So gelingt Partizipation im Grätzel
16.08.2017
Gesellschaft
16.08.2017
Gesellschaft
Partizipation im Grätzel stärkt die Identität eines Stadtteils und bietet seinen BewohnerInnen die Chance, Verantwortung für Themen zu übernehmen, die sie selbst betreffen. Das Grätzel als lokalpolitisch kleinste Ebene stellt daher nicht nur eine räumliche Komponente dar, sondern bestimmt auch „das Lokale“ als Bezugspunkt innerhalb einer Stadt. Die Unterscheidung zu benachbarten Gemeinden erfolgt meist „intuitiv“ auf Basis eines eigenen Lebensgefühls und schafft dadurch Identität wie auch Lebensqualität.
Ein lebendiges Grätzel zeichnet sich dadurch aus, dass es seinen BewohnerInnen nicht egal ist, was dort passiert. Es wird diskutiert und aktiv im Sinne der Gemeinschaft gehandelt. Das schafft nicht nur Lebensqualität, sondern auch intelligente Lösungen. Zudem liegt es in der menschlichen Natur, dass Maßnahmen besser und nachhaltiger mitgetragen werden, wenn BewohnerInnen nicht nur konsumieren, sondern aktiv mitgestalten können.
Projekte, die Nachbarschaften betreffen, sollten daher vom Prinzip der Partizipation getragen sein. Denn Menschen wollen nicht als „Betroffene“ gesehen werden, sondern als Beteiligte, die mitreden, mitentscheiden und mitgestalten können. Nur so werden die vielfältigen Interessen im Grätzel wirklich berücksichtigt und auf eine Weise gestaltet, dass sich alle BewohnerInnen repräsentiert fühlen. Allerdings sind lokale Initiativen nicht automatisch mit Partizipation gleichzusetzen.
„Wenn eine Gruppe mehr Parkplätze fordert, liegt das im Interesse der Autofahrer im Bezirk. Partizipation würde heißen, dass alle Betroffenen ihre Anliegen einbringen und gemeinsam diskutieren – nicht dass die Stadt lediglich mehr Plätze bereitstellt. Einzelne Initiativen sind noch keine partizipativen Projekte“, erläutert Stadtsoziologien Mara Verlic.
Der Begriff „Partizipation“ meint Teilhabe, Beteiligung, Mitwirkung, Mitbestimmung. Partizipation ist somit ein sehr umfassender Begriff, der verschiedene Formen von Beteiligung in unterschiedlichen Bereichen und auf unterschiedlichen Ebenen erfasst.
Je nach Einflussmöglichkeit der BewohnerInnen erstreckt sich die Bandbreite partizipativer Beteiligungsprozesse von schlichter Information über Mitbestimmung und Mitreden bis hin zur Selbstorganisation im Sinne einer aktiven Planung und Umsetzung. Letztlich wird erst auf der Ebene der Selbstorganisation echte Partizipation im Grätzel möglich.
Bei komplexen Projekten bleibt die Partizipation häufig auf dem Level der Information stehen bzw. spielt sich auf der Ebene des Mitredens ab, etwa bei einer Platzgestaltung oder Parkgestaltung. Projekte, die Selbstorganisation möglich machen, sind daher meist solche, die aufgrund ihres Bezugs zu Stadtteilen oder Grätzeln eine gute Anknüpfbarkeit an die Umsetzung ermöglichen.
Wie Bürgerbeteiligung erfolgreich funktionieren kann, zeigt das nonconform ideenwerkstatt® Beteiligungsmodell. „Unser Erfolgsrezept ist es, zuhören zu können und im richtigen Moment die richtigen Dinge neu zu verknüpfen. Wir verbringen drei Tage vor Ort mit den beteiligten Menschen, um mit unterschiedlichen Programmen, kurzweilig und spannend, die Zukunft zu entwickeln“, so Roland Gruber, Mitbegründer von nonconform.
Die Ideen werden über intensive Aktivitäten und eine Internet-Plattform generiert und daraus durch Filterung und Verknüpfung drei Lösungsansätze entwickelt. Nach Präsentation und Diskussion der verschiedenen Lösungskonzepte kommt es zur Entscheidung. Damit Ideen nicht verloren gehen, hält zusätzlich ein umfassendes Protokoll alle Ergebnisse fest. Mehr dazu und weitere Beispiele zum Thema Beteiliungsprozesse finden Sie in unserem Beitrag „Partizipative Beteiigungsprozesse„.
© Ursula Maier-Rabler/Christiana Hartwig: ePartizipation – Jugend aktiv. Salzburg: ICT&S Center.
Ein sehr schönes Beispiel für selbstorganisierte Partizipation im Grätzel ist das Projekt living grätzel. Ziel der Initiative ist es, Orte im Grätzel aus einer neuen Perspektive erleben zu können. Mit dem „Social Pop Up“ soll die gemeinsame Gestaltung und Weiterentwicklung eines Grätzels angestoßen werden.
Pop Up Möbel, Kreidetafel, Sitzgruppe, Kinderparcour, Fotowand und vieles mehr ermöglichen es, öffentliche Räume im Handumdrehen zu einem Ort für Gespräche, Kreativität, Spielen, Tauschen, Essen, Gestalten, Garteln oder digitale Vernetzung umzuwandeln.
BewohnerInnen können sich die einzelnen Elemente des living grätzel ausborgen und damit rasch und unkompliziert einen Platz zu neuem Leben erwecken. Die temporäre Umgestaltung eröffnet den Ort für lokale Partizipation und kreative Zusammenarbeit – eine aktiv gelebte Nachbarschaft und nachhaltige Veränderungen wird damit angeregt.
Konkrete Umsetzungsszenarien wurden etwa im Rahmen des Stadtlos- Workshops von Dialog Plus mit Raumplanungsstudierenden der TU Wien ausgearbeitet. In drei Arbeitsgruppen entstanden eine „Schmökermatratze“, eine Graffiti Wand mit dem Namen „Kurbelkunst“ wie auch ein Tanzraum.
Foto: Flickr, stadtlos Workshop, Peter Kühnberger, CC by 2.0
Ein Erfolgsbeispiel für basisdemokratisch organisierte Nachbarschaftsinitiativen ist der Lendwirbel in Graz. Der Lendwirbel bezeichnet eine soziale Bewegung, die ursprünglich innerhalb einer kleinen Gruppe von Kreativen entstand, die im 4. Grazer Bezirk Lend und angrenzenden Stadtteilen leben und arbeiten. Mittlerweile hat sich daraus ein starkes soziales Netzwerk in Graz entwickelt. Es finden das ganze Jahr über offene Netzwerktreffen statt, wo jeder kommen und mitmachen kann.
Musik, Diskurse, Symposien, künstlerische Projekte, Kunst im öffentlichen Raum und soziokulturelle Aktivitäten finden in diesem Rahmen statt. Seit 2007 wurden bereits hunderte Projekte umgesetzt und damit nachhaltige Veränderungen im Stadtteil initiiert.
Alljährlich im Mai tritt der Lendwirbel im Zuge des Lendwirbelfestes mit viel Dynamik nach außen. Konzerte, Performance-Kunst, Diskussionsrunden und vieles mehr gibt es zu sehen und zu erleben. Das Fest ist Ausdruck des allgemeinen Anliegens, den öffentlichen Raum gemeinsam zu nutzen, um positive Impulse für das Zusammenleben zu setzen. Die Vorbereitung und Umsetzung des Stadtteilfestes findet in erster Linie über Vernetzungstreffen und freiwilliges Engagement statt.
„Der Lendwirbel ist nicht nur ein Festival, manche sagen, der Lendwirbel ist ein Zustand“, erzählt Citymanager Heimo Maieritsch. „Er ist ein sehr schönes Beispiel einer selbstorganisierten und demokratischen Aktion, die die Kreativszene und die Menschen, die dort leben und arbeiten, gemeinsam konzipieren. Für mich als Citymanager von Graz ist der Lendwirbel eine Aktivität, mit der ich sehr viel Freude habe. Es ist ein starkes Zeichen, dass ein ganzes Stadtviertel mit vielen kreativen Ideen ein richtiges Signal gibt.“
Das Lendwirbelfest 2017 stand unter dem Motto „offlend“, denn das Kernteam des Lendwirbels entschied sich ganz bewusst, offline zu gehen. Dabei war es nicht nur ein zentrales Anliegen, die Onlinepräsenz zu verringern, sondern vor allem wollte man gegen die damit verbundene Anonymität ankämpfen. Statt gesichtslosem E-Mail-Schriftverkehr stand wieder der persönliche Kontakt im „püro“ im Vordergrund. Der Lendwirbel sei schließlich ein Nachbarschaftsfest und solle darum seinen kleinen, gemütlichen und persönlichen Charakter beibehalten.
Foto: INFOGRAZ.at, CC BY-NC-ND 2.0 AT
In den letzten Jahren hat das Thema partizipative Stadtentwicklung stark an Bedeutung gewonnen. Es wurden daher vermehrt auch digitale Partizipationsstrukturen und crossmediale Partizipationsangebote (Offline und Online) geschaffen, um die aktive Beteiligung von BürgerInnen, insbesondere auch im Bereich der Jugendarbeit, zu fördern.
Peter Kühnberger von Dialog Plus unterscheidet aktuell grundsätzlich drei wesentliche Kategorien digitaler Beteiligungskultur:
Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Formate, die in dieser Systematik nicht einordenbar sind, wie beispielsweise die laufenden e-Partizipationsformate der Agenda 21, die starken Fokus auf den Bezirk und das Grätzel legen.
Ein sehr gut umgesetztes Beispiel ist die crossmediale Umsetzung der Agenda 21 in der Josefstadt. Betreut wird der Partizipationsprozess von Dialog Plus in einer Arbeitsgemeinschaft mit den Büros komobile und stadtland sowie der TU Wien. Ziel ist es, medienübergreifend Ideen aus der Bevölkerung zu sammeln und Menschen durch die Schaffung von Vernetzungsmöglichkeiten für die nachhaltige Bezirks- und Grätzelentwicklung zu aktivieren.
Die konkrete Umsetzung erfolgt über die „Lange Tafel der Ideen” und die damit in Verbindung stehende Online-Ideenplattform. Bei der langen Tafel handelt es sich um eine aus Holz und Recycling-Material erstellte Tafel, die mit dem Lastenrad von Standort zu Standort durch die Josefstadt reist und Ideenbeiträge sammelt.
Diese Ideen werden dann – wie auch die online eingebrachten – auf der Online-Ideenplattform zugänglich gemacht und können dort kommentiert wie auch unterstützt werden. Jeder, der an einer Gruppe zur Umsetzung einer bestimmten Idee mitwirken möchte, kann über die Plattform direkt in Kontakt treten. Auf diese Weise sind zahlreiche Projekte entstanden – von Sharecamps, Grätzelgarten und Geh-Cafés bis hin zu Vernetzungspicknicks und Grätzlstuben.
In Zeiten der digitalen Vernetzung bieten sich erweiterte Möglichkeiten, um Partizipation auch auf die Ebene des Grätzels erfolgreich umzusetzen. Die Heterogenität der Teilnehmenden wird in optimaler Weise durch die Bearbeitung unterschiedlicher Kommunikationskanäle wie beispielsweise über Vorort-Aktionen, Soziale Medien oder E-Partizipationsplattformen hergestellt. Ein klarer Gestaltungsspielraum, die Vielfalt der Beteiligten, ein professioneller Rahmen sowie eine nachvollziehbare Rechenschaft sichern die Qualität von Partizipationsprojekten.
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