Leerflächenmanagement: Wie leere Bauten die Stadt neu beleben können
15.12.2016
Wirtschaft
15.12.2016
Wirtschaft
Mieter verlassen das Gebiet, die geeignete Nachbesetzung bleibt aus. Über Wochen, Monate, Jahre. Ganze Stadtzentren drohen durch den Donut-Effekt zu verfallen.
Kennen Sie das? Dann sind Sie nicht alleine. Doch halt! Es geht auch anders: Beispiele für erfolgreiches Leerflächenmanagement zeigen es vor.
Es ist ein trister Anblick, eine Geschäftsstraße, die direkt ins das Stadtzentrum führt, einfach tot zu sehen. So geschah es auch mit der Grazer Jakoministraße: Noch vor wenigen Jahren reihte sich leeres Lokal neben das andere, die Gebäude wirkten ungepflegt, schienen langsam zu verfallen. Es regte sich nichts mehr. Außer, wenn sich die träge Straßenbahn in kurzen Intervallen knarrend durch die enge Straße wand. Während hier zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch 30.000 Menschen lebten, kam das Viertel langsam einer Geisterstadt gleich.
Zeitgleich wuchsen immer neue Einkaufszentren am Stadtrand aus dem Boden, noch mehr Menschen zogen ab. Die traditionelle Geschäftsmeile verlor ihre Attraktivität, und es fühlte sich keiner wirklich zuständig. Mit dem einst so angesehenen Grätzel ging es konsequent bergab.
Und dann kam das Jahr, in dem das Pilotprojekt Leerflächenmanagement Jakominiviertel ins Leben gerufen wurde: Es war das Jahr der Rettung – das Jahr 2009.
In dem einstigen Handelszentrum schlummerten nun also leerstehende Gebäude, Geschäftslokale und Freiflächen. Eine bisherige Nutzung war abgeschlossen, eine neue ließ auf sich warten. Diese Räumlichkeiten waren jedoch zugleich ungenützte Potenziale und Ressourcen mitten in Graz. „Schenkt man diesen Leerständen Aufmerksamkeit und integriert sie wieder in den Nutzungskreislauf des urbanen Raumes, zum Beispiel durch eine befristete Zwischennutzung, können sie maßgeblich zur Entwicklung eines Viertels beitragen“, sagt Projektmanagerin Pia Paierl.
Zwischennutzungen – also vergünstigter Raum gegen befristete Nutzung – würden ideale Bedingungen für Künstler, neue Selbstständige, kleine Unternehmen, Initiativen, Vereine und soziale Projekte schaffen: „Neben der Miete bringen die NutzerInnen ihre Arbeitskraft, Kreativität, kulturelle Fertigkeiten und soziale Netzwerke mit in die Nutzung des Leerstandes“, resümiert Paierl, unter deren Koordination sich in dem heruntergekommen Stadtteil 40 neue Betriebe ansiedeln und die Zahl der Betriebe insgesamt auf 89 ansteigen sollte.
Bitte, was? 40 neue Betriebe, sagen Sie, sollen sich in so kurzer Zeit neu eingefunden haben? Fragen Sie sich jetzt auch, wie das möglich ist? Und vor allem: Ob das auch in Ihrer Stadt oder Gemeinde umsetzbar ist? Dann sollten Sie die drei Faktoren kennen, die das Projekt erfolgreich machten:
Das Mietförderungsmodell konnten Startups beantragen, aber auch alteingesessene Unternehmer. Es war überzeugend, denn die Mieten wurden über drei Jahre hinweg in reizvollen Konditionen gestaffelt: Im ersten Jahr wurden für die Mieter 50 Prozent des Mietzinses gefördert, im zweiten Jahr 40 Prozent und im dritten Jahr 20 Prozent. „Somit wurden die Lokale für Neugründer leistbar“, sagt Paierl, „Aber auch etablierte Betriebe konnten von diesem Zuckerl profitieren.“ Na, wenn das kein Anreiz war!
Paierl fungierte selbst als Koordinatorin und Ansprechperson für Mieter und Eigentümer. „Das hat sich als ganz besonders wichtig erwiesen, denn viele Eigentümer hatten selbst keine Vorstellung davon, auf welche Arten ihr Geschäftslokal überhaupt nutzbar ist. Oft braucht es nur kleine Adaptierungen, um eine andere Branche hereinzubringen. Wir haben Möglichkeiten erörtert und mit Interessenten besprochen, welche Bedürfnisse und Ansprüche sie an die Räumlichkeiten haben. Dann haben wir beide zusammengebracht, und so sind dann neue Konzepte entstanden, die den Eigentümern wieder Mieterträge bescherten, die Unternehmer neu durchstarten ließen und das Stadtviertel insgesamt belebte.“
Die visuelle Klammer wurde durch eine rote Sportlaufbahn geschlossen, die direkt auf der Straße – auch über die Straßenbahnschienen hinweg – angebracht wurde. „Das hat natürlich Aufsehen erregt und auch das Medieninteresse auf sich gezogen“, sagt Paierl.
Auch der Branchenfokus war entscheidend: Die Kreativwirtschaft – also auf Designer, Fotografen, Agenturen aber auch Handwerksbetriebe standen im Zentrum des Interesses. „Das Tolle war, dass auch alteingesessene Betriebe von dem frischen Wind profitierten.“ Unternehmerinnen wie Diplomrestauratorin Erika Thümmel arbeiten jetzt sprichwörtlich in der Auslage ihres Unternehmens. Die Laufkundschaft lässt die Kasse klingeln: Immerhin konnte die Frequenz der PassantInnen um 21,2 Prozent gesteigert werden. Vorübergehende Leerstände werden im Jakominiviertel temporär mit Pop-Up-Stores oder Showrooms überbrückt. „Die Mieter haben in dieser Zeit nur die Betriebskosten bezahlt, hatten jedoch die Möglichkeit, sich auszuprobieren“, resümiert Pia Paierl, „zugleich mussten Passanten nicht auf zugeklebte Schaufenster oder gar in leere Lokale blicken, sondern hatten immer wieder etwas Neues zu entdecken.“
Der Trend ging nach oben: Im neuen Jakominiviertel bildeten sich sogar sieben ganz neue Immobilienprojekte mit vier Investoren heraus! Ein ähnliches Projekt ist jetzt in Graz unter dem Namen „Raumbasis“ im Entstehen. Der örtliche Fokus liegt auf Leerstand in den Bezirken Innere Stadt, Lend und Gries.
Auch der einstigen Problemzone des Stadtzentrums von Villach – der Lederergasse – rückte man mit einem Konzept zu Leibe. Während die Einkaufsmeile bis in die 80-er Jahre florierte, litt der Stadtteil schon seit vielen Jahren unter einem schlechten Image. „Es gab viel Gastronomie, auch Rotlichtbetriebe waren ein Problem“, sagt Gerhard Angerer, Geschäftsführer des Stadtmarketing Villach, „Durch die vielen Jugendlichen, die hier Alkohol konsumierten, wurde die Gasse schnell zum Hot-Spot für Polizeieinsätze.“ Doch es stellte sich als kein leichtes Unterfangen heraus, den Leerständen Paroli zu bieten: Gab es in der Lederergasse doch 28 Gebäude mit 28 Eigentümern! „Es dauerte etwa zwei Jahre, bis wir mit allen Beteiligten in sicherlich 25 Sitzungen gesprochen haben“, berichtet Angerer von einem langwierigen Prozess.
Nach abgeschlossenen Gesprächen packte man den Stier bei den Hörnern: „Wir gründeten einen Verein gemeinsam mit den Eigentümern und haben vereinbart, dass keine Gastronomie hier mehr ansäßig wird. Start-Ups und Kreative rückten ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit.“
In Zusammenarbeit mit dem Coworkingspace-Anbieter Co-Quartier sollte die Akquise potenzieller neuer Mieter starten. „Es ging stark darum, neue Möglichkeiten für die Raumnutzung zu finden“, erläutert Angerer, „Zum Beispiel wollten wir auch Inhaber von Redaktionen, Ärzte oder Immobilienmakler davon überzeugen, sich in ebenerdigen Lokalen anzusiedeln. In Deutschland ist dies schon lange Gang und Gäbe.“ So ist auch das Stadtmarketing Villach selbst in einem Erdgeschoss-Lokal mit Schaufenstern zu finden!
Stadtplanerin Gaby Krasemann vom Co-Quartier betreibt ein aktives Leerflächenmanagement, indem Mieter nicht für ganze Objekte, sondern einzelne Räume für potenzielle Mieter gesucht werden. Das Co-Quartier sucht leere Flächen von ca. 120 bis 150 m2 etwa von Banken, Geschäften, Büros oder Praxen, bei denen die Nachfrage nicht mehr so groß ist, wie sie einmal war.
„Ein einzelner kann sich solche Mieten oft nicht leisten, aber wenn man mehrere Unternehmer zusammenbringt, klappt das sehr wohl“, sagt Krasemann und fügt stolz hinzu: „Durch unsere Maßnahmen konnten wir bereits eine hohe Vernetzung in der Stadt erreichen. Vermieter bestehen jetzt nicht mehr auf traditionelle Nutzung, sondern sie sind auch für neue Lösungen offen.“ So berichtet Stadtmarketing-Chef Angerer, dass in Villach drei Betreiber eines Online-Handels nachträglich einen stationären Handel in der Geschäftsstraße eröffnet hätten. „Genau anders herum als früher!“ Das Co-Quartier versteht sich als Plattform zur Vernetzung beider Seiten – die Mietverträge würden dann jedoch zwischen den Parteien selbst geschlossen werden.
Während der drei Jahre des Pilotprojektes gab es von der Stadt jeweils eine Förderung über EUR 60.000 pro Jahr. Angerer: „Damit haben wir etwa in eine ultraschnelle Glasfaserverbindung in der Lederergasse investiert, die besonders für Start-Ups aus dem IT-Bereich und aus Kreativbranchen anziehend war, da es eine solche Verbindung bislang nirgendwo anders gab.“
Auch PR-Aktionen kamen nicht zu kurz, denn die Lederergasse sollte schließlich fortan öffentlich positiv wahrgenommen werden: „Wir veranstalteten Kulturevents und brachten einmal über der Lederergasse sogar bunte Regenschirme an.“
Und wenn gar nichts mehr geht, sollte man sich auch über einen Rückbau Gedanken machen, regt Angerer weiter an: „In einem Haus der Lederergasse ließ der Eigentümer oben Wohnungen bauen und ebenerdig funktionierte er die Etage zu einem Fahrradabstellplatz um. Weil es davon in der Umgebung viel zu wenig gab.“
Leere Flächen müssen keine Last sein, sie können eine Stadt bereichern. Wenn man sie richtig nützt. Schenken Sie dem schlummernden Potenzial Aufmerksamkeit. Neue Zielgruppen und innovative Nutzungsmodelle sind der Schlüssel, der die Türen für die neuen Mieter öffnet.
Warum sich bereits mehr als achtzig Standorte in Österreich als Mitglieder beim Dachverband Stadtmarketing Austria austauschen?
Weil wir gezeigt haben, dass „Miteinander“ mehr bringt. Im Miteinander machen Sie für Ihren Standort das Mögliche zum Machbaren. Wir unterstützen Sie dabei mit Know-how, das sich in der Praxis bewährt hat, mit Weiterbildung, die neue Perspektiven eröffnet sowie mit Erfahrungsaustausch, der Sie in Ihrer Rolle stärkt.
Formen Sie aktiv die Zukunft des Stadtmarketings!
Werden Sie Teil unserer dynamischen Gemeinschaft und nutzen Sie unsere vielfältigen Angebote zur fachlichen Weiterentwicklung und Einflussnahme.