Wie wir Mobilität in Städten künftig leben können – und müssen
07.12.2021
Gesellschaft, Trends
07.12.2021
Gesellschaft, Trends
Seit Jahrzehnten wurde die Gefahr des Klimawandels vernachlässigt und verschlafen. Jetzt gilt es, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die schlimmsten Entwicklungen noch rechtzeitig auszubremsen. Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ist die eine große Baustelle, die wir im großen Stil zu bewältigen haben. Doch auch der Verkehr und die damit verbundene Mobilität in Städten verlangt nach neuen Konzepten. Wir zeigen, wie die Verkehrstransformation auch in Ihrer Stadt gelingen kann.
Mit gut gemeinten Vorzeige-Projekten kommen wir jetzt nicht mehr weit: Einzelne „Baustellen“, die dem Klimawandel Rechnung tragen, haben bestenfalls kosmetischen Charakter für die Stadt, doch sie führen keine nachhaltige Veränderung herbei. Was es jetzt braucht, sind umfassende Gesamtkonzepte, damit die Mobilitätswende gelingt und das Schlimmste noch verhindert werden kann.
Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift „Science“ zeigt, dass ein heute geborenes Kind in seinem Leben aufgrund des Klimawandels im Schnitt viel mehr Extremwetter erleben, als ein 1960 geborener Erdenbürger erlebt haben wird. Laut Prognose werden die Erwachsenen von morgen doppelt so viele Waldbrände, dreimal so viele Überschwemmungen und Ernteausfälle und siebenmal so viele Hitzewellen erleben. Dieses Szenario zeigt sich, wenn Länder ihre derzeitigen Strategien zur Reduzierung von Treibhausgasen beibehalten.
Klimaschutz darf für Entscheidungsträger also kein Blümchenthema mehr sein, sofern Entscheidungsträgern nicht nur ihre eigene Zukunft, sondern auch die ihrer Nachkommen und aller Menschen, die auf der Erde leben, ein Anliegen ist. Wegschauen bringt jetzt niemanden mehr weiter. Wer als Entscheidungsträger jetzt wegschaut, trägt vielmehr dazu bei, dass die Katastrophe sich realisieren wird. Und dann ist es zu spät.
Bei der Mobilitätswende müssen die Städte die Vorreiter sein. Der Trend geht weg vom Privat-Auto hin zu „Mobility as a Service“ mit Nutzung von unterschiedlichen Angeboten von klassischen Öffis über Taxi-Diensten bis hin zu Sharing-Angeboten, die auf E-Mobilität basieren.
Was können Sie also hinsichtlich der Mobilität in Ihrer Stadt tun, damit der Klimaschutz die Priorität bekommt, die jetzt dringend notwendig ist – und die Mobilitätswende gelingen kann? Zunächst einmal sind einzelne Maßnahmen zu wenig. Was es jetzt braucht, sind Gesamtkonzepte und Masterpläne, die sofort umgesetzt werden.
„Da in Österreich z.B. nur rund zehn Prozent der Pkw der privaten Haushalte gleichzeitig genutzt werden, besteht ein großes Potenzial, dass derselbe Mobilitätsbedarf durch mehr Sharing mit deutlich weniger Pkw bewältigt werden kann. Wodurch wiederum Platz frei wird, der für andere Zwecke umgenutzt werden kann“, sagt Michael Schwendinger, Verantwortlicher für Mobilitätssicherung und Ökonomie beim VCÖ.
Europaweit setzen Vorreiter-Städte auf die Umnutzung von Parkplätzen und Fahrbahnen, die Förderung von Gehen und Radfahren sowie auf den Öffentlichen Verkehr. „Städte müssen vor dem Jahr 2050 klimaneutral werden, damit die Klimaziele österreichweit eingehalten werden können“, sagt Michael Schwendinger. „Für die Mobilitätswende sind die Ausgangsbedingungen in Städten gut und zahlreiche Beispiele zeigen, dass klimaverträgliche Mobilität nicht nur die Verkehrssituation in Städten verbessert, sondern auch Lebensqualität und Gesundheit.“
Faktoren wie die hohe Bevölkerungsdichte, die Verfügbarkeit unterschiedlicher Transportmittel sowie das Potenzial für kurze Wege – Stichwort „Die 15 Minuten-Stadt“ – bieten gute Ausgangsbedingungen für innovative und effiziente Verkehrslösungen. Die Idee dazu stammt von Prof. Carlos Moreno von der Sorbonne in Paris. In der Stadt der kurzen Wege soll es den Bewohnern möglich sein, innerhalb kürzester Zeit zur Arbeitsstätte, Wohnung und Freizeitmöglichkeiten zu gelangen. Dabei sollte das Fahrrad eines der Hauptverkehrsträger sein.
Neue Sharingangebote oder Taxi- Dienste ermöglichen flexible, individuelle Mobilität. Das ist die Antwort auf den Trend, dass die Bedeutung des Autos in den Städten bereits seit einigen Jahren abnimmt. In Wien kamen im Jahr 2018 auf 1.000 Einwohnende 374 Pkw, im Jahr 2005 waren es noch 403 Pkw. Zürich und Berlin haben bereits mehr als 50 Prozent der Haushalte autofrei.
In Wien sind 42 Prozent der Haushalte autofrei, in Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck kommt jeder dritte Haushalt ohne Auto aus. Obwohl die Wiener Bevölkerung nur 29 Prozent ihrer Alltagswege mit dem Pkw zurücklegen, macht der Anteil der Kfz-Fahrbahnen an der gesamten Verkehrsfläche 67 Prozent aus. „Jetzt ist es entscheidend, die Infrastruktur in Einklang mit diesen Entwicklungen und mit den Klimazielen zu bringen“, sagt Michael Schwendinger.
Wenn unterschiedliche Maßnahmen dafür sorgen, dass weniger Autos in den Innenstädten sind, gilt es, die Parkplatzflächen rückzubauen und sinnvoll zu nützen. „Die Erfahrung zeigt, dass zu viele freie Parkplätze wieder dazu führen, dass Menschen vermehrt das Auto nützen, um in die Innenstädte zu gelangen“, so Schwendiger.
Alternative Nutzungen, die zugleich die Lebensqualität in Städten heben, ist etwa die Umwandlung von Parkplätzen in Grünflächen oder verkehrsberuhigte Zonen. „Spielgelegenheiten für Kinder oder auch Bänke können hier klare Statements für die neue Nutzung setzen“, so Schwendinger.
Weitere vorbildhafte Mobilitätsprojekte aus Österreich finden Sie hier.
Elektroautos sind lokal emissionsfrei und gelten als alternativer Antrieb, der für die Energiewende und den Klimaschutz im Verkehr eine zentrale Bedeutung einnimmt. Soll der Individualverkehr in Österreich die Klimaschutzziele für den Sektor 2030 einhalten und bis zum Jahr 2050 weitestgehend klimaneutral sein, dann müssen Elektrofahrzeuge bereits im Jahr 2030 mehr als die Hälfte der Neuzulassungen ausmachen.
„Derzeit liegen wir bei einem Anteil von 1,5 Prozent an der Gesamtzahl des Fahrzeugbestands“, sagt Andreas Reinhardt, Vorsitzender des Bundesverband Elektromobilität Österreich (BEÖ). „Die zentrale Voraussetzung für mehr E-Autos auf Europas Straßen ist eine flächendeckende Ladeinfrastruktur – sowohl eine öffentlich zugängliche als auch Lademöglichkeiten im privaten Wohnbereich beziehungsweise am Arbeitsplatz.“
Eine weitere Herausforderung für die Marktentwicklung sind die Anschaffungskosten eines Elektroautos. Derzeit sind E-Fahrzeuge immer noch teurer als vergleichbare Verbrenner-Fahrzeuge – und das trotz Förderungen bei Kauf eines Neuwagens. „Die dritte Herausforderung sehen wir als BEÖ darin, dass auch Fuhrparks im öffentlichen und gewerblichen Bereich in den nächsten Jahren auf elektrisch umgestellt werden müssen“, sagt Reinhardt.
Zum einen gilt es die öffentliche Ladeinfrastruktur – nicht nur in Österreich – sondern in ganz Europa weiter auszubauen. Immerhin stieg die Zahl der Ladepunkte in der EU von 34.000 im Jahr 2014 auf bislang 250.000. „Dies ist jedoch deutlich weniger als jene 440.000, von denen ursprünglich die Rede war“, sagt Andreas Reinhardt weiter. „Um das 2025-Ziel des EU Green Deals von einer Million Ladestellen in Europa doch noch zu erreichen, müssten ab sofort jährlich 150.000 Ladestationen dazukommen. Das sind 3.000 pro Woche.“
Ein wichtiges Etappenziel beim Ausbau von privater Ladeinfrastruktur wurde in Österreich, auch dank der Arbeit des BEÖ mittlerweile erreicht. „Eine kürzlich im Ministerrat beschlossene Novelle zum Wohnungseigentumsgesetz (WEG) soll ab Jänner 2022 Erleichterungen beim Einbau von Ladestationen in Mehrfamilienhäusern bringen“, sagt Andreas Reinhardt. Oder anders gesagt: E-Ladestationen in Mehrparteienhäusern werden künftig viel einfacher zu errichten sein. Weil man nicht mehr die aktive Zustimmung von allen Miteigentümern braucht.
Maßgeblich wird künftig auch eine intelligente Umsetzung von Sharing-Modellen sein. Entscheidend ist eine effiziente Verschränkung der Verkehrsmodelle und Verkehrsmittel wie öffentlicher Verkehr, Carsharing, E-Bikes oder Elektroscootern.
In Linz und Graz wird dies beispielsweise mit den tim-Stationen umgesetzt. An tim-Mobilitätsknoten treffen mehrere alternative Verkehrsmittel aufeinander. Etwa stationäres (e-)Carsharing oder Anruf-Sammel-Taxis (AST).
Auch Ladestationen für private e-Autos befinden sich an diesen Hubs, die wiederum in der Nähe von den öffentlichen Verkehrsmitteln gelegen sind. In Wien war Mo.point ein Vorreiter für Shared Mobility-Angebote in Regionen.
Eine Erhebung aus Bremen etwa zeigt, dass ein Carsharing-Auto dort 16 Privat-PKW ersetzt. Bremen ist bereits als Fahrradstadt bekannt. Mit einem Anteil an rund 25 Prozent Fahrradverkehr und rund 25 Prozent Fußgängerverkehr spielen Autos neben dem öffentlichen Verkehr nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.
„In Deutschland wird ein Auto weniger als eine Stunde pro Tag genützt“, sagt Michael Glotz-Richter, Referent Nachhaltige Mobilität in der Stadt Bremen. „Daher ist die Frage, wie wir mit der Ressource Auto effizienter umgehen können.
Carsharing liefert darauf wichtige Antworten. Es ist eine wunderbare Ergänzung zum Fuß-, Rad und öffentlichen Verkehr. Einen eigenen PKW zu besitzen, ist mit einer Gesamtstrategie nicht mehr notwendig.“
Seit 2003 heißen die großen Mobilitätsstationen in Bremen „Mobilpunkt“. Die kleineren Stationen mit 2-3 E-Autos werden „Mobilpünktchen“ genannt. „Diese Namensgebung sorgt für Schmunzeln und Sympathie, womit uns ein wesentliches Ziel in der Bewusstseinsbildung gelungen ist“, sagt Michael Glotz-Richter weiter.
Ebenso wurden in der Stadt Bremen zwei innerstädtische Fahrradmodellquartiere eingerichtet. Eines davon ist die erste Fahrradzone in Deutschland. Diese Quartiere zeichnen sich auch durch ein besonders gut erschlossenes Fahrradnetz sowie durch viele Fahrradabstellplätze aus.
„Unser Ziel ist, auch in der Peripherie drei Prozent Fahrradanteil zu erlangen“, so Glotz-Richter. Für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen werden Spezialräder zur Verfügung gestellt, in denen man auch einen Rollstuhl einklinken kann.
Im Zentrum selbst gibt es bereits jetzt spezielle Fahrradstraßen, in denen Autos nichts verloren haben.
Entscheidend dabei sei, auch das Image der neuen Mobilitätsformen zu heben. Während das Fahrrad für die einen das Transportmittel armer Leute sei, so ist es für die anderen das Fortbewegungsmittel Nummer 1 für sportliche Menschen, „die etwas auf sich halten“. „Hier können Städte auch gezielt Bewusstsein schaffen“, sagt Glotz-Richter. Er erzählt von einer Plakatkampagne aus Osnabrück, in der es hieß: „Willst du einen Knackarsch, such dir einen Radler!“. Wirkt? Wirkt!
Einen umfassenden Beitrag für die richtige Planung des Radverkehrs finden Sie in diesem Blogartikel.
Radfahrer sind zudem für Innenstädte eine hochinteressante Kunden-Zielgruppe. Sie erleben im Vergleich zu Autofahrern das Einkaufen in der City als weniger aufwändig und kommen deshalb häufiger.
Wie fahrradfreundliche Städte profitieren, lesen Sie hier.
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