Stadtmarketing: Der sensible Umgang mit Erinnerungskultur

17.09.2019
Kultur

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Was erinnern wir im städtischen Raum? Und woran wird Erinnerungskultur festgemacht? Mit welchen Orten, Stellen, Gebäuden, Parks und Straßen sind kollektive Erinnerungen verbunden und was erinnern wir nicht und warum?

 

Erinnern ist schön, erinnern ist grausam – erinnern tut weh, erinnern lehrt uns – erinnern prägt, erinnern leitet. In dieser komplementären Art könnte man die Aufzählung lange fortführen und die immense Bandbreite klarmachen, die in dem Begriff steckt.

Erinnerung hat etwas mit Historie, mit Geschichte und Geschichten zu tun, mit kanonischen Vorgaben und persönlichen Verwicklungen, weil man einer bestimmten Gruppe, einer Nation, einem Volk angehört. Wir gedenken Geschehnissen, die zumeist vor unserer eigenen Lebenszeit lagen und versuchen diese in unserem heutigen Handeln und Denken miteinzubeziehen.

Wie schwierig es ist, Ereignissen zu gedenken, an dem jemand zu Lebzeiten beteiligt war, zeigt sich gerade in jenen Generationen die Schuld auf sich genommen haben und unendliches Leid verursachten oder die Opfer waren und leiden mussten.

 

Traumata versus Erinnerung.

Das ist der große Schmerz des Erinnerns, er kann aber nicht umfassend aufarbeiten. Einhergehend mit Erinnern geht das Vergessen und Verdrängen!

„Vergeben und Vergessen“ jedweden geschehenen Unrechts? Damit musste es allerspätestens nach den beiden „totalen Kriegen“ des 20. Jahrhunderts und dem Völkermord vorbei sein! Vergessen ist ein Skandalon – Erinnerung ist Pflicht.[1] Sie ist heute die „Pathosformel“[2] der Gegenwart. Täter-Opfer-Rollen gilt es klar zu definieren und differenzieren und nicht zu relativieren.

 

Geschichtsbewusstsein ist ein seit den 1970er Jahren gebräuchlicher Begriff, der ursprüng­lich aus der Geschichtsdidaktik kam. In der klassisch gewordenen Definition von Karl-Ernst Jeismann[3] versteht man darunter das Prägemuster aus dem Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive. Geschichtsbewusstsein hat somit eine Orientierungsfunktion.[4]

Dass wir uns so exzessiv erinnern, ist eine Erscheinung der Moderne. In frühmoder­nen Zeiten gab es zwar immer auch Erinnerung; doch mehr noch dominierte der Strom der Lethe, die Kunst des Vergessens.[5]

 

Sichtbare und unsichtbare Zeichen

Die sichtbaren Zeichen von Erinnerung in einer Stadt sind vielfältig und neben den Sichtbaren (Straßennamen, Gedenktafeln, Denkmale, Gedenkstätten, Memorabilien etc.) gibt es auch die Unsichtbaren („vergessene Orte“, Leerstellen, Orte von multiplen Ereignissen, von anderen Erinnerungen überlagerte Orte etc.).

 

Ein unbebauter Ort in Potsdam mit einem Transparent „Potsdam baut doch eine Synagoge“. Foto: © Claus Friede
Ein unbebauter Ort in Potsdam mit einem Transparent „Potsdam baut doch eine Synagoge“. Foto: © Claus Friede

 

Das wunderbare deutsche Wort der ‚Geschichte‘ impliziert das (Auf-)Schichten von Zeit und Ereignissen. Es ist ein Aktivum, etwas, das bildhaft wird in einem Stapel von Abläufen, der immer höher und größer wird. Die zunehmende Dichte räumlicher Bezugssysteme gegenüber vorangegangenen Generationen prägt zudem das Erinnern.

Die alltägliche und notwendigerweise fragmentarische Wahrnehmung von Stadt als ein hochverdichtetes und komplexes räumliches Ensemble ist in einer handlungsleitenden Vorstellung begründet. Somit ist auch die handlungsleitende Vorstellung fragmentarisch. Sie ist zielgerichtet, sie ist dynamisch und veränderbar.

 

Zeitliche Entrückung von Ereignissen spielt hierbei eine zusätzlich entscheidende Rolle.

Je weiter die Generationen von einem historischen Geschehnis entfernt sind, umso stärker verblassen sie, umso weniger sind sie scheinbar relevant und erinnerungswürdig und umso manipulierbarer sind sie.

Außerdem ist Erinnerungswürdiges für die Generation, die vor 200 Jahren, vor 100 Jahren gelebt hat jeweils eine vollkommen andere, als die der heutigen Generation.[6]

Man muss schon Experte sein, die Originaltexte gelesen und studiert haben, wissen wer, was, wann und aus welchem Kontext und welcher Sichtweise be- und aufgeschrieben oder sonst festgehalten hat, um eine klarere Vorstellung von dem zu erhalten, was (möglicherweise so) passiert ist. Es wurden immer schon Geschehnisse im Gedächtnis dessen verändert, verharmlost oder übertrieben, auch schon während ihrer Beschreibung.

Auch das macht Erinnerung (und Geschichte) so anfechtbar. Weil ihre Interpreten, Autoritäten, Akteure und Machtinhaber schon während des Geschehens manipulativ waren und sind. Das heißt natürlich nicht, Erinnerungskultur grundsätzlich anzuzweifeln, aber es ist gut, sie respektvoll zu hinterfragen.

Der Versuch, einen gemeinsamen Geist, ein ‚Archiv der Erinnerung‘ zu generieren ist nicht zu überschätzen, weil wertvoll. Denn scheinbar lernt die Menschheit nur zeitlich begrenzt aus den Katastrophen, die sie selbst angerichtet hat. Und je weiter die Zeit, die Geschichte davonschreitet, umso blasser wird gelebtes und (empathisch) nachvollziehbares Erinnern.

 

Die Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (2018) Aleida Assmann unterscheidet vier verschiedene Arten der Geschichtspolitik:

  1. Geschichtsmanipulation
  2. Mythologisierung
  3. Aufklärung
  4. Multiperspektivität[7]

„Geschichtsmanipulation verdreht Fakten, wobei vergangene Geschehen an die eigene Deutungsweise angepasst werden, so dass eine weiträumige Veränderung des Geschichtsbildes zu tage kommt. Die Mythologisierung bedient sich vorwiegend der Legendenbildung […]

Die Aufklärung bezweckt der Bevölkerung durch politische Geschichtspädagogik ein Gefühl der Verantwortung zu vermitteln […] Die Multiperspektivität beschäftigt sich mit dem Zusammenbringen von verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen zu einem historischen Ereignis oder Erinnerungsort.“[8]

 

Stadtmarketing und Geschichtsbewusstsein – das ungleiche Paar?

Seit mindestens zwei Jahrzehnten hat das Stadtmarketing das Thema Geschichtsbewusstsein/Gedächtniskultur als gemeinschaftlich geteiltes ‚Reservoir‘ für sich entdeckt. Oft jedoch – und dafür gibt es leider auch eine Reihe von Beweisen – wird Stadtmarketing unterstellt, es würde Erinnerungskultur im Rahmen des „guten Rufs“ eines Ortes relativieren.

Schließlich ginge es Stadtmarketing und einhergehend in dessen Kielwasser dem Tourismus darum, Orte im nationalen und internationalen Wettbewerb werblich gut nutzbar zu machen und positiv darzustellen. Die Vermarktung von Erinnerungs- und Geschichtskultur hat aber in einer aufgeklärten, heterogenen Gesellschaft einer Metropole ein grundsätzliches Problem – sie kann schwerlich sozusagen ‚Unternehmen‘ und gleichzeitig ‚Produkt‘ sein.

Somit ist es ein großer Trugschluss zu glauben, das Marketing einer Stadt sei gleichzusetzen mit dem eines Unternehmens oder eines Produkts. Städte und Orte, die sich aktiv, wahrhaftig und offen um Erinnerungskultur bemühen und eine tiefere Fundierung anstreben, ziehen auch aus der „Pathosformel“ ein positives Image. Zumindest in den meisten Fällen und je nach politischer, didaktischer, sozialer und kommunikativer Gesinnung.

 

„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“[9]

 

Die Schuhpaare stehen am Ostufer, auf der Pester Seite der Donau, am Ende der Széchenyistraße direkt am Wasser. Auf einer Länge von 40 Metern wurden sechzig Paar Schuhe aus Metall zum Gedenken an die Erschießungen von 1944 und 1945, als Pfeilkreuzler jüdische Ungarn am Donauufer zusammentrieben und erschossen, am Boden angebracht. Das Holocaustmahnmal wurde 2005 so gestaltet, dass es auf den ersten Blick nicht verrät, welches Geschehen dahintersteckt. Die Inschrift auf den Gedenktafeln in den Sprachen Ungarisch, Englisch und Hebräisch lautet: „Im Gedenken an die Opfer, die 1944/45 von bewaffneten Pfeilkreuzlern in die Donau geschossen wurden“. Im Unterschied zum Mahnmal für die ermordeten Juden Ungarns bei der Großen Synagoge ist es am Donauufer ein eher stilles Gedenken. Foto: Moshe Harosh (links) und Anil Ozturk (rechts)
Die Schuhpaare stehen am Ostufer, auf der Pester Seite der Donau, am Ende der Széchenyistraße direkt am Wasser. Auf einer Länge von 40 Metern wurden sechzig Paar Schuhe aus Metall zum Gedenken an die Erschießungen von 1944 und 1945, als Pfeilkreuzler jüdische Ungarn am Donauufer zusammentrieben und erschossen, am Boden angebracht. Das Holocaustmahnmal wurde 2005 so gestaltet, dass es auf den ersten Blick nicht verrät, welches Geschehen dahintersteckt. Die Inschrift auf den Gedenktafeln in den Sprachen Ungarisch, Englisch und Hebräisch lautet: „Im Gedenken an die Opfer, die 1944/45 von bewaffneten Pfeilkreuzlern in die Donau geschossen wurden“. Im Unterschied zum Mahnmal für die ermordeten Juden Ungarns bei der Großen Synagoge ist es am Donauufer ein eher stilles Gedenken.
Foto: Moshe Harosh (links) und Anil Ozturk (rechts)

 

In Österreich und Deutschland finden sich viele Beispiele wie mit Vergangenheit umgegangen wird, insbesondere mit der Aufarbeitung der Weltkriege, aber vor allem mit der Shoah (Holocaust). Aber auch in ganz Europa und allen Ländern, in denen man derer gedenkt,[10] die ermordet wurden und gelitten haben, findet man Erinnerungskulturen, die auf Deutschland und Österreich zurückgehen.

Das Gedenken ist sehr unterschiedlich, findet an Orten der Geschehnisse, an und in eigens dafür errichteten oder wiederhergestellten Erinnerungsräumen statt. Aufwendig museal, oder bescheiden mit einer Gedenktafel.

Wie erwähnt kommt man mit Stadtmarketing schnell auch an Grenzen, wenn man die Bürger nicht einbezieht. Wenn das Erinnern manipuliert ist oder wird oder auch gar nicht stattfindet. Herauszufinden welche Prozesse notwendig sind, um einer Erinnerungskultur nachzukommen, die den Namen auch verdient hat, ist oft langwierig und bedarf Fingerspitzengefühl.

 

Wenig Fingerspitzengefühl weisen jene Stadtmarketingformate auf, denen ein Beitrag von Deutschlandfunk Kultur nachgegangen ist. „Lager, Bunker oder Propagandaschauplätze aus der Nazizeit galten lange als „Schattenorte“. Heute werden die dunklen Orte der Geschichte offensiv vermarktet. Der Umgang mit NS-Stätten in deutschen Städten verändert sich“.[11]

Kann beispielsweise die Stadt Weimar heute lediglich mit Goethe und Schiller werben und lässt das KZ Buchenwald außer Sichtweite? Gleiches gilt für Nürnberg, München und den Obersalzberg.

 

Das Kehlsteinhaus wurde 1938 fertiggestellt. Entgegen weit verbreiteter Annahmen war das Kehlsteinhaus aber kein Geschenk zu Hitlers 50. Geburtstag im Jahr 1939. Bis auf das Kehlsteinhaus sind fast keine „authentischen“ Gebäude aus dem Dritten Reich mehr vorhanden. Das heute als Berggaststätte genutzte Gebäude bietet einerseits einen einzigartigen Ausblick über die Berchtesgadener Bergwelt und die Gegend um Salzburg, andererseits soll es auch mahnende Erinnerung an die Abgründe der menschenverachtenden NS-Diktatur sein. Heute wird der Obersalzberg zunehmend ganzheitlich als historischer Ort gesehen. Foto: Michael Römer
Das Kehlsteinhaus wurde 1938 fertiggestellt. Entgegen weit verbreiteter Annahmen war das Kehlsteinhaus aber kein Geschenk zu Hitlers 50. Geburtstag im Jahr 1939. Bis auf das Kehlsteinhaus sind fast keine „authentischen“ Gebäude aus dem Dritten Reich mehr vorhanden. Das heute als Berggaststätte genutzte Gebäude bietet einerseits einen einzigartigen Ausblick über die Berchtesgadener Bergwelt und die Gegend um Salzburg, andererseits soll es auch mahnende Erinnerung an die Abgründe der menschenverachtenden NS-Diktatur sein. Heute wird der Obersalzberg zunehmend ganzheitlich als historischer Ort gesehen. Foto: Michael Römer

 

 

Schattenorte

Der touristischen Vermarktung fehlt häufig die tiefgehende und zeitlich notwendige Auseinandersetzung, wenn sich Besucher in weniger als einer Stunde durch die „Schattenorte“ drängen oder geführt werden. Ich kenne kaum Dokumentationszentren, Gedenkstätten, die eine angemessene Auseinandersetzung fördern und mit Konsum-Tourismus konfrontiert sind oder gar im Gleichklang stünden.

Im Gegenteil, „Dark Tourism“[12] setzt auf kurzlebige Faktoren, oberflächliche Betroffenheitsrethorik, oft reines „Histotainment“. Erinnerungstouren mit Nostalgiegrusel wie in einem „Dungeon“. Professor John Lennon, für „Dark Tourism“ zuständig und Dekan an der Glasgow Caledonian University London, erläutert, was es mit dem Phänomen auf sich hat. Er glaubt, dass derlei Besuche „von dem Wunsch nach tatsächlichen oder symbolischen Begegnungen mit dem Tod motiviert sind“.

Die „dunkle Seite“ des Tourismus ist laut Lennon nichts Neues. Schon unseren Vorfahren hätten sich für derart düstere Begebenheiten interessiert, wie etwa Gladiatorenspiele, Schlachtenpanoramen oder ähnliches.

Warum Orte der Massentötung so gut besucht seien, so Lennon, sei nur schwer zu interpretieren. Besonders diejenigen, die mit dem jüdischen Holocaust in Verbindung gebracht würden, stellten große Herausforderungen dar. „Es stellt sich immer wieder auch die Frage nach der jeweiligen Motivation der Besucher“, erklärt Lennon.

 

Lediglich Berlin schafft es, mit „Öffentlicher Historie“ zu punkten, ob am Ort der „Topographie des Terrors“, in den „Berliner Unterwelten“, am Checkpoint Charlie oder der Gedenkstätte Berliner Mauer. Weil neben dem – zugegebener Maßen – notwendigen „Histotainment“ die Authentizität angeheftet ist.

 

Topographie des Terrors. Freiluftausstellung auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße 8 (heute: Niederkirchnerstraße 8). Dort befand sich das Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Foto: © Claus Friede
Topographie des Terrors. Freiluftausstellung auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße 8 (heute: Niederkirchnerstraße 8). Dort befand sich das Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Foto: © Claus Friede

 

 

Erinnerungskultur als Gestaltungsfaktor

Die Stadt Witten a.d. Ruhr veranstaltete im Oktober 019 beispielhaft eine Veranstaltung mit der Überschrift „Zur Kritik unserer Erinnerungskultur“. Diese thematisierte die Novemberprobrame 1938 und stellte Fragen wie: „Wie könnte ein zeitgemäßes Gedenken daran aussehen, das auch den aktuellen Antisemitismus berücksichtigt?“ und warf damit gleichsam weitere Fragen auf.

Nämlich „ob die seit Jahrzehnten in Witten regelmäßig stattfindenden Gedenkveranstaltungen zum 9./10. November 1938, die einem sich wiederholenden Muster folgen, ritualisiert und wenig reflektiert sind. Die Gefahr bei dieser Form des Gedenkens droht, dass sie zur bloßen Routine erstarrt. Zudem besteht das Risiko, weder auf neue historische Erkenntnisse noch auf die sich gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen zu reagieren, unter denen an die Verfolgung und Vernichtung der Juden Europas erinnert wird.

 

Partizipative Ansätze und künstlerische Erinnerungsformen

Manche an den Gedenkveranstaltungen Teilnehmenden empfinden diese als rein formal und „gut gemeint“. Zumal geschichtsrevisionistische Positionen immer häufiger und unverhohlen in der öffentlichen Diskussion bei gleichzeitiger Zunahme antisemitischer Gewalt eingenommen werden. Und warum wird der Juden als Opfer gedacht und nicht auf die Täter, die doch aus der Wittener Stadtgesellschaft kamen, hingewiesen?“[13]

 

Auch die leisen, schnell übersehbaren Spuren von Erinnerung prägen.

So hat der Kölner Künstler Gunter Demnig 1995 mit seinem Projekt „Stolpersteine“ begonnen. Sie sollen demnach an Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert wurden und meist dem Holocaust zum Opfer fielen.

Die Steine, die auf der Oberseite kleine Metallplatten mit den Namen der Opfer tragen, verlegt er vor deren einstigen Wohnungen im Straßen- oder Gehwegpflaster. Das 1992 gestartete Projekt ist mit fast 70.000 Steinen im August 2018 in 1.265 deutschen Kommunen und in 24 Staaten Europas mittlerweile das größte dezentrale Mahnmal der Welt.[14]

 

Stolpersteine im Hamburger Grindelviertel. Projekt von Gunter Demnik, Köln. Foto: © Claus Friede
Stolpersteine im Hamburger Grindelviertel. Projekt von Gunter Demnik, Köln. Foto: © Claus Friede

 

76er-Kriegerdenkmal

Eine lebhafte Diskussion über das „76er-Kriegerdenkmal“[15] in Hamburg führte nicht nur zu einer stadtgesellschaftlichen Auseinandersetzung über Krieg, Heroismus, Propaganda und Verehrungskult, sondern auch zu Gegendenkmalen. Zunächst schrieb der Hamburger Senat Anfang der 1980er Jahre einen Wettbewerb zur „künstlerischen Umgestaltung der Denkmalsanlage“ aus.

 

 

 

 

Gegendenkmal

1983 wurde schließlich der Entwurf eines vierteiligen Gegendenkmals des Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka (1928-2009) zur Ausführung gebracht, auch wenn es bis heute unvollständig nur aus zwei Teilen besteht.

 

Alfred Hrdlicka hat den „Hamburger Feuersturm”, „Cap Arcona”, „Soldatentod” und „Frauenbild im Faschismus” in seinem Kunstwerk thematisiert. Der erste Teil, der Feuersturm, erinnert an die Feuerwalzen, die durch Hamburgs Straßen während der Operation Gomorrha zogen. Der erste Teil des Gegendenkmals wurde am 8. Mai 1985 eingeweiht. Der zweite Teil wurde Ende September 1986 der Öffentlichkeit übergeben. Dieses Kunstwerk taucht in der Namensgebung mal als „Cap Arcona”, mal „Untergang von KZ-Häftlingen”, aber auch „Verfolgung und Widerstand”. Gemeint ist das Schiff Cap Arcona, die am 3. Mai 1945 vor Lübeck durch Luftangriffe der Royal Air Force versenkt wurde. Die beiden letzten Themen des Gegendenkmals wurden vom Künstler nicht ausgeführt. Foto: © Kulturbehörde Hamburg. Foto: © Helge Mundt
Alfred Hrdlicka hat den „Hamburger Feuersturm”, „Cap Arcona”, „Soldatentod” und „Frauenbild im Faschismus” in seinem Kunstwerk thematisiert. Der erste Teil, der Feuersturm, erinnert an die Feuerwalzen, die durch Hamburgs Straßen während der Operation Gomorrha zogen. Der erste Teil des Gegendenkmals wurde am 8. Mai 1985 eingeweiht. Der zweite Teil wurde Ende September 1986 der Öffentlichkeit übergeben. Dieses Kunstwerk taucht in der Namensgebung mal als „Cap Arcona”, mal „Untergang von KZ-Häftlingen”, aber auch „Verfolgung und Widerstand”. Gemeint ist das Schiff Cap Arcona, die am 3. Mai 1945 vor Lübeck durch Luftangriffe der Royal Air Force versenkt wurde.
Die beiden letzten Themen des Gegendenkmals wurden vom Künstler nicht ausgeführt. Foto: © Kulturbehörde Hamburg. Foto: © Helge Mundt

 

Im Juni 2012 beschloss dann die Hamburgische Bürgerschaft einstimmig die Schaffung eines Gedenkorts zur Erinnerung an die Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz. Als Standort wurde dafür die Fläche zwischen dem 76er Kriegerdenkmal und dem Gegendenkmal vorgeschlagen und vom Bildhauer Volker Lang errichtet.

 

Volker Lang: „Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz“. Foto: © Helge Mundt
Volker Lang: „Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz“. Foto: © Helge Mundt

 

Das gesamte Ensemble mit den drei so unterschiedlichen Denkmalen zeigt nun sichtbar und deutlich, wie sich Erinnerungskultur in Laufe von Jahrzehnten verändert und verändern darf. Es wird zur Zeitreise und sinnigen Veränderung von gesellschaftlichen Konventionen, Haltungen und selbstreflexiven Sichtweisen.

 

Weitere Links zum Thema Erinnerungskultur:

http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich

http://www.niemals-vergessen.at/

http://www.politischebildung.com/pdfs/32_printversion.pdf

 

Kritische Beiträge zu fehlender oder verfehlter Erinnerungskultur:

https://zartbitter.co.at/kultur/salzburg-braucht-ernst-gemeinte-erinnerungskultur/

https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/konturen-einer-kritischen-erinnerungskultur/prof.-dr.-reinhold-boschki-konturen-einer-kritischen-erinnerungskultur

https://www.deutschlandfunk.de/der-opfermythos-in-oesterreichs-erinnerungskultur.1310.de.html?dram:article_id=216500

https://www.deutschlandfunkkultur.de/zwischen-erinnerungskultur-und-opferkult-land-der-opfer.976.de.html?dram:article_id=370350

 

Quellen

[1] Guery, Alain: Erinnerungspolitik und Pflicht zur Geschichte, in: Transit 30 (2005), S. 124-135.

[2] Sabrow, Martin: Die Lust an der Vergangenheit. Kommentar zu Aleida Assmann, in: Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 4 (2007) 3, S. 386.

[3] Jeismann, Karl-Ernst: „Geschichtsbewusstsein“. Überlegungen zur zentralen Kategorie eines neuen Ansatzes der Geschichtsdidaktik, in: Geschichtsdidaktische Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung, hrsg. von Hans Süßmuth, Paderborn 1980, S. 179-111.

[4] Wolfrum, Edgar, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik als Forschungsfelder. In: Jan Scheunemann (Hg.): Reformation und Bauernkrieg. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik im geteilten Deutschland, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2010, S. 13-47.

[5] Weinrich, Harald: Lethe – Kunst und Kritik des Vergessens, München 1997.

[6] Darauf geht dieser Beitrag im Kapitel „Erinnerungskultur als Gestaltungsfaktor“, am Ende ein.

[7] Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006.

[8] Vgl.: Gedik, Çigdem: Die Vermarktung der eignen Vergangenheit“, Hamburg 2013, S. 23

[9] Zitat von Freiherr von Weizsäcker, Richard. Quelle: Weizsäcker, Reden. Gedenkstunde im Bundestag, 8.5.1985.

[10] Explizit auch Sinti und Roma und allen anderen Verfolgten und Getöteten des unmenschlichen Nazi-Regimes und derer Verbündeter.

[11] https://www.deutschlandfunkkultur.de/tourismus-und-stadtmarketing-schattenorte-der-nazizeit.976.de.html?dram:article_id=361189

[12] Düsterer Tourismus: Jedes Jahr strömen Millionen sogenannter „düsterer Touristen“ zu Kriegsdenkmälern, verfallenen Herrenhäusern oder stillgelegten Gefängnisse oder Kernkraftwerken auf der ganzen Welt, um mit eigenen Augen zu sehen, was von ihrer tragischen Vergangenheit übriggeblieben ist. Quelle: https://www.merkur.de/reise/dark-tourism-duesteren-tourismus-sich-zr-9689444.html

[13] Vgl.: https://www.stadtmarketing-witten.de/veranstaltungen/veranstaltungskalender/?event_id=96683&active_timestamp=1540332000&page=1

[14] Quelle: Wikipedia

[15] Detaillierte Informationen finden Sie unter: https://www.gedenkstaetten-in-hamburg.de/gedenkstaetten/gedenkort/gegendenkmal-zum-76er-kriegerdenkmal/

Titelbild (c) Claus Friede

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