Industriebauten „reloaded“
31.08.2022
Architektur
31.08.2022
Architektur
Der Eiffelturm, der schiefe Turm von Pisa und die amerikanische Freiheitsstatue gehören zu den berühmtesten Landmarken der Welt. Wo liegt nun der Unterschied zu Wahrzeichen oder Denkmälern? Wieviel Identität geben sie einer Stadt und ihren BewohnerInnen? Wie kann man Industriebauten vor dem Verfall oder Abriss schützen?
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte betrifft viele Städte – so auch meine Heimatstadt Steyr und die Schlote der alten Waffenfabrik. Aus diesem aktuellen Anlass habe ich mir zu diesem Thema Gedanken gemacht.
Landmarke ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Luft- und Schifffahrt stammt. Er benennt ein Küstenseezeichen wie einen Leuchtturm oder ein anderes auffälliges, weithin sichtbares topographisches Objekt. Kirchen, Türme, Windräder, Burgen, Berge oder markante große Bäume können Landmarken darstellen, da sie bei räumlicher Orientierung und terrestrischer Navigation eine wichtige Rolle spielen und auf Landkarten durch besondere Zeichen markiert sind.
Zahlreiche Landmarken gibt es im Ruhrgebiet mit weithin sichtbaren Abraumhalden und stillgelegten Fördertürmen. Zum Teil wurden sie von Künstlern zu Industriedenkmälern umgestaltet. Sie sind Zeugen besonderer Orte und ihrer einzigartigen Geschichte.
Die „Initiative Denkmalschutz“ beschäftigt sich mit aktuellen Beispielen und unterstützt Initiativen und Aufarbeitung. „Das Zeitalter der Industrialisierung hat spezifische Bauwerke – Fabriken und Kraftwerke, Bahnhöfe und Wassertürme. Diese haben in Österreich noch nicht die Wertschätzung, die sie verdienen würden“, konstatiert Experte Wolfgang Burghart.
Er nennt positive Beispiele wie die Semmeringbahn als Weltkulturerbe, aber zugleich negative Höhepunkte wie die Wollzeug-Fabrik in Linz, die abgerissen wurde.
„Vom Denkmalschutz zwar wahrgenommen, aber hilflos dem Druck nach kommerzieller Verwertbarkeit ausgeliefert, erfordern die spröden Zeugen des Industriezeitalters, deren Schönheit sich oft erst auf den zweiten Blick entfaltet, unsere besondere Aufmerksamkeit“, so Burghart.
An der Linzer Donaulände wurde 1850 der Betrieb der Linzer Wollzeugfabrik, die in einem barocken, schlossähnlichen Gebäude angesiedelt war, eingestellt und Räumlichkeiten für die Erzeugung von Rauch- und Kautabaken genutzt.
1904 kam es zur Gründung der österreichischen Tabakregie und in den 1930er Jahren wurde nach Plänen zweier Architekten ein neuer Gebäudekomplex auf dem riesengroßen Gelände errichtet. Die denkmalgeschützte Industrieanlage ist der erste Stahlskelettbau Österreichs im Stil der Neuen Sachlichkeit und daher architekturgeschichtlich von immenser Bedeutung.
Im Jahr 2010, ein Jahr nach Einstellung der Zigarettenproduktion, hat die Stadt Linz das Fabriksareal und den Gebäudebestand gekauft und es zum Gebiet der Stadtentwicklung erklärt. Dieses Areal entwickelt sich nun sukzessive als Zentrum der Kreativwirtschaft und Digitalisierung in der oberösterreichischen Landeshauptstadt.
Die Tabakfabrik soll mithilfe der „Creative Region“ folgendermaßen funktionieren: Eingemietete Unternehmen arbeiten wie eine Kreativkette zusammen. Es gibt Forschung und Wissenschaft neben Kunst und Produktion. Start-up-Center liegen neben Gastronomiebetrieben, es gibt einen Schulstandort und die Brauerei des neu aufgelegten traditionellen „Linzer Biers“.
Die Zahl der Arbeitsplätze hat sich seit Ende der Tabakproduktion im Jahr 2009 verzehnfacht. Hier ist ein Zentrum für Internationalität und Kreativität entstanden, das einen ganzen Stadtteil von Linz neu definiert.
Exemplarisch für die Symbolkraft und den identitätsstiftenden Wert von Industriegebäuden sind die Steyr-Werke. Im Jahr 1914 wurden die Fabriksanlagen der Österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft, später in „Steyr-Werke AG“ umbenannt, in der Rekordzeit von 260 Tagen auf der Ennsleite errichtet.
Somit wurden hier während des gesamten Ersten Weltkrieges lang Waffen produziert. In der Zwischenkriegszeit wurden Fahrräder und Automobile erzeugt. Die Fabrik spielte seit jeher als einer der bedeutendsten Arbeitgeber eine große Rolle für Steyrs Wohlstand und die Steyrer Bevölkerung. Die beiden Schlote des Werks prägen das Stadtbild stark und sind Wahrzeichen für deren Geschichte.
Nun lösen sich von einem Schlot Betonteile und stürzen bis zu 70 m in die Tiefe und gefährden Arbeiter und Gebäude. Es droht der Abriss wegen zu hoher Sanierungskosten. Allerdings existiert ein Gutachten des Bundesdenkmalamtes, das den Schlot für schutzwürdig erachtet.
Ich zitiere einen aktiven Steyrer Bürger, der sich intensiv für den Erhalt des Schlotes einsetzt: „Auch vom Kirchturm der Stadtpfarrkirche fallen Trümmer herunter. Würde man Überlegungen anstellen, diesen abzutragen, würde die Bevölkerung auf die Barrikaden gehen.“
Das Gebäude ist im Besitz der Energie Contracting, einer Tochter der Energie AG. Sie ist sich bestimmt ihrer Verantwortung bewusst und es darf angenommen werden, dass entsprechende Maßnahmen zum Erhalt des Schlotes ergriffen werden.
Zusätzlich sind private Initiativen entstanden, die sich für die Rettung des Schlotes einsetzen, außerdem wird über Crowdfunding nachgedacht. Die Ideen reichen von Steyr-Werken Souvenirs und dem Verkauf von Schlot-Steinen über Laser-Projektionen bis hin zur Errichtung eines Kletterturms.
Es handelt sich auf jeden Fall um ein hochemotionales Thema, da die Steyr-Werke ein Symbol der Stadt in erfolgreichen aber auch dunklen Zeiten waren.
Die vier großen Gasometer in Wien–Simmering sind von Weitem sichtbar, deren Fassaden aus dem Jahr 1896 zählen zu den bekanntesten Industriedenkmälern Österreichs. Sie wurden von 1999 bis 2001 umfangreich renoviert und beheimaten heute ein Veranstaltungszentrum samt Wohnungen und Studentenheim.
Das Gaswerk Simmering mit ihren Gasometern war von 1899 bis 1975 in Betrieb, danach wurde ein Gesamtkonzept erarbeitet und vier Architekten mit dessen Umsetzung betraut. Seit der Revitalisierung zählen TouristInnen und ArchitekturexpertInnen aus aller Welt zu den BesucherInnen.
Die Gasometer sind durch einen gewissen Dorfcharakter geprägt, weil sie auf 220.000 m² als eigenständige „Stadt in der Stadt“ funktionieren. Die Identifizierung der rund 1500 BewohnerInnen der Gasometer ist groß und existiert sowohl virtuell in einer Gasometer-Community als auch real als Verein und gelebte Nachbarschaft.
Zahlreiche Diplomarbeiten und Dissertationen im Bereich der Raumplanung, Architektur und Publizistik widmeten sich diesem speziellen Phänomen.
Die Kulturhauptstadt 2022 im luxemburgischen Esch zeigt anhand vieler Beispiele, wie man Bewusstsein für Stadtgeschichte und Baudenkmäler vermitteln kann. Bis in die 1980er Jahre war die Region als klassisches Industrierevier von Stahlhütten und Bergbau geprägt. Im Lauf der Zeit wurde Stahlherstellung in Westeuropa unrentabel und daher blieben ab 1997 die Hochöfen im Industriegebiet Belval kalt.
Zwei erhaltene Schlote sind seit 2000 als Industriedenkmale geschützt und wichtige Landmarken der Region. 2014 fand die festliche Einweihung der renovierten Hochöfen und ihrer Außenanlagen statt, auf denen ein neues Wohnquartier errichtet wurde.
Neben dem noch aktiven ARBED-Stahl- und Walzwerk haben eine Vielzahl von Unternehmen sowie ein Standort der Universität Luxemburg Platz gefunden. Dem Engagement des Hochöfen-Freundeskreises „Amicale des Hauts Fourneaux PAB“ ist es zu verdanken, dass diese Zeitzeugen der Industriekultur mit einem Millionenaufwand der Gemeinde erhalten geblieben sind.
Foto: Schacht und Gerüst des Hochofens B der Adolf-Emil-Hütte in Esch-Belval/Esch an der Alzette, Luxemburg Von Les Meloures – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18441338
Landmarken begeistern, erzählen Geschichte, erschaffen Identität und brauchen geeignete Maßnahmen, um fortbestehen zu können. Nicht leere Hüllen, sondern Gebäude mit zeitgemäßer Bedeutung sollen entstehen. In der Stadt Steyr mit ihrer mehr als 1000-jährigen Geschichte haben wir eine erfreuliche Dichte an historischen Gebäuden, die für einzigartige Atmosphäre sorgen.
Jüngere Gebäude mit einzigartiger Bauweise sind ebenso ZeitzeugInnen und sollten für die Nachwelt bewahrt bleiben. Es wäre schade, würde ein Schlot der Steyr-Werke, der von vielen Perspektiven das Stadtbild prägt, für immer verschwinden. Der Erhalt von Industriedenkmälern ist zugleich eine Erinnerung an Menschen, die dort gearbeitet und gelebt haben.
Was heute antiquiert wirkt, kann schon morgen historisch sein. Daher sollte jede Stadt gut überlegen, wie sie ihre Bausubstanz aus junger Vergangenheit entwickelt. Die Geschichte einer Stadt ist die Aneinanderreihung von Epochen – jede einzelne hat ihre eigene und besondere Bedeutung.
Titelbild: Industriebauten am Beispiel Steyr (c) Hannes Ecker
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