Das Agora-Prinzip

21.12.2022
Gesellschaft

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Wie kleine und mittlere Städte mit dem Agora-Prinzip die Häufigkeit und Qualität der Begegnungen von StadtbewohnerInnen aktiv anstoßen und auslösen können.

Die Agora war in den Städten der griechischen Antike ein zentraler Platz für Versammlungen, Feste & Märkte. Hier traf man sich, hatte Begegnungen mit anderen StadtbewohnerInnen, tauschte sich aus, diskutierte, feierte. Die Agora war somit von jeher ein Ort, der auf seine BesucherInnen identitätsstiftend wirkte. Und genau solche Plätze brauchen auch die Städte von heute.

Die Stadt in ihrer eindimensional gedachten Rolle als Ort für Konsum und Arbeit ist passé. Sie ist Lebensraum und ein Ort für Begegung. Insbesondere jetzt, mit der teilweisen Verlagerung des Handels in Richtung online sowie nach der Social-Distancing-Ära samt ihren Nachwirkungen, die sich in Rückzug, Vereinsamung und den stärkeren Fokus auf Virtuelles zeigen.

Gute Beziehungen aller Art

Das „Agora-Prinzip“ soll StadtbewohnerInnen wieder in Verbindung und Begegnung mit anderen Menschen bringen. Die Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern sieht es laut diesem Bericht sogar als „wahre Aufgabe einer Stadt, gute Beziehungen aller Art zu ermöglichen.“ Deshalb brauche es „gemeinsamen Lebensraum im Freien nach dem Vorbild des Marktplatzes antiker griechischer Städte“.

Und eine entsprechende Bespielung dieser Plätze, als zusätzliche Motivation für die StadtbewohnerInnen, ihn aktiv zu nutzen. Konkret können das Märkte im engeren und weiteren Sinne sein, aber auch andere Initiativen, die unverbindliche Begegnungsräume zur Verfügung stellen und die Aufenthaltsqualität im urbanen Raum steigern helfen.

Deshalb hier eine lose Aufzählung von verschiedensten Ansätzen nach dem Agora-Prinzip, die in österreichischen und internationalen Städten bereits umgesetzt werden.

Das Agora-Prinzip
Grünmarkt Benediktinermarkt (c) Marktamt Klagenfurt

Methoden & Modellprojekte

1 Märkte

Kaum wo drückt sich im Stadtbild der Begriff der Lokalität besser aus als auf Märkten. „Gerade das Marktwesen mit seinen Austauschbeziehungen und seiner starken Regionalität wird an Bedeutung gewinnen“, prognostizieren hier auch die ExpertInnen der Stadtberatungsagentur Cima.

Egal, welche Produkte gehandelt werden: Am Markt treffen in aller Regel regionale HändlerInnen auf regionale KundInnen. Mensch trifft hier auf Mensch, Beziehungen werden geknüpft und gestärkt. Konkret können Märkte auf folgende Arten umgesetzt werden:

  • Frischmärkte, sprich: die weit verbreiteten Wochen- und Bauernmärkte in den Städten.
  • Themenmärkte: Sie fokussieren auf:* Konkretes Produktsortiment. Man denke an saisonale Beispiele wie Setzlingsmarkt oder Blumenmarkt, aber auch an Formate, wie den weit über die Region bekannten Töpfermarkt in Gmunden.
    Weiters fallen darunter auch Initiativen wie der Georges Brassens Buchmarkt in Paris (ein wöchentlicher Treffpunkt für rund fünfzig BuchhändlerInnen und viele BuchliebhaberInnen). Aber auch Tauschbörsen für Spielzeug und Sportausrüstung (etwa: Sportbörse Arbeiterkammer Kärnten), Plattenbörsen oder Innenstadt-Flohmärkte (siehe Flohmarkt während des Altstadtzaubers in Klagenfurt).* Klar definierte Kunden-Zielgruppe. Hierzu gehören beispielsweise junge Design-Märkte wie „fesch’markt“ oder „Edelstoff“.
    Darunter sind aber auch die vielen Weihnachts- und Christkindlmärkte einzureihen. Ein Best Practice-Modell dafür, weil er einer der romantischsten Weihnachtsmärkte im deutschsprachigen Raum ist, ist jener in Regensburg im Schloss Thurn & Taxis.* Neue urbane Zonen als Marktkulisse. Ein Beispiel ist der „Lendmarkt“ in Klagenfurt, der den sonst eher verwaisten Lendhafen mitten in der Stadt mit einem Crossover aus attraktivem Sortiment, junger Kulinarik und familientauglichen Entertainment mit Leben füllt.
    Oder auch die Salzachgalerien, der sommerliche Kunstbasar in Salzburg.
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Edelstoff, Klagenfurt, Contrapunkt soziale Betriebe GmbH (c) Johannes Puch www.johannespuch.at

Beim Schaffen von Marktbegegnungen – welcher Art auch immer – braucht es jedenfalls eine passende Infrastruktur. Ausreichende Versorgung mit Strom, Wasser sowie Toilettenanlagen sind eine Basisvoraussetzung.

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Lendmarkt Klagenfurt, Austeller I_Bernhard Schindler
Lendmarkt Klagenfurt (c) Bernhard Schindler

2 Begegnungszonen

Wikipedia definiert Begegnungszonen als „eine Form der Verkehrsberuhigung, in der FußgängerInnen gegenüber FahrzeugführerInnen vortrittsberechtigt sind. (…) Sie zielt auf eine Steigerung der Straßenraumattraktivität und eine Erhöhung der Verkehrssicherheit ab, indem die Wohn- und Geschäftsnutzung gegenüber der Verkehrsfunktion stärker gewichtet und die Aufenthalts- und Verkehrsbedingungen für den langsamen Verkehr verbessert werden.“

Hier soll also Platz bleiben für Begegnungen von Menschen, ohne die Barriere eines Auto-Metallkäfigs rundherum. Österreich hat bereits etliche spannende Beispiele dafür:

  • Die Salzburger Gemeinde Thalgau hat, im Vergleich zur zuvor stark befahrenen Dorfmitte, mit ihrer bereits 2013 errichteten Begegnungszone wesentliche Steigerung der Aufenthaltsqualität, Reduktion des Verkehrslärms und einen attraktiven Marktplatz gewonnen.
  • Die Begegnungszone im Grazer Univiertel, die nun vor einer Erweiterung in der Zinzendorfgasse steht, sieht mehr Grün, Sitzgelegenheiten, konsumfreie Zonen oder Wasser als spielerisches Element vor.
  • Auch in der Bahnhofstraße in Klagenfurt wurde zuletzt unter dem Titel „Lebensraum Bahnhofstraße“ ein autofreier Abschnitt eingerichtet, der im Sommer mit Veranstaltungen und attraktiven Verweil-Möglichkeiten bespielt wird.

Konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Aufenthaltsqualität in urbanen Zonen können sein:

  • Möblierungen. Beispielsweise „Friendly Benches“. Also Bänke, auf denen dezidiert dazu eingeladen wird, miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie kommen aus dem anglo-amerikanischen Raum und erobern zunehmend auch europäische Städte. Oder aber Outdoor-Sitzmöbel wie Enzis, man kennt sie ursprünglich aus dem Museumsquartier in Wien. Weiters zählen dazu eigens entworfene Stadtarbeitsplätze im Sinne eines Frischluft-Co-Workings, wie es etwa im Lebensraum Bahnhofstraße in Klagenfurt umgesetzt wurde.
  • Lebensgroße Schachspiele (siehe etwa Kapitelplatz in Salzburg) finden nach wie vor Zulauf von Jung und Alt, wichtig ist aber auch die Verweilqualität für kleinere Kinder (Sandkisten, oder gleich vollwertige Kinderspielplätze), sodass auch ihre Eltern ohne Stress bleiben können – und wollen.
    Ein Beispiel dafür wäre auch der Spielplatz am Eisernen Tor, mitten in Graz, wo sich Kinder austoben und Erwachsene pausieren können.
  • Zielgruppenspezifische Angebote. Damit sind Initiativen gemeint, die insbesondere jene Gruppen im Fokus haben, die sich sonst nicht gern in der Stadt aufhalten. Ein Beispiel: Ein „Männerhort“ mit geschlechtsspezifisch spannenden Angeboten wie Carrerabahn, Baggerfahren oder Messerschleifen.
Das Agora-Prinzip
Strassenschach (c) Pixabay

3 Konsumfreie Zonen

Konsumfreie Zonen in Städten sind Orte der Begegnung, die das Leben und Zusammenleben mitbestimmen. In Zeiten steigender Wohnkosten sind sie für Menschen, die sich keinen eigenen Garten oder eine Terrasse leisten können, eine wichtige Alternative zur Erholung und für die Freizeitgestaltung.

Welche – teils einfachen – Möglichkeiten es gibt, konsumfreie Zonen in Städten einzurichten, haben wir in diesem Blogbeitrag bereits ausführlich dargestellt.

 

4 Bespielung des öffentlichen Raums mit Kultur

Platzkonzert (c) Pixabay

Die Möglichkeiten, urbane Räume für Kunst- und Kulturerleben zu öffnen, sind mannigfaltig. Ein gelungenes Beispiel dafür sind etwa die Siemens Festspielnächte in Salzburg, die parallel zu den Salzburger Festspielen Gratis-Kulturgenuss am Kapitelplatz, einem der zentralen Plätze der Stadt, bieten.

Im Vorfeld dieser Festspielnächte wird ein anderes kostenloses Kulturerlebnis geboten. Das Sternenkino, bei dem die für die Festspiele aufgebauten Leinwände zur Gratis-Vorführung von Kinofilmen mitten in der Altstadt genutzt werden.

Mit während der Sommermonate wöchentlich wiederkehrenden Veranstaltungen werden beispielsweise in Klagenfurt Innenhöfe und ein zentraler Platz bespielt. Donnerstags gibt es gratis Konzerte bei den „Donnerszenen“. Freitags kann man Livemusik unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt im Rahmen der „Vierteltöne“ am Kardinalplatz genießen.

Auch Straßenkunst-Festivals sind adäquate Beispiele für kostenfreies Kunst- und Kulturerleben im öffentlichen urbanen Raum. Genannt seien hier Beispiele wie das Pflasterspektakel in Linz, das Festival „La Strada“ in Graz oder das Olala Straßentheaterfestival in Lienz in Osttirol.

5 Naturerleben im öffentlichen Raum

Ein Aufenthalt in der Natur ist immer ein guter Grund, zusammenzukommen und gemeinsame Erlebnisse zu schaffen. Ein Trend, der dieser Intention folgt, ist das weit verbreitete Urban Gardening. Es wird auch in vielen kleinen Städten bereits umgesetzt.

Ebenfalls ein naturbasierter Begegnungsraum: Grillplätze im öffentlichen Raum, deren Infrastruktur frei genutzt werden kann, sind dieser Kategorie zuzuordnen.

Fazit

Nach den kontaktarmen Pandemiejahren und dem Vorstoß der Digitalität sehnen sich viele StadtbewohnerInnen – oft unbewusst – wieder nach Begegnungen und echten Austausch ohne Konsumzwang.

Die Möglichkeiten dafür sind im urbanen Raum vielfältig und können oft mit geringem Mitteleinsatz aktiv angestoßen werden. Dieser Text thematisiert konkrete Ansätze, wie das sogenannte „Agora-Prinzip“ (das Fördern der Beziehungen unter StadtbewohnerInnen) auch von kleinen und mittelgroßen Städten umgesetzt werden kann.

Titelbild: Das Agora-Prinzip (c) Pixabay

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Inga Horny

Präsidentin Dachverband Stadtmarketing Austria | Geschäftsführerin Klagenfurt Marketing GmbH

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