Zukunftsfähige Gebäude: Die neue EU-Gebäuderichtlinie und ihre Auswirkungen
12.06.2024
Architektur, Wirtschaft, Wohnen
12.06.2024
Architektur, Wirtschaft, Wohnen
Städte und Gemeinden stehen heutzutage vor erheblichen Herausforderungen, wenn es um die energetische Modernisierung ihres Gebäudebestands geht. Die neue EU-Gebäuderichtlinie stellt neue Vorgaben auf, die in den kommenden Jahren umgesetzt werden müssen. Welche Aspekte umfassen die Neuerungen der Richtlinie und was bedeutet das für Städte und Gemeinden?
Am 13. März 2024 verabschiedete das EU-Parlament eine überarbeitete Fassung der EU-Gebäuderichtlinie (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD), die ab 2026 in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss.
Das Hauptziel der überarbeiteten Richtlinie ist die vollständige Dekarbonisierung des gesamten Gebäudebestands bis 2050 durch:
Neben der EU-Gebäuderichtlinie spielt in diesem Kontext auch die Energieeffizienz-Richtlinie EED (Energy Efficiency Directive / Richtlinie (EU) 2023/1791) eine wichtige Rolle. Beide Richtlinien sind Teil des „Fit for 55“-Pakets der EU-Kommission und sollen zur CO2-Reduktion und Förderung eines nachhaltigen und energieeffizienten Gebäudebestands. beitragen:
Die EU-Gebäuderichtlinie konzentriert sich auf wesentliche Aspekte des Bausektors, darunter die Steigerung der Gesamtenergieeffizienz, die Entwicklung von Infrastruktur für nachhaltige Mobilität und die Integration von gebäudeintegrierter Energieerzeugung.
Außerdem werden zentrale Anlaufstellen für Information und Beratung eingeführt. Darüber hinaus legt die Richtlinie neue Anforderungen für Wohn- und Nichtwohngebäude fest, um die schrittweise Renovierung des gesamten Gebäudebestands zu beschleunigen.
Im Folgenden finden Sie eine Übersicht und eine kurze Erläuterung der zentralen Regelungen der EU-Gebäuderichtlinie, die sukzessiv auch in nationales Recht überführt werden müssen.
Die derzeitige EPBD stammt aus dem Jahr 2010 und wurde in Österreich in erster Linie durch die OIB-Richtlinie 6 „Energieeinsparung und Wärmeschutz“ umgesetzt. Als Mindeststandard für neue Gebäude ist darin seit 2021 das „Niedrigstenergiegebäude“ festgelegt.
Mit der neuen Richtlinie wird das „Nullemissionsgebäude“ den bisherigen Standard des Niedrigstenergiegebäudes ersetzen. Nullemissionsgebäude beziehen ihre gesamte benötigte Energiemenge vollständig aus erneuerbaren Energien.
Ab folgenden Stichtagen dürfen Gebäude vor Ort keine Emissionen aus fossilen Energieträgern mehr freisetzen:
Die Standards für Nullemissionsgebäude werden von den einzelnen Mitgliedsstaaten entwickelt. Bei der Berechnung der Emissionen sollen sich die Mitgliedsstaaten am gesamten Lebenszyklus einer Immobilie orientieren, einschließlich der Herstellung und Entsorgung der verwendeten Bauprodukte.
Viele Städte bauen bereits über den bestehenden Standard hinaus. Höhere energetische Standards sind in der Bauphase teurer, senken jedoch langfristig die Energiekosten erheblich. Der Bund wird jedoch erhebliche finanzielle Mittel bereitstellen müssen, um energetisches Bauen zu fördern und die Vorgaben zu erreichen.
Gebäude sind in der EU die größten Energieverbraucher. Sie sind für rund 40 Prozent des Endenergieverbrauchs verantwortlich. 75 Prozent des europäischen Gebäudebestands sind nicht energieeffizient, und jedes Jahr werden lediglich 0,4 bis 1,2 Prozent renoviert. In Österreich sind rund 40 Prozent des Gebäudebestands sanierungsbedürftig.
Im Zuge der Novellierung der EPBD ergeben sich für den Gebäudebereich neue Anforderungen, die dazu führen werden, dass Tausende von Gebäuden in ganz Europa saniert werden müssen. Ziel der neuen Gebäuderichtlinie ist es, die Sanierungsraten bis 2030 zu verdoppeln. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 60 Prozent sinken.
Die EPBD sieht für Nichtwohngebäude (öffentliche Gebäude, Büros, etc.) die schrittweise Einführung von Mindeststandards für die Gesamtenergieeffizienz (Minimum Energy Performance Standards, MEPS) vor. Ziel ist es, die Renovierung der energetisch schlechtesten Gebäude, auch als „worst performing buildings“ bezeichnet, einzuleiten.
Anzumerken ist, dass die energetische Sanierung von 16 Prozent der Nichtwohngebäude innerhalb der nächsten fünf Jahre äußerst ehrgeizig ist. Mit gutem Willen allein wird das nicht umsetzbar sein.
Im Bereich der Wohngebäude wird eine schrittweise Reduktion des Primärenergieverbrauchs angestrebt, die vor allem durch die Sanierung von Gebäuden mit der schlechtesten Gesamtenergieeffizienz erreicht werden soll.
Um diese Ziele zu erreichen, sind langfristig ausgerichtete nationale Gebäuderenovierungspläne zu erstellen, die eine Strategie zur Dekarbonisierung sowohl öffentlicher als auch privater Wohn- und Nichtwohngebäude beinhalten. Die Pläne sollen auch Lösungsansätze für bestehende Hindernisse, wie Finanzierung und Fachkräftemangel, beinhalten.
Ziel ist es, sinnvoll aufeinander abgestimmte Gebäudesanierungspläne zu erstellen, anstelle iterativ zunächst Gebäudehülle, dann Heizungs- und Kühlsysteme, die Warmwasserversorgung und schließlich das Belüftungssystem zu sanieren.
Stefan Moser, Referatsleiter Gebäude und Produkte in der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission
Beschlossen wurde auch der vollständige Ausstieg aus fossilen Heiz- und Kühlsystemen:
Ferner müssen die Mitgliedstaaten einen Maßnahmenplan zur Dekarbonisierung von Heizungsanlagen und zum allmählichen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bei der Wärme- und Kälteversorgung erstellen. Inwiefern die Gesellschaft diese Zielvorgaben mittragen wird, bleibt abzuwarten, aber die Ziele sind durch die EU eindeutig formuliert.
Die Installationspflicht von Solarenergieanlagen betrifft in erster Linie neue Gebäude sowie öffentliche Gebäude und Nichtwohngebäude im Bestand. Im Neubau sind Solarenergieanlagen bereits heute in vielen Städten Standard. Im Gebäudebestand lohnt sich eine Installation für die Eigentümer bisher oft nicht oder ist technisch schwierig umsetzbar.
Solarenergieanlagen werden zukünftig für neue Gebäude zur Norm. Die Umsetzung erfolgt schrittweise:
Bestehende Nichtwohngebäude müssen bis 2030 schrittweise mit Solaranlagen ausgestattet werden, sofern dies technisch, wirtschaftlich und funktionell machbar ist. Dachkonstruktionen oder andere technische Gegebenheiten sprechen teilweise gegen das Nachrüsten von Solar auf Bestandsgebäuden.
Es gelten folgende Fristen:
Für den Wohngebäudebestand sieht die EPBD keine Installationspflicht vor, gibt jedoch den Mitgliedsstaaten die Freiheit, in ihren nationalen Gebäuderenovierungsplänen entsprechende Regelungen festzulegen.
Darüber hinaus fördern die neuen Regelungen die Verbreitung nachhaltiger Mobilitätslösungen:
Außerdem müssen genügend Parkplätze für Fahrräder, einschließlich Lastenfahrrädern, zur Verfügung stehen.
Die neue Gebäuderichtlinie legt weiters fest, welche gebäudetechnischen Systeme für verschiedene Gebäudetypen erforderlich sind. Dazu gehören unter anderem automatische Temperatursteuerungen sowie Mess- und Kontrollvorrichtungen für die Raumluftqualität.
Mit der Einführung dieser neuen Messinstrumente und Orientierungswerte soll die Gebäudeenergieeffizienz besser sichtbar und messbar gemacht werden.
Die bisherigen Energieeffizienzklassen A bis G im Energieausweis wurden nach absoluten Kriterien, wie dem Heizwärmebedarf (HWB) in kWh/m², vergeben. Bis Ende 2025 soll diese Klassifizierung auf ein relatives System umgestellt werden. Dabei wird die Klasse G die schlechtesten 15 Prozentdes nationalen Gebäudebestands umfassen, während die Klasse A als Nullemissionsgebäude definiert wird.
Um die Identifizierung der zu sanierenden Gebäude zu erleichtern, muss außerdem jeder Mitgliedsstaat eine nationale Datenbank aufbauen, die Informationen zur Energieeffizienz einzelner Gebäude sowie zur Energieeffizienz des nationalen Gebäudebestands beinhaltet.
Die Richtlinie bietet eine gewisse Flexibilität für die Renovierung des Wohngebäudebestands und die Zielsetzungen im nationalen Gebäuderenovierungsplan. Bei öffentlichen Gebäuden und sonstigen Nichtwohngebäuden besteht weniger Spielraum, sodass hier mit einem gewissen Sanierungsdruck zu rechnen ist. Es bleibt abzuwarten, wie Österreich die Vorgaben implementieren wird und welche Ausnahmen bei der Renovierung von bestimmten Gebäudearten gewährt werden.
Viele der Vorgaben der EPBD werden in den landesgesetzlichen Bauordnungen, Bau(-technik)-Vorschriften sowie Wohnbauförderungsbestimmungen umgesetzt werden. Die OIB-Richtlinien müssen ebenfalls überarbeitet werden. Eine Novellierung des Energieausweis-Vorlage-Gesetzes 2012 ist zu erwarten, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Darüber hinaus ist neben dem Ausbau der Förderungen eine Modernisierung des Miet- und Wohnrechts notwendig, um den Umstieg auf erneuerbare Wärme- und Kälteversorgungsanlagen zu erleichtern.
Auch braucht es passende Rahmenbedingungen, um den Gebäudebestand in Städten energetisch zu verbessern. Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie sollte etwa der Quartiersansatz deutlich verstärkt werden. Nur wenn der Gebäudezustand, die vorhandene Technik und die Wärmeversorgung für alle Gebäude im Quartier gemeinsam betrachtet werden, können Synergien gehoben werden. Schließlich werden erneuerbare Energiequellen oft für ganze Stadtviertel geplant und nicht für jedes einzelne Gebäude.
Seit Jahrzehnten setzen sich Gemeinden intensiv mit Energieeffizienz auseinander. Als Eigentümer öffentlicher Gebäude, insbesondere Schulen, haben sie ein natürliches Interesse an einem effizienten Gebäudebestand. Doch trotz ehrgeiziger Ziele sind die Herausforderungen bei der Umsetzung nicht zu unterschätzen.
Bereits die Revision der Energieeffizienzrichtlinie (EED) im Jahr 2023 sieht neue Verpflichtungen für die Sanierung öffentlicher Gebäude vor: Ab 2025 fallen auch diese unter das 3-Prozent-Sanierungsziel (gemessen an der nationalen Gesamtgebäudefläche). Zusätzlich sind Gemeinden verpflichtet, sich jährlich mit 1,9 Prozent an allgemeinen Energieeffizienzmaßnahmen der öffentlichen Hand zu beteiligen.
Die Gebäuderichtlinie wird insbesondere für den öffentlichen Neubau relevant sein. Ab 2027 müssen alle neuen öffentlichen Gebäude mit Solaranlagen ausgestattet sein, und ab 2028 dürfen nur noch Nullemissionsgebäude errichtet werden. Auch im Bestand können Sanierungen und Nachrüstungen, wie die Installation von Solaranlagen, Gebäudetechnik und Ladestellen, erforderlich werden.
Städte und Gemeinden stehen somit vor erheblichen finanziellen, technischen und organisatorischen Herausforderungen, erhalten jedoch auch die Chance, den Gebäudebestand nachhaltiger zu gestalten:
Die Gebäuderichtlinie fördert unter anderem die ressourcenschonende Innenentwicklung von Städten, indem sie die Sanierung bestehender Bauten und die Reaktivierung von Brachflächen gegenüber Neubauten auf der grünen Wiese unterstützt.
Auch erleichtert der Zugang zu finanzieller und technischer Unterstützung Gemeinden und privaten Eigentümern die Durchführung notwendiger Renovierungen, die eine Reduktion von Leerständen und verfallenden Altbauten sowie eine Revitalisierung von Orts- und Stadtkernen ermöglicht.
Die Umsetzung der Gebäuderichtlinie wird laut laut Schätzung der EU-Kommission bis 2030 275 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Zusätzliche EU-Förderungen sind jedoch nicht vorgesehen, es sollen die bereits vorhandenen Ressourcen genutzt werden (zum Beispiel den Recovery Fonds).
In Österreich gibt es für die Sanierung von Bestandsgebäuden eine Vielzahl von Förderungen. Auf Bundesebene existiert hierzu als zentrale Förderstelle die Umweltförderung, wo alle Förderungen für Gemeinden, Betriebe und Privatpersonen angeführt sind. Zusätzlich stehen Landesförderungen zur Verfügung, die tendenziell auf private Förderwerber ausgerichtet sind.
Jedes österreichische Bundesland verfügt über eine Energieberatungsstelle, welche Gemeinden, Betriebe und Privatpersonen zu den Themen rund um energieeffizientes Bauen und Sanieren sowie Förderungen berät. Die folgende Liste enthält eine Auswahl an Energieberatungsstellen:
Weiters gibt es eine Reihe von hilfreichen Tools, die bei der Umsetzung unterstützen können, zum Beispiel:
Mehr dazu finden Sie auf der Website von Klimaktiv.
Die neue EU-Gebäuderichtlinie stellt Städte und Gemeinden vor erhebliche Herausforderungen. Dennoch bietet sie auch die Möglichkeit, den Gebäudebestand zukunftsfähiger zu gestalten. Durch die Förderung von energetischen Sanierungen, die Reaktivierung von Brachflächen und den Quartiersansatz können Kommunen die Innenentwicklung vorantreiben und ihre Ortszentren revitalisieren. Der Zugang zu finanzieller und technischer Unterstützung erleichtert die Umsetzung notwendiger Renovierungen und trägt zur Reduktion von Leerständen bei. Insgesamt unterstützt die Richtlinie eine ressourcenschonende Stadtentwicklung und eröffnet neue Perspektiven für die kommunale Energiepolitik.
Quellen und weiterführende Informationen:
Titelfoto: Markus Spiske auf Unsplash
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