Nutzen einer Kulturhauptstadt am Beispiel 2024
05.08.2024
Kultur
05.08.2024
Kultur
Der heurige Europäische Kulturhauptstadt „Bad Ischl -Salzkammergut“, die 23 Orte in der Steiermark und Oberösterreich verbindet, hat Halbzeit und eine nach eigenen Angaben erfolgreiche Zahlenbilanz gelegt. Bis zur nächsten Europäischen Kulturhauptstadt sind es noch einige Jahre. Frühestens 2034 könnte Österreich wieder an die Reihe kommen, bis 2033 sind schließlich alle Austragungsländer definiert. Wie bei Olympia geht der eigentlichen Bewerbung eine jahrelange interne Diskussion voran, ob sich eine Stadt überhaupt zur Wahl stellen soll. Welchen Nutzen eine Kulturhauptstadt langfristig hat.
Wer also mit dem Gedanken spielt sich für die nächste Runde ins Rennen zu werfen, tut gut daran von aktuellen Beispielen bzw. Analysen wie dieser hier zu lernen. Auch wenn der langfristige Impact sich erst nach Jahren zeigt, ist das Ziel die Veränderung der Innen- und Außenwahrnehmung einer Region – wir sind in diesem Blogbeitrag auf Spurensuche gegangen.
Die eigentliche Motivation Europäische Kulturhauptstadt (ECoC) zu werden muss sein, durch Kultur der Stadtentwicklung neue Impulse zu geben. Wobei, wie in diesem Jahr, KulturhauptSTADT auch eine Region sein kann.
Aber natürlich geht es bei dem ganzen Aufwand auch – fair enough – darum, die eigene Stadt oder Region international bekannt zu machen und den Tourismus zu stärken. Auch ist es eine gute Möglichkeit zusätzliches Geld für Investitionen in die Region zu holen. Wobei aus der EU der geringste Teil kommt. Die EU fördert jede Kulturhauptstadt mit einer Anschubinvestition von 1,5 Millionen Euro, die restliche Finanzierung ist über Bundes, -Länder- und Regionalbudgets aufzustellen.
Die Erfahrung aus drei Jahrzehnten des Programms zeigt, dass der langfristige Nutzen eines Kulturhauptstadtjahres stark von den jeweiligen Standortfaktoren sowie der Planung und Durchführung abhängt. Es kann in Verbindung mit Infrastrukturinvestitionen ein Katalysator für den Strukturwandel oder die langfristige Regionalentwicklung sein, was die Lebensbedingungen vor Ort verbessert. Das Europäische Parlament hat in einer Studie „Erfolgsstrategien und langfristigen Auswirkungen“ einer ECoC untersuchen lassen.
Das sind ToDos, die in jedem kleinen Einmaleins des Veranstaltungsmanagements stehen und eigentlich Selbstverständlichkeiten sein müssten. Ein Blick in die Vergangenheit bisheriger Kulturhauptstädte zeigt jedoch, dass man selbst an diesen Basics trefflich scheitern kann. Lesenswert in der Auseinandersetzung sind daher auch die nachträglichen Evaluierungen der einzelnen Städte. Bis 2019 wurde dies durch die Europäische Kommission organisiert, seitdem sind es eigenständige Berichte.
Um die Chancen einer ECoC in der eigenen Region wirksam werden lassen zu können, muss man es also echt ernst meinen. Europäische Kulturhauptstadt zu sein bedeutet nicht die Kirsche auf der Sahne in einer eh schon gut laufenden Region. Sondern, die maximale Auseinandersetzung – im Idealfall Irritation – mit dem eigenen Sein und gewohnten Selbstverständlichkeiten. Das Eigene mit dem Fremden zusammenzubringen, Neues zuzulassen und neue Allianzen zu schmieden – gern auch abseits der eigenen Bubble.
Das Salzkammergut hat sich nie wirklich Sorgen um seine Besucherzahlen machen müssen. Vor knapp 150 Jahren entwickelte sich die Region durch die Sommerfrische von Adeligen, Herrschaftshäusern und Künstlern – sie alle haben ihre architektonischen und künstlerischen Spuren hinterlassen.
Heute kommen Touristen aus aller Welt, um genau diese „Hinterlassenschaften“ und die Landschaft mit ihren Menschen und Traditionen zu erleben. Entsprechend intensiv werden diese Themen durch den Tourismus bewirtschaftet. Das Engagement geht so weit, dass einem bei einem Besuch das Gefühl beschleichen konnte, man trauere dem guten alten Kaiserreich in der Region noch immer nach.
Keine gute Basis um sich zukunftsgewandt, urban und weltoffen zu zeigen. Wie einfach oder schwierig ist es also hier ein Konzept zu erstellen, das vereint und Neues entwickelt? Das den Herausforderungen der Europäischen Kommission, die den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ verleiht gerecht wird?
23 Gemeinden, ein holpriger Start durch den Wechsel der Intendanz und eine Vielzahl an Begehrlichkeiten ließen im Vorfeld Zweifel aufkommen. Auch über die Budgetierung gab es im Vorfeld einige politische Querelen. Als Budget steht der Region rund 30 Millionen Euro zur Verfügung, wie die Zahlen der kaufmännische Direktorin Manuela Reichert zeigen:
Das aktuelle Budget der Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH beträgt EUR 30,8 Mio. Davon geht die Hälfte, rund 15,6 Millionen EUR in das künstlerische Budget, 7 Milionen Euro in die Personalkosten, 3,6 Millionen Euro ins Marketing und der Rest in allgemeine Verwaltungskosten.
„Grundsätzlich“, so Direktorin Reichert, „besteht die Firma seit Oktober 2020. Die Gelder werden deshalb für den Förderzeitraum von Oktober 2020 bis Dezember 2025 verbraucht. Die meisten Kosten fallen im Jahr 2024 an. Das Budget wurde gemeinsam zwischen kaufmännischer und künstlerischer Geschäftsführung erarbeitet und im Aufsichtsrat unserer GmbH beschlossen.“
Die 30 Millionen reihen sich im unteren Drittel der Kulturhauptstadtbudgets ein. Chemnitz, die deutsche Titelstadt 2025, hat immerhin rund 90 Millionen zur Verfügung. Wenngleich, die Budgets in den letzten eher gesunken sind, da große bauliche Investitionen wie seinerzeit das Kunsthaus in Graz – die Stadt in der Steiermark hatte vor über 20 Jahren bereits 60 Millionen zu Verfügung – nicht mehr so häufig im Rahmen einer ECoC realisiert werden.
Die gemeldeten touristischen Zahlen stimmen positiv. In der Bannerstadt Bad Ischl konnte seit dem Start der Kulturhauptstadt eine Steigerung der Ankunftszahlen in Höhe von 36 % und Nächtigungszahlen in der Höhe von 21 % verzeichnet werden. Die gesamte Kulturhauptstadt-Region konnte bei den Ankunftszahlen in der Höhe von 8 % und bei den Nächtigungszahlen in der Höhe von knapp 5 % erreichen. Ähnliche Zahlen gelten für die umliegende Region, die sich nicht beteiligt hat, sie konnte ebenfalls sehr von der Kulturhauptstadt profitiert – wirtschaftliche Umsätze nicht mit eingerechnet.
Spannend bleibt, ob die Steigerung der Nächtigungen abschließend als positiv oder negativ gewertet werden. Schließlich setzt sich die Kulturhauptstadt auch intensiv mit dem Thema des „Overtourism“ auseinander. Also der Frage, wann ist zu viel und wie könnte ein sinnvolles Maß an Gästen in der Region aussehen? Die ECoC wäre also das beste Fallbeispiel, um das schon mal zu üben.
Egal ob zu viel oder zu wenig Gäste, bis dato fand das Programm auch medial ein breites Echo. Seit der Eröffnung haben Medienvertreter aus Österreich und 16 weiteren Ländern von Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien über Slowenien, Kroatien, Ungarn, Slowakei, Tschechien, Polen, Estland, Lettland bis Australien, China und Singapur die Salzkammergutregion besucht.
Die Inhaltlichen Schwerpunkte konzentrieren sich auf vier Themen und sind mit Projekten für Schulen, regionale Vereine und Museen verknüpft, um mit internationalen Künstlern und neuen Wegen den historischen Orten Möglichkeiten der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart zu ermöglichen. Die Schwerpunkte sind:
Große Leuchttürme sind – auch aufgrund des Budgets – nicht im Programm enthalten. Die künstlerische Leitung Elisabeth Schweeger legt Wert darauf, dass es einen Mehrwert hat, wenn viele Projekte mit heimischen Künstlern umgesetzt – anstatt teuer eingekauft – werden.
Immerhin 85% der Programmpunkte werden mit heimischen Kunstschaffenden umgesetzt, , so Schweeger in einem Interview. „Es wird nicht alles allen gefallen, aber für jeden etwas dabei sein“, sagte sie bei der Eröffnungskonferenz. Zu dem was nicht gefallen könnte, zählen in der auf positive Geschichten fixierten Tourismusregion die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus, dem bereits genannten Overtourism und ja, auch den dunklen Flecken im Leben des Kaisers. Denn immerhin hat sich Franz Joseph I. in In Bad Ischl im Sommer 1914 für den Waffengang entschieden.
Die Besucher scheint’s mehr zu freuen denn zu stören. Über 220.000 Menschen haben bisher die Veranstaltungen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 in diesem halben Jahr besucht. Hinzu kommen noch weitere 32.000 Besucher von Veranstaltungen aus den Vorjahren. „Mit Stichtag 30. Juni wurden rund 130 Projekte, die im Programmbuch vorgestellt wurden, umgesetzt.
Erfreulich ist, dass alle unsere bisherigen performativen Eigenveranstaltungen mit Eintritt ausverkauft waren und auch alle bereits eröffneten Ausstellungen sehr gut angelaufen sind,“ so die künstlerische Leitung Elisabeth Schweeger.
Noch ist es viel zu früh, um sagen zu können, ob sich der Aufwand gelohnt hat. Am Ende des Jahres sieht man zwar, ob das Projekt erfolgreich abgewickelt wurde, ob die Idee aber inhaltlich erfolgreich war, weiß man erst in ein paar Jahren, wenn man rückblickend feststellen kann, die Region hat sich in relevanten Punkten verändert und verfügt über ein neues und breiteres Selbstverständnis.
Auf operativer Ebene freut sich die künstlerische Leiterin Elisabeth Schweeger jedenfalls, dass „Insgesamt 827 teilnehmende Künstler, Wissenschaftler und Experten aus der Region, aus Österreich und international sowie unzählige aktive Mitglieder aus regionalen Traditionsvereinen (Gesang und Musik, Tanz, Handwerk, Glöckler und Prangerschützen etc.) sowie Menschen aus den verschiedenen Bevölkerungsgruppen an der Umsetzung von Projekten in der ersten Jahreshälfte beteiligt sind.“
Das Lehartheater in Bad Ischl, das neue KunstQuartier Gmunden, die Erhebung von leerstehenden Gebäuden die für kulturelle Nutzung geeignet sind, Straßen- und Platzbenennungen nach großartigen Frauen stellen nur ein paar Beispiele dar, was erstmal bleiben wird.
Die Politik glaubt an die verändernde Kraft der Kulturhauptstadt: „Die Kulturhauptstadt 2024 bringt großes Potential. Lohnend und nachhaltig prägend wird der interkulturelle Austausch, das befruchtende Miteinander verschiedener Länder, Kulturen und Religionen sein. Ein Projekt des Friedens, das gerade in Zeiten wie diesen ein wichtiges Zeichen ist,“ meint Stefan Krapf, Bürgermeister von Gmunden.
Eine Europäische Kulturhauptstadt zu sein bedeutet nicht, Projektmanagement zu können. Das ist vielmehr Grundvoraussetzung. Die Herausforderung ist die Formulierung jener Themen, die in der Region dringend bearbeitet werden müssen und für die die Sprache von Kunst und Kultur ein Medium sein kann.
Dieser Prozess ist nicht immer leicht. Im Vorfeld rappelte es daher ziemlich im Karton der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl – Salzkammergut. Nicht wenige fanden das Programm wahlweise zu elitär oder zu wenig spitz – die bisherigen Zahlen deuten darauf hin, dass es beim Publikum zumindest ankommt.
Die Frage, ob die Kulturhauptstadt nach diesem Jahr ein neues Selbstverständnis hat, ob zukunftsfähige Allianzen geschmiedet wurden und ob der Kaiser nun endlich Ruhe findet in der Kapuzinergruft, wird die Zukunft weisen.
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