Wie Erdgeschosszonen in Innenstädten wiederbelebt werden können
14.06.2023
Wohnen
14.06.2023
Wohnen
Die Nutzung der Erdgeschosszonen in Innenstädten war einige Jahrzehnte lang vorrangig dem Handel vorbehalten. Um diese Flächen heute wiederzubeleben, sind Kreativität und innovative Konzepte gefragt.
Mit der voranschreitenden Ausdünnung der stationären Handelsflächen und dem Rückzug großflächiger Handelsformen internationaler Ketten – und damit einhergehend massiven Leerständen – stellt sich die Frage: Wie könnte man die Erdgeschosse in urbanen Räumen wieder mit Leben erfüllen?
Dazu lohnt sich ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Die Erdgeschosse in historischen Innenstädten waren vielfach für eine ganz andere Nutzung gedacht denn als Verkaufsräume. Vor 1848 waren Handelsflächen in Städten de facto nicht vorhanden, gehandelt wurde allein auf Märkten.
Die Sockelzonen wurden oft von Handwerkern genutzt, die in Zünften organisiert waren. Die ebenerdigen Flächen dienten außerdem als Lagerflächen, Werkstätten, Wäschereien, Schnapsbrennereien, Ställe für Pferdefuhrwerke oder Gaststätten.
Erst nach der Revolution 1848 etablierte sich nach und nach innerstädtischer Handel. Genutzt wurden dafür die Erdgeschosszonen, auch wenn sie nie dafür angelegt worden waren. Um 1900 begannen innovative UnternehmerInnen damit, in ihren eigenen innerstädtischen Immobilien Handel aller Art zu betreiben. Die Kriegsgeneration übernahm diese Standorte, deren Kinder folgten in den 1960ern.
Eine weitere Übernahme der nächsten Generation hat oftmals nicht mehr stattgefunden. Und so wurde bewahrt, was bis in die 1970er und 1980er Jahren entstanden war und heute – in den 2020ern – längst nicht mehr zeitgemäß ist.
Der großflächige innerstädtische Einzelhandel, der in den 1980ern seine Hochblüte erfuhr, nutzte neben dem Erdgeschoss oft auch den ersten und zweiten Stock als Verkaufsfläche.
Nach seinem Niedergang bleiben nun devastierte Flächen auf mehreren Etagen zurück. Ein Investitionsrückstau von rund 50 Jahren – Stichwort Sanitärräume – blieb unbewältigt. Die „Kriegs(ur)enkel“ stehen nun vor schier unlösbaren Finanzierungsproblemen.
Das bringt für die HausbesitzerInnen in Städten sehr häufig die Notwendigkeit mit sich, große finanzielle Mittel in ihre Immobilie zu pumpen, bevor sie wieder für den Markt verfügbar sein kann. Um diese Kosten für die BesitzerInnen – und in weiterer Folge die MieterInnen – abzufedern, haben viele Städte eigene Fördertöpfe definiert.
Graz beispielsweise hat einen Altstadterhaltungsfonds eingerichtet, um im Schutzgebiet gelegene Gebäude, die in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Baustruktur und -substanz sowie in ihrer vielfältigen urbanen Funktion wichtig sind, zu erhalten. Ein ganz ähnliches Fördermodell gibt es auch zur Altstadterhaltung Salzburgs. Natürlich verfügt auch Wien über einen entsprechenden Fördertopf.
Ist die erhaltenswerte Leerfläche einmal auf modernen Stand gebracht, braucht es heutzutage oft Kreativität, Fantasie und einen offenen Geist für deren weitere Nutzung. Denn der verständliche Wunsch vieler ImmobilienbesitzerInnen nach einem bodenständigen, althergebrachten Handelsunternehmen in ihrem Haus erfüllt sich immer seltener.
Ein Umstand, der der Abwanderung der KundInnen zum Onlinehandel, den wirtschaftlichen Verwerfungen nach der Covid-Pandemie und zuletzt wohl sicher auch der massiven Teuerung geschuldet ist.
Wie also können die innerstädtischen Sockelzonen künftig sinnvoll bespielt und genutzt werden? Folgende Trends zeichnen sich ab:
Der Trend, dass ärztliche Praxen, oft auch geführt als Gemeinschaftspraxen, größere Leerstände in den Innenstädten beziehen, ist mittlerweile in sehr vielen Städten angekommen. Die Erdgeschosse sind für diese MieterInnen-Gruppe deshalb so interessant, weil die Flächen dadurch barrierefrei sind, was den Vorgaben der Gesundheitskassen entspricht.
Das Büro in zweiter oder dritter Etage ist keineswegs obligat. Auch Büroräumlichkeiten können in Erdgeschossen der Innenstadt untergebracht werden. Zumal Unternehmen und Organisationen mit Parteienverkehr davon ausdrücklich profitieren könnten. Vielfach wäre wohl auch die Hemmschwelle zum Eintreten und Nachfragen niedriger, man denke etwa an Architekturbüros.
Außerdem verfügen viele Innenstadt-Sockelflächen auch über Grünräume in den Höfen, die eine Aufwertung der Büroinfrastruktur darstellen. Solche Leerstände werden auch oft für die Schaffung von Co-Working-Spaces herangezogen. Wie beispielsweise die „Anlegestelle“ in Klagenfurt, die im Erdgeschoss eines denkmalgeschützten Stadthauses untergebracht ist.
Was zur Zeit der Handwerkszünfte bereits gang und gäbe war, könnte nun eine Renaissance erleben. Werkstätten in Stadtzentren.
Zumindest für lärm- und emissionsarme Gewerbe stehen die Erdgeschosszonen in Innenstädten durchaus zur Verfügung. Etwa für JuwelierInnen, SchneiderInnen, MessermacherInnen wie beispielsweise die Manufaktur Messermacher Kapeller in der Salzburger Altstadt. Genauso wie die Konditorei Fürst, die die originalen Mozartkugeln immer noch am Alten Markt in der Sockelzone fertigt.
Kein Folder oder Inserat ist so gut wie ein Schaufenster, durch das die Produkte in Lebensgröße zu sehen sind. Und wenn man den Raum dann noch betreten kann, um genauer nachzusehen – perfekt!
Immer öfter werden in zentralen Erdgeschosslagen Schauräume für sperrige Produkte angesiedelt. Wie etwa die von TischlerInnen, TapeziererInnen, FliesenproduzentInnen für Küchen, Bäder und einzelgefertigte Möbel.
Um neue Geschäftskonzepte in Innenstädten anzusiedeln, gibt es bereits in vielen Städten Österreichs definierte Flächen in den Sockelzonen, die für temporäre Betriebe, die den Feldversuch einmal wagen möchten, reserviert sind.
Ein Modellprojekt dafür gibt es in Enns: Im historischen Zentrum des sehr gut frequentierten Stadtplatzes stehen seit vielen Jahren fünf attraktive Geschäftsflächen als Pop Up-Stores zur Verfügung. Die Stores wurden bezugsfertig adaptiert und mit einem modularen Basisshopsystem ausgestattet. Größe und Mietdauer der Flächen sind flexibel und auch kurzfristige Vermietungen sind möglich.
NGOs, kirchliche Teilorganisationen und andere Communities wie etwa Nachbarschaftsvereine können ihre Arbeit in Erdgeschossen in der Innenstadt prominent präsentieren und Beratungsdienstleistungen oder gemeinschaftliche Aktivitäten – Sprachcafés, Repair-Cafés, Diskussionsabende etc. – mit im Wortsinn niederschwelligem Zugang anbieten.
Beispiele sind die kirchliche Beratungsstelle „Offener Himmel“ mitten in Salzburg oder die Offenen Technologie- und Kreativlabore OTELO, die bereits über viele Standorte in heimischen Städten verfügen.
Die Grätzlhotels in Wien machten es innerhalb Österreichs vor: Leerstehende Erdgeschossflächen werden umgebaut zu kleinen Appartements, in denen TouristInnen oder Geschäftsreisende auf Zeit wohnen können.
Der Vorteil: Man ist mitten drin im Leben des jeweiligen Stadtviertels, kauft wie die Locals seine Semmeln beim Bäcker um die Ecke, nutzt den nahen Supermarkt und nimmt dann am Abend den Drink in der Bar gegenüber.
Oft werden leerstehende Erdgeschosszonen auch von bestehenden, räumlich nahe gelegenen Handelsunternehmen angemietet, um ihre Angebotspalette zu erweitern.
Beispielsweise das Radfachgeschäft „Mountainbiker“ am Standort Klagenfurt, das zuletzt eine auf der anderen Straßenseite gelegene Sockelfläche zusätzlich angemietet hat, um das gesamte Werkstätten-Service (davor im Geschäft integriert) räumlich auszulagern.
Viele städtische Schulstandorte und Universitäten platzen aus allen Nähten. Auch für sie bietet sich daher eine räumliche Auslagerung bestimmter Lehr- oder Forschungsbereiche in die Erdgeschosse der Innenstädte an. So könnte man dann auch die jungen Menschen, die man derzeit in vielen Städten so schmerzlich vermisst, wieder vermehrt an die Stadtzentren binden.
Die Sockelzonen in urbanen Räumen stehen also mit dem Rückgang des stationären Einzelhandels vor neuen Herausforderungen. Um diese Erdgeschossflächen wiederzubeleben, sind daher Kreativität und innovative Nutzungskonzepte gefragt.
Trends wie beispielsweise Praxen, Büros, Werkstätten, Schauräume, Pop Up-Stores, Beratungs- und Gemeinschaftsräume, AirBnB-Zimmer, Crossover-Konzepte und Bildungsräumlichkeiten bieten Möglichkeiten, innerstädtische Erdgeschosse mit neuem Leben zu erfüllen und die Attraktivität der Innenstädte zu steigern.
Förderprogramme in vielen Städten unterstützen die EigentümerInnen bei der Sanierung und Umnutzung dieser Flächen.
Titelbild (c) Amina Filkins on Pexels
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