Bodenversiegelung und die Zukunft der Lebensmittelproduktion
09.11.2021
Wirtschaft
09.11.2021
Wirtschaft
Nirgendwo in Europa schreitet der Flächenfraß und die Bodenversiegelung so rasch voran wie in Österreich. Die extreme Verbauung belastet nicht nur unsere Umwelt, sondern gefährdet auch die Lebensmittelversorgung zukünftiger Generationen. Angesichts des neuen Raumentwicklungsgesetzes geben wir einen Überblick zur aktuellen Lage des Bodenverbrauchs und skizzieren grundsätzliche Lösungsansätze sowie Eckpunkte des Bodenschutzvertrages zur Stärkung der Lebensmittelversorgung in Österreich.
In den vergangenen 20 Jahren wurden insgesamt 5.768 km² produktiver Böden verbraucht und der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Das entspricht 7 Prozent der Landesfläche und 18 Prozent des Dauersiedlungsraumes. Damit ist fast ein Fünftel der bewohnbaren oder landwirtschaftlich geeigneten Fläche Österreichs bereits verbaut.
Bei Fortschreiten dieser Entwicklung mit einem jährlichen Verlust von bis zu 0,5 Prozent Agrarfläche gibt es in 200 Jahren so gut wie keine Agrarflächen mehr. Zwar ist der Flächenverbrauch in den vergangenen Jahren bereits rückläufig, dennoch liegt der Wert fast um das Fünffache über dem in Österreich angestrebten Zielwert von maximal 2,5 Hektar pro Tag bzw. 9 km² pro Jahr.
Knapp über 40 Prozent der jährlichen Flächeninanspruchnahme ist der Bodenversiegelung zuzurechnen. Das entspricht 15 bis 20 km2 pro Jahr. Darüber hinaus wuchs einer Studie der Statistik Austria zufolge von 2001 bis 2019 die Bodenversiegelung mit 25,7 Prozent deutlich schneller als die österreichische Bevölkerung mit 10,4 Prozent.
Wohn- und Geschäftsgebiete, aber auch Betriebsgebiete, Straßen und Parkplätze sind die größten Treiber:
Insgesamt gibt es in Österreich laut Umweltbundesamt 13.000 Hektar Industriebrachen. Inklusive Gewerbeflächen und leerstehender Häuser schätzt man die verbaute ungenutzte Fläche auf 40.000 Hektar. Das entspricht der Fläche der Stadt Wien. Die Revitalisierung dieser Flächen könnten einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der Bodenversiegelung leisten.
Die strukturellen Fehlentwicklungen forcieren nicht nur die Abwanderung von Einzelhandel, Produktionsstätten und Wohngebieten an die Ortsränder, sondern führen auch zu einer verstärkten Abhängigkeit vom privaten PKW. Das bewirkt wiederum einem enormen Flächenfraß für den Straßenbau. Mit rund 15 Metern pro Kopf ist das österreichische Straßennetz eines der dichtesten in Europa (Deutschland: 7,9 Meter, Schweiz: 8,1 Meter pro Kopf).
Der Trend zur Zersiedelung spiegelt sich auch deutlich im überproportionalen PKW-Zuwachs der privaten Haushalte wider. So hat sich der Bestand an Zweit- und Drittautos in nicht ganz 20 Jahren mehr als verdoppelt – konkret von 700.000 im Jahr 2000 auf 1,6 Millionen im Jahr 2018. Eine höhere Siedlungsdichte und kompakte Bauweise würden hingegen öffentliche Verkehrsnetze erleichtern und damit auch die Anzahl von PKWs reduzieren.
Raumordnung und Raumplanung sind in Österreich kompetenzrechtlich eine äußerst komplexe Materie. Im Gegensatz zu anderen Ländern fällt die örtliche Raumplanung in den Wirkungsbereich der Gemeinden. Bürgermeister befinden sich daher oft in einer „Sandwich-Situation“, soll doch die Gemeinde weiterentwickelt und gegenüber anderen Gemeinden attraktiv bleiben.
Niemand sagt klarerweise nein, wenn es um zusätzliche Einnahmen oder die Sicherung von Arbeitsplätzen durch Erweiterung von Betriebsflächen geht. Überregionale Konzepte bleiben damit jedoch meist auf der Strecke. Die höchste Bodenversiegelung pro Kopf verzeichnet derzeit das Burgenland, gefolgt von Niederösterreich und Kärnten.
Der kontinuierliche Verlust an Agrarflächen lässt den Selbstversorgungsgrad Österreichs von Jahr zu Jahr sinken. Was der jährliche Bodenverbrauch für die Produktivität der Landwirtschaft bedeutet, lässt sich an einem einfachen Beispiel verdeutlichen:
Beim Brotgetreide hat Österreich ohnehin nur mehr einen Selbstversorgungsgrad von 88 Prozent. Bei Kartoffeln sind es 85 Prozent, bei Gemüse 55 Prozent und bei Obst nur mehr 45 Prozent.
Eine sinkende Eigenversorgung bedeutet gleichzeitig aber auch eine steigende Abhängigkeit vom Ausland. Wie schnell Lieferketten unter Druck kommen können, hat die Coronakrise sehr deutlich aufgezeigt. Das betrifft allerdings nicht nur Lebensmittel, sondern auch Dünger, Spritz- und Beizmittel sowie Bauteile für landwirtschaftliche Maschinen.
Die Explosion der Düngemittelkosten im Zuge der Gaskrise offenbart eine weitere Achillesferse der Landwirtschaft in Österreich: Steigen die Erdgaspreise, dann steigen in gleichem Maße die Preise für Ammoniak und daraus erzeugter Stickstoffprodukte wie Dünger.
Anmerkung: Der Selbstversorgungsgrad bezieht auch Tierfutter sowie die Verwendung von Getreide oder Raps für technische Zwecke wie Biokraftstoffe oder Rohstoffe für die Nicht-Lebensmittelindustrie mit ein.
Die Möglichkeiten zur Verringerung der Bodenversiegelung sind vielfältig. Einige Vorschläge möchten wir hier kurz zusammenfassen:
Neben der Verringerung des Bodenverbauchs bestehen weitere Möglichkeiten, um Österreichs Lebensmittelversorgung abzusichern:
In Österreich werden jedes Jahr bis zu einer Million Tonnen an genießbaren Lebensmitteln entsorgt – im privaten Haushalt, im Handel, in der Lebensmittelindustrie und bereits in der Landwirtschaft. Mit der Reduktion des Lebensmittelabfalles um 50 Prozent müssten 15 bis 20 Prozent weniger Lebensmittel produziert werden.
Österreich ist mit zwei Drittel des Öls für die energetische Verwendung importabhängig. Gleichzeitig hat Agro-Diesel in der Regel eine schlechtere Klimabilanz als Diesel auf Mineralölbasis. Im Inland produzierte pflanzliche Öle für Bio-Treibstoffe könnten im Gegensatz dazu auch direkt für die Lebensmittelversorgung genutzt werden. Die Krisenfestigkeit unseres Lebensmittelsystems würde damit eine Stärkung erfahren.
Der Ausbau regionaler Direktvermarktung, die Stärkung von Bündnissen zwischen Landwirten und Konsumenten in Städten und Gemeinden sowie eine transparente Herkunft-Kennzeichnung von Lebensmitteln stärken das regionale Lebensmittelsystem: Konsumenten wird der Kauf regionaler Produkte erleichtert und bäuerliche Betriebe haben mehr Verhandlungsmacht gegenüber Handelskonzernen und landwirtschaftlichen Großbetrieben aus dem EU-Ausland.
Biologische Landwirtschaft ist klimafreundlicher, weniger abhängig von importierten Betriebsmitteln und erhält die Produktivität der Böden. Österreichische Biobauern geraten jedoch immer mehr unter Druck durch Betriebe aus dem EU-Land, die über größere Flächen verfügen. Die Verwendung regionaler Produkte in Gemeindeküchen, Landesschulen, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen könnte hier ein erster Ansatzpunkt zur Förderung unserer heimischen Biobauern sein.
Mehr als 50 Prozent der Ackerflächen (ohne Weideflächen) in Österreich werden für die Produktion von Tierfuttermitteln genutzt (58 Prozent des Getreides, 86 Prozent der Hülsenfrüchte, 22 Prozent der Ölsaaten). Diese Lebensmittel könnten durch Reduktion des Fleischkonsums auch direkt in die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung gehen und zur langfristigen Sicherung der Versorgungssicherheit in Österreich beitragen.
Eine Detailanalyse für Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit finden Sie in der BOKU-Analyse zur Lebensmittelsicherheit.
Die Bevölkerung Österreichs wird in den kommenden Jahren vor allem in den Städten und Stadtregionen wachsen. Die Nachfrage nach Bauflächen und Wohnraum wird somit entsprechend hoch bleiben. Das kürzlich präsentierte neue Raumentwicklungskonzept ÖREK 2030 will nun das Problem des Flächenverbrauchs lösen.
Bis 2030 soll der tägliche Bodenverbrauch um 80 Prozent auf 2,5 Hektar begrenzt werden. Dieser Wert ist nicht neu, sollte er doch schon 2010 erreicht werden. Die Eckpunkte der Strategie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Österreich hat eine „glokale Landwirtschaft“, die also durch die zunehmende Entregionalisierung der Wertschöpfungsketten in vielerlei Hinsicht von Importen aus dem Ausland abhängig ist. Die Coronakrise und die steigende Gefahr eines Blackouts zeigen folglich deutlich auf, wie wichtig ein resilientes und regional verankertes Lebensmittelsystem ist.
Die Sicherung der Lebensmittelproduktion für zukünftige Generationen durch Reduktion der Bodenversiegelung sowie ein überregionales Flächenmanagement werden daher zentrale Herausforderungen für die kommenden Jahre sein. Die Lösung liegt in einer gemeinsamen Koordination von Ländern und Gemeinden.
Quellen und weiterführende Informationen:
Titelfoto: stux via Pixabay
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