Kreative kulturelle Initiativen: Stadträume zur Vermittlung von zeitgenössischer Kunst und zur Förderung interdisziplinärer Zusammenarbeit
23.02.2017
Kultur
23.02.2017
Kultur
Wird Kreatives – ob Design, Fotografie oder Kunst – im Stadtraum sichtbar, wirke das wie ‚Lippenstift für den Gorilla’, spottet der britische Architekt Norman Foster über zeitgenössische Kunst im urbanen Raum. Sie sei nicht anspruchsvoll und schaffe es nicht, unsere Fantasie zu erfassen. Der britische Journalist und Experte für zeitgenössische Kunst, Peter Dormer, verteidigt Fosters Meinung: „Die meisten öffentlichen Kunstinitiativen scheitern, weil sie nicht sehr interessant sind. Sie hätten weniger Witz, Sinn und Interesse als eine geschickt ausgedachte und gut durchgeführte 20-Sekunden-Werbung im Fernsehen.“ Gute moderne Architektur in Städten brauche keine Kunst und schlechte moderne Architektur könne durch Kunst nicht gerettet werden.
Was bedeutet es überhaupt, wenn man heute vom ‚öffentlichen Raum’ spricht? Verbirgt die Beschreibung der Lokalität eine tiefergehende Bedeutung, als das Recht aller, Zugang zu haben? Oder sehen Kunstschaffende den Begriff als eine örtliche Beschreibung, die feststellt, dass ihre Werke sowohl in geschlossenen Räumen wie auch für eine Ausstellung im Freien produziert werden?
„Heute gibt es auch in kleinen Städten kulturelle Initiativen, mit denen man aus meiner Erfahrung mehrheitlich jene erreicht, ‚die eh kommen’“, sagt die Kärntner Künstlerin Gudrun Lenk-Wane. „Interessant sind die anderen, die nicht kommen; weil sie anderer Meinung sind oder weil sie keinen Zugang zur Kunst haben. ‚Die Kunst’ wird von vielen so empfunden, als hätte das, was gezeigt wird, mit dem eigenen Leben nichts zu tun. Kunst sei etwas, was nur Menschen mit viel Geld verstehen und sich leisten, als etwas ‚Unerreichbares’. Sie erkennen nicht, dass Kunst immer ein Ringen um das ‚sich selbst finden’, ein ‚sich selbst behaupten’, ist, und zur Selbstermächtigung führt. Eine Selbstermächtigung, die sich – im glücklichsten Fall – als Potenzial des Individuums bei gesellschaftlichen Entscheidungen und wenn es auf Zivilcourage ankommt entfaltet.“ Auf die Frage: „Was kann Kunst zur Stadtentfaltung beitragen?“ fragt Lenk-Wane zurück: „Was soll Kunst denn leisten?
Menschen, die erkennen, dass Kreativität in allen Lebensbereichen dazu beiträgt, nicht aus Angst am Gewohnten festzuhalten, sondern mit Freude neue Lösungen zu finden oder sich neuen Anforderungen zu stellen, tragen zu einem offenen, wertschätzenden Klima in der Gesellschaft bei. Solche Menschen braucht die Gesellschaft. Kulturelle Initiativen, zu denen Menschen an ihre Orte kommen, bieten Möglichkeiten und Zugänge für eine Diskussion, eine gedankliche Auseinandersetzung, Meinungsbildung und Teilnahme. Das sind Entwicklungen die ihre Zeit brauchen, deren Förderung sich aber längerfristig in einer starken, solidarisch handelnden Gesellschaft zu Buche schlagen.
Wenn Kunst im urbanen Raum, wie die Metallskulpturen von Richard Serra es schaffen, Bewegungsmuster von PassantInnen zu verändern, wird klar, welchen Stellenwert Kunst für unsere Städte im städtischen aber auch ländlichen Bereich haben kann.
Kunst verlässt den Ausstellungsraum auch in Tirol und interagiert mit einer breiten Öffentlichkeit. Das Land Tirol sieht „Kunst im öffentlichen Raum“ als eine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen. Sie greift gesellschaftspolitisch relevante Themen auf und lotet das Verhältnis der Menschen, die eine Region bewohnen oder passieren, zu ihrem Umfeld aus. Kunst im öffentlichen Raum soll integrativer Bestandteil bei der Entwicklung von Zukunftsperspektiven sein und die Identität des Landes im Bereich des Zeitgenössischen mit gestalten.
„Mit temporären kulturellen Initiativen schafft man es immer wieder, Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken. Man hat bei der Umsetzung größere Spielräume. Wichtig wäre die frühzeitige Einbindung in strategische Überlegungen der Stadtentwicklung von Seiten der Kulturschaffenden. Kunst sollte nicht darüber gestreut werden, sondern gleich mitentwickelt werden können“, rät Martina Taig, Geschäftsführerin von KöR Wien. Die Institution KÖR – Kunst im öffentlichen Raum – wurde im Jahr 2004 auf gemeinsame Initiative der Geschäftsgruppen Kultur, Stadtentwicklung und Wohnen gegründet. Die Belebung des öffentlichen Raums mit permanenten bzw. temporären künstlerischen Projekten sieht der KÖR als seine Hauptaufgabe. Damit kann die Identität der Stadt und einzelner Stadtteile im Bereich des Zeitgenössischen gestärkt sowie die Funktion des öffentlichen Raums als Agora – als Ort der gesellschaftspolitischen und kulturellen Debatte – wiederbelebt werden.
„Was der KÖR in Wien macht, ist in kleineren und mittleren Städten nicht so einfach“, bedauert Dr. Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes. Er erklärt: „Das liegt nicht nur an der Politik, sondern auch an der Qualität von kulturellen Initiativen, die unterschiedlich hoch ist. Meistens hat die Leiterin oder der Leiter der städtischen Kulturabteilung diese Entscheidungskompetenz in hervorragendem Ausmaß. Es wäre wünschenswert, wenn bei Planungsfragen auch auf diese Expertise zurückgegriffen wird“.
Auf die Frage, warum kulturelle Institutionen derart oft Überzeugungsarbeit in der Politik leisten müssen, um innovative und kreative Ideen umzusetzen zu können, kontert Weninger mit einer Initiative einer hartnäckigen Bürgerin. „Es gelingt immer wieder, Freiräume auch ohne politischen Willen oder Geld zu schaffen. Als Beispiel möchte ich das „Bilding“ im Rapoldipark Innsbruck nennen. Eigentlich hat es die Aufgabe, benachteiligten Kindern und Jugendlichen Freiräume für künstlerische Arbeit zu ermöglichen. Gelungen ist das Projekt aber nicht nur, weil es eine beharrliche Initiatorin gab, sondern weil das Projekt unter der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen gleichsam als soziales Kunstwerk erbaut wurde.
Gleichzeitig wurde ein Stadtteil aufgewertet, indem die dortige Jugendszene teilweise mit eingebunden wurde. So können künstlerische Interventionen immer auch eine Intervention im öffentlichen Raum sein. Allerdings gelingt es nicht immer, daraus auch nachhaltige Projekte zu machen. Kunst im öffentlichen Raum muss auf sozio-kulturelle Gegebenheiten Acht geben und sie kann die Szene und die Gesellschaft ‚impulsieren’!“
„Für uns stellt das Kunst- und Kulturleben unserer Stadt einen wichtigen Beitrag zur Stadtentwicklung von Gleisdorf dar“, berichtet Christoph Stark, Bürgermeister der Stadtgmeinde Gleisdorf. „Unser Slogan lautet ‚Im Herzen die Sonne’ und das ist nicht nur ein Spruch, sondern beschreibt unsere Haltung gegenüber unserer BewohnerInnen und BesucherInnen. Wir pflegen einen regelmäßigen, direkten Kontakt zu unseren BürgerInnen und zwar mittels Dialog- bzw. BürgerInnen-Beteiligungsveranstaltungen. Damit wollen wir eine positive Gesprächskultur fördern und gleichzeitig das kreative Potenzial unserer BewohnerInnen nutzen. Sie werden damit auch in die Entwicklung unserer Stadt eingebunden. In der Gemeinde gibt es vielfältige Möglichkeiten, die unmittelbare Umgebung aktiv mitzugestalten. Kreativität braucht Raum, um interdisziplinär arbeiten zu können. In Gleisdorf kooperiert die Stadtverwaltung mit Kulturschaffenden sowie Vertretern der Wirtschaft und des Handels. Regionale Kunst- und Kulturschaffende, Sozialbetriebe, aber auch Vereine und Privatpersonen haben sich zum „Kulturpakt Gleisdorf“ zusammengeschlossen.“
.Ein Ort, der von Jahr zu Jahr mehr kulturinteressierte Gäste anlockt, ist die Stadt Gmünd in Kärnten. Sie hat sich über die Landesgrenzen hinaus als Künstlerstadt einen Namen gemacht. Dr. Erika Schuster, Leiterin der Kulturinitiative Gmünd erklärt stolz: „Wir haben mit viel kulturellem Engagement Gmünd zu einem Best Practice Beispiel für regionale Stadtentwicklung gemacht und gezeigt, dass eine erfolgreiche Verbindung zwischen Kulturarbeit und Kulturtourismus viele Früchte trägt.“
Seit 25 Jahren setzt die Stadt, die am Südrand des Alpenhauptkammes, genauer gesagt am Schnittpunkt des Nationalparks Hohe Tauern und des Biosphärenparks Nockberge liegt, konsequent auf Kunst und Kultur. Die Schwerpunktsetzung der Kulturarbeit liegt auf zeitgenössischer bildender Kunst, Kunsthandwerk und Kunstvermittlung. Mithilfe dieser Sparten ist es in den vergangenen 25 Jahren gelungen, 20 leerstehende historische Gebäude in der Altstadt zu revitalisieren. Die Häuser stehen den kulturbegeisterten BesucherInnen als Galerien und Museen, als Künstlerateliers und Werkstätten, als Artist-in-Residence Orte mit Kunstschaffenden aus aller Welt ganztägig offen. 2016 haben 20 Gastkünstlerinnen und -künstler aus China, Frankreich, Serbien, Montenegro, Ungarn, Slowenien, Italien, Deutschland und Österreich die 2.600 Einwohnergemeinde Gmünd zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht. Das verändert eine Stadt in der Region, lässt sie an aktuellen Strömungen teilhaben, macht sie weltoffen und tolerant.
In Gmünd lenkt die BesucherInnen ein Leitsystem mit großen, pinkfarbenen Kunstpunkten. Und seit 2016 gibt es auch ein künstlerisch gestaltetes Überkopfsystem in der Hinteren Gasse von Kunst-Ort zu Kunst-Ort.
Am Ende zählt nicht nur das Wohlbefinden der Bevölkerung, das Humanpotential und Sozialkapital, das eingebracht wird. Sondern es zählen auch die hard facts, die aus einer Kulturinitiative ein ‚role-model’ für jene Orte macht, die noch nach ihrer Identität suchen. 150.000 Kulturgäste sorgen jährlich in Gmünd für eine Wertschöpfung von ca. 4 Millionen Euro, die der heimischen Wirtschaft zufließen. Diese Entwicklung hat auch dazu beigetragen, das Wirtschafts- und Geschäftsleben in der Kleinstadt lebendig und attraktiv zu erhalten.
Christoph Isopp, Initiator der Plattform Zukunftsorte fasst zusammen. „Es funktionieren jene Initiativen gut, die auf etwas aufsatteln, was ohnehin schon da ist. Handwerkliche Kompetenz zum Beispiel. Ein Beispiel dafür wäre der Bregenzer Wald. Um diese Kompetenz auf eine andere Ebene zu heben, verfolgte man einen interdisziplinären Ansatz. Man hat den Werkraum Bregenzerwald gegründet, der aus über 80 Meisterbetrieben besteht. Man holte Peter Zumthor, den bekannten Schweizer Architekten, der das sogenannte Werkraum-Haus entwarf. Das Haus dient als Treffpunkt, aber auch als große Vitrine für die Handwerkskunst der Meisterbetriebe. Da hat sich die ganze Region mit dem Marken- und Imageaufbau beschäftigt. Diese sehr ländliche Gegend hat es geschafft, eine urbane Käuferschicht anzusprechen. Weil man auf die Verbindung von ursprünglichem Handwerk und Design gesetzt hat. Am ehesten kann man einen Entscheidungsträger für eine kulturelle Initiative begeistern, wenn diese ein unmittelbares Problem löst. Zum Beispiel Leerstand in Stadtzentren oder Abwanderung junger Bevölkerungsgruppen.“
Was rät man Kulturschaffenden, die bemüht sind, kreative interdisziplinäre Projekte zu initiieren? Isopp denkt einen Moment nach und meint dann: „Es gibt Situationen, wo es reicht, dass Politik einfach nur zulässt. Oder Situationen, wo es wichtig ist, dass Politik unterstützt. Die Politiker, die mit Veränderung gut können, oder die verstehen, dass die Zukunftsfähigkeit ihrer Gemeinde damit zu tun haben wird, dass die Leute lernfreudig sind oder keine Angst vor Veränderung haben, das sind die, die zukunftsfähig sein werden. Die Kreativwirtschaft verkauft diese Veränderung.“
Kreative Interventionen und Kunst sind nicht wahnsinnig gefährlich. In der Regel machen Kunstinitiativen nichts kaputt. Aber sie lösen interessanterweise die größten Diskussionen aus. Es werden nicht die Ausgaben für den Kanal oder die Müllentsorgung intensiv diskutiert, sondern das Kunstprojekt. Wir fassen die Meinung der Experten zusammen: Politiker, die ein Gespür für Veränderung haben, werden diese kreativen Initiativen zulassen.
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