Lust auf Licht

11.12.2018
Kultur

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Licht fasziniert den Menschen seit jeher. Das Bedürfnis nach der ganz großen Inszenierung wird immer größer, vor allem, wenn sich diese mit technischen Mitteln in Szene setzen lässt.

Der Eiffelturm war nach seiner Eröffnung 1889 erst mal mit Gaslaternen beleuchtet. Auf der Spitze des Turms befanden sich Leuchtprojektoren, die die Farben der Trikolore in den nächtlichen Himmel von Paris warfen. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurden tausende elektrische Glühbirnen an den Außenseiten des Pariser Wahrzeichens montiert, um die Umrisse der Stahlkonstruktion in der Nacht sichtbar zu machen.

Lichterfeste symbolisieren Feiertage

Wenn die Tage kürzer werden, werden Balkone und Straßenzüge mit bunten Lichtern und Projektionen in Szene gesetzt. In der Vorweihnachtszeit finden rund um den Globus viele Lichterfeste statt, die ihren Ursprung in religiösen Laternenumzügen finden.

Der erste dieser Art fand laut Kirchengeschichte einem Mann zu Ehren statt, der einem frierenden Bettler seinen Mantel gab. Man nannte ihn den Heiligen Martin und zog in Gedenken an ihn am 11. November mit Lampions durch die Straßen.

Auch in anderen Religionsgemeinschaften werden Feste mit Lichtern gefeiert. Das jüdische Chanukka heißt übersetzt Lichterfest. Hier wird ein achtarmiger Leuchter jeden Tag um ein Lämpchen heller, während der Tradition nach alle Arbeiten ruhen sollen.

Der Wert für das Stadtmarketing

In den letzten Jahren hat sich der Trend hin zu großen Lichtinstallationen und Projektionen entwickelt. Primär sollen sie dafür sorgen, dass die Bewohner und Besucher der Stadt trotz früh einsetzender Dunkelheit und mitunter kaltem und nassem Wetter mal wieder einen Fuß vor die Tür setzen.

Allen diesen modernen Feste ist gemein, dass Unternehmen und Künstler sich zusammentun, um besondere Gebäude und Plätze der Stadt in ein besonderes Licht zu hüllen. Zelebriert wird die Schönheit der architektonischen Sehenswürdigkeiten. Bewohner und Touristen bekommen einen ‚attraktiven’ Blick auf die Stadt geboten.

Vom Lampionträger zum Lichtjunkie

Die Fähigkeit, Objekte unter Strom zu setzen, ist aber Chance und Plage zugleich, sagt Michael Batz, deutscher Autor, Dramaturg, Regisseur und Lichtkünstler in Hamburg.

Batz, zum Thema “Licht” als Gestaltungselement befragt, erläutert: Womit hat denn die Beleuchtung von Städten begonnen? Das war ein Befreiungsprogramm von den Zwängen, den Naturzyklen. Damit man nachts nicht mehr nur bei Kerzenlicht zu Hause hockt, wollte man die Funktionen des Tages in die Nacht erweitern. Licht ist zu einem permanenten Zustand geworden, an den sich unsere Sinne bei Tag und Nacht gewöhnt haben.“

Licht ist ein Reizstoff

Batz meint, dass der Gewöhnungsfaktor von Licht aber auch bedeute, dass man immer mehr davon haben wolle. Wir sind alle Lichtjunkies, sagt er. Bei den Lichtfesten spüre man diese Lust auf Licht deutlich. In dunklen Städten auch das starke Bedürfnis danach.

Licht ist ein Reizstoff. Die Qualität des Lichts spielt leider oft keine Rolle. „Es muss nur ‚viel’ sein“, seufzt Batz und führt aus: „Diese Häufung von seriellen und aufgehängten Figuren, Lichterketten und Schriftzügen, das nimmt in der Quantität zu. Da werden Installationen auf Installationen gehäuft und im Wettbewerb ist alles eher in der Masse zu finden und nicht in der Reduktion“.

Alles neu oder altbewährt?

Winterbeleuchtungen sind kostenintensiv. Braucht die Stadt immer mehr an Licht und immer ‘etwas Neues’? Batz meint dazu: „Ich glaube, es sind die alten ästhetischen Grundsätze zu befragen. Wie setze ich etwas in einem Museum in Szene? Indem ich 30 Bilder an eine Wand hänge oder nur eines?“ Nicht die Häufung, sondern die Reduktion sei wichtig, denn die ermögliche das ‚Besondere’.

Nachtlicht – Design unter der Lupe

Die anerkannte Lichtexpertin Leni Schwendinger, Creative Director bei Nighttimedesign antwortet auf die Frage, wie viel Licht in der Dunkelheit in Städten benötigt wird so: „Das ist die große Kontroverse. Es gibt einen globalen Dialog über Beleuchtungsstandards in Bezug auf Helligkeit. Wir müssen uns mit den CO2-Emissionen und dem Energieverbrauch befassen, aber auch auf lebenswichtige Aspekte, wie Wohlbefinden achten.

Hier geht`s zum Video.

Wir untersuchen die Wirkung von ‚Nachtzeit’-Design auf den Menschen. Es wirkt sich positiv auf die öffentliche Gesundheit aus, das haben viele Studien bewiesen. Beleuchtete Straßen verlängern die Gehzeiten, erhöhen die Anzahl sozialer Begegnungen und stimulieren die Wirtschaftstätigkeit durch Kultur- und Einzelhandelsangebote nach Einbruch der Dunkelheit.

Das allgemeine Wohlbefinden verbessere sich nachhaltig, wie auch das Sicherheitsgefühl in der Gemeinschaft durch die Verringerung der Kriminalität.“

Gesundheitsschädigende Lichtverschmutzung

Andererseits warnt uns die Wissenschaft, dass die Verschmutzung von natürlichem Licht durch künstliches den Menschen bedroht. Für eine nachhaltige Gesundheit brauche es ein gewisses Maß an Dunkelheit. Der Mensch produziert durch zu viel künstliche Helligkeit weniger Melatonin, das für einen gesunden Schlaf essentiell ist.

In der Nacht hell erleuchtete Städte tragen dazu bei, dass weniger von dem Hormon produziert wird, das den Tag-Nacht-Rhythmus des menschlichen Körpers steuert. Schwendinger rät zu Licht-Steuerungssystemen, die Energie sparen, indem das Licht ein- und ausgeschalten oder gedimmt werden kann.

Sie rät zur Einführung von Richtlinien für unterschiedliche Beleuchtungsszenarien öffentlicher Beleuchtung – dort heller, wo es um die private Sicherheit geht, andernorts dimmbar, wo Beleuchtung weniger benötigt wird. Die Steuerung der Beleuchtung sei eines unserer besten Werkzeuge für Nachhaltigkeit.

Dunkelheit nicht vertreiben

Obgleich die Marketing-Organisationen von Städten großes Interesse an Winterbeleuchtungsinszenierungen zeigen, warnt die Wissenschaft vor zunehmender Lichtverschmutzung und falschem Vertreibungsengagement der Dunkelheit. Batz addiert: „Die Dunkelheit terroristisch wegzuleuchten, ist falsch. Die Dunkelheit ist als Rohstoff zu begreifen. Bei der Gestaltung von Lichtdesign gilt es mehr mit Liebe zu arbeiten als mit Lampen.“

Eine Stadt kenntlich zu machen, in ihren Strukturen oder aber auch in ihrem Imaginationspotential, das ist wichtig. Das bedeutet aber auch, dass Plätze, Häuser, Wände, Gehsteige und Brücken nicht ausgeleuchtet sind. „Lichtarbeit ist immer unvollendet. Es ist immer eine Aktivität. Licht stiftet Ästhetik, stiftet Sichtbarkeit und auch eine Form des Begreifens der Welt.”

Der Einsatz von digitalem Licht

Lichtkunst ist heute eigentlich Computerkunst, erklärt Batz. Das Licht wird digitaler. Für die Zunahme von Licht im Raum reichen Plätze oft nicht mehr aus. Weil der Himmel keine Projektionsfläche bietet, schwirren Drohnen mit Lichtpixel über die Stadt. Die Inszenierungen werden größer und die Größe im Raum wird zum entscheidenden Kriterium.

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Es kommt auf die gute Story an

Wenn Lichtfeste nur groß, technisch eindrucksvoll, digital und teuer sind, stellt sich dadurch nur die Macht der großen Geldgeber dar. „Bei dieser Form der Marketingpräsentation fehlt die Story. Da bleibt beim Betrachter nichts hängen“, sagt Batz.

Sein Rat: Wenn es um eine Marketingstory geht, die mit Licht klug und charmant gemacht wird und zum Ort, zur Zeit und zum Thema des Events passt, sei das in Ordnung. Wenn die Inszenierung aber nur die finanzielle Potenz unterstreicht, sei das Geld falsch investiert. Wie überall kommt es auf die gute Story an.

Ist Licht eigentlich politisch?

Batz bejaht. Im Blick auf Frankreich und die Demonstrationen der Gelbwesten zeige sich Licht als politisches Instrument in der Form brennender Barrikaden. Ein starkes Zeichen setzte 2015 auch die Stadt Lyon. Das weltweit bekannte Lichtfestival wurde aufgrund von Sicherheitsbedenken, die durch die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris ausgelöst wurden, abgesagt.

Guerilla-Lichtkünstler, wie die Wiener Künstlerin Starsky, verwenden Licht wie eine Art temporäres Tattoo. Starsky ist Gewinnerin des diesjährigen Marianne.von.Willemer-Preises für digitale Medien. Ihre großformatigen Projektionen und Lichtbild-Installationen nehmen gesellschaftskritische und feministische Positionen ein und tragen diese in den öffentlichen Raum, betonte Frauenstadträtin Mag.a Eva Schobesberger bei der Preisverleihung.

In ihrer „Guerilla Tour“ am 9. Mai 2018 wurden an ausgewiesenen Orten der Macht sowie Stätten der Menschenrechte provokante Texte aus Licht auf Architektur, Objekte und Menschen projiziert.

Welche Lichtfeste begeistern am meisten?

Letzte Woche wurden die Lichter des wahrscheinlich spektakulärsten Lichterfests der Welt angeknipst. Bei der alljährlichen Fête des Lumières in Lyon (Frankreich), die heuer vom 6. bis zum 9. Dezember stattfand.

In den 90er Jahren entschied die Stadt, Brücken und Gebäude zu beleuchten, und seitdem werden die Präsentationen der Lichtkünstler immer extravaganter.

Was dieses Jahr nicht nur in Lyon, sondern auch in vielen anderen Lichtmetropolen der Welt betont wird, ist der Einsatz erneuerbarer Energien, um den Energieverbrauch während der Festivals so gering wie möglich zu halten. Trotz der vielen Lichtprojektionen und Installationen verbrauche die Fête des Lumières nur 0,1% des jährlichen Energieverbrauchs der städtischen Beleuchtung von Lyon.

Die Lichtshows werden auch immer stärker auf ‚Crowd Partizipation‘ ausgerichtet. Eines dieser Displays ist Wish Blow am Place Antonin Poncet, bei dem das Publikum auf eine Reihe von Riesenkugeln blasen muss, um diese zu erleuchten.

Rhythmus

Eine zweite interaktive Installation nennt sich ‘Rhythmus’. Das ist eine interaktive Installation, die den Herzschlag zweier Personen erkennt, die einander gegenüberstehen und durch einen Kreis vertikaler Lichtröhren verbunden sind. Das Terminal nimmt die Herzschläge der zwei Personen auf und übersetzt die Herzimpulse in Licht, so dass die Zuschauer dem Tempo ihres Herzschlags folgen können.

Wenn keine Besucher angeschlossen sind, projiziert die Installation Lichtpunkte und vibriert durch elektronische Beats. Sobald es jedoch zwei gleichartige oder unregelmäßige Herzschläge liest, erzeugt es bizarre Lichter und Klänge. Rhythmus will das Unsichtbare sichtbar machen.

Je weiter die Stadt im Norden ist, desto stärker empfindet man die Dunkelheit. Amsterdam, Eindhoven, Reykjavik oder Helsinki machen traditionell Lichtfeste.

Zu den bekanntesten Lichterfesten in Deutschland, die oft zwischen Oktober und November stattfinden, gehört die Nürnberger Blaue Nacht, die Kölner Lichter, und das Festival of Lights Berlin.

Großartig auch die Winterbeleuchtung in Turin, die von Anfang November bis Ende Januar die Stadt in bunte Inszenierungen taucht. Ziel des Festivals ist es seit 1997, die „Beziehung zwischen zeitgenössischer Kunst und der breiten Öffentlichkeit“ zu fördern. Es handelt sich nicht um Weihnachtsbeleuchtungen herkömmlicher Art, sondern um eine Sammlung von Sonderaufträgen zeitgenössischer Künstler.

 

Wie wichtig ist die Identität eines Ortes fürs Lichtdesign?

Michael Batz: „Der Ort ist nicht immer nur Schauplatz, sondern immer auch Co-Autor und Schauspieler mit einer ganz eigenen Atmosphäre, mit seiner eigenen Geschichte.

Es sind große Unterschiede, ob ich mich an einem Ort am Wasser bewege oder einem mit Brücken oder ob ich mich in einer Einkaufszone befinde oder einer Ruine mit einem sakralen Zusammenhang. Das kann ich mir zum Nutzen machen, weil ich sonst nur über mich selbst als Künstler erzähle.“

Am wichtigsten ist es, nicht mit einem Make up-Gedanken an die Beleuchtung heranzugehen. Den Geist eines Ortes kann man nicht dick mit Lichtschminke überziehen. Das erwarten Stadtverantwortlichen aber häufig von Designern und Künstlern.

Wenn ich aber zu viel Schminke auflege – wie beim Menschen – dann wirkt die Inszenierung unglaubwürdig. Und Glaubwürdigkeit ist dieser Tage ein unterschätzter, aber im großen Ganzen gesehen bedeutender Wert.

Zum Nachlesen:

Ein Beitrag von Michael Batz über Licht als Gestaltungselement vom Juli 2017.

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Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren. Daniela Krautsack ist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.

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