Kooperative Multifunktionshäuser: Impulsgeber für lebendige Regionen

15.04.2025
Gesellschaft, Innenstadtbelebung

Gasthof Krone_Thal
© Martin Vogel, Vorarlberg Tourismus, CC BY-ND.

Kooperative Multifunktionshäuser sind eine probate Antwort auf eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit, insbesondere für (kleinere) Kommunen im peripheren ländlichen Raum: Wie können wir die Angebote der Daseinsvorsorge und des täglichen Bedarfs für unsere Bürger:innen sichern und die Orts- und Stadtkerne wieder beleben?

Gemeinschaftstreffpunkte, Nahversorgung und soziale Infrastruktur sind gerade in dünn besiedelten Gebieten immer schwieriger aufrechtzuerhalten und führen vielerorts zu einem spürbaren Verlust an Lebensqualität. Wirtschaftliche Veränderungen und der demografische Wandel verstärken die Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und dem verfügbaren Angebot.

Kooperative Multifunktionshäuser begegnen dieser Herausforderung mit einem ganzheitlichen Ansatz: Als moderne Drehscheiben verbinden sie soziale und wirtschaftliche Funktionen, schaffen lebendige Begegnungsorte und tragen zur Stärkung der lokalen Gemeinschaft bei. Doch was macht sie so erfolgreich? Ein Blick auf ihre Wirkung und Potentiale zeigt, wie solche Projekte langfristige Lösungen bieten können.

Vom Multifunktionshaus zum kooperativen Zentrum: Mehr als nur ein Gebäude

Das Konzept der Multifunktionshäuser ist nicht neu. Schon lange werden unter dem Stichwort „Multifunktionalität“ verschiedene Angebote der Daseinsvorsorge in einem Gebäude gebündelt – von der Verwaltung über Bankfilialen bis hin zu Kindergärten. Ziel ist es, Synergien zu schaffen: Kostenteilung, höhere Auslastung und eine bessere Nutzung des Raums.

Doch während klassische Multifunktionshäuser in der Regel als reine Immobilienprojekte entstehen, geht das Kooperative Multifunktionshaus einen Schritt weiter. Es wird nicht einfach geplant und gebaut, sondern gemeinsam mit Bürger:innen, lokaler Wirtschaft und Gemeinde entwickelt. Daraus entstehen nachhaltige, wirtschaftlich tragfähige Orte, die nicht nur versorgen, sondern auch Gemeinschaft stiften.

Auf den Punkt gebracht:

Kooperative Multifunktionshäuser sind zentrale, oft ortsbildprägende Gebäude in Orts- und Stadtkernen, welche verschiedene Angebote der Daseinsvorsorge, der lokalen Wirtschaft, der Gemeinde und des Wohnens miteinander kombinieren. Die Besonderheit liegt darin, dass die Bürger:innen als aktive Partner:innen mitgestalten und in die Entwicklung sowie den Betrieb maßgeblich eingebunden sind. Durch die so geschaffene persönliche Bindung und die Nutzung von Synergieeffekten durch die Multifunktionalität entstehen nachhaltige, finanziell tragfähige Treffpunkte der Gemeinschaft mit an die Bedarfe der Region angepassten Angeboten.

Die besonderen Stärken Kooperativer Multifunktionshäuser

Drei Kernmerkmale heben diese Häuser von herkömmlichen Immobilienprojekten ab:

  1. Geteilte Verantwortung, starke Verbundenheit
    Die Bevölkerung wirkt nicht nur beratend mit, sondern beteiligt sich aktiv an Entwicklung, Finanzierung und Betrieb – aus Nutzern werden Mitgestalter.
  2. Mehr als die Summe seiner Teile
    Unter einem Dach entstehen lebendige Mischungen aus Nahversorgung, Arbeitsplätzen und sozialem Austausch. Vom Dorfladen bis zum Gemeinschaftsbüro ergänzen sich verschiedene Funktionen sinnvoll.
  3. Maßgeschneidert für die Region
    Durch die Einbindung lokaler Akteure entstehen keine Standardlösungen, sondern passgenaue Konzepte. Jedes Haus entwickelt so ein unverwechselbares Profil, das die Besonderheiten der Gemeinde widerspiegelt.
Finanzierungsansätze Kooperative Multifunktionshäuser
Abbildung 1: Vergleich zwischen klassischem und gesellschaftlichem Finanzierungsansatz, Quelle: ÖAR GmbH in Abwandlung nach: M. Kelly; Owning our future

 Warum funktioniert dieses Modell?

Der Erfolg Kooperativer Multifunktionshäuser erklärt sich durch ihr einzigartiges Zusammenspiel sozialer und wirtschaftlicher Faktoren. Im Kern steht die starke Identifikation der Bevölkerung mit „ihrem“ Haus, die durch aktive Beteiligung entsteht. Die starke emotionale Bindung führt nicht nur zu höherer Akzeptanz, sondern auch zu einer intensiveren Nutzung der Angebote. Gleichzeitig schafft das Modell eine stabile wirtschaftliche Basis durch finanzielle Beteiligung, gesteigerte Kaufkraft vor Ort und ehrenamtliches Engagement.

Oft entstehen auch positive Effekte für die Region: Lokale Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe profitieren von Bau- und Instandhaltungsaufträgen, während der bevorzugte Kauf regionaler Produkte die Wirtschaftskreisläufe fördert. Neue Arbeitsplätze entstehen und die Gemeindefinanzen werden durch zusätzliche Einnahmen gestärkt. Als lebendige Zentren entwickeln Kooperative Multifunktionshäuser – ähnlich wie Einkaufzentren – eine Sogwirkung, die das gesamte Umfeld belebt.

Vorteile Kooperative Multifunktionshäuser für Gemeinden
Abbildung 2: Die positiven Aspekte Kooperativer Multifunktionshäuser für Gemeinden. © Stadtmarketing Austria

Wann sind Kooperative Multifunktionshäuser die richtige Lösung?

Kooperative Multifunktionshäuser kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn in der Gemeinde eine Ausgangslage vorherrscht, die möglichst vielen der folgenden Kriterien entspricht:

  • Leidensdruck als Auslöser: Ein deutlich wahrnehmbarer Handlungsbedarf schafft den Nährboden für Veränderung – zum Beispiel durch fehlende Nahversorgung, Leerstand oder ein schwindendes Gemeinschaftsleben.
  • Erfolglosigkeit herkömmlicher Handlungsweisen: Bereits unternommene Maßnahmen haben keine zufriedenstellenden Ergebnisse gebracht oder bieten keine Aussicht auf Erfolg.
  • Vorhandensein von „LeistungsLUST“: Zumindest eine kleine engagierte Gruppe (Initiativ- oder Kerngruppe) zeigt Bereitschaft und Motivation, aktiv an Veränderungen mitzuwirken.
  • Partnerschaftliches Leitbild der Gemeindeführung: Die Gemeindeleitung lebt die Haltung „Bürger:innen und Wirtschaft als Partner:innen“ bereits aktiv oder möchte zukünftig verstärkt in diesem Sinne handeln.

Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass Kooperative Multifunktionshäuser nicht zwingend aus einer akuten Problemlage heraus entstehen müssen. Auch ohne bestehenden Leidensdruck können sie proaktiv als Instrument zur langfristigen Stärkung des Gemeinwohls und der Förderung von Gemeinschaftsstrukturen genutzt werden.

Die sechs Schritte zum Kooperativen Multifunktionshaus

Kooperative Multifunktionshäuser entstehen durch einen offenen Entwicklungsprozess, der lokale Potentiale aktiviert, bündelt und umsetzt. Die nachfolgende Übersicht zeigt die wesentlichen Schritte – wobei diese in der Praxis nicht streng linear, sondern teilweise parallel verlaufen.

Schritt 1 – Vision der Kerngruppe

Eine engagierte Kerngruppe entwickelt eine gemeinsame Vision von der Zukunft der Gemeinde im Sinne des Gemeinwohls, die gleichzeitig offen und erweiterbar ist. Schlüsselakteure wie Gemeindeleitung, Unternehmer:innen und Netzwerke sollten von Beginn an integriert werden.

Schritt 2 – Aktivierung der Bevölkerung

Die breite Bevölkerung wird aktiv in den Prozess einbezogen, um lokale Bedürfnisse zu ermitteln und die Mitgestaltung zu fördern – sei es durch kreative Ideen, persönliches Engagement oder finanzielle Beteiligung. Eine professionelle Moderation und Prozesssteuerung durch externe Experten sorgt für eine strukturierte und zielgerichtete Beteiligung.

Schritt 3 – Festlegung von Standort, Gebäude, Raum- und Nutzungskonzept

Parallel zur Bedarfsermittlung wird ein geeignetes Gebäude gesucht und ein Raum- sowie Nutzungskonzept entwickelt, das die Angebotsschwerpunkte berücksichtigt. Ideal sind barrierefreie Leerstände im Ortszentrum, die gut erreichbar sind. Potentielle Nutzer:innen wie Gastronomiebetriebe, Kulturinitiativen und Vereine sollten frühzeitig einbezogen werden.

Schritt 4 – Angebotsentwicklung

In dieser Phase werden spezifische Angebote entwickelt, die auf den lokalen Bedarf und die räumlichen Gegebenheiten abgestimmt sind. Wichtige Elemente sind die Integration von Frequenzbringern wie Kultur-, Bildungs- oder Sportangeboten, die Nutzung regionaler Alleinstellungsmerkmale und ein breiter Zielgruppenmix.

Schritt 5 – Trägerschaft und Finanzierungsmodell

Basierend auf den festgelegten Angebotsschwerpunkten werden tragfähige Organisations- und Finanzierungsmodelle erarbeitet. Dabei stehen Wirtschaftlichkeitsprüfungen und die Wahl der passenden Rechtsform im Mittelpunkt.

Schritt 6 – Umsetzung & Kommunikation

Ein durchdachtes Bespielungs- und Marketingkonzept sowie niederschwellige Angebote machen das Kooperative Multifunktionshaus von Anfang an sichtbar und erlebbar. Für den laufenden Betrieb empfiehlt sich eine hauptamtliche Koordination, die Management und Evaluation übernimmt. Ergänzt durch einen ehrenamtlichen Vorstand oder Führungskreis entsteht eine stabile Verbindung zwischen professioneller Steuerung und lokaler Verankerung.

Sechs Entwicklungsschritte für Kooperative Multifunktionshäuser
Abbildung 3: Die sechs Entwicklungsschritte für Kooperative Multifunktionshäuser. © Stadtmarketing Austria

Welche Betreiber- und Finanzierungsmodelle sind geeignet?

Ein besonders Merkmal Kooperativer Multifunktionshäuser ist ihr gemeinschaftlicher Finanzierungsansatz: Neben kommunalen Beiträgen wie Pachtnachlässen oder Förderungen bringen auch Bürger:innen (durch z.B. Arbeitsstunden, Kapital oder Vereinsmitgliedschaften) sowie lokale Unternehmen (über z.B. Raummieten, Spenden oder Genossenschaftsanteile) Ressourcen ein. Diese breite Beteiligung erfordert jedoch passgenaue rechtliche Strukturen.

Die Wahl der optimalen Trägerform orientiert sich dabei im Wesentlichen an vier Schlüsselfaktoren:

  1. Investitionsvolumen (gering bei Vereinen, hoch bei Genossenschaften/GmbH)
  2. Haftungsverteilung (persönlich bei GesbR, begrenzt bei GmbH)
  3. Gemeinwohlorientierung (stark bei Vereinen, moderat bei Genossenschaften)
  4. Steuerliche Aspekte (z. B. bei GmbH & Co KG)

In der Praxis haben sich fünf Modelle herausgebildet, die jeweils unterschiedliche Anforderungen erfüllen:

  1. GesbR/ARGE: Ideal, wenn Expert:innen eigenverantwortlich Teilbereiche betreiben und gemeinsame Investitionen tätigen. Geringer Formalaufwand, geeignet für Projekte mit geringem Investment und überschaubarem Risiko.
  2. Vereine: Einfach und kostengünstig für gemeinnützige, ehrenamtlich getragene Vorhaben mit geringem Investitionsbedarf.
  3. Genossenschaften: Demokratische Struktur, optimal für kapitalintensive Projekte mit breiter Bürgerbeteiligung („Crowdfunding“).
  4. GmbH: Professionelle Struktur für langfristige, gewerbliche Nutzungskonzepte mit hohem Investitionsbedarf und Betreiberrisiko.
  5. Personengesellschaften: Geeignet für investitionsstarke Projekte mit überschaubarem Risiko, bei denen einzelne Investoren größere Beträge einbringen und steuerliche Vorteile nutzen.

Erfahrungsgemäß bewähren sich häufig Mischformen verschiedener Rechtsstrukturen. Besonders verbreitet ist die Kombination aus Verein und klassischen Unternehmermodellen, die es ermöglicht, gemeinnützige und gewerbliche Bereiche rechtlich sauber zu trennen. Generell wird empfohlen eine unternehmensrechtliche, fördertechnische und steuerliche Beratung hinzuzuziehen.

Trägerformen für Kooperative Multifunktionshäuser
Abbildung 4: Geeignete Gesellschaftsformen für Kooperative Multifunktionshäuser. © Stadtmarketing Austria

Förderungen und Beihilfen für Kooperative Multifunktionshäuser

Die Finanzierung Kooperativer Multifunktionshäuser ist oft komplex, da sie verschiedene Nutzungen und damit unterschiedliche Förderquellen kombinieren. Sobald konkrete Pläne für Nutzungsmix und Trägerschaft vorliegen, sollte daher Kontakt mit der zuständigen Landesförderstelle bzw. dem regionalen LEADER- und Regionalmanagement aufgenommen werden. Sie unterstützen bei der Identifikation passender Fördermittel und begleiten den Antragsprozess.

Fördermix: Kombination verschiedener Finanzierungsquellen

Kooperative Multifunktionshäuser profitieren häufig von einem Fördermix aus EU-, Bundes- und Landesmitteln. Mögliche Förderbereiche umfassen:

  • Projektentwicklung & Bürgerbeteiligung
  • Gebäudeerrichtung oder Umbau (z. B. über die GAP-Maßnahme „Orts- und Stadtkernförderung“)
  • Betriebskosten

EU-Beihilfenrecht: Was ist zu beachten?

Förderungen für gewerbliche Nutzungen (z. B. Cafés, Einzelhandel) unterliegen dem EU-Beihilfenrecht. Erfüllt eine Förderung alle Kriterien des Beihilfenrechts, muss sie geprüft werden, um sicherzustellen, dass sie den EU-Vorgaben entspricht. Andernfalls kann die Förderung zurückgefordert werden.

Praxistipps zur Beihilfenvermeidung:

  • Nicht-wirtschaftliche Dominanz: Maximal 20 % gewerbliche Nutzung im Gesamtkonzept.
  • Marktkonforme Mieten für gewerbliche Mieter.
  • Transparente Ausschreibungen für den Betrieb der geförderten Einrichtung.

Falls eine Förderung als Beihilfe eingestuft wird, kann sie dennoch im Rahmen der De-minimis-Regelung (bis 300.000 € in 3 Jahren) oder der DAWI-Regelung (bis 750.000 € für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse) gewährt werden.

Hinweis: Fördertechnisch wird oft eine klare Trennung zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Projektteilen vorgenommen. Nicht-kommerzielle Bereiche können so in vollem Umfang gefördert werden, während für gewerbliche Anteile die De-minimis-Regelung greift.

Kooperative Multifunktionshäuser: Kategorien & erfolgreiche Modelle

Kooperative Multifunktionshäuser sind so individuell wie die Gemeinden selbst – jedes Projekt entwickelt seine eigene, bedarfsorientierte Angebotskombination. Aus der Praxis lassen sich dennoch vier typische Schwerpunktbereiche ableiten, die oft miteinander kombiniert werden.

  1. Begegnung: Freizeit, Kultur, Gastronomie
  2. Nahversorgung: Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs
  3. Coworking: Flexibel nutzbare Arbeitsplätze
  4. Gesundheit: Medizinische Dienstleistungen und Gesundheitsangebote

Bestehende Beispiele zeigen eine faszinierende Vielfalt an Konzepten und Umsetzungswegen. Nachfolgend präsentieren wir eine Auswahl an Good-Practice-Beispielen, die zeigen, wie solche kooperativen Modelle erfolgreich umgesetzt werden können.

Die Krone in Thal – Begegnung, Nahversorgung & Coworking

Mit der Krone in Thal im Bregenzerwald wurde 1989 ein Pionierprojekt ins Leben gerufen, das als eines der ersten Kooperativen Multifunktionshäuser erfolgreich realisiert wurde. Als 1988 das traditionsreiche Gasthaus samt Dorfladen kurz vor der Schließung stand, gründete eine engagierte Gruppe von Bürger:innen einen Selbsthilfeverein und entwickelte ein tragfähiges Konzept. Heute umfasst die Krone weit mehr als nur Gastronomie und Nahversorgung – sie beherbergt auch eine Bankfiliale, einen Veranstaltungssaal, Proberäume für die Musikkapelle, einen Jugendtreff und sogar eine Wohnung im Dachgeschoss. Das flexible Nutzungskonzept und die enge Verzahnung von gewerblichen und gemeinnützigen Angeboten machen die Krone zu einem lebendigen Zentrum der Gemeinde. Finanziert wird das Projekt durch Mitgliedsbeiträge, Mieteinnahmen, Fördermittel und Spenden.

Der Gasthof Krone in Thal ist ein Pionier im Bereich Kooperative Multifunktionshäuser
Abbildung 5: Das Kooperative Multifunktionshaus entstand aus dem Wunsch, das Herzstück des Dorfes zu bewahren. © Martin Vogel, Vorarlberg Tourismus, CC BY-ND.

Das Haus der Generationen in Schwaz – Begegnung, Nahversorgung & Inklusivität

Das Haus der Generationen in Schwaz ist ein Musterprojekt für ein Kooperatives Multifunktionshaus, das Nahversorgung und unterschiedliche Wohn- und Betreuungsangebote zusammengeführt. Der Dorfladen am Standort wird von der Lebenshilfe Tirol betrieben und bietet Menschen mit Behinderung Arbeits- und Ausbildungsplätze. Im Jahr 2020 wurde das Angebot um ein Dorfcafé erweitert, das sich schnell zu einem beliebten Treffpunkt für alle Generationen entwickelte. Das Projekt lebt von der engen Zusammenarbeit zwischen Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen und der Stadt Schwaz.

Dorfladen im Kooperativen Multifunktionshaus in Schwaz
Abbildung 6: Mario Kreidl arbeitet im Dorfladen der Lebenshilfe in Schwaz und bereitet sich für den Arbeitsmarkt vor. © Lebenshilfe / Brunner

 „Hartrium“ in Hartkirchen – Begegnung, Nahversorgung & Coworking

Wo einst leerstehende Gebäude oder Verkaufsflächen das Ortsbild dominierten, entstehen belebte Treffpunkte und kulturelle Zentren. Im oberösterreichischen Hartkirchen wurde 2022 ein ehemaliges Supermarktgebäude in ein Community Center umgewandelt – das „Hartrium“. Inspiriert von US-amerikanischen Vorbildern und der bugo-Bücherei in Göfis, entstand aus der Initiative zweier engagierter Bürger:innen ein multifunktionaler Raum für kulturelle Veranstaltungen, Bildungsangebote und Arbeitsräume. Weitere Angebote sind ein Tauschraum, ein Dorfladen, eine Dorfgalerie, ein Seminarraum, eine Leselounge sowie eine Ludothek (Ausleihspiele). Das Projekt erhielt Unterstützung von der Gemeinde, der Sparkasse und einer LEADER-Förderung. Heute wird das „Hartrium“ von 120 ehrenamtlichen Vereinsmitgliedern betrieben und bietet der Gemeinde flexible Nutzungsmöglichkeiten.

Hartriums in Hartkirchen
Abbildung 7: Das Atrium ist der zentrale Aufenthaltsbereich des Hartriums, von dem aus alle anderen Räume wie Seminarraum, Dorfladen und Tauschraum zugänglich sind. © Hartrium

Der Leutkircher Bürgerbahnhof – Coworking & Begegnung

Viele Kooperative Multifunktionshäuser nutzen historische Bausubstanz und kombinieren wirtschaftliche Nutzungen mit sozialen und kulturellen Angeboten. In Leutkirch (Allgäu, Baden-Württemberg) wurde der 1889 erbaute Bahnhof von einer Bürgergenossenschaft übernommen, saniert und 2012 als Bürgerbahnhof wiedereröffnet. Der revitalisierte Bahnhof beherbergt nun eine Brauerei-Gastronomie, Büros für sieben Unternehmen und ein Informationszentrum für Nachhaltigkeit. Die Finanzierung erfolgte über Genossenschaftsanteile, Spenden und Fördermittel – getragen von über 650 Mitgliedern und einem starken zivilgesellschaftlichen Rückhalt.

Leutkirch bahnhof_ansicht_aussen
Abbildung 8: Rund 650 Bürger brachten über eine Million Euro für die Sanierung ihres maroden Bahnhofs auf. © Leutkircher Bürgerbahnhof eG

GIESSEREI in Ried im Innkreis – Coworking & Begegnung

Ein weiteres Beispiel für die Verbindung von gemeinschaftlicher Nutzung und wirtschaftlicher Tragfähigkeit ist das HofmannHaus in Ried im Innkreis (OÖ). Der Verein TRAFOS erwarb das denkmalgeschützte Gebäude aus dem 15. Jahrhundert und wandelte es in ein „Haus der Nachhaltigkeit“ um. In der „GIESSEREI“ – benannt nach der historischen Nutzung als Zinngießerei – befinden sich nun seit 2021 nachhaltige Geschäfte, ein gastronomisches Angebot, ein Marktplatz für ökologische Produkte sowie Coworking-Spaces und ein Veranstaltungsraum. Die Finanzierung setzte auf eine Bürgergenossenschaft, Nachrangdarlehen, Fördermittel und ökologische Sanierungsprogramme.

GIESSEREI im Innviertel
Abbildung 9: Die GIESSEREI ist der Hotspot für nachhaltige Geschäftsideen und kreative Köpfe im Innviertel. © GIESSEREI eG

Lebensraum Leogang – Gesundheit & Begegnung

Das Projekt „Lebensraum Leogang“ im Pinzgau ist ein Vorzeigemodell für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum durch lokale Synergien. Das Kooperative Multifunktionshaus vereint seit 2020 eine Arztpraxis, Österreichs erstes Tageshospiz im ländlichen Raum, das Büro des Trägervereins „Loigom hoit zomm“ und einen Veranstaltungsraum unter einem Dach. Die enge Zusammenarbeit zwischen Tageshospiz und Arztpraxis sowie der Einsatz ehrenamtlicher und professioneller Kräfte ermöglichen ein niederschwelliges, kostenloses Angebot. Ergänzt wird das Angebot durch soziale Beratung und generationsübergreifende Projekte.

Büro des Trägervereins des Kooperativen Multifunktionshauses Lebensraum Leogang
Abbildung 10: Das Büro des Betreibervereins ist die zentrale Anlaufstelle für alle Fragen rund um soziale, medizinische und pflegerische Themen. © Loigom hoit zomm

Generationenbahnhof Erlau – Gesundheit & Begegnung

Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel für ein Kooperatives Multifunktionshaus mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Begegnung ist der Generationenbahnhof in Erlau (Sachsen). Nach jahrzehntelangem Leerstand wurde der denkmalgeschützte Bahnhof im Jahr 2016 durch eine enge Kooperation zwischen der Gemeinde und dem eigens gegründeten Verein „Generationenbahnhof Erlau“ revitalisiert. Aktuell befinden sich im Bahnhof eine Seniorentagespflege, eine Zahnarztpraxis, ein ambulanter Pflegedienst sowie ein Bürgersaal und ein Bürgerbüro.

Die Gemeinde übernahm die bauliche Umsetzung, der Verein organisierte die Bürgerbeteiligung und inhaltliche Ausrichtung. Finanziert wurde das Projekt unter anderem durch LEADER-Mittel und lokale Beiträge. Der Generationenbahnhof ist inzwischen ein lebendiges Zentrum für die Gemeinschaft, das sowohl Gesundheitsversorgung als auch kulturelle und soziale Angebote bietet.

Konzept Generationenbahnhof Erlau
Abbildung 11: Das Konzept des Generationenbahnhof Erlau – Bürgerengagement und professionelle Angebote gehen Hand in Hand. Quelle: Screenshot Generationenbahnhof Erlau

Vertiefende Informationen

Eine umfassende Anleitung zur Entwicklung und Umsetzung von Multifunktionshäusern in Orts- und Stadtkernen finden Sie in der Broschüre „Kooperative Multifunktionshäuser – Leitfaden zur gemeinsamen Umsetzung“, welche die CIMA Österreich Beratung + Management GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft erstellte. ​ Zusätzlich bietet die Broschüre „Kooperative Multifunktionshäuser – Good-Practice-Beispiele“ tiefere Einblicke zu den genannten Good-Practice Beispielen sowie zahlreiche weitere erfolgreiche Umsetzungen von Kooperativen Multifunktionshäusern. Zusätzliche Materialien und Informationen sind auf der BML Regionen-Dialog-Plattform verfügbar. ​

Fazit: Kooperative Multifunktionshäuser als Entwicklungsmotoren

Kooperative Multifunktionshäuser sind passgenaue Antworten auf die Herausforderungen ländlicher und städtischer Räume – nicht zentral verordnet, sondern lokal getragen. Sie zeigen, wie Zukunft vor Ort gestaltet werden kann: durch bedarfsorientierte Angebote, wirtschaftliche Impulse und eine aktive Zivilgesellschaft. Wo Bürger:innen an Planung und Umsetzung beteiligt sind, entstehen belastbare Strukturen, die soziale Teilhabe ermöglichen und regionale Entwicklung stärken. So wird aus Leerstand neues Leben – und aus Engagement ein gemeinschaftlich gestalteter Lebensraum.

Roland-Murauer

Roland Murauer

Mag. Roland Murauer ist geschäftsführender Gesellschafter der CIMA Beratung + Management GmbH in Österreich, die er 1993 mitbegründet hat.
Das Unternehmen mit Sitz in Ried im Innkreis sowie seit 2023 mit einem weiteren Standort in Wien zählt zu den führenden Beratungsagenturen für Stadt-, Standort-, Immobilien- und Regionalentwicklung, sowohl im D-A-CH Raum als auch in weiteren mittel- und süd(ost)europäischen Ländern.
Neben seiner Tätigkeit bei der CIMA engagiert sich Roland Murauer als Vorstandsmitglied von Stadtmarketing Austria, insbesondere im Bereich des Netzwerkmanagements zu europäischen Partnerorganisationen.
In diesen Funktionen bringt er sein fundiertes Fachwissen aktiv in die strategische Weiterentwicklung urbaner Räume auf nationaler und europäischer Ebene ein.

Jetzt Mitglied werden

Warum sich bereits mehr als achtzig Standorte in Österreich als Mitglieder beim Dachverband Stadtmarketing Austria austauschen?

Weil wir gezeigt haben, dass „Miteinander“ mehr bringt. Im Miteinander machen Sie für Ihren Standort das Mögliche zum Machbaren. Wir unterstützen Sie dabei mit Know-how, das sich in der Praxis bewährt hat, mit Weiterbildung, die neue Perspektiven eröffnet sowie mit Erfahrungsaustausch, der Sie in Ihrer Rolle stärkt.

Formen Sie aktiv die Zukunft des Stadtmarketings!

Werden Sie Teil unserer dynamischen Gemeinschaft und nutzen Sie unsere vielfältigen Angebote zur fachlichen Weiterentwicklung und Einflussnahme.