Österreich: Bald eine prekäre Kulturnation?
05.05.2020
Kultur
Die Kultur in der Krise: Das Corona-Virus brachte einen erzwungenen Stillstand der österreichischen Kulturszene und ein Black-out für den Tourismus.
05.05.2020
Kultur
Die Kultur in der Krise: Das Corona-Virus brachte einen erzwungenen Stillstand der österreichischen Kulturszene und ein Black-out für den Tourismus.
Die Kultur in der Krise. „Von der Hochkultur bis zur Breitenkultur, von der musealen Kunst und Kultur bis zur Gegenwartskunst, der Popkultur bis zur Unterhaltungskultur, vom etablierten Kulturbetrieb bis zur freien Szene und Brauchtumskultur, vom Breitensport bis zum Spitzensport, Behindertensport, Ausgleichssport und Teamsport: Ohne sie gibt es kein öffentliches und gesellschaftliches Leben. Ohne sie gibt es keinen Tourismus, keine Bildung, keine seelische und körperliche Gesundheit. Ohne sie gibt es keine Verständigung über innere und äußere Grenzen hinweg.“
So eindringlich urgierte Gerhard Ruiss, Leiter der IG Autorinnen Autoren, dieser Tage gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Sport, einen umfassenden Maßnahmenkatalog der Bundesregierung.
Und er wies im gleichen Atemzug auf das Faktum hin, dass Abermillionen Menschen Österreich der Kunst, Kultur und des Sports wegen besuchen. „2019 erstmals 150 Mio. Tourismus-Nächtigungen in Österreich“ titelten die „Salzburger Nachrichten“ schließlich Ende Jänner erfreut über die neuen Höchstwerte im Österreichtourismus.
Doch dann kam das Corona-Virus und mit ihm der erzwungene Stillstand der österreichischen Kulturszene und der Black-out für den Tourismus.
Die Beschäftigten der Branchen „Beherbergung und Gastronomie“ sowie des Sektors „Kunst/Kultur und Unterhaltung“ sind am massivsten vom „Shut-Down“ des öffentlichen Lebens in Österreich betroffen.
In beiden Bereichen haben Beschäftigungswillige – Arbeiter, Angestellte und Selbständige – die geringste Chance auf Vollzeitarbeit, befinden sich die meisten Menschen – branchenbezogen – auf Kurzarbeit oder sind arbeitslos.
Die Arbeitslosenstatistik weist in der Kategorie „Beherbergung, Gastronomie“ binnen Jahresfrist (März 2019 – 2020) einen Anstieg um 145% aus. Im Sektor „Kunst, Kultur, Erholung“ beträgt der Zuwachs 49%.
Allerdings: in dieser Statistik sind Selbständige, NPOs und Einzelunternehmer aus dem Kulturbereich gar nicht erfasst.
Die Lage vieler Künstler, vieler Selbständiger im Kultursektor ist seit Mitte März, seitdem das Wirtschaftsleben in Österreich auf „Notbetrieb“ gestellt wurde, sehr prekär geworden.
Allein im ersten COVID-19 Monat – der mit den Veranstaltungs-einschränkungen am 10.3. beginnt und bis 13.4. reicht – ist bereits ein Schaden von mindestens 4,5 Millionen Euro entstanden. Das berichtet die IG Kultur auf Basis einer breiten Befragung von 386 unabhängigen Kulturvereinen und -einrichtungen Österreichs.
Mehr als 3.200 Beschäftigten droht die Erwerbsgrundlage wegzubrechen. Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich, verweist darauf, dass mehr als die Hälfte der rund 4.000 vorgesehenen Veranstaltungen in diesem Zeitraum ersatzlos gestrichen werden mussten.
Zehn Prozent der befragten Kulturvereine gaben schon Ende März an, nicht mehr zahlungsfähig zu sein. Ein Drittel der Kultureinrichtungen befürchtet, noch im Laufe des April ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung in Zahlungsschwierigkeiten zu kommen.
Je länger die gegenwärtige Situation anhalte, desto dramatischer werde die Lage der Kulturszene zwischen Boden- und Neusiedlersee. Viele Kulturvereine haben sich gezwungen gesehen ihre Planungen für Aktivitäten zu reduzieren bzw. überhaupt abzusagen.
Das bedeutet: selbst dann, wenn das Land wieder hochgefahren wird, werden viele Kulturbetriebe mangels Geldmittel nicht aufsperren können.
Viele der Beschäftigten der österreichweiten Kulturszene sind bereits gekündigt, zur Kündigung angemeldet oder – im günstigeren Fall – in Kurzarbeit.
Wobei die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter nur dann weitermachen können, wenn ihr Verein oder die Kultureinrichtung, für die sie tätig sind, auf zugesicherte oder bereits ausbezahlte Förderungen etwa des Landes zurückgreifen können.
„Die Ergebnisse der Auswertung sind wenig überraschend“, so Yvonne Gimpel. „Der größte Sorgenfaktor ist neben der allgemeinen Planungsunmöglichkeit die Frage, wie die laufenden Fixkosten zum Erhalt von Infrastruktur und Personal bestritten werden sollen, wenn die Einnahmen auf Null zusammenbrechen.“
Es braucht eine rasche, unbürokratische Finanzhilfe durch den Härtefallfonds auch für NPOs, also gemeinnützige Organisationen, um bisher entstandene Kosten abzudecken und zumindest einen Teil des Einnahmenentfalls zu kompensierten.
Sonst, warnt Yvonne Gimpel, stehen weitere Kultureinrichtungen vor dem finanziellen Bankrott und das kulturelle Angebot wird auf Dauer ausgedünnt.“
Seit Anfang April die Zustandsanalyse der unabhängigen Kultureinrichtungen publiziert wurde, sind – Corona-bedingt die allermeisten Sommerfestivals in Österreich abgesagt worden.
So musste etwa das Donaufestival in Krems storniert werden, das unter dem Motto „Machines Like Us“ die Stadt an der Donau zum Epizentrum für zeitgenössische Kunst und Kultur in Österreich verwandelt hätte. Das Gleiche gilt für Nova Rock, das FM4 Frequency Festival, das Jazzfest Wien, das Donauinselfest und die zehn Sommerkonzerte auf Burg Clam in Oberösterreich.
Auch die Wiener Festwochen sind der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen, so wie die Seefestspiele Mörbisch und die Sommerfestspiele Erl. Die Bregenzer Festspiele hingegen und auch die Salzburger Festspiele wollen erst Ende Mai über Absage oder Durchführung entscheiden.
Das ist nachvollziehbar: allein die deutschen Gäste kaufen in Bregenz rund sechzig Prozent und in Salzburg mehr als vierzig Prozent aller Tickets. Für die Vorarlberger und die Salzburger Tourismuswirtschaft wäre die Totalabsage der Festspiele ein harter Schlag. Denn: beide Festivals zusammengezählt attrahieren pro Saison rund eine halbe Million Besucher.
Für den Tourismus in beiden Bundesländern sind die Festspiel-Sommermonate unverzichtbar, erwirtschaften doch manche Hoteliers und Gastronomen in diesen Wochen bis zu einem Drittel ihres Jahresumsatzes.
Das gilt übrigens auch für sehr viele Künstler sowie für eine Vielzahl von vor- und nachgelagerten Betrieben, für die die Sommermonate zur Hochsaison des Jahres zählen.
Vom Orchestermitglied, über Bühnenbilder, Theaterausstatter, der Fremdenführerin, vom Cafetier und Hauben-Restaurant bis hin zu Mietwagen- und Taxiunternehmen partizipieren eine Vielzahl von Beschäftigten direkt und indirekt vom Kulturtourismus, vom Ferien-Business generell.
Viele dieser Frauen und Männer befinden sich zur Zeit in Kurzarbeit oder sind arbeitslos geworden. Darunter befinden sich auch zahlreiche EPUs, Selbständige und Freiberufler, für die Unterstützungsleistungen aus dem Härtefallfond lebenswichtig geworden sind.
Zuletzt ist die Forderung nach einer unbürokratischen Hilfe für diese Gruppe laut geworden. Etwa in Form eines Grundeinkommens oder vielmehr einer damit vergleichbaren monatlichen Zahlung, die ein (Über)-Leben in der Krise mit Würde ermöglicht.
Oder um den schlagfertigen Percussionisten Martin Grubinger zu zitieren: „Zunächst geht es darum, die akute Not zu lindern. Die bereits existierenden Hilfen sind träge, bürokratisch und unzureichend.
Mein Vorschlag ist die radikale Version: ein fixes staatliches Einkommen für jene, die aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nun eine Art Berufsverbot haben. Selbstverständlich sollte das nicht nur für Künstler gelten, sondern für alle betroffenen Berufsgruppen.
Diese Maßnahme startet am 15.Mai und endet mit dem Ende der Verordnung, die österreichweit das Veranstaltungsverbot regelt.“ (1)
Der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Befürchtung, seinen Job zu verlieren, rangiert in der individuellen Sorgen-Skala verständlicherweise ganz oben.
In der kollektiven Sorgen-Skala dominieren Schäden, die man mit einem Sammelbegriff benennen kann: „Identitätsverlust“. Identitätsverlust durch Kulturverlust.
Der Schriftsteller Robert Musil schreibt im „Mann ohne Eigenschaften“: „Städte lassen sich am Gang erkennen wie Menschen…“ Nicht nur Städte, auch Metropolen, Kleinstädte oder Dörfer lassen sich an ihrem Gang erkennen. Wie übrigens auch an ihrem Geruch oder an ihrer Klangwolke, die über ihnen schwebt oder sie einhüllt.
„Kultur ist, wie der Menschen lebt und arbeitet,“ notierte einst Bert Brecht. Und, so kann man ergänzen, „culture is not where you get things, but how you put them together“.
Sie beginnt anders zu riechen. Sie klingt anders. Künstlerisches Leben, ob Musiktheater, Schauspiel, Jazz-Konzerte, E-Musik und U-Musik, darstellende Kunst, usw., die verschwinden, lassen sich nicht mehr zu einem Ganzen zusammensetzen.
Die Absage von Festspielen, die monatelange Sperre von Theatern, Kabaretts oder die Schließung von Museen ist spektakulär. Ob in der Stadt oder auf dem Land: das Wegbrechen von kleinen Kultureinrichtungen, lokalen Initiativen, oft ehrenamtlich getragen und privat kofinanziert, erfolgt schleichend.
Der Schaden, so befürchtet eine Vielzahl klein-strukturierter, lokal verankerter Kulturvereine, droht ein irreparabler für „die kulturelle Nahversorgung“ zu werden.
Der Grund: „Neuen Kunstschaffenden fehlen beispielsweise wichtige erste Auftritts-, Präsentations- und Experimentiermöglichkeiten, fehlen Partner und Auftraggeber für Künstler und damit auch deren zukünftige Einkommensmöglichkeiten.“ (Quelle: IG Kultur, Brief an die Bundesregierung vom 30.04.2020)
Das Verschwinden regionaler oder lokaler Kultureinrichtungen gefährdet nicht nur Arbeitsplätze, es verändert das Gefühl der Zugehörigkeit jeder und jedes Einzelnen. Erodiert das, „was mich ausmacht“ und das, „wo ich dazugehöre“. Es lässt das Bild konturlos werden, das ich von mir und von meiner Verortung in der Gemeinschaft habe.
Und setzt viel Kreativität und Engagement ein, um durch neue Formen der Verbreitung ihrer Kulturangebote – auch über digitale Vertriebswege – die Folgen des „Shut-down“ zu verringern. Viele Kulturinteressierte unterstützen spontan diese Aktivitäten, weisen in sozialen Medien auf Gratis-Auftritte von Künstlern hin.
Und es gibt auch privat organisierte Finanzhilfe, etwa durch die gemeinnützige Initiative „Stiftungen helfen Künstlern“. Die gemeinnützige Privatstiftung „Philanthropie Österreich“ will „einen Beitrag dafür leisten, dass Existenzen gesichert und die kulturelle Vielfalt hierzulande erhalten bleibt“.
„Kunstschaffende sind Trapezartisten ohne Sicherungsseil. Umso wichtiger ist es, ihnen so viel Unterstützung wie nur möglich zukommen zu lassen“, wird die Schriftstellerin Julya Rabinowich zitiert. Sie unterstützt die Stiftung ebenso wie Opernsängerin Angelika Kirchschlager oder der frühere Kulturminister Josef Ostermayer.
Das wird – so die IG Kultur – nicht ausreichen, um viele der kleinen Kulturinitiativen des Landes vor einem endgültigen „Shut-Down“ zu bewahren. „Die Bundesregierung hat ein umfassendes Veranstaltungsverbot erlassen, das die Kulturvereine in ihrer Existenz bedroht. Nun ist sie gefordert die notwendige Schadensbegrenzung zu leisten.“
Übrigens: in Oberösterreich ist die Idee bereits auf fruchtbaren Boden gefallen. Das Land nennt eine neue Finanzhilfe für in Not geratene Beschäftigte in Kunst und Kultur zwar nicht Grundeinkommen, sondern Mindestsicherung. Es wurde folglich beschlossen freien Künstlern eine „Mindestsicherung“ auszubezahlen.
Ab 5. Mai erhalten Freischaffende sowie Kunstvermittler, die wegen der Coronavirus-Beschränkungen in Not geraten sind, aber keine Ansprüche auf Hilfsmaßnahmen des Bundes haben, einen Fixbetrag.
Betroffene können schließlich bei der Kulturdirektion des Landes diese Unterstützung in Höhe von 917,35 Euro monatlich beantragen. Die Höhe der Finanzhilfe orientiert sich am Richtsatz der bedarfsorientierten Mindestsicherung.
Ein Schritt, den selbständige Kulturschaffende in anderen Bundesländern als nachahmenswert bezeichnen.
(1) NEUE KRONEN ZEITUNG, Salzburg / 26.April 2020
Titelbild: Szene Salzburg (c)Bernhard Müller
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