Hypnoästhetik: Gelenktes Unterbewusstsein
11.08.2020
Wirtschaft
Hypnoästhetik – ein neues Schlagwort pendelt vor der Nase des Konsumenten 2.0. – welche Tipps hat Mikunda für Unternehmer, welche für Konsumenten?
11.08.2020
Wirtschaft
Hypnoästhetik – ein neues Schlagwort pendelt vor der Nase des Konsumenten 2.0. – welche Tipps hat Mikunda für Unternehmer, welche für Konsumenten?
Als ich Christian Mikunda Mitte der 90er Jahre in einem Workshop kennenlernte, wurde ich sofort sein Fan. Ich fand die Beispiele seiner Beobachtungen faszinierend. Die Art und Weise, wie er Geschichten aus dem Reisealltag seiner Forschungs- und Arbeitsreisen erzählte und dabei beim Zuhörer sogenannte Brainscripts entfachte, hat meine Arbeit jahrzehntelang inspiriert.
Hypnoästhetik – ein neues Schlagwort pendelt vor der Nase des Konsumenten 2.0. – welche Tipps hat Mikunda für Unternehmer, welche für Konsumenten?
Konsumartikel werden mit Geschichten aufgeladen. Luxus-Konzerne bauen Museen. Eissalons entwerfen Erlebnisspielplätze. Alle präsentieren ihre Marken und Waren neuerdings selbstbewusst auf künstlerischem Terroir. Künstler verwandeln Shops in Galerien, weil sich Kulturgenuss schlichtweg attraktiver präsentiert als die platte Verkaufsmaschinerie.
Mit welchen Geschichten und Botschaften werden Marken und ihre Produkte aufgeladen, um unsere Wahrnehmung und unser Verhalten zu verändern? Marken aufladen, Verhalten verändern? Ist das Marketing bla-bla oder funktioniert Storytelling in Paris genauso gut wie in Steyr?
Fix ist: Stories matter. Wer seine Marke mit Emotionen und einer guten Geschichte auflädt, schlägt immer den, der es nicht tut. Mit Rabatten erzeugt man keine Markenbindung und baut keine Beziehung zu seinen Kunden auf.
Also, welche Argumente braucht es noch, um dem Besitzer einer Lederwarenhandlung oder der Besitzerin einer Modeboutique verständlich zu machen, dass ein vollgestopftes Schaufenster nicht mehr verkauft als eines, das ein bis zwei Kernprodukte ins Scheinwerferlicht rückt?
Ich habe oft das Gefühl, dass das Wort Storytelling nicht anschaulich genug erklärt wird. Da beginnt das Problem. Wer das Konzept des ‚Geschichten erzählen‘ – unsere Sprache bringt englische Ausdrücke auf den nüchternen Boden der Tatsachen – nicht ernst nimmt, wird diese kreative Denkweise ablehnen. Auch wenn man den englischen Begriff zum Erbrechen bemüht.
Christian Mikunda gilt als Vordenker der Erlebniswirtschaft und Begründer der Strategischen Dramaturgie. Die Presse nennt ihn ‚Großmeister der Wirkungssteigerung‘ und ‚Guru der Ladendramaturgie‘. Er lehrt an der Universität Wien, war Gastprofessor in Tübingen und Klagenfurt und Guest Speaker an der Harvard University in Boston.
Christian Mikunda berät Flughäfen und Handelskonzerne, Fernsehsender, Museen und Weltausstellungen, entwickelt Brandlands und Shopping Malls und findet den „roten Faden“ für Städte und Kommunen.
Seine Bücher erscheinen in mehreren Sprachen, zuletzt „Hypnoästhetik – Die ultimative Verführung in Marketing, Handel und Architektur“. Seit vielen Jahren bereist er die Welt auf der Suche nach inszenierten Orten, die ihn beeindrucken.
Hypnoästhetik ist eine extrem intensive Inszenierungsart, unter anderem für Marketing, Handel und Hotellerie, die auf der Unterbewusstseinsebene abläuft. Es handelt sich um psychologische Mechanismen, wie sie auch Psychotherapeuten anwenden.
Hypnoästhetik geht anders als normales Storytelling direkt unter die Haut, weil man nicht merkt, dass sie überhaupt da ist. Diese Form des Marketings ist suggestiv wie eine Hypnose.
Es gibt vier Mechanismen: Art Priming, die Methode des vorinszenierten Erlebnisses, Destabilization, die Methode der kontrollierten Verwirrung. Hypnoästhetische Trance, die Methode des absorbierten Bewusstseins, und Attunement, die Methode des mitreißenden Gleichklangs.
Bei allen Mechanismen wird man unterbewusst geprägt und sensibel für ein Produkt gemacht.
Art Priming inszeniert nicht das Produkt, sondern die Prämissen des Produkts. Die Läden der Luxus-Modelabels wie Gucci, Fendi und Chanel rund um den Erdball sind voll mit Kunst.
Gerade in Paris und Florenz haben wir bei einer Reise letztes Jahr künstlerische Interventionen und Skulpturen im Schaufenster und Eingangsbereich gesehen, die vermitteln, das Gucci-Kleid auch als Kunstwerk zu sehen. Die Skulptur macht das Kleidungsstück zum „piece of art“.
„Art Priming“, sagt Mikunda, „ist in den letzten Jahren vom Retail-Bereich in die Hotellerie gerutscht.“ Viele Hotels holen sich moderne Kunst ins Foyer. Das können riesige Gemälde sein, wie es das Augarten Art Hotel in Graz macht.
Oder es ist ein – meiner Meinung nach – kitschiger frauengroßer Stöckelschuh in einem Casino in den USA, in den sich Besucher für ein Foto hineinlegen wollen. Das kann auch ein Automat sein, aus dem man sich um einen Euro Poesie oder kleine Druckwerke eines renommierten Künstlers rausdrücken kann.
Mikunda: „Die Hotels waren die Ersten, die gesagt haben: Die Kunst ist kein Beiwerk, sondern zeigt unseren Gästen, dass wir einen ganz besonderen Blick auf die Welt haben.“ Dann sei diese Strategie weltweit explodiert.
Destabilization führt immer dazu, dass wir ‚hinter‘ etwas blicken möchten. So wird die Kommunikation zwischen Geschäft und Konsument oder Flaneur vielschichtiger und tiefsinniger. Sind Ihnen auch die Schaufensterpuppen von Zara aufgefallen, bei denen eine Wimper auf die Wange heruntergerutscht ist?
Als ich eine der Puppen das erste Mal sah, dachte ich einen Moment lang, dass es sich hier um ein Dekorations-Hoppala handelt. „Oh blöd, die Wimper ist verrutscht“, schoss es mir durch den Kopf. Dass die Wimpern bei allen Puppen versetzt waren, merkte ich erst einen Moment später. Das hat schon gereicht, mein Blick war gefangen.
Bin ich deshalb sofort in den Laden gegangen? Nein. Hat die Marke von der Aktion für mich profitiert? Ja. Zara ist in meinem Kopf ‚kreativer‘ als H&M und ähnliche Konkurrenten. Ich schlussfolgere aus solchen Aktionen, dass auch das Produkt-Angebot ästhetischer ist.
Oder denken wir zurück an die Anfänge von Conchita Wurst. „Die Künstlerin Conchita Wurst ist ein Beispiel für Destabilization. Man weiß nicht, ob man einen Mann oder eine Frau sieht – und diese Verwirrung macht uns hypersensibel und sehr empfänglich für das, was sie sagt. Deswegen sind ihre Botschaften auch so gut angekommen„, erklärt Mikunda.
Mikunda spannt den Bogen von den Wunderkammern der Habsburger bis zu den Kristallwelten von Swarovski. Er erklärt, wie mit Hilfe des „Art Priming“ Künstler mit verschiedenen Methoden Erlebniswelten schaffen, die uns Orte und Produkte ganz anders wahrnehmen lassen.
Die Inszenierungen, die in den Flagship Stores der großen Marken weltweit, allen voran in den USA und in Japan und Südkorea, eingesetzt werden, lösen bei den potenziellen Käufern eine Erlebniswirkung aus, die der Online-Handel nicht bieten kann.
In der Hypnoästhetik geht es darum, hypnotische Suggestion mit künstlerischem Geschick für das höchste Einkaufserlebnis zu verschmelzen.
Als drittes nennt Christian Mikunda die hypnoästhetische Trance, oder auch den „Gruen-Effekt“, geprägt vom Österreicher Victor Gruen, der seinerzeit die amerikanische Shoppingmall kreierte.
„Durch eine richtig dosierte Reizüberflutung, beispielsweise eine endlos erscheinende Wendeltreppe, können Kunden in eine Trance verfallen. Die Augen werden glasig, der Kiefer fällt herunter, und ein paar Minuten lang hat man keine Ahnung, aus welchem Grund man überhaupt gekommen ist“, erklärt Mikunda.
Während dieser Trance-Effekt auf Autobahnen oder an Flughäfen vermieden wird, so wird er im Handel oft bewusst eingesetzt, um die Besuchenden für die emotionale Beeinflussung zu öffnen. Ein Klassiker in den endlos langen Gängen in Einkaufszentren.
Das sogenannte „im Gleichklang schwingen“, verspricht eine unglaublich große Ansprechbarkeit. „Wer einen coolen Sneaker kaufen geht, möchte diesen nicht von einem herausgeputzten Verkäufer im schwarzen Anzug und Lederschuhen erstehen, sondern von jemandem, der mit der kulturellen Assoziation des Produkts sozialisiert ist“, erklärt Mikunda.
Wenn der Verkäufer also im Gleichklang mit dem Produkt schwingt, verkauft es sich um einiges besser. Aus diesem Grund werden am POS immer häufiger die Designer oder auch die Testimonials der Werbebotschaft, beispielsweise in Form eines Fotos präsentiert, um den Halo der Markenwelt am POS darzustellen.
Viele Tricks und Methoden der ‚Hypnoästhetik‘ werden seit vielen Jahren in der Psychotherapie angewendet und enthalten Elemente von Trance und Hypnose. Die Methode ist in drei Schritten leicht erklärt:
1. Auslöser: Mit Kunst, sozialer Interaktion, Elementen aus der Natur oder der Sensorik wird eine Umgebung geschaffen, die den Konsumenten innerlich auf das Hauptobjekt hinführt.
2. Effekt: Mit der Schaffung der einleitenden Umgebung ermöglichen Sie einen neuen Interpretationsrahmen für das eigentliche Erlebnis.
3. Ergebnis: Der Konsument zeigt ein anderes Verhalten.
Gedanklich versetzen wir uns in eine Luxusvilla, wenn wir ein Geschäft über eine Eingangshalle betreten, eine Freitreppe hinaufschreiten und im Salon einen gewaltigen Kronleuchter über edlen Möbeln und Tapeten bewundern. Dieses Setting kann jedoch nicht nur in einer Luxusvilla herrschen, sondern auch in einem Modegeschäft inmitten eines Einkaufszentrums.
Indem mit der Inszenierung der Besucher in eine bestimmte Stimmung gebracht wird, erscheinen auch die Produkte hochwertiger. Die Käufer akzeptieren eher einen höheren Preis, da sie bereits vor dem Kauferlebnis in eine entsprechend hochwertige innere Haltung begleitet wurden.
Es muss aber alles gut durchdacht sein. Bis zum Preisschild. Wenn das verwortakelt (= aus der Form geraten) handgeschrieben wird, erschüttert die Hypnotrance ein Erdbeben. Am falschen Ort einsparen, nennt man das.
So wichtig die Online-Welt für den Handel heutzutage auch ist – schließlich heißt es zutreffend: „Handel im Wandel“ – so entscheidend ist es für den stationären Handel, Einkaufserlebnisse zu schaffen, die die Kunden faszinieren, geistig und körperlich in Beschlag nehmen und jene Lücke füllen, die online nicht bedient werden kann.
Heute wird vieles inszeniert: Hotels und Restaurants, Museen und Krankenhäuser, Wanderwege und öffentliche Plätze, selbst Auftritte von Politikern. Statt normaler Geschäfte gibt es Flagship Stores und Concept Stores und Pop-Up Stores und Showrooms, die nur Ware präsentieren.
In Österreich muss man diese Läden noch mit der Lupe suchen. Sie kann jetzt endlich kommen, die vielbeschriebene Zukunft des Handels.
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Titelbild: Sebastian Føns auf Unsplash.com
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