Von Überflutungen bis zur neuen Sahara in unseren mitteleuropäischen Städten: Wir brauchen keine dystopischen Vorträge von Klimawissenschaftlern, um zu verstehen, wie unsere Welt in absehbarer Zeit aussehen wird. Künstliche Intelligenz in Städten: Kann ihre rasante Entwicklung helfen, Vorhersagen zu treffen, die Städte und seine BürgerInnen schützt?
Es geht nicht mehr darum, die Entwicklung unserer Welt abzuwenden, sondern um die Frage, welche Technologien wir fürs Überleben in diesen klimatischen Bedingungen entwickeln müssen. Und welche ökonomischen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen all das auf unser Leben hat.
Wir und die KI – ein künstlerischer Status Quo
Aber vielleicht beginnen wir ganz am Anfang. Inspiriert von der Funktionsweise des menschlichen Gehirns können Maschinen lernen, analysieren und Entscheidungen treffen. „Deep Learning“ ist die treibende Kraft der jüngsten Entwicklungen und Durchbrüche im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI).
Deep Learning basiert auf künstlichen neuronalen Netzen und ist aktuell der erfolgreichste Ansatz für das Lernen von Maschinen, also das selbstständige Verbessern deren Fähigkeiten ohne menschliches Zutun.
Neuronale Netze sind künstliche Abstraktionsmodelle des menschlichen Gehirns. Sie werden mit modernen Lernalgorithmen und auf riesigen Datensätzen trainiert. Das Ergebnis: Spracherkennungssysteme verbessern sich eigenständig. Autos fahren aufgrund von Sensorinformationen über die Umgebung selbstständig. Medizinische Anwendungen übertreffen die Leistungsfähigkeit von ÄrztInnen.
Aber ist der digitale Wandel in unseren Städten schon angekommen? Wie tief befinden sie sich im Transformationsprozess, den es benötigt, um alle vorhandenen digitalen Daten lesbar und nutzbar zu machen?
Die Bedeutung der Ars Electronica in diesem Kontext
Vor kurzem stellte das Ars Electronica Festival in Linz die Frage, inwiefern Kreativität und Kunst der Gesellschaft helfen können, Krisen resilient zu begegnen.
Von einer Theaterproduktion, in der ein datengesteuertes KI-System die Hauptrolle spielt bis zu einer kinetischen Konstruktion mit holografischen 3D-Animationen und integriertem KI-System, das anhand von sechzigtausend Gedichten trainiert wurde, Gespräche mit dem/der BesucherIn zu führen. Es waren wieder viele inspirierende Installationen und Exponate, die zum Nachdenken und Diskutieren einluden.
2001 habe ich das Ars Electronica Festival zum ersten Mal besucht. Nur zwei Mal in diesen letzten 21 Jahren konnte ich Anfang September nicht nach Linz reisen. 2005 war ich im September im Rahmen einer Weltreise gerade in Sydney unterwegs und 2020 waren wir durch Covid daheim eingesperrt.
Konferenz- und Ausstellungsbesuche sind meiner Meinung nach digital ein kompletter Käse. Wenn wir etwas seit Beginn der Pandemie wissen, dann dass physisches Zusammenkommen in sehr vielen Situationen unersetzbar ist.
Warum ein analoges Festival, wenn wir digital so gut trainiert sind?
Wir brauchen den sozialen Austausch. Basta. Die Freude, mit meinem 8-jährigen Sohn das zweite Mal zu diesem Medienkunstfestival, dieser Inspirationsquelle, diesem Magnet für wissenshungrige und veränderungswillige Menschen aus der ganzen Welt zu fahren, war eine extrem bereichernde Erfahrung.
Wenn dieser kluge kleine Mensch mit seinen Gedanken ein Pferd durch einen Parcour führen kann, wie können die Schwingungen seines Denkorgans in einer digitalisierten Form seine Anwendung finden? Wie könnte man diese High End-Technologien in einem anderen Kontext ausprobieren? Zum Beispiel im städtischen Kontext, wenn es um Fragen der Sicherheit im Straßenverkehr geht?
Die raumfüllende Licht- und Klangkomposition des „BRAINPALACE“, initiiert von der Münchner Künstlerin Tatjana Busch, bietet einen explorativen Raum, in dem der individuelle mentale Einflussbereich erlebt werden kann.
Das Stigma des digitalen Tsunamis auflösen
Viele befinden sich mit der digitalen Welt auf Kriegsfuß. Sie gehen davon aus, dass die sozialen Medien und ihre Botschafter für viele Missstände verantwortlich sind.
Die Chancen, mit vielen gleichgesinnten Menschen rund um den Globus über zeitkritische Themen zu diskutieren und Veränderungen anzustreben, wird durch die toxische Gesprächskultur in der digitalen Welt oft ausgehebelt. Daher denken wir oft nicht daran, komplexe Fragen wie die des Klimawandels überhaupt zu diskutieren. Oder bestimmte Dinge im öffentlichen Diskurs zu hinterfragen. Das müssen wir in unseren Köpfen rasch umdrehen. Reframe – vom negativen hin zum positiven – obgleich immer kritischen – Blickwinkel.
Die Kategorie Digital Communities des Prix Ars Electronicaist eine Kategorie, die genau zu diesen Themen Inspirationsquellen aus aller Welt bereitstellt. Die Goldene Nica in der Kategorie „Digital Communities“ ging dieses Jahr an Ory Yoshifuji, Co-founder CEO, Ory Laboratory Inc., für sein Projekt Avatar Robot Cafe DAWN ver.β.
Der Gewinner des Prix AE in der Kategorie Digital Communities
Die BesucherInnen des Avatar Robot Cafés werden remote bedient. Über die Personalagentur Avatar Guild können sich UserInnen als KellnerInnen bewerben und ihre KundInnen dann mittels Roboter wie OriHime und OriHime-D bedienen, ohne vor Ort zu sein.
Auf innovative Weise will das Avatar Robot Café ausloten und zeigen, welche technologischen Hilfsmittel es braucht, damit Menschen, die sich aufgrund psychischer oder physischer Erkrankungen oder Beeinträchtigungen nur eingeschränkt bewegen können, besser am Arbeits- bzw. Gesellschaftsleben teilhaben können.
Der Roboter ist so konzipiert, dass er für eine Vielzahl von körperlichen Behinderungen geeignet ist, einschließlich Augen-, Maus- und Smartphone-Eingabe.
Das „Avatar Robot Café“ ist ein soziales Umsetzungsprojekt, in dem Menschen mit Behinderungen, wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), einer unheilbaren, schweren Erkrankung des Nervensystems, als Teil des Personals arbeiten. Diese MitarbeiterInnen, „Pilots“ genannt, steuern die Avatar-Roboter OriHime und OriHime-D aus der Ferne.
Das Ziel dieses Cafés ist es, Möglichkeiten für diejenigen zu schaffen und zu teilen, die arbeiten möchten, dies aber aufgrund ihrer medizinischen oder körperlichen Einschränkungen nicht können. Das Projekt will zeigen, dass mit den richtigen Hilfsmitteln auch Menschen, die sich nur schwer bewegen können, über einen Roboter als Alter Ego von zu Hause aus an körperlicher Arbeit und Kundenservice teilnehmen können.
Aber wie kann eine unnahbar wirkende KI im urbanen Kontext für Emotionen sorgen?
Der Mariendom diente einmal mehr als spektakuläre sakrale Kulisse für LightSense, eine riesige begehbare Architektur, eine neue Generation responsiver Architektur. Die Installation besteht aus einem KI-System, das mit sechzigtausend Gedichten trainiert wurde. Ein Mikrophon lud dazu ein zu erzählen, wie man sich fühlte und antwortete auf dieses Gefühl.
Das sah folgendermaßen aus: Beim Eintreten in den Dom wurden 3D-Brillen verteilt. Und plötzlich befand man sich inmitten einer kinetischen Konstruktion mit holografischen 3D-Animationen. Im Dunkel des Doms flogen plötzlich weiße Schmetterlinge um mich herum. Dazu erklang eine sonorige Stimme. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was die Stimme sagte, aber ich habe mich inmitten dieses Erlebnisses aus Licht, Stimme, Ort und umgeben von anderen BesucherInnen extrem wohlgefühlt. Installationen, wie diese, die mittels Machine Learning trainiert werden, Empathie zu vermitteln – und sich in einem ästhetischen Kontext darstellen – werden immer WOW-Erlebnissen hinterlassen.
Welche Vorhersagen können Städte mithilfe der KI erstellen?
Angelos Chronis ist Leiter des City Intelligence Lab am Austrian Institute of Technology. Angelos erklärt: „Im City Intelligence Lab suchen wir innovative Wege, um eine Stadt lebenswerter zu machen. Denn unsere Städte sind Schauplatz der Klimakrise, und die Gebäude sind die größten Akteure darin.
Sie verursachen 40 % der Treibhausgasemissionen. Doch bis 2050 müssen wir täglich 13.000 neue Gebäude bauen, um das Wachstum der Städte zu bewältigen.“
Um für ArchitektInnen, StadtplanerInnen und natürlich auch Regierungen verständlich zu machen, welche Auswirkungen ihre Entwürfe auf die Umwelt haben und umgekehrt, wurde InFraReD entwickelt. (= Entstand aus einer Zusammenarbeit zwischen dem City Intelligence Lab des AIT, der Bauhaus-Universität Weimar und dem unabhängigen Forscher Theodore Galanos).
Angelos Chronis beschreibt es so: „Es ist ein Tool, das Stadtplanung neu erlebbar macht. Es visualisiert Planungsschritte innerhalb von Sekunden und präsentiert sie in einer Simulation. So kann dank künstlicher Intelligenz (KI) enorm viel Planungszeit eingespart werden.
Das System lernt aus jeder Designentscheidung, sammelt die menschliche Intelligenz und bietet über sein Empfehlungssystem optimierte Designs an. Wir haben ein neuronales Netz trainiert, ein maschinelles Lernmodell, das uns so eine Antwort auf das Klima bei der Entwicklung einer Stadt oder eines städtischen Umfelds gibt.
Wenn PlanerInnen und DesignerInnen einen neuen Vorschlag für ein Gebäude machen wollen, können sie innerhalb von Sekunden Simulationen durchführen. Das verändert die Art und Weise, wie Gebäude entworfen werden. Wir haben in Aspern eine Fallstudie durchgeführt und untersucht, was passieren würde, wenn wir die Gebäude so oder so platzieren würden.“
InFraReD
„InFraReD I“ macht Klimasimulationen zugänglich und integriert sie auf natürliche Weise in die Planung. Es nutzt KI zur Vorhersage von Klimaauswirkungen (Wind, Hitze, Regen usw.). Und es ermöglicht Echtzeit-Feedback zu den Umweltauswirkungen von Entwürfen sowie interaktive AR-Schnittstellen, um sie auf natürliche Weise in den Entwurfsprozess einzubinden.
„InFraReD I“ funktioniert durch eine Kombination von technologischen Innovationen. Deep-Learning-Modelle, die mit Tausenden von Simulationen trainiert wurden, beschleunigen die Ergebnisse um Größenordnungen (200K mal schneller für Wind).
Die Künstliche Intelligenz wird also eingesetzt, um Klimamodelle von Städten viel besser nutzbar zu machen.
Chronis: „Wir verwenden keine Daten aus der realen Welt, also keine Sensoren. Wenn wir ein Gebäude entwerfen, erstellen wir normalerweise eine Simulation. Wir führen Tausende dieser Simulationen durch und erstellen einen Datensatz mit möglichen Simulationen. Wir trainieren Modelle mit Daten, die schnellere Modelle erzeugen. Wenn ich ein Gebäude von einem Ort zum anderen bewege, wie würde der Wind durch das Gebäude strömen?
Wenn wir einen Entwurf für ein neues Gebiet erstellen, verwenden wir in der Regel Simulationen. Diese Modelle wurden in der Vergangenheit mehrfach validiert. Aber bei neuen Gebäuden können wir nicht wissen, was passiert, also verwenden wir Simulationsdaten. Wir machen Simulationen zugänglich – dafür wurden wir für den STARTS-Preis nominiert.“
City Intelligence Lab
Was Chronis und sein Team bei der Ars Electronica eingereicht hat, ist das City Intelligence Lab. Er erklärt: „Wir haben verschiedene Plattformen entwickelt, die es uns ermöglichen, urbane Lösungen zu testen. Wenn wir also z.B. ein neues Baugebiet in einer Stadt vorschlagen, können wir nicht nur den Wind, die Sonne und die thermischen Bedingungen mit Hilfe von Infrarot bewerten, sondern auch die Erreichbarkeit verstehen.
Die Mobilität, wie sich die Menschen fortbewegen, wenn wir dieses Gebäude hier errichten, wie wirkt sich das auf die Verkehrsströme aus? Wie lange würden die Menschen von A nach B laufen, wie weit sind die Schulen entfernt? Wir haben eine Plattform für das Design entwickelt, die auf KPIs und Metriken basiert und KI zur Erstellung dieser Simulationen verwendet.“
TreeHopper unterstützt BürgerInnenpartizipation
Mit dem Projekt „TreeHopper“ unterstütze das City Intelligence Lab die Klimastrategie der Stadt Wien, die unter anderem die Pflanzung von 25.000 neuen Bäumen vorsieht.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde Chronis Team vom CIL mit der Herausforderung konfrontiert. Eine partizipative digitale Lösung zu entwickeln, die wichtige Kriterien wie Parkplätze, Wärmeinseln usw. berücksichtigt.
Treehopper zielt darauf ab, das Engagement der Bürger zu fördern und ihre Beteiligung durch eine interaktive Webplattform zu stärken, die den Nutzern ermöglicht, neue Baumstandorte vorzuschlagen und sofortiges Feedback zu den Auswirkungen auf das Mikroklima, die Beschattung, das Parken von Autos und Fahrrädern sowie die technische Machbarkeit zu erhalten.
„Es gäbe so viele riesige, unrealistische Ideen für zukünftige Stadtplanung“, mein Chronis. Der Ansatz seines Instituts sei es, realistische Konzepte zu erschaffen, die wirklich Verbesserung in den Städten bewirken. „Mit kleineren Steps kann man manchmal mehr für die Menschheit erreichen.“
Video: https://www.youtube.com/watch?v=OpH_Me0jGNM&t=1s
FAZIT
Wie Festivalleiter Gerfried Stocker richtig sagte: „Wir haben immer noch keine Ahnung, was die Klimakrise für uns bedeuten wird. Aber auf der ganzen Welt setzen sich KünstlerInnen, ForscherInnen, AktivistInnen und StudentInnen seit geraumer Zeit dafür ein, den notwendigen Wandel einzuleiten. Und die Entschlossenheit und Kreativität, mit der sie das tun, ist ermutigend.“
Lesen Sie auch: https://www.stadtmarketing.eu/kuenstliche-intelligenz/
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