Leitsysteme in Städten

08.09.2015
Wohnen

Ein Beitrag von Daniela Krautsack, MBA, Urban Branding Expertin und Trendforscherin (Wien):

Eine der ältesten Wegemarken ist ein an den Weg gelegter Stein, eine Markierung in der Landschaft. Seit Jahrtausenden funktioniert dieses System: Menschen folgen einer bestimmten Farbe, einer auffälligen Form oder markanten Klängen durch den Raum. Orientierungssysteme in Städten und Regionen können jedoch inzwischen viel mehr, als Menschen nur den Weg zu weisen. Als „stille Begleiter“ laden sie zum Verweilen ein oder erzählen Geschichten. Doch fast jeder von uns hat eine Anekdote zu erzählen, die vom Umherirren in einer Stadt, nach dem Suchen der richtigen Adresse oder dem im Kreis herumgeschickt werden berichtet. Wer dadurch beim beruflichen Umherirren einen wichtigen Termin versäumt, ist verärgert. Im offenen Gelände kann es nach Einbrechen der Dunkelheit oder bei Kälte sogar lebensbedrohlich sein, die Orientierung zu verlieren. Was Menschen auf den richtigen Weg bringt, damit beschäftigt sich die noch junge Disziplin des „Orientierungsdesigns“. Jung einerseits, weil sich zum Thema Leitsysteme kein einziges Buch darüber im Thalia (im Standort Landstraße) findet. Jung anderseits, weil sich mittlerweile bereits einheitliche Leitsysteme für Flughäfen, Spitäler oder Schulen etabliert haben, Orientierungssysteme für den öffentlichen Raum aber erst seit einigen Jahren zunehmender Bedeutung erfreuen.

Nach Meinung von Designexperten kann man Leitsysteme nicht nach den Kriterien innen oder außen unterscheiden, sondern eher nach Geschwindigkeit und Bedürfnissen der Nutzer. In Situationen, wie im Verkehr oder an Orten, wie dem Flughafen ist wenig Zeit, daher geht es dort eher ums pragmatische Leiten von Menschen, die rasch in der Bewegung Entscheidungen treffen müssen. Beim Wandern oder in einem Museum kann man stehen bleiben, verweilen, nachdenken, hier geht es um die Vermittlung von Emotionen und Informationen und Interaktionen mit dem, der geleitet werden will. Beim Orientierungsdesign geht es aber um mehr als die bloße Orientierung. „Ein Leitsystem überzieht die Stadt wie ein Netz mit identitätsstiftenden Stätten der visuellen Kommunikation, mit Landmarks, die immer wieder auftauchen und die Stadt optisch zusammenziehen“, erklärt die Architektin Anja Mönkemöller, die gemeinsam mit Grafikerin Gabriele Lenz ein Tourismusleitsystem für St. Pölten entworfen hat, in einem Interview mit der Tageszeitung ‚Die Presse‘. Es ist eine Tatsache, dass es ein steigendes Interesse an zeitgenössischen, schicken Orientierungssystemen gibt. Die Städte werden fotografiert, Fotos und Berichte erscheinen in Reise-, genauso wie in Designmagazinen, Reiseführern und natürlich einer breiten Zahl an social media Plattformen. Für Städte wird es immer wichtiger, wie sie nach außen hin auftreten. Dass ein gut gemachtes Orientierungssystem die Identität einer Region stärken kann, weiß auch Andrea Redolfi vom Designbüro Gassner-Redolfi.

Sie gestaltete das Design für das Leitsystem in der Tourismusregion Tannberg (Vorarlberg). Anstelle eines herkömmlichen Beschilderungs-Systems beruht das Konzept auf beschrifteten Ruhebänken und »Guckern« – aus gehobelter, naturbelassener Lärche mit konisch vertieften, CNC-gefrästen Schriftzeilen – keine künstlichen Farben, Materialien oder Tafeln. Die Kombination der schlichten Holzbänke mit den interessanten Botschaften vermittelte gleichzeitig lokale Ästhetik, Wissenswertes und kurze Geschichten zum jeweiligen Standort. Vertieft wurden die Kernbotschaften auf einer interaktiven Wanderkarte mit dynamisch programmierter Kartografie.

Interview mit der Designerin des Tannberg Leitsystems:
http://www.gassner-redolfi.at/publikation/die-presse-am-sonntag-2/

Während Andrea Redolfi beim Design des Tannberg-Leitsystems darauf bedacht war, so wenig Künstliches und Fremdes wie möglich in die Natur zu bringen, versuchen gerade Städte und Kreative, die engagiert werden, um Leitsysteme für Dörfer, Stadtteile und ganze Städte zu entwerfen, „Nichtgesehenes sichtbar zu machen“. Design, das gegen die „visuelle Konkurrenz“ an unzähligen Logos, Schildern und Werbebotschaften im Stadtraum bestehen kann.

Bei der Konzeption eines Tourismusleitsystems gilt es im ersten Schritt, die Stadt nach wichtigen und weniger wichtigen Plätzen zu strukturieren. Analoge Leitsysteme sind gerade in einer Zeit, in der sich viele hauptsächlich über die Navi-Funktion ihres Smartphones orientieren, von besonders großer Bedeutung.  Wer sich via Handy seinen Weg entlang des Tourismus-Trampelpfades bahnt, schaut sich vielleicht drei Sehenswürdigkeiten an. Wenn man sich aber dem Leitsystem, das man entdeckt, anvertraut, kommt man plötzlich in Gegenden, die man sich selber nicht ausgesucht hätte. Dadurch zeigen gute Leitsysteme auch Neues.

Die Entwicklung von Leitsystemen braucht Zeit. Die australische Designagentur Collider verbrachte mehr als ein Jahr mit dem Team ihres Auftraggebers ‚Sydney Harbour Federation Trust‘, um die kleine Insel Cockatoo Island vor der Küste Sydneys für seine Besucher optisch moderner, d.h. komplett neu zu gestalten.  Die Identität und das Corporate Design, das innerhalb dieses Jahres entstand, zielte darauf ab, die historischen Wurzeln der Insel in einem zeitgenössischem Look zu zeigen und damit eine breitere, auch junge Zielgruppe zu erreichen. Die Symbole, Wortmarke und Typografie-Palette stammt aus einer Kombination von den auf der Insel vorhandenen historischen Einflüsse.
Das Leitsystem entstand im zweiten Schritt und sollte die Besucher über die Insel hinweg navigieren, kompakte Information zu kulturellen Highlights preisgeben und gut lesbare Kartensysteme darzustellen. Was an diesem Leitsystem besonders fasziniert, ist die Schrifttype, die sich für die Laser Cut – Technik auf Metallplatten gut eignete und dadurch wiederum eine Verbindung zur historischen Architektur und den Industriemaschinen und dem Hafenflair der Insel herstellte.

Industriemaschinen und Hafenflair? Das kann auch das Städtchen Remscheid im deutschen Nordrhein-Westfalen. Dort wurde eine ehemalige Bahntrasse in einen Fuß- und Radweg umgewandelt. Remscheid ist für seine Werkzeug-Manufaktur weltweit bekannt. Alle City Branding – Eingriffe beziehen sich auf dieses Thema. Das geringe Budget schloss größere bauliche Maßnahmen aus, so konzentrierte sich die Gestaltung auf ein grafisches Leitsystem von Markierungen und Prägungen der Asphaltfläche. Die durch sehr heterogene, teilweise heruntergekommene Stadtteile führende Trasse ist nun durch eine durchgehende Bodengrafik mit Bildsymbolen zum Thema Werkzeug auf 4,5 km deutlich als zusammenhängendes Band erkennbar.

Ich recherchiere, fotografiere und blogge seit Jahren über interessante Street Artists und urbane Interventionskünstler aus aller Welt. Deshalb hatte der neue Hyundai TV-Spot natürlich gleich meine Aufmerksamkeit gewonnen. Der bedient sich tausendfach gebloggter art pieces recht bekannter Künstler im öffentlichen Raum. ‚Open your eyes to inspiration‘ lautet die tag line und na ja, was schadet es, wenn den viel zu unbeachteten Künstlern eine breite Plattform zur Präsentation ihrer Arbeit geboten wird. Besser noch ist die Botschaft, die sich hinter der tag line verbirgt. Mit offenen Augen durch die Welt gehen, das können viele Zeitgenossen nämlich nicht, seit die iPod Mania Anfang des 21. Jahrhunderts über die Welt hereingebrochen ist. Nehmen wir unsere Umgebung noch wahr? Studien, die die Aufmerksamkeit von Passanten seit Jahren regelmäßig messen, deuten darauf hin, dass Botschaften im Raum fast gänzlich ausgeblendet werden. Zu groß ist der Werbeclutter und zu laut die Marketingsprache, die der Wahrnehmung urbaner Bewohner zu viel geworden ist.

Video: https://www.youtube.com/watch?v=BG-U-OTtvVE

Langsam haben Städte begonnen, auf die Ästhetik der Stadt und die Anzahl verkaufbarer Flächen im öffentlichen Raum zu achten. Spürbares Aufatmen machte sich breit. Der Flaneur, der vom hektischen Smartphone Nutzer, der durch den Raum hetzt, verdrängt wurde, wird langsam wieder sichtbar. Und dem fallen die ungewöhnlichen Botschaften im Raum wieder auf. Vor allem dann, wenn sich Unternehmen und Institutionen bemühen, Passanten durch die Stadt zu leiten, hin zu Geschäften, Museen und Events.

Leitsysteme brauchen dann keine Pfeile und rote Fäden, wenn gut erkennbares, kreatives Design durch die Stadt hin zum ‚Point of Interest‘ führt. Ein wunderbares Beispiel für so ein Leitsystem ist gleichzeitig eine schöne Kampagne des Museum of Childhood in London. „Das Museum verpflichtet sich in all seinen Aktivitäten, zur Kreativität und den Ausprägungsformen, die Kreativität in sich birgt zu inspirieren“, erklärt Rhian Harris, Direktor des Museums, die Ambient Media – Kampagne. Die Werbeagentur AMV BBDO hatte rund um das Museum interessanteste und ungewöhnliche Objekte und Räume ausgeforscht, um die kindliche Fantasie mit gestalterischen Elementen anzuregen und die Umsetzungen in ihrer Marketingmaßnahme und Leitsystem-Aufgabe  neu zu interpretieren.

Rund 20 unterschiedliche Arbeiten von Künstlern und Illustratoren wurden in einem Umkreis von 500m platziert, um die Bevölkerung anhand des recht unkonventionellen Leitsystems in das Museum zu führen. Zusätzlich wurde das Leitsystem durch eine Posterkampagne in U-Bahnstationen und anderen Verkehrsknotenpunkten unterstützt, die dazu aufrief, die Welt durch die Augen eines Kindes zu betrachten.

Wenn wir schon in der Welt der Kinder wandern, fällt mir auch das hyperlokale Leitsystem zu einem Spendenevent eines Kinderspitals in London ein. Es galt, Fundraiser und geladene Gäste nach Brunswick Park, einer Grünfläche inmitten Londons zu leiten. Weil der Event wie ein traditioneller Kirtag gestaltet wurde, wurden Designelemente aus Rasentorf geschnitten, die auf Poster und in Anzeigen montiert wurden.  Die Bilder waren spielerisch und attraktiv für Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

Stockwell Park ist ein 16 ha großes Areal an Sozialwohnungen im Süden Londons, indem vor einigen Jahren mit dem Abriss der alten Turm-Block-Bauten und dem Neubau kleiner Residenzen begonnen wurde. Die Gegend ist als sozialer Brennpunkt für Bandenkriminalität oft in den Schlagzeilen, daher entschieden sich Bauträger und Architektengruppe für den Dialog und die Einbindung der lokalen Bevölkerung bei den raumplanerischen Tätigkeiten. Für das neue Fußgänger-Leitsystem wurde die Designagentur Hat-Trick Design engagiert, die inspiriert von viktorianischen Fliesen, die in einigen der ältesten Gebäude des Anwesens gefunden wurden, ein Leitsystem konzipierte, das die visuellen und kulturellen Einflüsse der Bewohner auf kunstvolle Weise widerspiegelt. Die entwickelten Tafeln beinhalten Fliesen, die von lokalen Künstlern – von einem Graffiti-Künstler, über Typographie- und hin zu Textildesignern – gestaltet wurden, mit dem Auftrag, Muster zu designen, die die unterschiedlichen Kulturen und reichhaltige Geschichte seiner Bewohner reflektieren würden. Das Fliesendesign wurde auf Hauswänden, Straßenpfosten und Stadt-Mobiliar durch den gesamten Standort gezogen und schuf eine gute und optisch sehr ansprechende Orientierungshilfe.
Copyright: Hat-Trick

Das Zentrum von Montreal im Quartier des Spectacles hat eine neue Identität gesucht und wollte seine wachsende Präsenz und Positionierung in der Kunst und seine Vermarktung als kulturelles Zentrum hervorheben. Zusätzlich wollte es sich seiner Geschichte und dem stets im Fokus stehenden Einsatz von Licht besinnen. In den 1920er Jahren, war die Kreuzung des Saint Laurent Boulevards und der Saint Catherine Street die Hauptdurchgangsstraße des Red Light Districts, mit Tanzbars und andere „Höhlen der Sünde.“ Jetzt werden rote Lichter in der revitalisierten Nachbarschaft von Gebäuden herab auf die Bürgersteige projiziert, sollen durch den Raum verschönern und dienen als historische Referenzpunkte.

Eine Rollrasen-Installation im Herzen des französischen Dorfes Jaujac feierte das 10jährige Jubiläum des hiesigen Kunst- und Naturpfads. Der Künstler wollte mit der Graslinie das  Dorf und den Naturraum des Tals verbinden und einen Pfad herstellen, der „die Herzen des Dorfes und seiner Bewohner mit dem Tal visuell verknüpft“. Die temporäre Installation von 168 Rasenrollen quert das Dorf auf einer Länge von 400 Metern, schlängelt sich durch Straßen und Plätze des öffentlichen Raums und führt den Wanderer wie auf einem ‚roten Teppich‘ zu den kulturellen Schönheiten des Dorfes und in die angrenzende Natur.

Auf dem richtigen Weg ist man auch, wenn man den Handzeichen von Cathy, Emily, Nicole und Jane folgt. Das sind keine Promotorinnen am Flughafen in Heathrow, die den Weg ins Einkaufsmekka der Duty Free Zone weisen, sondern vier Designerinnen der Universität von Washington, die mit einer so einfachen und doch so treffenden Logik ein Leitsystem für nicht-Englisch-sprachige Studentinnen und Studenten entwickelten. ‚Follow the hands‘ heißt es und basiert auf der Idee universeller Handzeichen, die jeder kennt und die Text verzichtbar machen.

Mit den Händen den Weg zu weisen, war auch das Hauptmerkmal der Kunstinstallation rund um Wegfindung im Stadtzentrum von Madrid und einer halbjährlichen Messe für Innenarchitektur und Dekoration im Expohogar Barcelonas.

Die Bilder einer flachen Hand signalisierten den Besuchern zu stoppen und die Informationen zu lesen. Die Hand, die in eine bestimmte Richtung deutete, hatte eine rein wegweisende Funktion.

Unsere Städte sind recht grau und könnten etwas Farbe gut vertragen. Auf die Frage, welche Rolle ein farbig gestalteter Boden als Leitsystem haben kann, antwortet der Architekturhistoriker und mehrfach ausgezeichnete Leit- und Informationssystem-Experte Erik Spiekermann: Böden und Decken sind bisher in der Planung von Orientierungssystemen völlig unterbewertet. Wir blicken beim Gehen auf den Boden, daher liegt es auf der Hand. Menschen verstehen eine gut gemachte Farbgestaltung am Boden intuitiv.

Die zentralen Fragen, die wir uns also stellen, lauten: Wie nehmen Bewohner und Besucher eine Stadt wahr? Die Architekten meinen, es ginge um Gebäude. Die Stadtplaner meinen, es ginge um Straßen. Die Landschaftsarchitekten meinen, es ginge um Grünanlagen und die Designer meinen, es ginge um Leitsysteme. Die, die ein Gespür für das Thema haben und die, die es einfach wissen, wissen, dass es um alles geht. Ein Leitsystem will nicht neutral sein. Neben der Orientierung hat es einen zweiten Zweck, nämlich eine Marke zu sein. Man ist gut beraten, wenn der Absender eines Leitsystems erkennbar wird. Das schafft Vertrauen.

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