Die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums

08.04.2021
Gesellschaft, Wirtschaft

Der öffentliche Raum ist der Schauplatz des urbanen Lebens. Er ist bunt, laut und macht die Stadt lebendig. Und: in ihm bilden sich gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen ab.

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(c) Unsplash/Dave Takisaki

Der öffentliche Raum ist der Schauplatz des urbanen Lebens. Er ist bunt, laut und macht die Stadt lebendig. Und: in ihm bilden sich gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen ab. Der öffentliche Raum ist für die Bevölkerung einer Stadt extrem wertvoll, gibt es doch nur mehr wenige Räume, die für eine vielfältige flexible konsumfreie Nutzung offen sind.

Denn der Kommerz im Raum nimmt zu. Immer mehr Schanigärten säumen Plätze und Straßenzüge. Produktpräsentationen, Marktstände, Foodtrucks, mobiler Kaffee, herumfahrende Eisbuden – wo man hinschaut schreit irgendwer: kaufen, kaufen, kaufen!

Öffentlich heißt offen für die Öffentlichkeit

Wie definieren sich die wichtigsten Merkmale des öffentlichen Raumes? Der Begriff ‚öffentlich‘ bedeutet also nicht, dass sich die Flächen in öffentlicher Hand befinden (auch wenn dies oft der Fall ist). Öffentlich heisst, dass diese Orte offen für die Öffentlichkeit sind.

Mit Öffentlichkeit meint die Gesellschaft keine selektive Öffentlichkeit, die bestimmte soziale Gruppen ausschließt. Öffentliche Räume sind nicht bebaute Freiräume in der Stadt. Aber auch Gebäude können den Charakter eines öffentlichen Raumes haben, wenn sie frei zugänglich sind, z.B. Bahnhöfe, Einkaufszentren.

Wer gestaltet diesen öffentlichen Raum, und wer nutzt ihn? Welche Rolle spielen Plätze in einer Zeit des Wandels, in der die Nutzung des Raums und das Verhältnis von öffentlich und privat, physisch und virtuell neu ausgehandelt wird?

Existiert der ‚öffentliche‘ Raum heute überhaupt noch?

Der öffentliche Raum verlangt, um als solcher wahrgenommen zu werden, auch ein Gegenstück, das Private. Der Philosoph Jürgen Habermas meint: „Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs.

Eine Öffentlichkeit, von der Gruppen ausgeschlossen wären, ist nicht nur unvollständig, sie ist vielleicht gar keine Öffentlichkeit.“ Denkt man diese Aussage weiter, müsste der öffentliche Raum rund um die Uhr zugänglich sein und nicht überwacht werden – es gäbe auch keinen Konsumzwang.

Der öffentliche Raum, wie wir ihn heute kennen, entstand übrigens im 19. Jahrhundert, als in Städten öffentliche Parks und Plätze angelegt wurden, wie zum Beispiel der Hyde Park in London oder der Central Park in New York.

Central Park – Foto Daniela Krautsack

Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum verschwimmen

Lange haben uns Stadtplanung und Architektur die definierten Zonen des Privaten und Öffentlichen vorgegeben. Die Normen und Regeln waren recht eindeutig.

Doch mittlerweile kaufen Firmen wie Nike und Daimler Plätze auf, die sie zu Urban Entertainment Centern umgestalten. Auf öffentlichen Plätzen stehen cool designte Sitzmöbel und man wird mit WLAN und einem kühlen Drink versorgt.

Erweiterte Realitäten erzeugen zudem eine neue individualisierte Wahrnehmung des öffentlichen Raumes. Jeder Nutzer dieser Technologie erhält dadurch eine individuelle und damit privatisierte Wahrnehmung dieses Raums – mit ‚freundlicher Unterstützung‘ von Google, Instagram und Apple gewissermaßen. Es entsteht eine personalisierte Öffentlichkeit.

Individualisierte Wahrnehmung von Orten, die kommerzielle Interessen bedienen.
Foto: Daniela Krautsack

Die meisten Städte leisten gute Arbeit bei der Gestaltung von öffentlichen Räumen, vor allem, wenn es sich um Plätze handelt: Wir sehen Wasserspiele, Sitzgelegenheiten – von altersadäquaten, bequemen bis hin zu innovativen und künstlerisch gestalteten.

Es gibt viel Grün, tolle Ausblicke über die Stadt und Wege, die zum Radfahren, Spaziergehen und zum sozialen Miteinander einladen.

Der wertvolle Handel

Das kritische Element, das die Aspekte des Öffentlichen Raumes zusammenhält, bleibt oft schwer fassbar: Der Handel. Der Handel in Form von Speisen und Getränken ist oft am besten, da jeder essen und trinken muss. Das lädt dazu ein, während des Konsums im Raum zu bleiben.

Patios, in denen Menschen essen und trinken können, ziehen Menschen an, was wiederum mehr Menschen anzieht. Auch andere Arten von Geschäften, wie der Einzelhandel funktionieren, aber nie so gut wie die Gastronomie.

Dies wurde zuerst von Jane Jacobs in Das Leben und der Tod großer amerikanischer Städte identifiziert. Jacobs ’scharfsinnige Beobachtungen führten sie zu dem Schluss, dass Parks sofort von Gebäuden feinkörniger Einzelhandelsgeschäfte umgeben sein sollten, die sich zum Park hin öffnen.

Kommerz im Raum – schafft auch Arbeitsplätze, das ist nicht zu unterschätzen.
Foto: Daniela Krautsack

Jacobs Hypothese wurde inzwischen in zahlreichen Studien bewiesen, nämlich dass die Umgebung eines Parks oder Platzes mit Einzelhandelsgeschäften in der Nähe die Anzahl der Personen erhöht, die den Raum nutzen.

Im Storefront Index (der die Anzahl und Konzentration von kundenorientierten Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen in Städten misst) erklärt sich der Unterschied zwischen einem nicht ausreichend genutzten und einem stark frequentierten Stadtraum im Wesentlichen durch das Vorhandensein und die Dichte benachbarter Park- Schaufenster.

Die Player des öffentlichen Raumes

Wer sind die Nutzer:innen des öffentlichen Raumes? Wen finden wir auf den großen Plätzen unserer Städte: Da wären die Bewohner:innen, die von A nach B rennen oder auf Rollern und Fahrrädern durch den Raum düsen. Da sind auch Kinder, die sich gegenseitig auf Laufrädern, Skateboards und anderen Gefährten jagen.

Die Ladenbesitzer:innen und Schanigärtner:innen des urbanen Raums. Die Konzertkartenverkäufer – verkleidete Wolferl und Sissis und die Fahrrad-Rikscha-Schwenker, ‚fahrende Plakatständer‘ genannt, die beim Warten auf den nächsten Gast nicht stehen dürfen, sondern ihr Gefährt herumschwenken müssen.

In manchen Städten Österreichs klackern Fiaker durch die Innenstadt. Musiker, von der Panflöten Kombo aus Chile zur aufstrebenden Rockband aus Friedberg.

Der Clown aus Ungarn ist in den 6 Jahren, seit er immer wieder mit seiner roten Quietschnase die Mariahilferstraße rauf und runterläuft, noch immer nicht lustiger geworden und streift nur selten die geforderte 2-Euro-Münze ein.

Die Bettler aus Rumänien sitzen wie aufgefädelt im 300m Abstand in frequentierten Einkaufsstrassen und teilen sich die Strasse mit Augustin-Zeitschriften-Verkäufern und jungen Keilern von Hilfsorganisationen, die einen schon von weitem mit einem überschwenglichen „Haben Sie 2 Minuten für Kinder in Not?“ anplärren.

Dann gibt es noch die legalen Zeitungsverkäufer und nicht legalen Blumenverkäufer, Hütchenspieler, Obdachlose, die den öffentlichen Raum auch mitbenützen und für kommerzielle Zwecke nutzen wollen – das ist in einer Stadt normal, denn jeder dieser Interessensvertreter geht dort hin, wo das Geld ist. Wer sich im öffentlichen Raum darstellen will, kann das tun – mit Platzkarte und Bewilligungen.

Öffentlicher vs privater Raum

Viele Unternehmen leiden noch immer unter den Folgen der Corona-Massnahmen. Margenschwache Branchen wie die Gastronomie oder der Lebensmitteleinzelhandel sind von den ökonomischen Konsequenzen stark betroffen. Sie können unter Einhaltung der geforderten Distanzregeln ihre Mietfläche nicht so dicht bewirtschaften wie zuvor.

Das hat zur Folge, dass der Aussenraum mitbenutzt wird. Der Sommer naht, die Konsumation an der frischen Luft wird bevorzugt und die Tische können weit voneinander entfernt platziert werden.

Dafür nutzen die Gastronomen als Erweiterung zu bestehenden oder nicht bestehenden Gartenwirtschaften einen Teil des angrenzenden öffentlichen Raums, der privatisiert und damit kommerzialisiert wird.

In Rotterdam erlaubt es die Stadtverwaltung den Gastronomen sogar, ohne Bewilligung Parkplätze zu Gartenwirtschaften umzunutzen. Bei unseren deutschen und Schweizer Nachbarn gibt es ähnliche Konzepte.

Bereits vor der Corona-Krise haben Teile der Bevölkerung diese Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes kritisiert. Sie steht in Konkurrenz zu einer individuellen Aneignung des öffentlichen Raums für andere, temporäre Zwecke wie beispielsweise dem Verweilen oder Sporttreiben, für Kunstinterventionen oder politische Kundgebungen. Konsumation ist Pflicht, wodurch bestimmte Nutzergruppen an solchen Orten ausgeschlossen werden.

Der öffentliche Raum ist die DNA einer Stadt

Der Anspruch an die Räume einer Stadt sind – wie die eigenen Ansprüche – mannigfaltig. Was dem einen gefällt, missfällt dem anderen. In einer Stadt sollen jedoch alle ‚abgeholt‘ werden. Sie sollen sich mit dem Ort, in dem man wohnt, identifizieren und sich verankert fühlen.

Regeln geben Bewegungskorridore vor und setzen gleichzeitig Schranken. Für ein harmonisches Miteinander sind sie unerlässlich. Oftmals sind sie der größte, nach außen hin nicht gleich erkennbare, gemeinsame Nenner.

Im Spannungsfeld zwischen lokaler Loyalität, konsumfreien Bedürfnissen, städtischer Funktionalität und wirtschaftlichen Ambitionen finden Plätze mit Freiraum besondere Bedeutungen.

Plätze, die zum öffentlichen Raum gehören, haben seit jeher eine besondere Anziehungskraft auf Menschen. Sie sind Treffpunkt, Orte der Entspannung, ausgelagerte Wohnzimmer, Möglichkeit der Ruhe und des Krafttankens, aber auch Orte zum Feiern.

Sie sind Debattierclub, Bühne, Therapieraum, Spielplatz, Markt oder Festplatz. Je nach Bedürfnis betrachten Nutzer/innen den öffentlichen Raum dann als ‚ihren Raum‘.

Der dysfunktionale Raum

Der Gestaltungsdrang des Menschens schränkt dann die Dysfunktionalität eines Raumes ein, der Raum hat damit immer eine Funktion. Wie gut sich die Funktionen aneinander reihen liegt daran, wie sich die Benutzergruppen mit dem Eigentümervertreter arrangieren.

Die nicht funktional gebundenen Freiräume werden auch ‚Niemandsländer‘ genannt, weil sie zumindest zeitweise von keinen Interessensgruppen beansprucht werden und informelle Nutzer (z. B. Kinder, Jugendliche, Obdachlose) aus diesen Freiräumen auch dann nicht vertrieben werden, wenn sie Spuren hinterlassen.

Dennoch: der zunehmende Ruf nach mehr dysfunktionalen Räumen in unseren Städten verwirrt. Herr Miklautsch, wie wichtig ist die Dysfunktionalität eines Platzes in Städten, die sich immer wieder neu erfinden?

Guido Miklautsch, Stadtmarketing Sprecher für Wien und Burgenland lacht und antwortet gekonnt poetisch: „Unlängst habe ich einen Platz nach seinem Befinden und seiner Einstellung zur Dysfunktionalität interviewt. Die Antwort des Platzes hat mich dann schon etwas überrascht:

‚Bitte, wie soll ich Freiraum sein und vor allem wann? 24/7 Verfügbarkeit ist mein Motto, für alles und jede/n bin ich da. Es gibt Tage, da ist weniger los, dann gibt es solche, an denen meine Pflastersteine im Takt vibrieren. Wer mich betritt, dem biete ich eine Bühne zur Selbstdarstellung – oder zur Selbstfindung.

Ich höre sie, die Gespräche, das Gelächter, die Musik, die Tränen, die Freude und die Trauer – jahrein, jahraus. Ich genieße es, für so viele Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Menschen da zu sein. Nimm doch Platz.

Wer den Raum betritt, für den hat er eine Funktion

Miklautsch fährt fort: „Dysfunktionale Räume gibt es nur in der Architektur. Die Nutzer:innen eines Raumes und der Raum selbst wissen nicht, dass es eine Dysfunktionalität gibt. Wer den Raum betritt, für den hat er eine Funktion.“ Er schmunzelt, hält inne und sagt: „Welche, das bestimmt der Betrachter; auch wenn die Funktion manchmal vom Stadtmarketing gelenkt wird.“

Mit Instrumenten des Stadtmarketings können spannende neue Funktionen entstehen. Funktionen, die Neugierde wecken, Interpretationen zulassen, oder einfach Bedürfnisse decken. Wer Plätze mit veränderter Perspektive betritt, entdeckt sicher immer etwas Neues im gewohnten Raum.

Welche Bedeutung hat der öffentliche Raum noch?

Diese Frage lässt sich vor dem Hintergrund von Werthaltungen und gesellschaftlichen Zielvorstellungen beantworten. Wenn es stimmt, dass die Endlichkeit der Ressourcen dieser Welt die Gesellschaften der Industrieländer dazu zwingt, ihre Wirtschafts- und Lebensweise auf eine soziale, ökonomische und ökologisch nachhaltigere Form umzustellen, dann brauchen wir in Zukunft mehr denn je öffentliche Räume mit hoher Qualität.

Was die Stadtentwicklung der Zukunft anbelangt, so brauchen wir ein nachhaltiges ressourcensparendes Konzept: das geht nicht ohne räumliche Konzentration und Verdichtung sowie die Sicherung von Mobilität auch ohne private Kraftfahrzeuge.

Lesen Sie auch diesen Blog zum Thema ‚Öffentlicher Raum‘:
https://www.stadtmarketing.eu/kulturelle-identitaet/

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Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren. Daniela Krautsack ist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.

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