Nachnutzung von leerstehenden Flächen: Ein Status-Quo

16.10.2018
Wirtschaft

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Innenstädte und Ortskerne haben eine Schlüsselrolle für Stadt und Land. Belebte Straßenzüge und Ortskerne steigern die Lebensqualität, machen Städte attraktiver und kurbeln die Wirtschaft an. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung innerhalb städtischer Strukturen ist aber einem ständigen Wandel ausgesetzt.

Durch Veränderungen in der Arbeit und den Rückgang von industriellen und handwerklichen Einrichtungen verlieren Produktionsstätten oft ihre ursprüngliche Nutzung. Der Verlust der eigentlichen Funktion eines Gebäudes bietet den Städten aber auch Chancen.

Die Revitalisierung von Gebäuden mit einem besonderen historischen Kontext fördert die Identitätsfindung oder auch die Neu-Identifizierung der BewohnerInnen mit ihrer Stadt. Die Wiedernutzung eines leerstehenden Gebäudes und der Erhalt von wertvoller Bausubstanz füllt Lücken in der Stadt mit neuem Leben.

Die Umnutzung von brachliegenden Produktionsstätten kann wachsender Abwanderung entgegenwirken. Durch vielfältige Möglichkeiten, die durch die Innovation zukunftsfähiger Wohn- und Arbeitsformen entstehen, wird durch die Revitalisierung alter Leerstände eine heterogene Stadtkultur gefördert und ein positiver Beitrag zum sozialräumlichen Klima geschaffen.

Warum ist das wichtig?

Viele Dörfer, Gemeinden und kleinere Städte in Österreich sterben beinahe aus, weil die BewohnerInnen in größere Städte oder nach Wien abwandern. Dadurch sinken die Einnahmen der Gemeinden und die Infrastruktur und Lebensqualität der BewohnerInnen leidet. Die Verantwortlichen in diesen Orten sind häufig ratlos, wie sie dieser Problematik entgegenwirken sollen.

StadtplanerInnen und ArchitektInnen, wie die von nonconform erläutern die Problematik in Leerstandskonferenzen. Mitte Oktober fand so eine Konferenz im deutschen Luckenwalde (Brandenburg) statt, deren Ziel es war, IdeengeberInnen, InitiatorInnen und ProjektumsetzerInnen zusammenzubringen, zu aktivieren und über Lösungsansätze nachzudenken.

Neue Eigentümer für einen leeren Vierkanthof

Vor fünf Jahren ist die Grafik-Designerin Julia Paaß mit ihrem Mann von Berlin nach Brandenburg gezogen. Sie hatte keine andere Wahl, denn in Neukölln hat sie keine größere und bezahlbare Wohnung mehr gefunden. Für sich, ihren Mann und das Kind, das beide planten. 256 Menschen leben im Dorf. Es könnten bald mehr sein.

Mit Gleichgesinnten aus Berlin will Julia Paaß den Gutshof von Prädikow zu einem „Leuchtturmprojekt“ entwickeln. Das entspannte Landleben wollen die neuen BewohnerInnen mit den Möglichkeiten der modernen, digitalen Arbeit koppeln. Auf dem Gutshof soll es einen Hofladen geben, Gewerbe, Werkstätten, Büro- und Seminarräume, einen Kindergarten und eine Hofschule, eine Dorfscheune und betreutes Wohnen.

Autos teilen sich die BewohnerInnen mit ihren Nachbarn. Etwa hundert Menschen könnten bald auf Gut Prädikow leben und arbeiten. „Das ist die Zukunft des Landlebens“, sagt Julia Paaß.

Die neuen BewohnerInnen arbeiten in der Kreativwirtschaft und im Management; KünstlerInnen, DesignerInnen und ProgrammiererInnen gehören dazu. Sie brauchen keine festen Büros in der Stadt, nur ein stabiles Internet. Die Neuen aus Berlin wollen keine Pendler sein und nicht nur schöne Wochenenden auf dem Land verbringen. Sie wollen als Gemeinschaft leben, nicht als Kommune.

Die Konklusio der Leerstandskonferenz: Es geht darum, Leerstand sichtbar zu machen, z.B. über online und offline Plattformen, die das ermöglichen. Und es gilt, Bürokratiehürden zu minimieren, damit innovativen Ideen nicht durch Überregulierung die Strahlkraft genommen wird. City ManagerInnen werden sich zunehmend bemühen, unterschiedliche Stakeholder miteinander zu vernetzen.

Welche anderen Strategien werden entwickelt, um die Nutzung von leerstehenden Gebäuden und Innenstadtquartieren wieder funktionstüchtig machen?

Die Nachnutzung als Hotel

Das funktioniere nicht überall, meinten ImmobilienexpertInnen. Man sähe den Erfolg eher an toptouristischen Standorten sowie in guten Mikro-Lagen, wie etwa in Wohnvierteln von Städten.

Das Wiener Grätzlhotel, ein Projekt der Urbanauts Hospitality Group bietet an mehreren Standorten in Wien individuelle Suiten in ehemaligen Geschäftslokalen an. ‚Schlafen mitten im Geschehen’ nennen JournalistInnen diese Art der Übernachtung in Geschäftslokalen liebevoll.

Die Nachnutzung als Restaurant

Eine gastronomische Nachnutzung kann dort erfolgreich sein, wo ein entsprechender Bedarf gegeben ist. Auf eine 2.000-Einwohner-Gemeinde mit fehlender Laufkundschaft lassen sich innovative Restaurant-Konzepte eher nicht umlegen.

Es ist die Hartnäckigkeit von Kreativen und Geschäftstreibenden, die auch Projekte in kleineren Gemeinden zum Erfolg küren. „Kochtheater“ nennt sich ein Projekt, das der Haubenkoch Stefan Csar vom südburgenländischen Restaurant „Die Ratschen“ und Küchendesigner Martin Schuster in Oberwart ins Leben gerufen haben.

Das „Kochtheater“ ist kein Lokal sondern ein Schauraum für Küchen. Die Idee dazu hatte Küchendesigner und -planer Martin Schuster. Die Zielgruppe seien kulinarisch interessierte Menschen. „Jeder, der wissen möchten, wo meine Produkte herkommen und wie man damit tolle Gerichte zaubern kann, kommt zu uns“, so Schuster.

Die Nachnutzung als Pop-up Store

Pop-up Stores bieten die Möglichkeit, Produktinnovationen zu testen und neue Markenerlebnisse zu schaffen. Ziel sind einzigartige Offline-Erlebnisse, die über das bloße Konsumieren hinausgehen und Begegnung, Inspiration und Live-Erlebnisse von Produkten ermöglichen. Aber auch Pop-up Stores sind auf eine gewisse Frequenz angewiesen.

Das Spannende an Pop-up Geschäften: Sie haben die Fähigkeit zur Trenderkennung und dienen als Indikator für Veränderungen einer Stadt und ihrer Handelsimmobilien. Auf Basis regelmäßig erhobener empirischer Daten kann der tatsächliche Nutzwert einer Immobilie erfasst und – theoretisch der optimale Mieter gefunden werden.

Pop-up Geschäfte brauchen ein klar definiertes Ziel, ein Start- und End-Datum, eine fest umrissene Zielgruppe und sie ermöglichen eine Erfolgsauswertung. Wie viele BesucherInnen hat der Store angezogen? Wie viel wurde zusätzlich umgesetzt – online oder vor Ort?

Brach liegende Flächen könnten in Wohnraum umgewandelt werden. Doch Patentrezepte für Leerstand gibt es nicht. Weder für Einzelhandelsflächen noch für Produktionsstätten. Man muss sich das jeweilige Objekt standortbezogen einzeln anschauen und sich fragen, welche alternativen Nutzungsmöglichkeiten funktionieren könnten, sagt Heimo Maieritsch, City Manager von Graz.

„Wir appellieren einfach an die Kreativität der UnternehmerInnen und die Flexibilität aller anderen Stakeholder, wie Vermieter oder Verwaltungen.“

Die Nachnutzung als Co-Working Space

Schauplatz Linz. Die Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien zur Nachnutzung des Industrieareals der ehemaligen Tabakfabrik, die Erfahrungen aus der Zwischennutzungsphase und die Expertenmeinungen international renommierter ArchitektInnen und Urbanistik-ForscherInnen sprachen schließlich für die Schaffung eines neuen Landmarks in Linz.

Es sollte Wahrzeichen sowohl Anziehungspunkt und Scharnier zum aufstrebenden Linzer Hafenviertel sein.

Eine Lösung fand sich folglich in der Nachnutzung der Tabakfabrik Linz als Co-Working Space. So erhielten vielversprechende Start-ups dieser Tage einen Arbeitsplatz mit eigener Produktionsstraße: die Strada del Start-up. Entlang einer 230 Meter langen Indoor-Promenade im berühmten Bauhaus-Stil entstanden in den historischen Säulenhallen flexibel mietbare Büro- und Werkstatträume für junge Unternehmen.

Es sollen neue Geschäftsmodelle von Morgen rund um disruptive Themen wie Artificial Intelligence, Blockchain, Cryptocurrencies, Voice Recognition, Growth Hacking, Work’n’Life, Space Mining, IOT, Chatbots, Digital Media Marketing entstehen.

Gleichzeitig versorgt die Straße der Start-ups ihre BewohnerInnen mit Services, die für innovative Unternehmen maßgeschneidert sind – vom Mentor über den Maschinenpark bis zum Meet-up mit InvestorInnen. Wie erfolgreich dieses Nachnutzungskonzept ist, wird sich in den nächsten Jahren weisen.

Wie sieht die Nachnutzung von leeren Innenstadtflächen der Zukunft aus?

Werden ehemalige Buchläden in Showrooms umgebaut, die eines Tages von Flotten schillernder Roboter bestückt sind? Roboter, die mit Hilfe eingebauter Technologie zur Gesichtserkennung sogar jedes Verkaufsgespräch an die aktuelle Stimmung oder Onlinepräferenz einer Person anpassen?

Wird es sprachaktivierte persönliche AssistentInnen geben, die die Verfügbarkeit, Farbe und Passform jedes Kleidungsstücks auf ihr Smartphone herunterladen? 3D-Druckstationen? Keine Kassen beim Verlassen? Könnte es sogar schwebende, holographische Produktanzeigen in der Werkstatt geben, die sich ändern, wenn ein Kunde vorbeikommt?

Vielleicht werden EinkäuferInnen in diesen ‚Erlebnisbuden’ nur gustieren, ihre Einkäufe aber primär von zu Hause aus tätigen, indem sie virtuelle Umkleidekabinen über Virtual-Reality-Headsets nutzen. Drohnen werden dann Lieferungen im Hinterhof oder auf der Terrasse der KundInnen fallen lassen.

So phantasiereich diese Neuerungen klingen mögen, keine ist hypothetisch. Alle existieren, werden getestet und könnten in weniger als einem Jahrzehnt ausgerollt werden. Aber diese Art von Shopping-Erlebnis, ist es das, was nur Tech-Nerds, oder bald alle KundInnen wollen?

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Leere Shopauslagen sind kein Aushängeschild für die Stadt (c) Sven Brandsma auf Unsplash

 

Der Heilige Gral für den Handel

Omnichannel-ExpertInnen sind überzeugt, dass das Geheimnis des Erfolgs im Handel in einer Art ‚digitaler Empathie’ liegt. Diejenigen, die Technologie und die verfügbaren Daten ihrer KundInnen verwenden, um maßgeschneiderte Einkaufserlebnisse zu kreieren, die die Wünsche und Bedürfnisse dieser KundInnen erkennen, werden schließlich erfolgreich sein.

Oder anders ausgedrückt: Diese Geschäfte werden überleben.

Bis es soweit ist: Was muss man jungen Leuten anbieten, damit sie wieder ins Zentrum der Stadt ziehen?

„Spannende Gastronomie, ungewöhnlichere und kreative Dienstleistungen, die von den Leuten gebraucht werden. Man muss sich wohlfühlen, kurze Wege haben, wissen, wo der Kindergarten und die Schule sind, wo der nächste Arzt ist und wo ich meine Freizeit mit den Kindern verbringen kann. Und wo ich meinen Fahrradanhänger für die Kids hinstellen kann.“ sagt Heimo Maieritsch.

 

Die Rückkehr des Entdeckens

Von der Anforderung ‚Erlebnisse‘ im Handel zu schaffen, sprechen ExpertInnen und Medien seit vielen Jahren. Vielleicht ermöglicht in Form eines Musikgeschäftes, in dem von Geschäftsöffnung bis Geschäftsschluss Instrumente gespielt werden. So lernen Kinder Instrumente kennen. Im Halbstundentakt.

Von 9:00-9:30 Uhr das Waldhorn, von 9:30-10:00 Uhr die Harfe, danach die Posaune, das Klavier und so weiter. Mein 4-jähriger Sohn liebt Kontrabässe und wie es der Zufall will, gibt es in unserer Nachbarschaft ein Geschäftslokal mit Kontrabass-Werkstatt, die ein Showroom für Musikbegeisterte ist.

Mein Sohn drückt sich seit einem Jahr die Nase am Schaufenster platt. Es ist ein Genuss, den jungen Herren im Geschäft beim Feilen und liebevollen Hantieren mit den wunderschönen Instrumenten zuzusehen.

 

Der Erzähl-Shop

Vielleicht wird aber auch Storytelling der Shopping-Magnet der Zukunft. Wie beim Erzähl-Shop von Christoph Busch in Hamburg. Dem war der leere Kiosk in der U-Bahn-Station „Emilienstraße“ in Hamburg-Eimsbütte schon länger aufgefallen.

Er sah den Kiosk und kam schließlich auf die Idee, in diesem Kiosk mitten auf dem Bahnsteig einen schriftstellerischen Platz einzunehmen. Also mietete er den Shop und hörte sich Geschichten von Menschen an, die auf die U-Bahn warteten. Es entstand ein „Erzähl-Kiosk“.

Wie wichtig ist es, die Bevölkerung in Nachnutzungs-Prozesse miteinzubeziehen?

„Ich glaube, es liegt an der Bereitschaft – wenn man solche Prozesse moderiert – dass man auf Sachen hört, die man nicht hören will. Wir leben in unseren Blasen, auch als Organisator solcher Runden. Daher ist es wichtig, dass man sich offen und sensibel die Bedürfnisse aller Stakeholder anhört.

Vor allem muss man schauen, dass alle zu Wort kommen, auch die leisen und nicht nur immer die üblichen Verdächtigen, die zu jeder Veranstaltung kommen.“ sagt Heimo Maieritsch.

Wir danken DI Wojciech Czaja (Journalist, Buchautor, Moderator Architektur, Stadtkultur und Immobilienwirtschaft), der die Leerstandskonferenz in Luckenwalde moderierte und Beiträge für diesen Blog beisteuerte.

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Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren. Daniela Krautsack ist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.

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