Die 15-Minuten-Stadt als Lösung für urbane Herausforderungen
14.11.2024
Architektur, Gesellschaft
14.11.2024
Architektur, Gesellschaft
Städte sind weltweit von großen Herausforderungen geprägt: Stau, Luftverschmutzung, Platzmangel, Lärm, Klimawandel und soziale Isolationen gehören zu den Problemen, mit denen städtische Gesellschaften konfrontiert sind. Die klassische autozentrierte Stadtplanung hat diese Probleme verschärft, indem sie große Entfernungen zwischen Wohn-, Arbeits-, und Freizeitbereichen geschaffen hat. Ein Konzept, das all diese Themen adressieren und das urbane Leben nachhaltiger und vor allem menschenfreundlicher gestalten möchte, ist die sogenannte Die 15-Minuten-Stadt.
Diese Idee, die auf eine radikale Umgestaltung der Stadtplanung abzielt, geht auf den Stadtforscher Carlos Moreno, Professor für komplexe Systeme und intelligente Städte an der Pariser Universität Panthéon Sorbonne zurück. Sie strebt an, städtische Räume so zu gestalten, dass die Menschen ihre täglichen Besorgungen, von der Arbeit über den Einkauf bis hin zur Freizeitgestaltung innerhalb eines Radius von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen können.
Das Konzept der 15-Minuten-Stadt fordert eine grundlegende Umgestaltung urbaner Strukturen, um eine solche Zugänglichkeit zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass ehemals getrennte Stadtteile und -funktionen miteinander verschmelzen. Wohnviertel, Arbeitsorte, Geschäfte, Schulen, Parks, Sporteinrichtungen und Ärzte sollen räumlich näher zusammenrücken, um den Bürger:innen eine funktionale und vielfältige Nutzung ihrer Nachbarschaft zu ermöglichen.
Eine solche Stadtstruktur fördert den Kontakt zwischen den Menschen und stärkt die lokale Gemeinschaft. Da die Wege kurz sind und vieles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt werden kann, reduziert sich der Bedarf an motorisiertem Verkehr.
Das 15-Minuten-Modell birgt zahlreiche Vorteile für Umwelt, Gesundheit und das soziale Leben und kann langfristig zur Lösung vieler urbaner Probleme beitragen.
Neue Konzepte müssen sich auch immer ihren KritikerInnen stellen. Nicht alle reagierten auf die 15-Minuten-Stadt mit Begeisterungsstürmen – aus unterschiedlichen Beweggründen.
Auch die 15-Minuten-Stadt blieb nicht von Verschwörungstheorien verschont. Manche Kritiker sehen darin eine potenzielle Einschränkung der individuellen Bewegungsfreiheit und ziehen Parallelen zu dystopischen Szenarien, in denen Menschen nur begrenzte Zonen verlassen dürfen. In sozialen Netzwerken und bei Demonstrationen in Großbritannien und Kanada wurde das Konzept mit Begriffen wie „Klima-Lockdowns“ in Verbindung gebracht. StadtplanerInnen hingegen werden nicht müde zu betonen, dass die 15-Minuten-Stadt auf mehr Lebensqualität durch kürzere Alltagswege fokussiert und Menschen keineswegs in ihrer Mobilität einschränken soll.
Eine aktuelle Studie samt Vergleichs-Weltkarte des italienischen Forschers Vittorio Loreto zeigt, dass das Konzept der 15-Minuten-Stadt zwar einige europäische Städte wie Wien und Paris gut umsetzen können, jedoch global oft unrealistisch bleibt. In vielen Städten weltweit – insbesondere in autolastigen US-Städten wie Dallas oder Atlanta – ist eine 15-Minuten-Erreichbarkeit von wichtigen Einrichtungen kaum möglich.
Selbst bei umfassenden Infrastrukturänderungen könnten viele Städte das Ziel nicht erreichen, da sie stark auf Autoverkehr ausgerichtet sind, berichtet Loreto. Die Analyse verdeutlicht auch, dass Arbeit und hochwertige Angebote wie Gesundheitsdienste oft nicht im Wohnumfeld liegen, was Pendelwege unvermeidlich macht. Loreto schlussfolgert, dass die 15-Minuten-Stadt für bestimmte Standorte zwar ein sinnvolles Ziel sein kann, jedoch keine universelle Lösung für alle städtischen Herausforderungen weltweit darstellt.
Weltweit setzen Städte auf innovative Konzepte, um den urbanen Raum lebenswerter, nachhaltiger und klimafreundlicher zu gestalten. Im Folgenden ein paar Best Practices, die als Vorbilder für nachhaltige Stadtentwicklung dienen.
Das Modell der 15-Minuten-Stadt stieß bei den Pariser:innen- allen voran bei Bürgermeisterin Anne Hidalgo – auf große Begeisterung und ambitionierte Umsetzung. Seit 2014 wurde in Paris massiv in die Radinfrastruktur investiert: Die Fahrradwege wurden auf über 1.000 Kilometer ausgebaut, und die Stadt hat 150 Millionen Euro in die Verdopplung des Radnetzes gesteckt.
Zusätzlich wurden ganze Straßen für den Autoverkehr gesperrt und in Flaniermeilen für Fußgänger:innen umgewandelt – wie etwa das Seineufer, das früher als Schnellstraße für 43.000 Fahrzeuge diente und nun eine beliebte Fußgängerzone mit Millionen von Besucher:innen ist. Mit dem ambitionierten Ziel bis 2050 klimaneutral zu werden, wurde ein starker Fokus auf die Förderung des Fuß- und Radverkehrs gelegt: Bis 2026 fließen zusätzlich 250 Millionen Euro in die Radinfrastruktur, einschließlich 180 Kilometer neuer Radwege, grüner Wellen für Radfahrende und Ampelvorrang für Busse und Straßenbahnen.
Zur Verbesserung der Luftqualität und der Lebensräume werden bis 2026 rund 170.000 Bäume gepflanzt und zentrale Orte wie die Champs-Elysées zu grünen Boulevards umgestaltet. Das Projekt „Rue aux écoles“ verbessert zudem die Sicherheit von Schulkindern durch verkehrsberuhigte Straßen, neue Aufenthaltsbereiche und Schatten spendende Begrünung.
Bereits 2015 startete die norwegische Hauptstadt damit, Schritt für Schritt den motorisierten Individualverkehr aus dem Zentrum zu verbannen, der öffentliche Nahverkehr wurde ausgebaut und die Verbreitung von Leihfahrrädern gefördert. Die Umwandlung von Park- in Grünflächen stellt eine von vielen Maßnahmen eines ehrgeizigen Plans der Stadtregierung dar, die Innenstadt bis 2030 klimaneutral zu machen. Durch die Schaffung von Tempo-30-Zonen in 70 Prozent der Straßen und den Bau von 100 Kilometern neuer Radinfrastruktur wird ein sicheres und attraktives Umfeld für Radfahrer und Fußgänger geschaffen.
Die katalanische Hauptstadt hat das Konzept der „Superblocks“ entwickelt, eine Art Mini-Stadtteile, in denen der Autoverkehr drastisch reduziert wird, um Platz für Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und grüne Freiflächen zu schaffen. Dieses Modell hat positive Effekte auf die Luftqualität und fördert die soziale Interaktion.
In Melbourne verfolgt man das 20-Minuten-Nachbarschaftsmodell, das eine ähnliche Zielsetzung wie die 15-Minuten-Stadt verfolgt. Bewohner:innen sollen innerhalb von 20 Minuten Zugang zu wichtigen Einrichtungen haben, und die Stadt fördert Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen.
Das Prinzip der dezentralen Grätzln lässt sich auch auf kleinräumigere urbane Räume umlegen – mit entsprechend weniger Zeit fürs Unterwegssein.
Wie das Konzept auch für einzelne Orte funktionieren könnte, erläutert Michael Gsaller, Präsident des Stadtmarketingverbands, in diesem Beitrag.
Österreichische Städte schneiden laut dieser Erhebung bei der Umsetzung der 15-Minuten-Stadt im internationalen Vergleich gut ab. Graz führt das Ranking an, wo 92 Prozent der Einwohner alle wesentlichen Einrichtungen zu Fuß in 15 Minuten erreichen können, gefolgt von Wien mit 91 Prozent. Auch Innsbruck liegt mit 89 Prozent im oberen Bereich, während Klagenfurt mit weniger als 70 Prozent das Schlusslicht bildet.
Faktoren wie historische Stadtentwicklung und geografische Besonderheiten beeinflussen die Erreichbarkeit: So benötigen Bewohner von Stadtteilen auf Berghängen wie dem Kapuzinerberg in Salzburg oder dem Wienerwald typischerweise mehr Zeit.
In der Zwischenzeit wird in Österreich vielerorts aktiv an der Stadt der kurzen Wege gearbeitet. Exemplarisch möchten wir diese drei Städte und ihre Maßnahmen hervorheben:
Das Konzept der 15-Minuten-Stadt eröffnet nicht nur großen Metropolen, sondern auch Kleinstädten und ländlichen Regionen neue Perspektiven für eine lebenswerte Gestaltung urbaner Räume. Durch die Schaffung von kurzen Wegen zu wichtigen Dienstleistungen und Einrichtungen wird die Lebensqualität der Bewohner erhöht und die Abhängigkeit vom Auto verringert.
Österreichische Städte wie Graz, Wien und Innsbruck, schneiden im internationalen Vergleich bereits gut ab. Diese positiven Beispiele zeigen, dass eine intelligente Stadt- und Verkehrsplanung auch in mittelgroßen und kleineren Städten umsetzbar ist, um die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen.
Der Ansatz der 15-Minuten-Stadt fördert nicht nur die Mobilität, sondern stärkt auch das Gemeinschaftsgefühl und die soziale Interaktion unter den Bewohner:innen. Die Herausforderung liegt darin, innovative Lösungen zu entwickeln, die an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasst sind. So kann die Vision einer nachhaltigen und menschenfreundlichen Stadt für alle Realität werden.
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