Die Welt als Riesen-Metropolis
18.08.2022
Trends
18.08.2022
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Klimawandel, Pandemien, Finanzkrisen, Kriege: In unserer globalisierten Welt werden die Grenzen des Vorstellbaren oft überschritten. Weil keine Nation und auch keine Stadt alleine die Erderwärmung oder eine sich rasant verbreitende Viruserkrankung stoppen kann, braucht es zunehmende Kooperation. Verschmelzen unsere Städte bald in eine Riesen-Metropolis, weil die Grenzen irgendwann fallen?
Was auf einem Markt im chinesischen Wuhan passiert, fordert Todesopfer in allen Städten der übrigen Welt. Was im brasilianischen Urwald vor sich geht, verändert das Klima rund um den Globus. Auch wenn klar ist, dass die wichtigen Fragen unserer Zeit nicht innerhalb nationaler Grenzen gelöst werden können, kehren immer mehr Länder dem Multilateralismus den Rücken zu.
Handelskonflikte, das Aufkündigen des Klimaabkommens und des Atomabkommens mit dem Iran stehen zum Beispiel für die folgenreiche Politik von US-Präsident Donald Trump, die die Weltgemeinschaft um Jahre zurückgeworfen hat.
Eines Tages werden wir auf die populistischen Bewegungen – von »America first« bis zum Brexit – und das letzte Aufbäumen ihrer Nationalstaaten kopfschüttelnd zurückblicken.
Nun sind viele Vordenker überzeugt, dass sich die größten Probleme, die wir im globalen Kontext diskutieren, auf städtischer Ebene lösen lassen. Denken Sie jetzt: Aha? Und wie geht das?
Nun, alle großen Städte unseres Planeten müssten so umgebaut oder neu gebaut werden, dass viel weniger oder besser gar keine schädlichen Emissionen in ihnen mehr entstehen. Vor allem müssten sich die Städte untereinander vernetzen, um voneinander zu lernen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
Die Vernetzung der Städte untereinander hat der amerikanische Politologe Benjamin Barber – im Rahmen des sogenannten Weltparlaments der Bürgermeister – schon vor vielen Jahren vorgestellt. Er argumentierte, dass eine Weltregierung nur dann gelingen kann, wenn auch das Gefühl der Menschen Berücksichtigung findet, zu einer bestimmten lokalen oder regionalen Gemeinschaft zu gehören.
Er sprach sich dafür aus, die Demokratie in Städten zu verankern, also dort, wo sich die Menschen am nächsten sind, und zugleich ein Weltparlament der Bürgermeister zu gründen, um grenzüberschreitende Fragen vernetzt zu regeln.
„Urbane Systeme stehen für die pragmatische Lösung von Problemen, sie sind nicht belastet von Ideologien. Busse müssen einfach fahren, der Müll muss eingesammelt werden. Wir brauchen Schulen und eine Kanalisation. In Großstädten gibt es enorm viel institutionelle, soziale und technologische Kompetenz. Ich plädiere für eine Multiplikation dieser Kompetenz.“
Es braucht also Städte, die erlauben, schneller voneinander zu lernen und sich zu koordinieren. In diesem Sinne haben die Bürgermeister von Prag, Budapest, Bratislava und Warschau 2020 den „Pakt freier Städte“ gegründet.
Wofür steht dieser „Pakt der freien Städte“? Der Pakt erkennt die gemeinsame Geschichte der Städte an, ihre geographische und kulturelle Identität. Er setzt auch auf gemeinsame Werte wie soziale Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt und Partizipation. Er steht für Demokratie, freie Wahlen und wendet sich gegen die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und des populistischen Nationalismus.
Dazu meinte Bürgermeister Michael Ludwig, der den Pakt elektronisch vor knapp einem Jahr unterzeichnete: „Für mich ist es in der jetzigen politischen Lage, die voller Umbrüche und Herausforderungen steckt, wichtig, diesen Pakt zu unterschreiben und damit auch noch einmal zu betonen, dass die Stadt Wien für Menschenrechte, Weltoffenheit und Toleranz – und vor allem auch für Demokratie und Freiheit steht“.
Zeitgleich haben auch die BürgermeisterInnen von Amsterdam, Barcelona, Taipei, Paris und Laibach die Vereinbarung unterschrieben.
Ich frage Dominic Weiss, Geschäftsführer von Urban Innovation Vienna, warum es um die Thematik der Vernetzung der Städte medial in den letzten Jahren so ruhig geworden ist.
Weiss: „Ich stimme zu, dass der „Slogan“ vom Zeitalter der Städte gerade weniger präsent ist als noch vor wenigen Jahren. Jedenfalls hat das mit der aktuellen geopolitischen Weltsituation zu tun. Nationalstaaten und sehr große Maßstäbe sind aktuell zumindest medial viel mehr im Zentrum.
Tatsächlich ist es aber auch so, dass wir als Städte zwar sehr viel in der Umsetzung beitragen müssen – und auch tun, aber die aktuellen großen Regelveränderungen etc. nicht Stadtkompetenz sind. Hier spielt sogar der einzelne Nationalstaat wenig Rolle.
Die Vernetzung zwischen den Städten ist immer noch aktiv. Aber aufgrund von Covid gab es tatsächlich in den letzten Jahren viel weniger persönlichen Austausch. Die Vernetzung findet viel mehr über gemeinsame EU Forschungsprojekte als über Konferenzen statt. In diesen Projekten wird auch das gegenseitige Wissen und Know-how transportiert.“
Ich frage Herrn Weiss, ob unsere Welt schon heute so vernetzt ist, dass man sie als “Stadt” wahrnehmen kann, deren Systeme in bestimmten Bereichen aufeinander abgestimmt sind?
Dominic Weiss: „Nein, ich denke nicht, dass die Welt so vernetzt ist, dass man sie als „Stadt“ sehen kann, ob Covid oder Energiekrise – beide Beispiele belegen das wohl ganz gut.“
Die vernetzte Stadt als Antwort auf die Klimakrise? Die Stadt der Zukunft benötigt viel grüne und begrünte Flächen, weil Pflanzen die Luft reinigen und Emissionen reduzieren, Wasser speichern und somit den Folgen von Überschwemmungen als auch Dürrephasen entgegenwirken.
Orte für Grünräume – gerade in dicht bebauten Städten – wird es dann geben, wenn Autos und LKWs zunehmend aus den Innenstädten verschwinden. Parkplätze werden dann zur Baumallee und Dächer zu grünen Terrassen. Begrünte Fassaden werden steigende sommerliche Temperatur im Zaum halten.
Die Stadt transformiert sich von Grünrauminseln, die aus der Vogelperspektive wie ein Fleckerlteppich aussehen, in ein dreidimensionales Netz grüner Räume.
Die Klimakatastrophe ist da. Den Klimawandel aufzuhalten bedeutet heute, umweltschonende Technologien zu nutzen und ansonsten Verzicht zu üben. Die hohen Energiepreise motivieren dazu – wir testen gerade, wie es sich anfühlt, Energie auf radikale Weise einzusparen.
Wien hat gerade verlautbart, 2022 wenig bis keine Weihnachtsbeleuchtung einzusetzen. Das ist ein Statement, wenn auch eines, dass vielen Einheimischen und auch Touristen nicht gefallen wird. Auch die Gondeln werden in Skigebieten langsamer fahren, um Energie zu sparen.
Seit 25 Jahren praktizieren zahlreiche Städte um den Globus die Earth Hour, eine weltweite Klima- und Umweltschutzaktion, die dazu aufruft, die öffentliche Beleuchtung für eine Stunde abzuschalten und dadurch auf den Klimaschutz durch Ressourcenschonung aufmerksam zu machen. Man rief sie 2007 vom WWF Australia ins Leben, seitdem findet sie jedes Jahr im März statt.
Wie könnte das aussehen? Es sind nicht nur Science-Fiction-AutorInnen, die über diese Frage nachdenken, sondern vor allem StadtplanerInnen und ArchitektInnen. Fakt ist, dass die meisten Menschen unseres Planeten in Städten wohnen.
Jene Form der Architektur, die sich mit dem befasst, was einmal sein könnte, nennt man spekulative Architektur. Diese Entwürfe werden nicht mit dem Ziel erstellt, irgendetwas davon zu bauen. Das bedeutet nicht, dass die Ideen nicht umgesetzt werden.
Die meisten dieser Ideen sind zu visionär, als dass die Welt sie verstehen und akzeptieren würde. Sie werden visuell beschrieben – als Erzählung, als Film, als Buch, als kultureller Akt.
Ein Beispiel ist Liam Youngs jüngstes Projekt Planet City
Link: https://www.youtube.com/watch?v=CL3g5OPLnoc&t=28s
Wie stellt sich Young die Stadt der Zukunft vor? Die Kanäle von Planet City sind Algen- und Fischfarmen. Aquaponik-Fischzüchter werden zu den Trendjobs der nächsten Jahrzehnte zählen – die Populationen von Wildfischen werden nämlich durch Phänomene wie Überfischung zunehmend verschwinden.
Bei Aquaponik kombiniert man Fischzucht mit Gartenbau. Die Pflanzen führen dem Wasser Sauerstoff zu, und die Fische produzieren Exkremente, die als Dünger für die Pflanzen dienen.
Nur drei Prozent der Erdoberfläche sind derzeit mit Städten bedeckt. Doch der Mensch treibt Raubbau an den 97% Natur. Young möchte die gesamte menschliche Population der Erde, die für 2050 mit rund zehn Milliarden Menschen prognostiziert wird, auf nur 0,02 Prozent der Erde komprimieren. Das Hauptmerkmal dieser Stadt lautet: Verdichtung.
Die Häuser stapeln sich in Young’s Vision wild aufeinander und sind von vertikalen Gärten bewachsen, die den BewohnerInnen die Gemüsezufuhr sichern. Transluszente Solarpanels hängen als bewegliche Vorhänge vor den Fassaden.
In unseren Köpfen – wie auch der Science Fiction-Vision – wird Verdichtung meist aber als schmutzig und zerstörerisch betrachtet. Young versucht, Enge und Nähe so zu definieren, dass daraus etwas Erstrebenswertes wird. Nur in einem miteinander verwebten Organismus einer Stadt können die Dinge am nachhaltigsten zirkulieren. Das würde dazu beitragen, kaum bis gar kein weiteres CO2 zu produzieren, meint Young.
Viele Zukunftsvisionen präsentieren die Idee einer einzigen gemeinsamen Weltregierung. Und doch fragen sich die Realisten, wie es funktionieren soll, wenn die Geschicke der gesamten Menschheit in den Händen Weniger liegen.
Young und sein Team haben genauestens festgelegt, wie die Wasser- und Solarkreisläufe funktionieren, wie viele Menschen in der dichtesten Stadt leben können und wie man die Abfallentsorgung organisiert. Das flexible Prinzip des Überbauens, das Young städtebaulich benutzt, hatte Ende der Fünfzigerjahre der französische Architekt und Stadtplaner Yona Friedman vorgeschlagen.
Seine Ville Spatial ist über die alte Stadt einfach drüber gebaut und kann an die aktuellen Bedürfnissen beliebig angepasst werden, d.h. entsprechend vergrößert oder verkleinert. Sie gilt bis heute als eine der einflussreichsten Stadtutopien. Seine ‚flexible Idee‘ von Stadt ist eingeflossen in die Arbeit vieler ArchitektInnen.
Die Zukunftsideen des Architekten Bjarke Ingels – in seinem Masterplanet-Projekt – sehen vor, den gesamten Planeten miteinander zu vernetzen und nicht nur Häuser energieeffizient zu gestalten, sondern eben gleich die ganze Welt. Ingels will sie mit einem einzigen, von ihm erdachten Masterplan überziehen.
So wie man Stadtviertel entwickelt, würde seine Welt in einem Aufwasch umgebaut. Was Ingels und Young beide erkannt haben, ist das Potenzial, das in gutem Storytelling von der Zukunft steckt. Ingels macht aus Masterplanet eine Dokuserie, mit ihm selbst als Host.
Young präsentiert seine Ideen in aufwendig produzierten Filmen. Beide nutzen ähnliche Methoden, um ihre Ideen über die Urbanismus-Diskursblase hinaus bekannt zu machen.
Die vernetzten Städte der Zukunft müssen drei Herausforderungen meistern: sie müssen sich 1) innerhalb ihrer Städte und 2) untereinander vernetzen und 3) diese Vernetzung dann pflegen.
Klar gefallen uns die Straßenlaternen, die nur dort ihre Umgebung erleuchten, wo Licht gebraucht wird. Logischerweise applaudieren wir autonom fahrende Autos, die nur dann in die Stadt kommen, wenn wir sie brauchen.
Die Vernetzung innerhalb der Stadt erfordert jedoch viele Sensoren – praktisch überall. Das schreckt alle Freigeister, die weder kontrolliert noch gesteuert werden wollen. Galt die Stadt doch immer als Ort der Freiheit, der Emanzipation, der kritischen Subkulturen und der durch Anonymität geprägten individuellen Entfaltung.
Mit der digitalen Technologie, die flächendeckend in Städten eingesetzt wird, machen sich diese anfälliger für cyberterroristische Angriffe, die unsere Infrastruktur, unsere privaten Haushalte und ganze Städte lahmlegen. Die Stadt, vor allem, wenn wir in Zukunft in einer einzigen Mega-Metropolis leben, muss daher viel besser gesichert werden als im analogen Zeitalter.
Titelbild: Die Welt als Riesen-Metropolis (c) Sergio Souza on pexels.com
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