Begegnungszone oder Fußgängerzone – was ist besser?
10.01.2024
Trends
10.01.2024
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Der motorisierte Kraftfahrzeugverkehr hat in den vergangenen Jahrzehnten die Gestaltung des öffentlichen Raumes entscheidend geprägt und vielerorts eine hohe Dominanz erhalten. Verkehrspolitische Konzepte wie Fußgängerzone und Begegnungszone sind effektive Instrumente zur Wiederbelebung und Attraktivierung des öffentlichen Raums.
Wir stellen einen Vergleich dieser beiden Ansätze an und zeigen Ihnen, worauf Sie im Zuge der Entscheidungsfindung achten sollten.
Während die Fußgängerzone ein Konzept ist, das in Österreich seit Beginn der 60er Jahre Fuß gefasst hat, wurde die erste Begegnungszone erst im Jahr 2009 realisiert.
Die erste Fußgängerzone in Österreich entstand im Jahr 1961 in der Kramergasse in Klagenfurt. Kurz danach folgten auch die Wiener Gasse und der Alte Platz. Erst dreizehn Jahre später wurde auch die Kärntner Straße in Wien zur autofreien Zone erklärt.
Im Jahr 2009 wurde dann in Österreich das erste Shared Space-Projekt mit der Begegnungzone in Gleinstätten umgesetzt. Ein Jahr später entwickelte die Gemeinde Thalgau ein Koexistenzzonen-Projekt. 2011 richtete Graz eine Begegnungszone am Sonnenfelsplatz ein, in Wien begann man mit der Umgestaltung der Mariahilfer Straße.
Seither wurden infolge der rechtlichen Festlegung der Begegnungszone in der StVO im Jahr 2013 zahlreiche weitere Konzepte verwirklicht. So wurden etwa alleine im Jahr 2013 Begegnungszonen in Linz, Wels, St. Pölten, Mödling, Velden, Feldkirchen, Horn, Judenburg und Bludenz geschaffen.
Mittlerweile herrscht die Auffassung vor, dass abseits der belebten Fußgängerzonen in der Innenstadt, Begegnungszonen die optimale Lösung darstellen, um AnwohnerInnen die Zufahrt zu erleichtern. Im Vergleich zu reinen Fußgängerzonen bieten diese Zonen eine ausgewogene Mischung aus Verkehrsführung und Begegnungsmöglichkeiten, wodurch ein harmonisches Miteinander von FußgängerInnen und Fahrzeugen entsteht.
Häufig werden für Konzepte zur Verkehrsberuhigung straßenverkehrsrechtliche Begriffe mit planerischen Begriffen vermischt. Grundsätzlich lassen sich vier straßenverkehrsrechtliche Begriffe bzw. Zonen definieren, die teilweise auch synonyme Bezeichnungen aus dem planerischen Bereich besitzen:
Fußgängerzonen, Tempo-30-Zonen und Wohnstraßen priorisieren demnach jeweils eine bestimmte Gruppe von VerkehrsteilnehmerInnen. Im Unterschied dazu steht in der Begegnungszone die gleichwertige Nutzung des Straßenfläche im Mittelpunkt.
Die Einrichtung einer Fußgängerzone ist in § 76a der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt. Die rechtliche Regelung der Begegnungszone in § 76c StVO wurde am 25. Februar 2013 im Rahmen der 25. Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) 1960 in Österreich eingeführt. Die Anbringung der Hinweiszeichen am Anfang und Ende der Fußgänger- bzw. Begegnungszone ist in § 53 Abs. 1 StVO geregelt.
Die Behörde kann durch Verordnung „Straßenstellen oder Gebiete dauernd oder zeitweilig dem Fußgängerverkehr vorbehalten, wenn es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs, die Entflechtung des Verkehrs oder die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes oder Gebietes erfordert“.
FußgängerInnen sind jedoch bei Benützung der Fahrbahn angehalten, den erlaubten Fahrzeugverkehr nicht mutwillig zu behindern. In Fußgängerzonen ist somit grundsätzlich jeglicher Fahrzeugverkehr verboten, mit folgenden Ausnahmen:
Weiters können VerkehrsteilnehmerInnen mit einer Zusatztafel unter dem Fußgängerzonenzeichen ausgenommen werden. Dazu gehören Fahrzeuge zur Ladetätigkeit, Fahrräder, Taxis, Mietwagen, Gästewagen, Fiaker sowie HandelsvertreterInnen.
Grundsätzlich muss für jede Begegnungszone – auch wenn es sich nur um einen Probebetrieb handelt – eine Verordnung erteilt werden. Die Begegnungszone wird als Straße definiert „deren Fahrbahn für die gemeinsame Nutzung durch Fahrzeuge und FußgängerInnen bestimmt ist, und die als solche gekennzeichnet ist“. Die Durchfahrt des Kfz-Verkehrs ist daher in einer Begegnungszone möglich. Weiters gilt:
Einen Überblick der zentralen Unterschiede zwischen Fußgänger- und Begegnungszone soll nachfolgende Tabelle geben:
Begegnungszonen sind ein starker verkehrspolitischer Trend. Hohes Verkehrsaufkommen, oft in Verbindung mit Durchzugs- und Ausweichverkehr, führen zu einem Verlust an Attraktivität und Lebensqualität im öffentlichen Raum. In vielen Gemeinden verlangt es daher nach dringenden Lösungen.
Mit der Verankerung der Begegnungszone in der StVO wurde eine Möglichkeit der Verkehrsberuhigung geschaffen, die insbesondere auch für ländliche Kommunen interessant ist. Begegnungszonen füllen die Lücke zwischen Fußgängerzone und Wohnstraße, und erhalten die Durchleitfunktion des Kfz-Verkehrs für Straßenabschnitte mit hoher Priorität für den Langsamverkehr.
Im Gegensatz zu reinen Fußgängerzonen bieten Begegnungszonen den optimalen Mix aus Verkehrsführung und Begegnungsmöglichkeiten. Der Trend geht daher ganz klar in Richtung Begegnungszone.
Im Wesentlichen unterscheidet man drei verschiedene bauliche Typen von Begegnungszonen:[2]
Wie eine Studie des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) bestätigt, wirken sich Begegnungszonen nachweislich positiv auf die Verkehrssicherheit aus, jedoch gibt es Unterschiede in Hinblick auf den baulichen Typ:
Im letzteren Fall spielt die Gestaltung der Begegnungszone eine entscheidende Rolle, um das erwünschte Verhalten der VerkehrsteilnehmerInnen zu bewirken (z.B. durch gezielten Einsatz von Elementen zur Geschwindigkeitsbegrenzung, ausreichende Sichtverhältnisse, Vermeidung durchgängiger Parkstreifen).
Schilder alleine schaffen noch keine Begegnungszone, meist ist eine Neugestaltung des gesamten Straßenraums erforderlich. Die Wahl der Linienführung, Möblierung, Materialien, Sichtverhältnisse sowie Zonierung des Straßenraums sind hier entscheidende Faktoren.
Die Gestaltung der Flächen ist insbesondere charakterisiert durch:
Weiters ist die Information und Einbeziehung der AnwohnerInnen und BürgerInnen bei Planung und Entscheidungsprozessen wesentlich, um eine breitere Akzeptanz und Identifikation mit der Begegnungszone zu erreichen.
Auch ist eine Begegnungszone nicht überall sinnvoll, gewisse Voraussetzungen sollten erfüllt sein:
Eine attraktive Begegnungszone zeichnet sich durch mehrere Elemente aus, die zu ihrer Akzeptanz und Beliebtheit bei den Menschen beitragen. Dazu gehören vor allem:
Mehr dazu lesen Sie in unserem Beitrag „Was können Begegnungszonen“.
Im Rahmen einer umfassenden Neugestaltung des Stadtzentrums hat die Marktgemeinde Lustenau begonnen, stark frequentierte Straßenräume schrittweise in einladende Begegnungszonen umzuwandeln. Die erste dieser Zonen entstand im Zuge des Ausbaus der Volksschule Rheindorf.
Es wurde ein beigefarbener Asphaltbelag als niveaugleiche Gestaltung über die Fahrbahn gezogen und der Straßenraum mit Sitzwürfeln (mit leichter „Pollerfunktion“) und einer Sitzbank möbliert, um den Vorplatzbereich vom Fahrbereich abzutrennen.
Herausragende Gestaltungselemente sind die markanten seitlichen Verengungen zu Beginn und Ende der Begegnungszone: 4 Meter hohe Stelen auf 1,5 Meter breiten Betonblöcken dienen als einladender Eingangsbereich und zugleich als Mittel zur Geschwindigkeitsdrosselung.
Eine weitere Begegnungszone wurde erfolgreich im Umfeld der Volksschule Kirchdorf umgesetzt, wo zuvor drei Viertel des Straßenraums von Autos beansprucht wurden. Nach der Umgestaltung präsentiert sich die Zone nun mit großzügigen Gehsteigen, Fahrradwegen und begrünten Inseln. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Fahrradeinfahrt aus dem Kreisverkehr gewidmet, die nun sicherer gestaltet ist und eine getrennte Führung für RadfahrerInnen bietet.
Im Jahr 2023 folgte die Erweiterung der Tempo-20-Begegnungszone im Umfeld des EUROSPAR-Marktes „rheincenter“, die sich bis zur Mittelschule Kirchdorf erstreckt.
Diese Maßnahme, im Rahmen der Sanierungsarbeiten des Marktes umgesetzt, schafft eine wichtige Verkehrsberuhigung an diesem stark frequentierten Ort. Die Zone bietet nicht nur überdachte Fahrradabstellplätze, sondern auch eine Tiefgarage sowie Außenparkplätze mit E-Tankstellen für umweltfreundliche Mobilität.
Kufstein gehört zu den Pionieren auf dem Gebiet der Begegnungszonen. Bereits im Jahr 2012 wurden zwei Plätze im Zentrum von Kufstein umgestaltet. Seither entstanden in sieben weiteren Bereichen der Stadt Begegnungszonen. Allerdings gab es bisher ein Teilstück, das die kontinuierliche Verbindung der Zonen verhinderte: die Innbrücke, welche den Bahnhof mit der Altstadt verbindet.
Dieser Bereich soll nun ebenfalls in eine Begegnungszone umgewandelt werden. Durch diese Maßnahme wird eine nahtlose Verbindung zwischen den bereits bestehenden Begegnungszonen hergestellt und der viel kritisierte Fleckerlteppich unterschiedlicher Geschwindigkeitsbeschränkungen aufgehoben.
Der Neue Platz in Klagenfurt am Wörthersee erfuhr eine umfassende Neugestaltung, die darauf abzielte, den Raum für FußgängerInnen zu erweitern und seine Anziehungskraft zu steigern. Insgesamt haben die umgesetzten Maßnahmen die Attraktivität für FußgängerInnen den Platz zu queren stark verbessert und die Flanierqualität erhöht.
Die Sichtbarkeit der Begegnungszone wurde durch die rote Färbung des Asphalts und ein diagonales Pflastermuster verstärkt. Mit der gezielten Verlegung der Pflastersteine im 45-Grad-Winkel konnte gleichzeitig eine Lärmminderung erreicht werden. Zusätzlich wurden die Ladezonen entsprechend angepasst, um die Zufahrt zu den Geschäften zu ermöglichen und gleichzeitig eine beruhigte Verkehrssituation auf dem Platz zu gewährleisten.
Tipp: Einen sehr informativen Überblick samt ausführlicher Dokumentation über bereits umgesetzte und verordnete Begegnungszonen in Österreich finden Sie auf der Website Begegnungszonen in Österreich.
Begegnungszonen liegen voll im Trend. Im Vergleich zu Fußgängerzonen eröffnen sie die Möglichkeit zur gleichwertigen Nutzung des öffentlichen Raumes durch alle VerkehrsteilnehmerInnen. Das hat nicht nur positive Auswirkungen auf Lebensqualität, Fußgängerfrequenz und Umsatz der Geschäfte, auch die Unfallgefahr ist deutlich reduziert.
Im Vorfeld einer Entscheidung ist allerdings zu prüfen, ob entsprechende Voraussetzungen für eine Begegnungszone gegeben sind. Denn nicht in allen Fällen ist eine Begegnungszone sinnvoll und einer Fußgängerzone vorzuziehen.
Titelbild: Stadtmarketing Austria
[1] Amt der Tiroler Landesregierung, (2016). Begegnungszonen: Kriterien – Gestaltung – BürgerInnenbeteiligung. Tirol.gv.at. Abgerufen 4. Januar 2024, von PDF
[2] Fsv.at (2016). RVS Arbeitspapier Nr. 27 – Einsatzkriterien für Begegnungszonen. Abgerufen 4. Januar 2024, von http://www.fsv.at/shop/produktdetail.aspx?IDProdukt=aa9b8e1e-a039-4d5b-b364-df68357cbb5c
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