösterreich und dem Stadtmarketing Krems den Stadt-Dramaturgen Christian Mikunda für einen Vortrag in Krems gewinnen.

 

Sechsmal im Jahr trifft sich der Dachverband zu Praxistagen, um den Kompetenzaustausch und Wissenstransfer zwischen Orts- und Stadtmarketingverantwortlichen und somit die Qualität im Stadtmarketing und die Positionierung von Städten sukzessive voranzutreiben.

Eingeladen sind dazu Expertinnen und Experten aus unterschiedlichsten Handlungsfeldern, um mit uns Entwicklungen in Städten zu diskutieren. Neben dem direkten Austausch bei den Praxistagen laden wir diese auch zu einem Gespräch für unseren Podcast.

 

 

Der Dramaturg im Scheinwerferlicht

Christian Mikunda ist Marketingexperte, Autor zahlreicher Bücher, Berater internationaler Unternehmen sowie Kultureinrichtungen, Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten sowie Fachhochschulen und international renommierter Stadt-Dramaturg.

Im Rahmen des Praxistages hier in Krems nutzen Daniela Krautsack, Stadtforscherin und Bloggerin bei Stadtmarketing Austria und ich die Gelegenheit für ein Gespräch mit ihm über die Zukunft und Gestaltbarkeit von Orten. Wir starten gleich mit der ersten Frage:

 

Doris Haider: Herr Mikunda, was verstehen Sie unter der Verschandelung in Orten?

Christian Mikunda: Sie kennen doch sicherlich Inspektor Columbo. Es gibt den sogenannten ‚Columbo-Effekt‘, weil Columbo dafür bekannt ist, dass ihn alle, die versuchen, einen perfekten Mord zu begehen, nicht ernst nehmen.

Er schaut aus wie ein Underdog, er trägt diesen zerknautschten Trenchcoat, der so ausschaut, als ob er ihn seit 30 Jahren nicht mehr ausgezogen hätte. Und deswegen nehmen sie ihn nicht ernst. Und leider findet sich dieser Columbo-Effekt manchmal auch in Städten.

Ich habe vor ein paar Wochen in einer Stadt eine großartige Inszenierung fotografiert und daneben lagen fünf große Müllsäcke. Die stellen den Columbo-Effekt dar. In der Dramaturgie oder in der Psychologie sagen wir, das ist ein sogenannter negativer Cue, ein negatives Hinweissignal. Nichts ist schlimmer, als wenn eine Bühne auf diese Art und Weise behandelt wird.

Denn eine Stadt ist eine Bühne. Eine Bühne, in der man ein gutes Licht setzen muss. Eine Bühne, in der man auch darauf achten muss, dass sie gut behandelt wird. Es ist eine Bühne für Akteure. Und die Akteure sind die Bürger, die in der Stadt wohnen, die auf die Stadt stolz sein wollen. Und die Akteure, das sind auch die Besucher der Stadt, das sind die Touristen, die in die Stadt kommen.

 

Doris Haider: Herr Mikunda, Sie sind ein sehr bekannter Stadt-Dramaturg. Braucht es tatsächlich Drehbücher, um eine Stadt zu inszenieren?

Christian Mikunda: Ich glaube, dass sich die Stadt diese Drehbücher manchmal selber sucht. Wir sind – im Rahmen einer Lernexpedition – gerade durch Krems gegangen und mir ist aufgefallen, dass sich hier überall Wellen finden. Wir sind hier an der Donau und an einer der wenigen großen, alten Städte, die direkt am Fluss liegen.

Ich kann mich erinnern, wie ich in der Sonne gesessen bin und die Wellen von den Schiffen, die vorbeigefahren sind, an das Ufer schwappten. Als ich danach zur Donauuniversität spazierte, habe ich Sitzbänke in Wellenform gesehen.

Ich bin weiter nach Stein gegangen und habe eine kupferfarbene Stele in Wellenform entdeckt. Und plötzlich dachte ich: „Okay, die Stadt hat sich quasi ihren roten Faden selber gesucht.“ Wie die Menschen, die Künstler und Architekten, die daran beteiligt waren.

 

Christian Mikunda
Eine von vielen Wellen in Krems – Foto Christian Mikunda

 

Eine Stadt braucht ein Drehbuch. Eine Stadt braucht vor allem eine Identität. Und dafür sucht man nach dem sogenannten ‚Brain Script‘, dem ‚Drehbuch im Kopf‘. Paris ist die Stadt der Liebe. New York ist die Stadt, die niemals schläft.

Lienz, an dessen Identitätsfindung wir mitgearbeitet haben, ist die Sonnenstadt, weil das Klima so unglaublich angenehm ist und Mitte Februar die Schanigärten eröffnet werden.

Wenn man sagt, eine Stadt braucht ein Drehbuch, bejahe ich das. Das ist keine aufgesetzte Angelegenheit. Man muss in die Stadt hinein hören und zuhören, was die Stadt verlangt und daraus ein professionelles Drehbuch machen.

 

Daniela Krautsack: Da folgt die Frage, ob diese Drehbücher die, sozusagen Städten obliegen, sich über die Zeit verändern? Für mich ist Wien die Stadt der Musik. Ist sie das noch immer?

Christian Mikunda: Ich glaube, ja. Wenn im Sommer – hoffentlich jetzt wieder nach Corona – das Musik- und Opernfilmfestival stattfindet, wo die Opern- und Musikfilme am Rathausplatz gespielt werden und du gehst hinter dem Burgtheater vorbei, hörst du, wie die Musik in der Luft liegt.

Ich habe einmal amerikanische Touristen belauscht, die in dieser Gegend herumgegangen sind. Die dachten, das ist immer so in Wien. Sie meinten: „Das ist eben die Stadt der Musik, ist das nicht großartig?! Überall ist Musik in der Luft!“ Auf die Frage, ob sich die Drehbücher verändern, die Inszenierung verändert: Sie muss immer wieder mal aufgefrischt werden, sie muss immer wieder mal nachjustiert werden.

Wenn man sich Paris und seine Weiterentwicklung in den letzten Jahrzehnten anschaut: Paris war immer die Stadt der großen Boulevards, die Glory-Stadt mit der Erhabenheit, die langen, weiten Straßen. Dann ist Mitterrand gekommen und hat sich gedacht: „Na ja, wir sind zwar immer noch die am meisten besuchte Stadt der Welt, aber wenn wir jetzt nichts tun, dann sind wir es in 20, 30 Jahren nicht mehr.“

Er hat mit einem unglaublichen Masterplan einen Imagekontrast von Alt und Neu in dieses altehrwürdige Paris gebracht. Beim Architekten Ieoh Ming Pei hat er die Glas-Pyramide vor dem Louvre in Auftrag gegeben. Er hat La Défense machen lassen.

Allerdings hat La Défense am Anfang große Probleme gehabt, weil es eine Kälte ausstrahlte und du musst, wenn du eine Stadt baust darauf achten, dass die Vision auch emotional funktioniert. La Défense hat mit seinen Hochhäusern in dem Augenblick funktioniert, als man ein altmodisches Ringelspiel hingestellt hat.

 

Christian Mikunda
Louvre Foto von @LinaVeresk

 

Doris Haider: Ich möchte noch mal ganz kurz zurückkommen zu diesem ‚roten Faden‘. Kann so ein roter Faden auch zufällig entstehen in einer Stadt?

Christian Mikunda: Ich glaube, dass sich die Stadt evolutionär durchsetzt. Es gibt viele Denker und viele Einzelinteressen. Einzelhändler, Architekten, die intuitiv danach suchen. Irgendwann muss jemand kommen und dieses Brain Script definieren.

Ich glaube, eine Stadt muss gemacht werden. Wie Paris, in der ein Masterplan gemacht wurde. Dieser erzählt von der Idee der großen Boulevards. Venedig, die schönste Stadt der Welt hat einen Masterplan und Wien hat auch einen Masterplan gehabt. Die Ringstraße ist nicht zufällig entstanden. Ich glaube, Städte müssen gemacht werden.

Das liegt auch daran, dass wir alle irgendwie Weltmacher sind. Und wir sind dafür verantwortlich, dass die Welt so ausschaut, wie sie ausschaut. Und ich denke, wir sollten eben die Welt, für die wir verantwortlich sind, egal, ob das eine ganze Stadt ist oder ein kleiner Laden, wir sollten die Welt nicht nur ökologisch nachhaltig hinterlassen, sondern auch ästhetisch nachhaltig hinterlassen.

Eine Stadt muss gut gemacht werden. Und sie muss nah an den psychologischen Mechanismen und an dem Seelenleben der Bürger und der Touristen dran sein.

Doris Haider: Glauben Sie, dass Einkaufsstraßen eine gesellschaftliche Funktion für Orte, Städte haben?

Christian Mikunda: Das ist unglaublich wichtig. Einkaufsstraßen gehören zum Phänomen der sogenannten Dritten Orte, das third place Phänomen. Der Begriff ist von Ray Oldenburg, dem amerikanischen Soziologen. Ich habe Ray vor 20 Jahren mal getroffen. Er hat damals gesagt: „Ein Dritter Ort, so wie das Beisl ums Eck, die Kneipe ums Eck darf nicht inszeniert sein, weil sie für alle gleich sein muss.“

Ich habe gesagt: „Ray, so etwas, wie einen nicht inszenierten Ort gibt es gar nicht. So, wie man nicht nicht kommunizieren kann, kann man auch nicht nicht inszenieren. Was du meinst, ist ein Wirt, der dir eben schon das Bier hinstellt, bevor du es bestellt hast, weil er dich kennt. Der ist seine eigene Attraktion.“

Der erste Ort ist die eigene Wohnung, der emotional gut tut, eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts. Der zweite Ort ist der gestaltete, inszenierte Arbeitsplatz, der auch home-away-from-home sein soll. Der ist erst in den 50er, 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden.

Indem man Menschen erlaubt hat, Emotion am Arbeitsplatz auch zu leben und zu erleben, sind sie viel motivierter und produktiver geworden. Dadurch konnte man auch wieder flache Hierarchien einführen. Es war also eine gegenseitige Win-Win Situation.

Die dritten Orte, das sind die halböffentlichen Orte wie klassischerweise die italienische Piazza, wo man nicht nur zum Essen und Trinken hingeht, sondern wo man auch weiß, wie die politischen Intrigen laufen oder wer mit wem ein Verhältnis hat.

Das ist natürlich auch das Beisl ums Eck. Die neuen Dritten Orte, das sind die Flagship Stores, die Concept Stores, die innerstädtischen Malls. Die Shopping Malls sind immer mehr von der grünen Wiese in die Innenstädte gegangen, weil sie eben auch die Funktion eines Dritten Ortes erfüllen.

Und deswegen denke ich, dass eine Einkaufsstraße so gestaltet werden muss, dass es ein gemeinsames Flair, den roten Faden gibt. Den Menschen ist es egal, ob das eine Schuhgeschäft mit dem anderen Schuhgeschäft verfeindet ist oder beide zum selben Konzern gehören.

Die Menschen wollen einen Ort haben, wo sie hingehen, um nicht nur das Eigentliche zu tun, sondern um sich emotional aufzuladen. Das heißt, wenn eine Einkaufsstraße ein Third Place wird, ist das ein wichtiges Element, um ein Heimatgefühl zu erzeugen.

 

Daniela Krautsack: Dieser rote Faden, wer gestaltet den üblicherweise? Braucht jedes Dorf, jede Kleinstadt, jeder größere Ort einen eigenen Stadt-Dramaturgen?

Christian Mikunda: Das ist manchmal der Bürgermeister in einem kleinen Ort. Der ist vielleicht mit einem tollen Innenarchitekten in die Volksschule gegangen. Der macht dann alles für seinen Freund.

Wir beraten seit vielen Jahren das Steirische Vulkanland und die die neue Route 66. An der Route entlang der Bundesstraße 66 gibt es 32 Markenerlebnisorte. Dort gibt es einen starken Bürgermeister, der eine Vision hat. Und dort gibt es einen absoluten Weltklasse-Designer und Innenarchitekten, Andreas Stern, der ursprünglich ein Florist war.

An der Route 66 siehst du alle paar 100 Meter eine neue Ortstafel, die keinen Ort ankündigt, sondern ein Kunstwerk. Man nennt das in der Dramaturgie ‚Art Priming‘, also eine ästhetische Vorinszenierung für die Straßen und für das alles, was es dort gibt.

Mein Lieblingsbild ist das Ortsschild „Liebe“. Dann fährt man mit dem Auto weiter und 30 Meter später steht noch einmal „Liebe“, leider durchgestrichen, weil die Liebe hat nicht lang genug gehalten.

 

Die Liebe kommt und geht – Fotocredit: Vulkanland/Fend

 

Daniela Krautsack: Jetzt hören wir oft, dass der Wille da ist, solche Installationen zu machen, aber oft scheitert es am Budget. Braucht es die großen Summen oder könnte man auch mit kleinen Budgets arbeiten?

Christian Mikunda: Ich sage meinen Studenten immer: „Geld spielt überhaupt keine Rolle.“ Wenn man in New York auf der Fifth Avenue eine Inszenierung machen möchte, über die die ganze Welt spricht, braucht man vielleicht mehr Budget. Aber ich sage meinen Studenten immer: „Die psychologische Präzision ist wichtiger als das große Geld.“

Wir sind heute bei einem Trachtengeschäft vorbeigekommen, bei dem links und rechts ein Trachtengewand auf einem Baumstamm drappiert wurde. Dann geht plötzlich die Tür auf und die Besitzerin kommt raus. Sie hat genau so ein Dirndl an und war ihre eigene großartige Inszenierung.

Wir haben mit ihr geplaudert und sie sagte: „Ich mache solche Sachen, seitdem ich 15 bin“. Intuition kann eine großartige Form von Meisterschaft hervorbringen. Es braucht nicht immer den Star-Architekten.

 

Doris Haider: Sie haben heute viel von Innenstädten und von Einkaufszentren erzählt. Was können denn die Innenstädte von den Einkaufszentren oder vom Handel lernen?

Christian Mikunda: Also diese Frage mag auf den ersten Blick vielleicht verwirren oder beschämen. Aber tatsächlich ist es ja so, dass die Einkaufszentren als urbaner Klon der Innenstädte gedacht waren.

Erfunden von Victor von Gruen, österreichischer Architekt, der nach Amerika ausgewandert ist und der die allererste Shopping Mall der Welt gebaut hat. Die amerikanische Shopping Mall ist also eine wienerische Erfindung, eine österreichische Erfindung. Er wollte die Urbanität der Innenstadt von Wien in Amerika auf die grüne Wiese bringen. Das war seine Idee, Urbanität hinzubringen mit Achsen.

Er hat den amerikanischen Architekten immer erzählt, die Loops, also die Rundwege in den Malls, seien entstanden, weil er an die Ringstraße gedacht hat. Die Innenstädte waren früher auch so gemacht. Im Mittelalter gab es eine Straße der Goldschmiede, der Handwerker, der Fleischhauer usw. Die Innenstädte waren immer schon ‚gemacht‘, es gab Stadttore und vieles andere mehr.

Die Innenstädte müssen heute wieder von den Shopping Malls lernen, denn die Shopping Malls haben ein Mall Design, eine gut gemachte Shopping Mall wird von – im Wesentlichen – zwei Teams gemacht. Ein Team macht die Architektur, die können Außenarchitektur machen, und ein Team macht das Mall Design.

Das sind oft Dramaturgen, Leute wie wir oder Architekten, die sich darauf spezialisiert haben. Und die Shopping Malls haben das ganz gut hinbekommen, denke ich. Aber jetzt ist wieder der Zeitpunkt gekommen, dass wir für die Einkaufsstraßen wieder lernen, wie man einen gemeinsamen roten Faden herstellt. Wie man Flair schafft.

Und das passiert nicht von alleine, sondern es braucht Leute mit Visionen. Und dann werden auch die Einkaufsstraßen wieder zu starken Third Places werden.

 

Doris Haider: Glauben Sie, dass Luxus-Shopping schneller, höher, weiter, noch modern ist? Hat uns die Pandemie da in eine andere Richtung gelenkt?

Christian Mikunda: Ich denke, dass Luxus-Shopping noch nie so wirklich modern war. Und was man heute sieht, ist, dass sich der Luxusbereich und das schneller, höher, weiter in den letzten Jahren dramatisch geändert hat. Denn ganz plötzlich haben die großen Luxusmarken wie Louis Vuitton, Dior oder Fendi angefangen mit Ästhetik, mit Kunstwerken, mit sogenanntem Art Priming zu arbeiten.

Zum Beispiel bei Fendi in Paris, da steht eine Skulptur vom berühmten Bildhauer Tony Cragg, die schaut aus wie ein Tornado. Du schaust entlang der Skulptur nach oben; Über dir hängen die Kleider und die Mäntel von Fendi. Die Skulptur unten bringt dir bei, die Ware oben auch mit einem skulpturalen Blick anzuschauen. Denn das ist auch ein ‚piece of art‘ da oben.

Jeden Schuh, den wir anhaben, hat einmal jemand gezeichnet. Irgendjemand hat ihn gebaut, hat den allerersten Schuh, der so ausschauen soll, bevor er in Serie geht, gebaut. Jedes Auto wird zuerst aus Lehm modelliert. Bis zum heutigen Zeitpunkt werden diese Autos nicht nur im Computer designt, sondern auch aus Lehm modelliert und gebaut.

Also haptisch. Die Automobilbauer sagen: „Ich will es spüren. Das gehört zur Erotik der Karosserie dazu, dass man das Auto auch spüren kann.“

Art Priming ist eine Inszenierung, die dazu da ist, die kulturelle Dimension der wahren Welt hervorzukitzeln. Dasselbe gilt auch für Städte, denn Art Priming ist im öffentlichen Raum weltweit immer mehr und intensiver zu sehen; nicht nur in New York und Tokio und Seoul, sondern auch im Vulkanland und in Feldbach.

Es ist ein großartiges emotionales Geschenk für Bürger und Touristen. So gesehen hat das Luxus-Shopping etwas Gutes in die Welt gebracht.

 

Daniela Krautsack: Wir haben heute viel über die verschiedenen Hochgefühle erfahren. Glory, chill und power. Sie haben viele Beispiele aus großen Städten gebracht. Jetzt sind wir hier in einer relativ kleinen Stadt. Würden Sie sagen, dass es eine bestimmte Zuordnung von Hochgefühlen zu kleineren Städten gibt?

Christian Mikunda: Eine große Stadt zieht natürlich eher Glory an, also das Hochgefühl der Erhabenheit, weil einfach Platz dafür ist. Eine große Stadt wie Paris oder Wien zieht Glory an. Kleine Städte, die in Österreich historisch gewachsen sind, wie hier Krems, haben viel alten Stein, der eine Power-Stadt ausmacht.

Früher hat man vielleicht einfach nur Glory oder Power als Hochgefühl gehabt. Heute wissen Stadtmarketingleute, dass du solche schweren Gefühle mit Buntheit und Joy brechen musst.

In Krems sehen wir gerade bunte Blumenkugeln, die über der unteren und oberen Landstraße schweben und den fantastischen Joy, den Freudentaumel machen – als Kontrast zur Schwere des Pflasters, das unter einem ist. Dramaturgie im öffentlichen Raum gibt es überall auf der Welt. Man muss nur, glaube ich, den Blick dafür haben.

 

Christian Mikunda
Ein Symbol des Hochgefühls JOY ist die Blumenkugel – Foto Daniela Krautsack

 

Daniela Krautsack: Sie haben uns heute viel über Hypnoästhetik erzählt. Sie meinten, die braucht man, um ein Instagram-Fotomotiv in jeder Stadt zu haben. Können Sie uns Beispiele nennen, die Sie am meisten fasziniert haben?

Christian Mikunda: Ja. Ich liebe die 10.000 weißen LED-Rosen, die die berühmte Architektin Zaha Hadid in Seoul in Südkorea gemacht hat. Am Abend gehen diese weißen Rosen an. Die sind nicht am Stromnetz, sondern werden von der Sonne untertags aufgeladen.

Am Abend beginnen diese 10.000 Rosen zu leuchten. Es ist ein unglaublich poetischer, lyrischer Augenblick, wenn diese Rosen angehen, die Liebespaare nehmen sich in den Arm, du siehst und hörst den Verkehr nicht mehr, der rund um das Museum donnert.

Das ist alles weg. Und ganz plötzlich hast du ein Gefühl, dass das Leben wieder lebenswert ist. Ein großartiges Design, ein sogenanntes Art Priming, also eine Vorinszenierung für das Museum.

Viele Elemente der modernen Kunst haben einen kleinen Tabubruch. Und ich habe gerade in Lissabon gearbeitet. Dort steht am ehemaligen Weltausstellungsgelände ein riesiger bunter Luchs, eine Figur, die aus buntem Müll besteht. Der schaut auf dich runter und du denkst dir gleich: „Hoffentlich schnappt er nicht zu.“

Das ist wie bei Hitchcocks Vögeln, wo man Angst hat vor den Tieren. Der Luchs ist einfach ein unglaublich wunderbares Element, das als Art Priming, aber zugleich auch Destabilisierung, kontrollierte Verwirrung wirkt, wie ein kleiner Spritzer kalten Wassers, der dich weckt.

 

Luchs aus Müll, Lissabon – Foto Christian Mikunda

 

Ich habe vorhin mit einem Stadtmarketing-Manager aus Haag gesprochen. Dort gibt es ein großartiges Theater am Hauptplatz mit einer Tribüne, die fast wichtiger ist als die Bühne. Die Tribüne ist die Show.

Die Tribüne ist zweistöckig, soweit ich mich erinnere, knallrot, und es schaut so aus, als ob die Tribüne gerade aufstehen würde und sich nach vorne legt. Ein unglaublicher Effekt. Da reißt es einen so richtig. Ein destabilisierendes Element.

 

Trance-Inszenierung

Und dann gibt es Trance Elemente überall im Stadtmarketing. Alles ist eben hypnoästhetisch suggestiv.

Der beste Ort dafür ist im Moment wahrscheinlich London, wo es am Trafalgar Square drei Reiter-Denkmäler gibt, und auf dem vierten Sockel ist kein Pferd drauf und auch kein Reiter. Alle paar Monate wird ein neues Kunstwerk auf diesen Sockel gestellt. Die berühmte Bildhauerin aus Düsseldorf, Katharina Fritsch, hat einen 12 Meter hohen quietschblauen Hahn draufgestellt.

Die Frage war: Was hat der Hahn da oben zu suchen? Die Antwort war: Es gibt keinen Grund für den Hahn. Du sollst davor stehen, sollst ihn mit großen Augen anschauen und den Blick nicht davon abwenden können. Es ist eine Trance-Inszenierung.

 

Der Fritsch Hahn am vierten Pfeiler des Trafalgar Square – Foto Christian Mikunda

 

Doris Haider: Ich bedanke mich ganz herzlich. Sie haben den ganzen Tag mit uns verbracht. Das war ein sehr inspirierender Tag für uns alle. Daniela und ich sagen gemeinsam Dankeschön. Wir schicken in die Welt love and peace.

 

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