Der Konsument der Zukunft und die schleichende Konsumverweigerung
07.08.2015
Trends
07.08.2015
Trends
Ein Beitrag von Daniela Krautsack, MBA, Urban Branding Expertin und Trendforscherin (Wien):
Wie sieht wohl ein typischer Tag im Leben meines derzeit 12jährigen Patensohnes im Jahre 2030 aus? Welche Erwartungen wird er – als ‚Digital Native‘ tituliert – an die Infrastruktur in seinem Wohn-, Arbeits- und Freizeitraum haben und in welcher Konsumwelt wird er manövrieren? Zukunftsszenarien, die Google CEO Eric Schmidt in seinem Buch „The new digital age„ beschreibt, lesen sich wie eine ‚how to’ Gebrauchsanweisung für die Start-Up Szene der Millenials-Generation: „Bevor Sie am Morgen die Wohnung verlassen, erinnert Sie Ihr Smartphone, ein Geschenk für den bevorstehenden Geburtstag Ihres Neffen zu kaufen. Sie scannen das System nach Geschenkideen, die aus anonym aggregierten Daten für andere Buben in seinem Alter gekauft wurden, doch leider finden sie keinen passenden Vorschlag darunter. Da erinnern Sie sich an eine Geschichte, über die seine Eltern, beide schon an die 50, herzlich lachten. Ihr Neffe hatte einen Verweis auf die alte Ausrede in der Schule ‚der Hund hat meine Hausübung gefressen‘ nicht verstanden. ‚Wie soll ein Hund sein Speicher-Laufwerk in der Datencloud fressen? ‘, fragte er sich. Sie tippen rasch ‚Roboterhund‘ in Ihre Suchmaschine und kaufen den neuen Gefährten für Ihren Neffen mit einem Klick. Für die automatisch generierte Geburtstagskarte, die in Ihrer Handschrift verfasst wird, diktieren Sie den Text: „Für alle Fälle.“ Das neue Haustier erreicht das Haus Ihrer Schwester noch am selben Tag.
Wer regelmäßig die Linzer Ars Electronica besucht, hat schon vor Jahren Bekanntschaft mit denkenden Kühlschränken, Robo-Haushaltsgehilfen und multifunktionalen Holographie-Schreibtischen gemacht. Die finanzstarke Konsumentenschicht der technologie-affinen ‚early adopters’ lebt auch jetzt schon im ‚smart home’ und schicke leuchtende Designgegenstände im Miniformat sind lange mehr keinen Prototypen universitärer Forschungseinrichtungen. Über Crowdfunding finanziert, starten Studienabgänger heute mit selbstdenkenden Zukunftsgadgets in atemberaubend raschem Tempo ins Unternehmertum.
Wie rasch blühen uns die Erwartungen dieser immer schlaueren Konsumenten, deren Daumen nicht an der Geldbörse sondern immer beharrlicher am Display ihres Smartphones klebt? Auch wenn wir noch keine breiten Ausprägungen der oben erwähnten Tendenzen sehen: Wenn Sie Vertreter des heimischen Einzelhandels sind, sei Ihnen folgendes geraten: Zurücklehnen, zuschauen und abwarten kann sich in unseren Zeiten technologischen Umbruchs keiner leisten. Lesen Sie, lernen Sie, stellen Sie Fragen und dann: handeln! Wenn Sie nicht wissen, wie Sie Ihr Unternehmen modern aufrüsten, holen Sie sich beratende Hilfe von der Wirtschaftskammer und kooperieren Sie mit Experten, die Sie in Fragen technologischer Aufrüstung, zeitgenössischen Designs und unkonventionellen Wegen der Kommunikation unterstützen.
Doch halt! – Wir leben im Hier und Jetzt und wollen über den heutigen Status Quo und „wohin die Reise geht“ sprechen. Im Rahmen meiner monatlichen Interviewserie stellte ich der Wiener Wirtschaftswissenschaftlerin Sandra Holub und zwei erfahrenen Unternehmern – Stefan Erschwendner und Daniel Pannrucker, die beide in Deutschland tätig sind – folgende Fragen:
Wie reagiert der Einzelhandel darauf? Gibt es schon sichtbare Veränderungen?
Sandra Holub/WU Wien: „Technologische Neuerungen geben KonsumentInnen die Möglichkeit, direkt mit Unternehmen und Herstellern in Kontakt zu treten. Die Art, wie wir kommunizieren ist heute eine grundlegend andere. Spätestens seit dem Web 2.0 kommt es zu einer stark reziproken Beziehung zwischen Handel, Produzenten und den Konsumenten. Bestes Beispiel dafür sind die sehr intensiven Unterhaltungen auf Social Media Seiten. Für die Konsumenten von heute ist es nicht nur besonders zentral ihre Meinung kundtun zu können, sondern auch von den Unternehmen wahr- und ernstgenommen zu werden. Kurzum: der Konsument will beachtet werden, nicht als ein kleines Puzzlestück in einer diffusen Menge, sondern als Individuum.
Hier setzt auch ein anderer zentraler Faktor ein: Vertrauen. In den letzten Jahren sind KonsumentInnen laufend mit Skandalen, beispielsweise im Lebensmittelbereich, konfrontiert worden. Natürlich gehen diese Skandale nicht spurlos an den KonsumentInnen vorbei – das Vertrauen verringert sich, Unsicherheit entsteht. Doch: KonsumentInnen wollen vertrauen, sie wollen nicht im Supermarkt stehen und sich fragen wo der nächste Skandal stecken könnte. Diese Sorgen ernst zu nehmen und den Kunden nicht nur ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, sondern einen Beitrag dazu zu leisten und dies glaubwürdig Tag für Tag zu leben, ist ein wichtiger Prozess, den schon viele Unternehmen und Hersteller in Österreich für sich erkannt haben.
Stefan Erschwendner / LHBS Berlin: „Im generellen verändern die folgenden Bedürfnisse das Konsumentenverhalten: Transparenz bei der Produktion von Waren, Regionalität in Bezug auf die Herkunft der Produkte, Social-Good als Beitrag zum Allgemeinwohl, Sustainability, vor allem beim Thema Umweltverträglichkeit, Personalisierung, d.h. die Anpassung an persönliche Präferenzen und Daten und Omnichannel, d.i. der ‚einfache‘ Waren-Bezug über digitale und physikalische Distribution.
Und Daniel Pannrucker / Leotainment Düsseldorf ergänzt: „ Der Konsument ist so informiert und kritisch wie nie zuvor. Er weiß, wo er welche Leistung und welches Produkt am schnellsten und günstigsten erhält. Er beschwert sich, wechselt den Anbieter und ist auch im Einzelhandel schwer zu packen. Ich glaube es braucht Konzepte, die die soziale Welt mit der realen Welt vernetzen. Es braucht Konzepte, die sich an der Nachfrage und das nahezu in Echtzeit orientieren und Themenshops, die morgens etwas anderes verkaufen als abends. Es braucht neue Raum- und Erlebniskonzepte, die das Einkaufserlebnis wieder neu definieren.
Viele KonsumentInnen stellen sich immer häufiger die Frage: Wenn ich ein Produkt nur wenige Stunden, oder gar nur wenige Minuten im Jahr brauche, wie es zum Beispiel bei einem Akkuschrauber der Fall ist, warum muss ich es dann besitzen? In diesen Fällen setzt oft nachbarschaftliches Teilen, oder auch Sharing, ein. In Wien sind immer häufiger Aufkleber mit unterschiedlichsten Gegenständen (z.B.: Sägen, Gugelhupfformen oder Campinggegenständen) auf Briefkästen zu sehen. Dies ist ursprünglich eine Initiative des Vereins Pumpipumpe. Die Aufkleber zeigen an, welche Gegenstände bei den BesitzerInnen zum Ausleihen zur Verfügung stehen (http://www.pumpipumpe.ch/sticker-bestellen/).
Auch der Lebensmittelbereich ändert sich nachhaltig. Verschiedenste Faktoren (z.B.: Unkenntnis über die Bedeutung von Mindesthaltbarkeitsdaten, XXL-Großpackungen) haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass Lebensmittel in großem Maße von privaten Haushalten weggeworfen wurden. Hier hat eine starke Bewusstseinsbildung seitens der KonsumentInnen eingesetzt – viele Initiativen gegen diese Form der privaten Lebensmittelverschwendung haben sich gebildet. Lebensmittel erfahren wieder eine neue Art der Wertschätzung. Die Technologie zeigt uns auch hier wieder neue Potentiale auf: durch digitale Plattformen, wie beispielsweise Foodsharing.at, soll die enorme Menge an weggeworfenen, aber noch verzehrbaren, Lebensmitteln verringert werden. Seit der Einführung dieser Plattform in Deutschland und Österreich wurden 1.931.000 kg Lebensmittel erfolgreich mit anderen Personen geteilt und somit auch vor der Mülltonne „gerettet“. Einige Betriebe haben das Potential erkannt und unterstützen diese Initiativen. So bieten Einzelhändler vereinzelt spezielle Fächer, in welchen nicht benötigte Lebensmittel aus Großpackungen nach dem Einkauf hinterlegt und von anderen KonsumentInnen mitgenommen werden können.
Dennoch ist Verzicht nicht mit Boykott gleichzusetzen. Boykott umfasst nicht nur einfachen Konsumverzicht, sondern ist mit einer starken emotionalen Komponente aufgeladen. Gerade dies kann in online Umgebungen schnell zu den vielfach gefürchteten „Shitstorms“ führen. Diese besondere Form der Kritik weist ein überaus starkes persönliches Involvement der KonsumentInnen auf. Ein aktuelles Beispiel für diese starke emotionale Aufladung ist der Boykott vieler KonsumentInnen von Barilla Produkten.
Was muss angeboten/getan werden, um sich dieser Veränderungen in den Erwartungen der Konsumenten zu stellen und gleichzeitig eine stabile respektive wachsende Wirtschaftslage zu ermöglichen?
Sandra Holub:
Für die Entwicklung von passenden Konzepten ist es notwendig einen Schritt zurück zu machen und die Motive der KonsumentInnen zu verstehen. Gerade hier sind Erkenntnisse, welche uns die Forschung im Bereich Consumer Behaviour, Anti-Consumption und KonsumentInnenpsychologie liefern kann, essentiell. Insgesamt geht es bei der nachhaltigen Entwicklung von praktisch anwendbaren Konzepten darum nachvollziehen zu können, wie es zu diesen Veränderungen kommt – worin diese begründet sind. Kurz: Warum verzichten immer mehr Personen auf bestimmte Produkte? Warum nimmt die Wichtigkeit von privatem Besitz ab und was rückt an diese Stelle? Die Forschung kann uns insgesamt dabei helfen, den Stellenwert dieser neuen Konsumphänomene richtig einzuschätzen und Strategien des Umgangs mit Veränderungen aufzuzeigen.
Stefan Erschwendner:
Es ist aber übertrieben, von Konsumverweigerer zu sprechen, da sich auch die Konsumpräferenzen ändern. Unternehmen, die sich nicht an diese neuen Präferenzen anpassen, werden mittelfristig aus dem Markt ausscheiden. Händler müssen sich immer auf die Kundenbedürfnisse anpassen.
Whole Foods in Amerika hat sicher einen Einfluss auf den Lebensmittelkauf im Supermarkt. Und Biosupermärkte in Österreich und Deutschland bringen auch traditionelle Supermärkte unter Zugzwang.
Zum Thema Saisonales Shopping, wie z.B. Weihnachtsshopping – hier ist eine zunehmende Ablehnung junger Konsumenten zu verzeichnen – es herrscht eine Reizüberflutung, die im Konsumüberdruss resultiert – man will sich nichts mehr schenken.
Sandra Holub:
Die Frage des anlassbezogenen Shoppings bzw. dem Boykott dieser speziellen Form des Einkaufs, ist wieder sehr eng mit einer emotionalen Komponente verbunden. Gerade Feiertage wie Weihnachten sind eine Zeit, in der persönliche Nähe, Familie und Liebe im Zentrum stehen. Diese besonderen Tage im Jahr, an denen sich unsere hektische Welt etwas langsamer zu drehen scheint, verheißen oft eine kleine Oase der Entschleunigung. Aber in Wirklichkeit sieht dies oft doch ganz anders aus: der von vielen gefürchtete Weihnachtseinkauf. Dieser mutiert bei vielen KonsumentInnen oftmals in das Gegenteil des geplanten und herbeigesehnten Weihnachtsfriedens: an die Stelle der stillen Nacht, drängt sich oft die „Last-Christmas“-Beschallung der Einkaufsstraßen. In Folge dessen kann es natürlich dazu kommen, dass die Tradition des Schenkens in einem anderen Licht gesehen und auch kritisch hinterfragt wird. Dies scheint aber nicht nur ein Phänomen der jüngeren Generationen zu sein, auch Personen welche nicht der Generation Y zuzuordnen sind, verzichten auf das Schenken von gekauften Gegenständen und schenken ihren Liebsten eines der kostbarsten Güter in unserer schnelllebigen Welt: ihre Zeit. Selbst wenn der Kauf von Geschenken nicht verweigert wird, lässt sich ein starker Wandel im Hinblick auf Geschenke und den Kaufprozess dieser wahrnehmen. Die vorher erwähnten Einkaufsstraßen werden in Stoßzeiten häufig gemieden, hier zeigen sich wiederum die Potentiale des ortsungebundenen Einkaufs. Die Möglichkeit bequem von zu Hause in aller Ruhe Geschenke auszusuchen, stellt für viele KonsumentInnen gerade in der Weihnachtszeit eine besonders attraktive Form des Shoppings dar.
Stefan Erschwendner:
Die Industrie arbeitet schon an Alternativen für Weihnachten. Der „Black Friday” wird in den letzten Jahren vom Handel und der Wirtschaft extrem gepusht. Zusätzlich kommen auch Konzepte aus Asien nach Europa und Amerika z.B. Alibaba’s “Singles Day”. Weinachten wird weiter an Relevanz verlieren und die Industrie wird mehrere “Weihnachtsfeste” über das Jahr verteilt etablieren. Dies hat natürlich auch Produktions- und Lagerhaltungsvorteile, da gleichmäßiger produziert werden kann und auf keinen “Peak” mehr hingeplant werden muss. Gleichzeitig wollen Konsumenten auch nicht mehr ein ganzes Jahr auf Weihnachten warten – die Menschen werden ungeduldiger.
Daniela Krautsack:
Zur Generation Y und Digital Natives:
Diese lehnen ‚genfood‘ ab, wollen mehr vegan/vegetarisch konsumieren und mit ‚mehr Verzicht‘ leben.
Stefan Erschwendner:
Die lokale und regionale Produktion wird immer wichtiger. Unternehmen müssen sich anders (weniger zentral) strukturieren. Grundsätzlich wird aber die Nachfrage nach Produkten durch die wachsende Mittelschicht in den Entwicklungsmärkten weiter steigern.
Sandra Holub:
Viele Untersuchungen (u.a. am Institute for Marketing & Consumer Research) haben gezeigt, dass gerade der Trend zur Nachhaltigkeit und bewusstem Konsum generationenübergreifend ist. Der Wunsch nach Produkten aus heimischer und regionaler Produktion tritt in den letzten Jahren verstärkt auf. Das Vertrauen der KonsumentInnen zu Herstellern aus Österreich ist hoch und der Kauf dieser Produkte vermittelt ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Für die Wirtschaft ergeben sich in den nächsten Jahren viele neue Entwicklungen, sei es angefangen vom starken Bedürfnis nach Vertrauen, dem Wunsch nach Nachhaltigkeit oder auch durch das Aufkommen neuer, alternativer Konsumkonzepte (wie beispielsweise Sharing oder Access based consumption). In diesen Bereichen ist es vor allem für Traditionsunternehmen besonders ausschlaggebend, glaubwürdig zu bleiben. Eine der größten Gefahren für Unternehmen ist das Fehlen von Glaubwürdigkeit bei der Integration neu aufkommender Bedürfnisse am Markt. Dies kann sich nachhaltig negativ auf das Image von Unternehmen auswirken. Das Schlagwort „Greenwashing“ ist ein besonders gutes Beispiel für die Auswirkungen dieser fehlenden Authentizität. Glaubwürdige und vor allem ehrliche CSR ist nach wie vor ein wichtiges Kommunikationsinstrument. Viele neue KonsumentInnentypen wie ethical, green und anti-consumer suchen nach ehrlichen Produkten. Daher wird die Enttäuschung umso größer, wenn Erwartungen geweckt, aber nicht erfüllt werden.
Für nachhaltiges Angebot im Online-Shopping-Bereich, sicherlich nachhaltiger, als Amazon und Co Ihre Services anbieten, tritt das Kiezhaufhaus in Berlin auf. Das Kiezkaufhaus bietet in seinem Onlineshop lokale Produkte – von Lebensmitteln, Delikatessen, Wein, Büchern und Designartikeln bis hin zu Schreibwaren und Kosmetik – an, welche von Pensionisten auf mit Ökostrom geladenen Lasten-E-Bikes am selben Tag der Bestellung zugestellt werden.
https://www.kiezkaufhaus.de/
Daniel Pannrucker:
Der Trend hin zur veganen/vegetarischen Lebensweise betrifft vielleicht die sehr weit entwickelten Länder, wie UK, Österreich, Deutschland, die Niederlande und die Metropol-Regionen in den Vereinigten Staaten. Weltweit steigt der Fleischkonsum aber massiv an, gerade in den aufstrebenden Schichten in den Schwellenländern. In Indien, wo bisher rund 31 Prozent aller Inder vegetarisch gelebt haben, haben sich viele Menschen seit Beginn des Wirtschaftsbooms einer neuen Bewegung angeschlossen: Sie essen mehr Fleisch. Fleischessen (Non-Veg) ist dort zum Trend geworden, wie in Deutschland der Fleischverzicht. So komisch das auch klingen mag, aber ich glaube, dass ein Verzichtanstieg der Industrienationen zu einem Fleischkonsumanstieg in den Schwellenländern führen wird.
Die einen hören also auf, Fleisch zu essen, die anderen fangen gerade damit an und einige Visionäre rösten bereits Insekten, um sich auf die Zukunft ohne methanfurzende Kühe und die dadurch entstehende Klimaveränderung vorzubereiten. Und da wäre dann noch jener Konsument, den wir als Minimalist bezeichnen. So nennt sich der Lebensstil, der gerade immer mehr junge, vor allem internetaffine Menschen anzieht. Sie suchen ihr Glück im Weniger: weniger besitzen, weniger kaufen. Ein überschaubareres Leben, aber auch ein Protest gegen die Konsumgesellschaft, Ausbeutung und das „Geiz-ist-geil“-Syndrom. Zu den Vorreitern dieser Bewegung gehört der US-Amerikaner Michael Kelly Sutton, der in seinem Blog „The Cult of Less“ alles auflistet, was er besitzt. 126 Dinge stehen da, vom Flaschenöffner über das Polo-Shirt bis zum Laptop. 12 davon stehen auf „verkaufen“. Der Software-Programmierer versucht, mit so wenigen Dingen wie möglich auszukommen. „Ich habe festgestellt, dass mehr Krempel auch mehr Stress bedeutet“, schreibt er.
Der Wachstumskritiker Niko Paech von der Universität Oldenburg nennt das den „Konsum-Burn-Out“. Das Leben sei vollgestopft mit Produkten, beschreibt er. „Es fehlt die Zeit, dies alles so abzuarbeiten, dass es einen spürbaren Nutzen erzeugt.“ Nur so könne Konsum auch die Zufriedenheit steigern.
In den USA gibt es neben dem Small Business Saturday, der zum Einkaufen aufruft auch einen ‚kauf nix-Tag‘, der in Nordamerika am letzten Freitag und in Europa am letzten Samstag im November begangen wird. Durch einen 24-stündigen Konsumverzicht soll mit dem Buy Nothing Day gegen „ausbeuterische Produktions- und Handelsstrategien internationaler Konzerne und Finanzgruppen“ protestiert werden. Außerdem soll zum Nachdenken über das eigene Konsumverhalten und die weltweiten Auswirkungen angeregt werden. Ein bewusstes, auf Nachhaltigkeit abzielendes Kaufverhalten jedes Einzelnen soll somit gefördert werden.
Ist der minimalistische, konsumarme Lebensstil also massentauglich? Das europäische Wirtschaftssystem ist auf Wachstum gepolt. Kritiker sagen, wenn alle Menschen nur das kauften, was sie zum Überleben brauchen, würde es nicht mehr funktionieren. „Unsere Wirtschaft, und insbesondere das Zinseszinssystem, lebt davon, dass wir immer mehr konsumieren“, meint auch der Minimalist Alex Rubenbauer.
Vor dem Hintergrund eines sich verändernden Kaufverhaltens in der Digitalen Moderne, die durch das Internet reale Orte des Handels in Frage stellt, wird gerade im Rahmen der ersten Vienna Biennale, die Kunst, Design und Architektur verbindet, die Zukunft des Einkaufens sowie seiner sozialen und technologischen Auswirkungen in Wien Mitte ‚The Mall‘ erforscht. Schon jetzt wandeln sich Einkaufszentren in die neuen „Marktplätze für Beziehungen“, sagt die Künstlerin Julia Landsiedl und erklärt weiter: „Das Einkaufszentrum mutiert in meiner Vision zur konsumfreien Begegnungszone. Das Einkaufszentrum ist nur einer von vielen Marktplätzen, die wegen ihrer Ausrichtung auf maximalen Konsum ein nicht mehr zeitgemäßes Modell darstellen. Um mit der virtuellen Konkurrenz mithalten zu können, muss ein sozialer Mehrwert geboten werden. Meine Installation lädt zur Beobachtung „aussterbender“ Shopping-Typen und deren Verhalten innerhalb des heutigen Waren-Reviers ein.
Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=15P2fNQKs2U
In der Zukunft wird jeder Internet-Nutzer die Fähigkeit – ob er die Lust haben wird, ist eine andere Frage – haben, Dinge zu designen, zu konstruieren und zu fertigen, die ihm besonders am Herzen liegen: Schmuck, Geschirr, Schuhe, neuerdings auch Stoff (siehe die Erfindung der israelischen Designerin Danit Peleg), Möbel oder auch Ersatzteile fürs Auto. Die Globalisierung hat die wirtschaftliche Vereinigung gesehen oder Zusammenfügen der Volkswirtschaften der Welt. 3D-Druck ist das Gegenteil dieses global ausgerichteten Denkens. Das ist eine Idee der Lokalisierung, die mit lokalen Produzenten arbeitet, die an Konsumenten verkaufen, die im selben Grätzl wohnen.
Durch die ständige Reizüberflutung, die notwendige Flexibilität und den ewigen Mangel an „Zeit“ hungern Konsumenten nach Antworten und Support wie selten zuvor. Die Zeit zum Selbsterarbeiten fehlt zunehmend. Aber der Wunsch nach Unterstützung betrifft nicht nur immaterielle Dinge wie die Lebensführung, sondern vermehrt steigt die Sehnsucht nach genereller Effizienzsteigerung im Umgang mit materiellen Gütern. Auch wenn KonsumentInnen der Zukunft gebildet und vorinformiert sind, ihr Anspruch an Beratung durch Hersteller oder Retailer steigt.
Die Grundlagen der Online-Identitäten von Menschen, ergo KonsumentInnen werden sich fundamental ändern. Die Online-Identität in der Zukunft wird nicht nur der Inhalt einer Facebook-Seite sein; Stattdessen wird es eine Konstellation von Profilen sein, von jeder Online-Aktivität des Nutzers; die Daten auf Facebook, Twitter, Skype, Google, Netflix oder ein Zeitungsabonnement – alles wird zu einem „offiziellen Profil“ verknüpft.
Jeder Bürger wird zwei Identitäten haben, eine virtuelle und eine reale – und die wird das wertvollste Gut für den Bürger respektive Konsumenten in der Zukunft sein. Es wird neue Märkte, neue Unternehmensformen und innovative Service-Anbieter geben. Für Menschen, die ihre virtuelle Identität wahren wollen und für jene, die eine nach Maß erfinden wollen. Wir werden sogar den Aufstieg eines neuen Schwarzmarktes erleben, meinen Experten, auf dem Menschen echte oder erfundene Identitäten kaufen können. Produkt- und Serviceangebote werden auf diese virtuellen Identitäten zugeschnitten werden und beim Flanieren durch die Innenstadt oder das Einkaufszentrum werden diese durch iBeacon oder NFC-Technologie abgerufen werden. Entwicklungen, die für manche von uns beängstigend klingen, werden immer auch positive Aspekte, eine effizientere Lebensweise und eine Vernetzung hin zur sozialen Inklusion und so weiter, bedeuten. Daher lautet das Motto für unsere Zukunft: mitbestimmen, nicht verstummen.
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