Die „autofreie Stadt“
30.08.2023
Gesellschaft
30.08.2023
Gesellschaft
Die jahrzehntelange Ausrichtung des Verkehrs auf das Auto hat zu vielen negativen Auswirkungen geführt, denn alle Fortbewegungsformen abseits des PKWs wurden systematisch benachteiligt. Was braucht eine autofreie Stadt und wie kommen wir dort hin?
Lärm, Luftbelastung und Staus gehören heute zu den Begleiterscheinungen einer Stadt. Ziel muss es sein, alle Verkehrsmittel gleichgestellt zu betrachten, ihre Vorteile zu erkennen und das Angebot langfristig umzubauen.
Der neue Mobilitätsmasterplan 2030 der Bundesregierung zeigt Wege auf, um Verkehr zu vermeiden, zu verlagern und zu verbessern. Damit wird der Anteil des Umweltverbunds aus Fuß- und Radverkehr, öffentlichen Verkehrsmitteln und geteilter Mobilität deutlich gesteigert.
Vermeiden: Sind Wege überhaupt notwendig oder können sie durch moderne Medien zumindest teilweise ersetzt werden? Wie kann man den Besetzungsgrad im Auto erhöhen? Wie kann man mittelfristig Siedlungsstrukturen mit kürzeren Wegen schaffen?
Verlagern: Gefragt ist der Umstieg auf umweltfreundliche Alternativen: zu Fuß, per Rad, mit Öffis und Sharing-Systemen – einer pragmatischen Multimodalität folgend.
Verbessern: Jene Wege, die weiterhin nur mit dem motorisierten Individualverkehr bewältigbar sind, sollten durch technologische Verbesserungen umweltfreundlicher werden.
Man sieht: „Verbieten“ steht nicht auf der Forderungsliste der ExpertInnen, wiewohl die öffentliche Diskussion dies manchmal vermuten lässt.
Viele Metropolen, bei denen der Autoverkehr schon lange ein massives Problem darstellt, haben bereits vor einigen Jahren begonnen, ihre Mobilität komplett umzubauen. Neben dem all-time-Klassiker Kopenhagen hatte in Paris Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin der Stadt, Großes vor.
Manchmal wurde behauptet, sie „verbanne den Verkehr aus der Innenstadt“. Diese Formulierung zeigt jedoch nur, wie eingeschränkt auf eine Mobilitätsform unser Denken ist. Von den zahlreichen Mobilitätsformen – zu Fuß gehen, Radfahren, Metro, Bus und Auto, wird nur die letzte Form in ihrer bisherigen Dominanz eingeschränkt.
War es in der Vergangenheit so, dass wachsende Nicht-PKW-Ströme sich einen gemeinsamen Raum teilen mussten, wird der Verkehrsraum nun für alle Beteiligten gerechter aufgeteilt und das Auto auf einigen Straßen und zu manchen Zeiten eingeschränkt. Das Ziel der Aktion ist, bessere Verkehrsflüsse und mehr Lebensqualität für alle zu schaffen.
Das Verkehrsbild, das wir von unseren Städten haben, wurde in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg geprägt. Die „autogerechte Stadt“ und eine Stadt der Funktionsentflechtung gemäß der „Charta von Athen“ war das Gebot der Stunde.
Welch massive Wunden – nicht nur im Bereich der Verkehrsführung – unseren Städten dadurch zugefügt wurden, erläutert Prof Dr. Jana Revedin in unserem Podcast der Denkwerkstadt 2022.
Auto und Einkauf. Noch immer wird von vielen Geschäftstreibenden quasi naturwissenschaftlich davon ausgegangen, als lebten diese beiden Wesen in einer symbiotischen Beziehung. Reduziert sich das PKW-Aufkommen, stirbt die Stadt. Diese Argumentation hört man landauf landab bei der Einführung neuer Mobilitätskonzepte.
Doch es ziehen dunkle Wolken auf für die Symbionten. Mehrere Studien zeigen: Nicht Abstellplätze, sondern lebendige Innenstädte bringen Kaufkraft. Trotzdem Einzelhändler sich nicht vorstellen können, dass autofreie Zonen begehrt sind und Umsatz bringen.
Eine am IASS Potsdam durchgeführte Studie am Beispiel Berlin zeigt, dass auf zwei ausgewählten Einkaufsstraßen nur 6,6 Prozent der Menschen mit dem Auto zum Einkaufen kamen. Die große Mehrheit – diejenigen, die zum Einkaufen mit dem Auto in die Stadt fahren, sind nur für 8,7 Prozent der Umsätze verantwortlich.
Die Zahlen in Österreich sprechen leider für sich: 98 Millionen Kilometer pro Tag, um in die Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. 70 Millionen Personenkilometer davon mit dem Pkw – fahrend oder mitfahrend.
Mehr als die Hälfte der Arbeitswege sind kürzer als 10 Kilometer und man könnte sie beispielsweise mit dem Rad oder in einem Sharing-Modell bewältigen. Allein die Arbeits-Autofahrten verursachen jährlich mehr als drei Millionen Tonnen CO2.
Das Auto scheint die „Heilige Kuh“ zu sein und neue PKWs werden größer und leistungsstärker. Sie brauchen mehr Platz, größere Parkplätze und Energie – eine Herausforderung für die Klimawende.
Demgegenüber steht die Mobilität mit dem Fahrrad: In Österreich gibt es rund 6,5 Millionen funktionstüchtige Fahrräder und damit mehr Drahtesel als Autos.
Das Potenzial für mehr Radverkehr ist in Österreich groß, denn rund vier Millionen Autofahrten pro Tag sind kürzer als fünf Kilometer und damit in Raddistanz. Mangelnde Infrastruktur ist das häufigste Hindernis für den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad, betont der VCÖ.
Laut Statistik Austria tritt jeder dritte über 15-Jährige zumindest mehrmals die Woche in die Pedale, um zur Arbeit, zur Uni, zum Einkaufen oder ins Kino zu kommen. Damit Österreich seine Klimaziele erreichen kann, hat die vorige Bundesregierung die Verdoppelung des Radverkehrsanteils auf 13 Prozent bis zum Jahr 2025 beschlossen.
Die Erhebung zeigt, dass 59 Prozent der AutofahrerInnen bereit sind, häufiger mit dem Rad zu fahren. Als Voraussetzung wird am häufigsten der Ausbau und die Verbesserung der Radwege genannt.
VCÖ-Experte Markus Gansterer stellt fest: „Österreich hat bei der Infrastruktur für den Radverkehr enormen Aufholbedarf. In den Städten wird auf den meisten Straßen parkenden Autos mehr Platz eingeräumt als den Bürgerinnen und Bürgern, die Rad fahren.
Am Land gibt es zwischen vielen Siedlungen und dem nächsten Ortsgebiet als einzige Verbindung nur eine Freilandstraße, wo Autos und Lkw 80 km/h oder mehr fahren“, erklärt Gansterer, denn „Österreichs Ballungsräume brauchen Radschnellwege.
Gerade die immer beliebter werdenden Elektro-Fahrräder sind ideal, um Distanzen von 10 bis 15 Kilometer mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren.“
In unseren Blogs vertiefen wir das Thema: „Mehr Radverkehr hält unsere Innenstädte lebendig“ und „Radverkehr: Was Sie bei der Planung beachten sollten“.
Diese Frage ist notwendig, da sie sich aus den Klimazielen ergibt und wichtige Parameter für die Zukunft erstellt: „Unser Mobilitätsverhalten wird sich in den nächsten Jahrzehnten grundlegend ändern“, ist Günter Emberger vom Institut für Verkehrswissenschaften überzeugt.
„Entweder, weil wir mit aller Kraft versuchen müssen, die globale Erderwärmung unter +2 °C zu begrenzen und entsprechend einschneidende Maßnahmen setzen – das wäre ‚Change by Design‘.
Oder die externen Rahmenbedingungen wie Extremwetterereignisse, globale Migrationsströme oder soziale und politische Verwerfungen lassen das Beibehalten des status quo nicht mehr zu – das wäre ‚Change by Disaster‘.“
Die Österreichischen Bahnhöfe werden derzeit zu multimodalen Drehscheiben ausgebaut, um die letzte Meile mit Car-, Bike- und E-Scooter-Sharing oder On-Demand-Mobilität abzudecken.
Oberlech in Vorarlberg und Serfaus in Tirol sind in der Wintersaison bereits autofrei, in diesen Ortschaften dürfen nämlich fast keine privaten Kraftfahrzeuge mehr verkehren.
Hier wird unterschieden zwischen Autos mit Verbrennungsmotoren und Elektrofahrzeugen. Bei Blaulichtorganisationen, Schneepflügen und Bussen des öffentlichen Verkehrs sind Verbrenner erlaubt, ansonsten wird nur mehr elektrisch gefahren.
Weltweite Beispiele von Städten, die sich bewusst als autofrei deklarieren finden Sie unter diesem Link.
Diese Strategie bedeutet, öffentliche Räume der Stadt wieder zu Treffpunkten des gemeinschaftlichen Lebens zu machen und die Aufenthaltsqualität zu steigern. Weniger Verkehr ist essentiell zur Beruhigung dieser Zonen – neben der Nutzung von Öffis gibt es neue, zündende Ideen zur Umsetzung.
An vielbefahrenen Straßen sind Sitzbänke mit einer Schilderauswahl ausgestattet, um den gewünschten Zielort anzeigen zu können. Für kurze Strecken und in kleinen Gemeinden, wo jeder jeden kennt, funktioniert diese Einrichtung also gut. Das Forschungsprojekt „Digitale Dörfer“ setzt zusätzlich auf eine App zur Vernetzung.
Wie beim klassischen öffentlichen Nahverkehr steuert man dabei festgelegte Haltestellen nach regulärem Fahrplan an. Dieses Modell funktioniert auf ehrenamtlicher Basis, was Organisation und FahrerIn anbelangt. Diese werden dann per Telefon oder App gerufen und sind als kommunale Sammeltaxis bereits vielerorts im Einsatz – frei wählbare Abfahrtsorte sind möglich.
Projektideen wie „Coole Straßen“ in Wien sind Ansätze mit positivem Echo und bereits zu Dauereinrichtungen ausgebaut.
In Oberösterreich gibt es rund um den Attersee im Sommer einen autofreien Tag, in St. Valentin werden BürgerInnen aus vielen umliegenden Gemeinden beispielsweise zum „Mitradeln“ am 18. September eingeladen. Hier wird unter dem Motto „Gemeinschaft und Freude an Bewegung“ der Verzicht aufs Auto vorgelebt.
Begegnungszonen, in denen Autos, Fahrräder und FußgängerInnen gleichberechtigte VerkehrsteilnehmerInnen sind, werden hervorragend bewertet und angenommen. In diesem Blogbeitrag von Daniela Krautsack lesen Sie mehr dazu.
Fahrrad-Highways und verbreiterte Fahrradstreifen stehen für Pedalritter vor allem in den skandinavischen Ländern zur Verfügung und sind in einigen österreichischen Städten ebenso geplant. St. Valentin in Niederösterreich hat beispielsweise einen „Radlpickerlpass“ kreiert, bei dem Einkaufsgutscheine den Umstieg vom Auto aufs Rad erleichtern sollen.
Die Sharing Economy unter dem Motto „teilen statt besitzen“ wird immer stärker. Die „last mile“ von Bus- oder U-Bahnhaltestelle zur Arbeits- oder Wohnstätte ist von entscheidender Bedeutung. Hier bieten bereits viele Städte attraktive Angebote.
„Peer-to-peer Modelle“, wo man Fahrzeuge beispielsweise als gemeinsame „Nachbarschafts-Leistung“ kauft und nutzt, sind im ländlichen Raum erfolgreich. Mancherorts bieten Wohnanlagen sogar ein hauseigenes Carsharing als besonderes Angebot.
Mehr Platz, weniger Lärm und bessere Luft lassen die Innenstädte aufleben und sogar der Umsatz im Einzelhandel steigt. Beratung im Geschäft, ein zufälliges Gespräch und der Gelegenheitskauf nebenbei machen unsere Innenstädte also attraktiver, nicht die Möglichkeit, das Auto in der Innenstadt abzustellen.
Lebensqualität bedeutet, durch die Stadt zu schlendern und eine schöne Zeit zu verbringen und nicht direkt vor dem Geschäft zu parken.
Die Vision einer autofreien Stadt ist so nahe, es müsste nur die Gleichstellung von FußgängerInnen, öffentlichem Nahverkehr, Fahrrad und PKW bewerkstelligt werden. Das ist doch ein guter Plan, oder?
Titelbild (c) wal_172619 auf Pixabay
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