Unsere heutige Baukunst ist verkommen oder – Natürlich ist der Bürgermeister schuld
09.01.2018
Architektur
09.01.2018
Architektur
„Unsere heutige Baukunst ist verkommen, sie ist nicht nur geschmacklos, sondern auch zum großen Teil unbrauchbar. Sie ist in hohem und höchsten Maße menschenfeindlich“, brachte einst Thomas Bernhard in der „Auslöschung“ zu Papier.
Manchmal frage ich mich, was er heute zum Thema Architektur niederschreiben würde. Oder in einem seiner Theaterstücke dem Protagonisten in den Mund legen müsste, damit er nicht geklagt werden kann.
Gehen wir davon aus, dass die Feststellung Bernhards – „unsere heutige Baukunst ist verkommen“ – zutrifft. Nein, ich stelle jetzt nicht – reflexhaft – jene Frage, die eigentlich schon jetzt das Urteil ersetzen würde. Nämlich: „Wer ist die oberste Bauinstanz? Wer erlaubt, dass solche geschmacklose, unbrauchbare und menschenfeindliche Architektur gebaut wird?“
Denn dann wäre jetzt bereits mein Beitrag zu diesem Thema zu Ende und wir könnten uns bequem einrichten im gehätschelten Vorurteil, das da lautet: „Der Bürgermeister/die Bürgermeisterin ist oberste Bauinstanz.“ Sie sind daher ganz alleine schuld daran, dass die Baukunst hierzulande so verkommen ist.
Mehr noch, sie „ist nicht nur geschmacklos, sondern auch zum großen Teil unbrauchbar.“ Und sie sind schuld daran, dass die Baukunst – im Bernhard’schen Sinn – ausgelöscht wurde.
Tatsächlich?
Form follows function. Dieser einst vom amerikanischen Architekten Louis Sullivan geprägter Leitgedanke – Sullivan war einer der ersten Hochhausarchitekten der USA – schaffte es, zu einem der umstrittensten Sätze der Baukunst zu werden. Die Gestalt, sprich die äußere Form von Gegenständen aber auch von Gebäuden, soll sich aus ihrer Funktion oder ihrem Zweck ableiten.
Sullivan formulierte das Prinzip 1896 weitaus poetischer. „Es ist das Gesetz aller organischen und anorganischen, aller physischen und metaphysischen, aller menschlichen und übermenschlichen Dinge, aller echten Manifestationen des Kopfes, des Herzens und der Seele, dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist, dass die Form immer der Funktion folgt.“ (Aus Sullivans Aufsatz: „The tall office building artistically considered“, veröffentlicht 1896)
Er orientierte sich an der aus der Antike herrührenden Überzeugung, Architektur trage in sich eine Art organisches Wachstum. Angemessenheit und Schönheit seien, so schrieb fünfzig Jahre vor Sullivan der amerikanische Dichter Ralph Waldo Emerson, untrennbar mit der Form vereint, die zudem auf Bedarf und Vernunft gründe.
Sullivan formte seine Leitidee in Stein. Denn mit diesem Prinzip begründete Sullivan die Dreiteilung seines Hochhaustypus. Eine Basis, nämlich das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss als Gewerbeflächen, einen Baukörper in der Mitte, der vergrößert werden konnte und für Büros genutzt wurde, sowie ein Dachgeschoss, das das Gebäude abschließt.
Die Debatte, die im Hintergrund ablief, war jene uralte, seit der Antike geführte Diskussion um die schon vom Philosophen Sokrates geforderte Angemessenheit der verwendeten Baustoffe. Um den Aspekt der Ästhetik eines Gebäudes wurde die Debatte dann im 15. Jahrhundert bereichert. Ein Gebäude sei wie ein Leib, und jeder Bau wie auch jeder Leib besäße eine besondere Schönheit. Schönheit!!
Warum ich das alles erwähne? Weil Aspekte wie Schönheit eines Gebäudes in der Architekturdebatte nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Was wiederum, um den großen schweizerischen Architekten Peter Zumthor zu zitieren „eine Reaktion auf die Bedeutungslosigkeit des Architekten im Bauprozess ist. Der Architekt ist ähnlich bedeutend wie der Sanitärinstallateur. In den meisten Fällen braucht man Architektur, damit eine Immobilie etwas hermacht, wenn es um den Verkauf geht.
Doch das hat nichts mit Architektur zu tun, sondern mit Geldverdienen. Wenn mich ArchitekturstudentInnen fragen: „Was können wir bewirken?“ Dann sage ich: „Nichts.“ Das ist frustrierend, aber es ist der Preis unseres demokratisch-kapitalistischen Systems. Der Architekt sucht die Nähe zum Geld.
Nur mit Geld kann man bauen. Und wenn man das nicht macht, kommt man nicht zu großen, bedeutenden Bauaufgaben.“ (Aus: DIE ZEIT, 2014, Ausgabe 48. Peter Zumthor: „Das meiste ist keine Architektur“)
Auch der in Altenmarkt im Pongau beheimatete Architekt Tom Lechner sieht einen wachsenden Bedeutungsverlust seiner Zunft. „Der Architekt ist eigentlich zum Dienstleister degradiert worden. Ihm wird ja gar nicht die Möglichkeit gegeben sein Knowhow, seine Erfahrungen so auszuspielen, dass es für seine Aufgabe und alle Beteiligten das Beste ist.“
Und Tom Lechner von „LP Architektur“ setzt noch eins drauf: „Der Architekt wird als notwendiges Übel gesehen oder anders gesagt: Der Bauherr nimmt sich natürlich nur – eine Unterstellung – jenen Architekten, der nach seiner Pfeife tanzt. Aber keinen, der widerspricht und keinen, der sagt, du so könnte man es doch anders machen, so wäre es verträglich, so könnte der Nachbar auch noch von seinem Grundstück gewisse Qualitäten haben.“ (Tom Lechner, im ZEIT. GESPRÄCH mit Michael Kerbler, ORF III aus dem Schloss Goldegg, Herbst 2017. Veranstalter: Kulturverein Schloss Goldegg) Wenn also der Zunft der architekturschaffenden Frauen und Männer tatsächlich nur die Bedeutung eines „Sanitärinstallateurs“ zukommt, dann liegt die Verantwortung dafür, warum die Baukultur in diesem Land verkommen ist, ja geschmacklos und unbrauchbar wurde, bei jenen, die anschaffen: die Bauherren, jene, die den Auftrag vergeben, ein Gebäude zu errichten.
Tom Lechner sieht die erste Verantwortung beim jeweiligen Bauherren. „Ich erlebe immer wieder – speziell in meiner Verantwortung als Gestaltungsbeiratsmitglied – die von mir so bezeichneten Ich-AGs: >Ich darf da jetzt bauen. Ich bau jetzt etwas<. In den meisten Fällen etwas Spekulatives und alles rundherum ist mir prinzipiell einmal egal. Das heißt, den Bauherren muss einmal die Verantwortung bewusst sein, was sie mit ihrem Bauvorhaben im besten oder im schlechtesten Fall anrichten können. [caption id="attachment_9939" align="aligncenter" width="823"] HTL Kuchl, LP architektur (Foto Albrecht Imanuel Schnabel)[/caption]
Da geht es zum Beispiel um soziale Verträglichkeit. Wenn man etwa ein Altenheim oder eine Schule baut. Es gilt nämlich darauf zu achten, was passiert, wenn die Schule oder das Altenheim in die Ortsstruktur integriert oder aber an den Ortsrand gesetzt wird. Und diese Verantwortungen – sei der Bauherr jetzt ein Privater oder eine Kommune – sind wahrzunehmen.“ (Tom Lechner, im ZEIT. GESPRÄCH mit Michael Kerbler, ORF III aus dem Schloss Goldegg, Herbst 2017. Veranstalter: Kulturverein Schloss Goldegg)
Die Klage über den Ansehensverlust der Baukunst ist keine spezifisch österreichische. Der britische Architekt Nigel Coates hatte bereits zur Jahrhundertwende angesichts der Neubauten in England gemeint, es handle sich bei den Gebäuden nicht um Architektur, sondern um Real Estate, um Architektur-Generika.
Und der Linzer Architekt Fritz Matzinger kritisierte vor geraumer Zeit die so genannte Investorenarchitektur. „Die meisten Bauträger machen keinen Wohnbau, sondern Wohnflächenproduktion.“
Was aber ist dann bitte gute Architektur? Ich verwende absichtlich das Adjektiv „gut“, um dem Eigenschaftswort „schön“ zu entgehen. Lassen sich etwa objektive Kriterien festlegen, die – werden sie eingehalten – „gute“, sprich ästhetisch gelungene Bauwerke zum Resultat haben?
Faktum ist, dass es bei der Qualität gebauter Umwelt „nicht nur auf die Höhen der Spitzen, sondern auch – nein, vor allem – auf das Niveau des Durchschnitts“ ankommt. Und es trifft ebenso zu, dass „alle Epochen architektonischer Hochkultur Epochen des guten Durchschnitts“ waren.
Allerdings: jahrhundertelang war Ästhetik bestenfalls eine noble Nebensache. Heute geht sie „gleichberechtigt mit der Schutzfunktion und mit dem physischen Komfort in den Gebrauchswert der Architektur ein“. (Georg und Dorothea Franck, „Architektonische Qualität“, Edition Akzente, Hanser)
Für den Gestaltungsbeirat Tom Lechner geht es aber nicht bloß um die Erscheinungsform des einzelnen Gebäudes. Oder gar um die Einflussnahme bei der Wahl des Materials, wie etwa Stahlbeton oder Holz. Lechnert wörtlich: „Das würde mich gar nicht interessieren. Ich bin doch kein Fassadenbehübscher! Und ein Fenster rechts oder links zu setzen, das zerstört ja nicht langfristig unsere Gegend, unsere Kultur. Aber das Haus am falschen Ort, das zerstört!!“
Gefragt, welche hässlichen Bauten Peter Zumthor in der Schweiz gerne abreißen würden, um das Land menschlicher zu machen, antwortete er: „Ich weiß nicht, in welcher Gemütsverfassung ich in meinem Alter noch sein müsste, um etwas abreißen zu wollen. Mit der Hässlichkeit ist es wie mit der Bösartigkeit: Beide gehören zum Leben.“
Ernüchternd fällt Zumthors Analyse des umbauten Raums aus. „Das meiste ist keine Architektur. Es ist einfach gebaut. Ich bezeichne das nicht als Architektur, es ist lieblos bis gut gemeint – oder menschenverachtend.“
Was ist für Zumthor dann gute Architektur? „Ich habe an der Universität in Mendrisio den StudentInnen immer gesagt: >Ihr habt jetzt die Aufgabe, Häuser zu machen, die auf eine Stadt, eine Landschaft reagieren. Das Wichtigste dabei ist, dass ihr auf eure eigenen inneren Bilder von Schönheit oder Stimmigkeit reagiert<. Es geht um den Prozess von Schauen und Fühlen, aus dem sich Formen ergeben, deren Wirkung man prüfen muss. Das ist eine künstlerische Arbeit. Beim Bauen selbst kommt viel Theoretisches und Technisches dazu. Aber der Anfang ist derselbe wie beim Maler oder Schriftsteller, es ist Autorenarbeit. Und dann gibt es Glücksmomente, in denen etwas Überraschendes entsteht.“ (Aus: DIE ZEIT, 2014, Ausgabe 48. Peter Zumthor: "Das meiste ist keine Architektur") [gallery columns="4" ids="9929,9934,9935,9936"]
Zumthor spricht mit seinem Statement einen wesentlichen Faktor gelungener Baukunst an: die Resonanz. Es geht nicht nur darum, dass die Architektin oder der Architekt auf die eigenen inneren Bilder von Schönheit oder Stimmigkeit reagiert, sondern es der Architektur gelingt im Nutzer Resonanz hervorzurufen.
Gute Architektur ist dann gegeben, wenn der Nutzerin / dem Nutzer mehr Wünsche erfüllt werden, als er oder sie vom Bauwerk, einem Haus oder einer Wohnung erwartet hat.
„Um dies leisten zu können, setzt gute Architektur eben auch anspruchsvolle, sensible und im mehr als nur intellektuellen Sinn intelligente Benutzer voraus. Oder vielleicht besser: gute Architektur schafft anspruchsvolle Benutzer, indem sie diese voraussetzt,“ schreiben Architekt Georg Franck und die Literaturwissenschaftlerin Dorothea Franck in ihrem Essay „Qualität – Von der poetischen Kraft der Architektur“.
Beide lenken unsere Aufmerksamkeit darauf, dass „intelligentes Bauen“ weit über die Nutzung neuer Technologien oder einen optimalen Gebrauch von Ressourcen hinausreicht.
Bauen kann auch intelligent sein im Sinne sozialer und emotionaler Intelligenz. Es gehe darum, so Franck, „dass die kognitive, emotionale, soziale und sinnliche Intelligenz der Benutzer nicht unterschätzt wird.“ Und darum, dass ästhetische Lösungen für die emotionalen Erwartungen sensibler Benutzer geboten werden.
Sprich, dass ein Gebäude nicht nur technisch „funktioniert“, sondern auch sinnliche und emotionale Kriterien erfüllt. Franck findet interessanterweise, dass nicht die Hässlichkeit architektonischer Qualität sei, sondern die Beliebigkeit. „Beliebigkeit unterdrückt jeden Bezug zur Schönheit.“
Mangelndes Gespür, fehlende Sensibilität für architektonische Stimmigkeit, haben – neben anderen Gründen – einen Ursprung in der grassierenden Genussfeindlichkeit, meint der Wiener Philosoph Robert Pfaller. „Auf der Strecke bleibt dabei im Genuss der Schönheit zu leben, weil wir den Genuss zunehmend ablehnen.“ Damit ist auch die Schönheit von Baukunst gemeint.
Und der ORF-Anchorman Tarek Leitner sieht die beliebigen Zweckbauten auch deshalb österreichweit im Vormarsch, weil mit dem „Argument der Wirtschaftlichkeit all die Hässlichkeit gerechtfertigt wird.“ Es werde der Verschandelung der Landschaft und vieler Orte obendrein durch jene Haltung Vorschub geleistet, mit der wir „das Leben als Sparkonto betrachten“.
Dort, wo etwas eingespart werden kann, werde es auch gemacht. Und sei es der „Mut zur Schönheit“. (Tarek Leitner: „Mut zur Schönheit – Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs“, Verlag Brandstätter, Wien)
Eine Fortsetzung des Blogbeitrages folgt am Montag, 15. Jänner 2018…
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