Vom Land – zur Landschaft – zur „Nicht-Landschaft“. Zu den Bedingungen von Skulpturen im Landschaftsraum
22.05.2018
Kultur
22.05.2018
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Die Besteigung eines Berges als Natur- und Landschaftserfahrung: Gewiss ist, dass im Jahr 1336 durch die Besteigung des in der südfranzösischen Provence gelegenen Berges Mont Ventoux (Windiger Berg)[1] durch den Geschichtsschreiber und Dichter Francesco Petrarca (1304-1374) und dessen Bruder ein neuer Landschaftsbegriff entstand.
In einem auf den 26. April 1336 datierten Brief[2], der im Original auf Latein verfasst und an den Frühhumanisten Dionigi di Borgo San Sepolcro (ca.1300-1342) gerichtet war, schildert Petrarca die Besteigung als Ausdruck einer neuen Natur- und Landschaftserfahrung, bei der sich kontemplative und ästhetische Erlebnisse miteinander verbinden.
Gewiss ist aber auch, dass dieser Berg bereits bei den Kelten als heiliger Berg angesehen wurde, wie viele andere landschaftliche Orte in Frankreich und anderswo ebenso.
Das Land war spätestens ab dann nicht mehr ausschließlich, wenn auch bedeutsamer Überlebensort, in dem mit schwerer Arbeit den Böden Nahrung abgerungen werden musste oder in deren Wäldern und auf Lichtungen gejagt wurde, um zu überleben.
Das Land war auch Wohnort mythischer Wesen, war göttliche Schöpfung und barg Ängste, Unerklärliches und Unsicherheiten gegenüber den Naturgewalten – und war also grundsätzlich geistiger wie geistlicher Raum.
Petrarca hat jedoch das Land – nun die Landschaft – als etwas ‚kontemplativ Schönes‘ sehen können, obwohl bereits viele Generationen vor ihm zumindest einige einen ästhetischen Blick auf landschaftliche Gegebenheiten und Orte werfen konnten und diese mit eigenen Hinzufügungen (z.B. mit Bauten, Grabanlagen etc.) zur Kulturlandschaft machten.
Das jungsteinzeitliche Stonehenge wurde nicht irgendwo errichtet, sondern an einem ganz bestimmten landschaftlichen Ort, weil explizit gewisse Phänomene hier zusammenkamen und sich genau dieser Platz als kosmisch geeignet und schließlich heilig galt.
Und obwohl bis heute die Theorien zu Stonehenge auseinander gehen, welche tatsächliche Bedeutung der Ort gehabt haben mag, bleibt für uns heute immer noch auch ein ästhetisches landschaftliches Erlebnis – allein auf Grund seines skulpturalen Charakters im Raum.
Das Wort Landschaft wird heute vor allem in zwei Bedeutungen verwendet. Zum einen bezeichnet es die kulturell geprägte, subjektive Wahrnehmung einer Gegend als ästhetische Ganzheit (philosophisch-kulturwissenschaftlicher Landschaftsbegriff).
Zum anderen wird es, vor allem in der Geographie, verwendet, um ein Gebiet zu bezeichnen, das sich durch naturwissenschaftlich erfassbare Merkmale von anderen Gebieten abgrenzt (geographischer Landschaftsbegriff)[3].
Generell aber gibt es keine einheitliche Definition, was Landschaft sei, weshalb der Begriff der Landschaft aufgrund seiner lebensweltlichen, ästhetischen, territorialen, sozialen, politischen, ökonomischen, geographischen, planerischen, ethnologischen und philosophischen Bezüge auch als ein „kompositorischer“[4], bezeichnet werden kann, dessen „semantischer Hof“[5] von einer über tausendjährigen, mitteleuropäischen Ideen-, Literatur- und Kunstgeschichte geprägt wurde.
Im 18. Jahrhundert verwandelten Großgrundbesitzer – vornehmlich in England, später in ganz Europa – umfangreiche Ländereien in Parks und Gärten, die eingespielten Mustern der Landschaftsmalerei nachempfunden waren.
Von den Besitzern künstlich aufgeschüttete Wälle und Hügel sorgten für die Identität der Horizontlinie mit der eigenen Eigentumsgrenze. Alles was innerhalb dieses Besitzes passierte, verändert oder neustrukturiert wurde, oblag einzig dem Eigentümer und Grundbesitzer.
Will sagen, Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) vermeintlicher Satz „Zurück zur Natur“[6] – ganz im Sinne seiner Zivilisationskritik – war ein „Zurück zu Bildern“, die man kannte. Mit der Veränderung des landschaftlichen Raumes setzte sich der Grundbesitzer Gott-gleich in die Position eines Schöpfers von Natur, Raum und Zeit. Er kam dem ideell Göttlichen also nicht allein durch die bloße Herrschaft über die Landschaft illusorisch näher.
Knapp ein halbes Jahrhundert darauf begann die Industrialisierung die reale Natur in bekanntem Maße auszubeuten und landschaftliches Aussehen faktisch in relativ kurzer Zeit grundlegend zu ändern. Brücken, Staudämme, Fabriken entstanden und der Tagebau wälze ganze Landstriche um. Heute sind es die Kommunikationsverbindungen, angefangen von Autobahnen, Überlandstromtrassen und Windräder, die Aussehen und Funktionalität definieren.
Die Landschaft ist darüber hinaus längst zur „Stadtschaft“ geworden und abhängig von der gesellschaftlichen Herrschaft der Städte über das Land (Industrialisierung der Agrarkultur) und die Landschaft (visuelle und räumliche Umgestaltung). Und auch in den Städten und Megacities gelten letztlich die gleichen Merkmale, aber mit unterschiedlichen Wirkungen und Definitionen.
Die Natur- wich größtenteils der Kulturlandschaft und nur an abgelegenen Orten dieser Welt findet sich noch so etwas wie „unberührte“ Natur.
In den letzten Jahrzehnten erlebt das Thema Landschaft ein erstaunliches Revival in der bildenden Kunst. Dabei ist die Bandbreite dessen, was sich thematisch mit Landschaft im weitesten Sinn definiert ungeheuer groß.
Wie bereits angesprochen wurde Landschaft bereits vor dem Mittelalter als Ort für Architektur und Skulptur entdeckt. Sei es als Ort, um Landschaft zu überblicken (und zu verteidigen) oder um christliche Botschaften zu übermitteln und erlebbar zu machen wie Kalvarienberge, Stationen der Andacht in Form von Kreuzwegen, die optimaler Weise den jeweiligen Entfernungen des „echten“ Kreuzweges der Via Dolorosa in Jerusalem entsprechen.
Anders als in den Kirchenbauten erlebte der gläubige Pilger den Freiland-Prozessionsweg mit seinen Skulpturen oder Wandreliefs in einer vollkommen differenten Umgebung – deren Erleben außerdem wetterabhängig und jahreszeitlich geprägt war – und so deren Aussehen ständig wechselt.
Gerade die Tatsache des sich zyklisch verändernden Landschaftsraumes, des Verhältnisses der Proportionalität zum eigenen menschlichen Körper und des bestehenden freien Raums bildet einen grundlegenden künstlerischen Reiz, der in geschlossenen Räumen, wenn überhaupt, lediglich ansatzweise simuliert werden kann.
Ein Beispiel für die Umkehrung sei hier nur kurz erwähnt. Ólafur Elíassons „Riverbed“-Installation (2014) im Louisiana Museum im dänischen Humlebæk, bei der der Künstler tonnenweise graues Geröll und Steine aus Island in ein Band aneinander angrenzender Innenräume des Museums schütten, diese schließlich mit einem Bach durchfließen ließ und so eine ‚Landschaft‘ in einer Architektur kreierte.[7]
Die ‚Land Art‘ des 20. Jahrhunderts ging wesentliche Schritte weiter als die klassische Landschaftsmalerei es konnte. Bei ihr ist die Landschaft nämlich mehr als nur dargestelltes Sujet.
Die Distanz zwischen Natur und Kunst wird von der Land Art auf einer höheren Meta-Ebene aufgehoben, Naturversatzstücke und Landschaft werden zu integralen Bestandteilen der Kunst selbst.
Die Land Art visiert eine neue Synthese an, signalisiert ein neues Bewusstsein von der Natur oder dessen, was dafür gehalten wird. Die Verhältnismäßigkeit von Ort, Blickachsen, Beziehung, Jahreszeiten, Dauer der Existenz zur Skulptur war untrennbar miteinander verwoben.
Die US-amerikanische Kunstkritikerin und -theoretikerin Rosalind Krauss sah die BildhauerInnen und Land Art-KünstlerInnen in einem erweiterten Feld agieren, das geprägt ist von Architektur und Landschaft, Kultur und Natur, Gebautem und Ungebautem.[8]
„Historisch gesehen ist Skulptur laut Krauss „untrennbar mit der Logik des Denkmals“ verbunden und daher „eine Repräsentation, die an etwas erinnert“ oder ein „Markierungspunkt an einem besonderen Ort mit einer spezifischen Bedeutung.“
Im 20. Jahrhundert wird diese klare inhaltliche und räumliche Verortung aufgelöst. Die „Schwelle der Denkmals-Logik“ wird überschritten und „der Raum betreten, den man die negative Bedingung des Denkmals nennen könnte – eine Art Ort- oder Heimatlosigkeit, ein absoluter Verlust des Ortes.
Mit anderen Worten, es ist der Eintritt der Skulptur in die Moderne, denn die moderne Periode der Bildhauerei arbeitet eben mit diesem Verlust des Ortes, in dem sie das Denkmal als Abstraktion errichtet, als reinen Markierungspunkt oder als Sockel, funktional ortlos und weitgehend selbstreferentiell.“
Skulptur war zuvor „das, was auf oder vor einem Gebäude, aber nicht das Gebäude selbst war, oder das, was in der Landschaft aber nicht die Landschaft war.“[9] Sie führte Krauss die Kategorie der „Nicht-Landschaft“ ein.“[10]
[1] GRATZL, Karl: Mythos Berg. Lexikon der bedeutenden Berge aus Mythologie, Kulturgeschichte und Religion. Hollinek, Purkersdorf 2000
[2] Vgl.: WAGGERL, Karl Heinrich (Hrsg.): Der Berg – Landschaft als Erlebnis, Kindler Verlag, München 1957. Brieftext in deutscher Übersetzung
[3] HARD, Gerhard: „Die Landschaft der Sprache und die ‚Landschaft‘ der Geographen. Semantische und forschungslogische Studien“. Dümmler, Bonn 1970; PIEPMEIER, Rainer: „Landschaft, III. Der ästhetisch-philosophische Begriff. In: J. Ritter et al. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5. Darmstadt 1980: Sp. 15-28; WINKLER, E.: „Landschaft, II. Der geographische Landschaftsbegriff“. Ebd.: Sp. 13-15; JESSEL, Beate: „Landschaft“. In: E.-H. Ritter (Leiter Red.-Ausschuss): Handwörterbuch der Raumordnung. ARL, Hannover 2005: S. 579–586; KIRCHHOFF, Thomas: „Natur als kulturelles Konzept“. In: Zeitschrift für Kulturphilosophie 2011/5 (1): S. 69–96.
[4] IPSEN, D.; REICHHARDT, U.; SCHUSTER, St.; WEHRLE, A.; WEICHLER, H. (2003): „Zukunft Landschaft. Bürgerszenarien zur Landschaftsentwicklung“. Kassel. S. 130.
[5] HARD, G. (1969): Das Wort Landschaft und sein semantischer Hof. Zur Methode und Ergebnis eines linguistischen Tests. Wirkendes Wort 19, 3-14. S. 10.
[6] Dem Autor ist bekannt, dass keine Aussage so häufig mit dem Genfer Schriftsteller und Philosophen Jean-Jacques Rousseau in Verbindung gebracht wird wie „Zurück zur Natur!.“ Obwohl längst bekannt ist, dass er diese Worte niemals so formuliert hat. Vgl.: BENZ, Maria: Zurück zur Natur: Rousseaus Begriff der natürlichen Erziehung und seine ideengeschichtlichen Folgen, Hamburg, 2014.
[7] Vgl.: FRIEDE, Claus: Ólafur Elíasson – Riverbed, KulturPort.De
[8] KRAUSS, Rosalind: Skulptur im erweiterten Feld, in: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Hg. Herta Wolf, Verlag der Kunst, Amsterdam/Dresden, 2000, S. 334.
[9] Ebenda, S. 337.
[10] VOGEL, Sabine B.: Die Grenzenlosigkeit der Skulptur, in: Kunstforum International, Band 229, Ruppichteroth, 2014, S. 30
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