Die Auswirkungen von Covid 19 haben das Image der Stadt verändert. Ist die Stadt in ihrer menschlichen, kreativen, kulturellen und geschäftigen Dichte noch ‚der Sehnsuchtsort‘, der er gestern war?
Die Auswirkungen von Covid 19 haben das Image der Stadt verändert. Ist die Stadt in ihrer menschlichen, kreativen, kulturellen und geschäftigen Dichte noch ‚der Sehnsuchtsort‘, der er gestern war?
Die Prognosen schwanken zwischen Dystopie und Utopie, zwischen verödeten Innenstädten mit leerstehenden Büros und ökologischem Stadtumbau mit mehr Grün, Shared Spaces und lokalen Wirtschaftskreisläufen.
Doris Kleilein sagt in ihrem Buch ‚Die Stadt nach Corona‘: „Die Stadt in ihrer Dichte ist eigentlich die Lebensform der Zukunft. Wir müssen die Städte klimafester und klimasicherer machen und attraktiv halten. Die Dichte an sich ist nicht das Problem. Es geht darum, dass sie gut organisiert und gut gestaltet wird.“
Franz Kühmayer arbeitet als Trendforscher am Zukunftsinstitut, dem führenden Thinktank der Zukunftsforschung, und leitet das Consultingunternehmen Reflections.
Auf die Frage, welche Auswirkungen von Covid im Städtebau sichtbar sein werden, sagt er: „Wenn es nicht mehr üblich ist, dass ein Großteil der arbeitenden Menschen von 9 bis 17h im Büro ist und daher nicht von 8 bis 9h irgendwo hinfahren und von 17 bis 18h wieder nachhause fährt, hat das Auswirkungen auf die Standortpolitik.
Wo müssen Bürozentren sein und wie schauen die Verkehrswege dorthin aus?
Kühmayer: „Die Pandemie hat auch Auswirkungen auf den unmittelbaren Bau-Charakter dieser Bürogebäude. Brauche ich noch Garagen in diesem Umfang, wenn nur mehr ein Drittel der Menschen ins Büro fährt? Dann brauche ich nicht für 100% der Mannschaft Garagenplätze.
Dieser Aspekt ist zusätzlich überlagert mit der ohnehin existierenden Entwicklung im veränderten Mobilverhalten, wie Elektroautos, Car-Sharing und der zunehmenden Bedeutung des öffentlichen Verkehrs.
Ich habe auch eine räumliche Auswirkungen von Covid auf das, was rund ums Büro passiert. Da gibt es sehr viele Unternehmen, die von den großen Bürozentren leben. Sehen Sie sich das neue Büroviertel beim Hauptbahnhof in Wien an. Da erkennt man sofort, wer rundherum betroffen ist.
Da werden Fitnesscenter, Hotels und ein Shoppingcenter gebaut. Hotels, die nicht nur touristische Zwecke erfüllen, sondern auch dazu dienen, dass Geschäftsreisende, die am nächsten Tag Termine im Bürokomplex haben, gleich in der Nähe wohnen können. All diese Dinge stehen dann zur Disposition.“
Das Leben in der City wird nie wieder so sein wie es einmal war – auch nicht nach der Pandemie.
Immer mehr Menschen arbeiten im Homeoffice, was eine spürbare Verlagerung von Leben und Konsum aus den Innenstädten in die Stadtteilzentren nach sich zieht.
Dieser Trend führt nicht nur zu weniger Laufkundschaft bei Händlern in den Innenstädten, sondern wirkt sich auch auf Kantinen, Restaurants, Cafés und kleine Läden aus, deren Geschäft maßgeblich von der arbeitenden Bevölkerung abhängig ist.
Das Virus wird also unsere Städte verändern. Wie wir wohnen, wie und wo wir arbeiten, wie wir einkaufen, was wir in unserer Freizeit machen, wie wir uns im Alltag fortbewegen. Alles, was bisher in gewohnten Bahnen verlief, ist durch Corona infrage gestellt worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass alles genauso sein wird, wie es war, ist gleich null.
Pandemie-Maßnahmen in Wien
Für Wien konnte eine sehr starke Zunahme des Fahrradverkehrs 2020 nachgewiesen werden.
Kurzfristige Maßnahmen wie die Errichtung von temporären Radwegen (sog. Pop Up-Radwegen) in Wien trugen dem steigenden Anteil an Fahrradfahrern im Verkehr Rechnung (das bewiesen Auswertungen der TU Wien).
Vor allem aber sind diese Pop Up-Radwege Ausdruck einer Adaptierbarkeit eines Stadtsystems, dass auf einen krisenbedingten, gestiegenen Bedarf reagieren konnte.
Weiters wurde die Verbreiterung von Gehsteigen, eine Neuaufteilung der Verkehrsflächen in der Stadt sowie breite Gehwege in Entwicklungsgebieten Wiens geplant.
Das bisher erwünschte Merkmal der Stadt – die hohe bauliche Dichte – erfuhr plötzlich eine negative Konnotation. Wer während der Ausgangsbeschränkungen die teilweise kleinen Wohnungen verlassen wollte, um frische Luft zu schnappen, war angehalten, dies auf unmittelbarem Wege und zeitlich begrenzt zu tun.
Grünräume sind im Stadtgebiet aber nicht überall so verteilt, dass man sie in unmittelbarer Nähe findet. Das hat sich die Stadt Wien nun zum Ziel gesetzt und erklärt eine Grünraumgerechtigkeit in Wien zum Ziel.
Der in London geborene Wiener Urbanist und DJ Eugene Quinn mag die Pop Up-Verspieltheit in Wien seit dem letzten Frühjahr. Eugene ist Wiens bekanntester Botschafter für Gehen im öffentlichen Raum. Als ich Eugene das erste Mal sah, lief er in seinem TED-Talk durch Wien. Heute marschiert er durchschnittlich 9km am Tag.
Eugene sagt über sich: „Ich habe eine Leidenschaft für den öffentlichen Raum und wie man ihn animiert. Durch das Anschauen von Fellini-Filmen und das Unterrichten über Raumplanung an der Technischen Universität Wien entwickelte ich die Theorie, für die ich bekannt bin – ‚Street Capital‘.
Dies ist ein Maß dafür, wie viel Freude wir auf einigen Straßen der Stadt finden, und umgekehrt – wie langweilig und kalt so viele andere Straßen sind, weil ihnen Menschen, Interaktionen und ein Gespür fürs Spiel fehlen.
Die Menschen sind von Natur aus sozial und haben erkannt, wie wichtig der Kontakt mit Freunden ist, wenn dieser Kontakt plötzlich untersagt wird. Sogar Kontakt mit Fremden, Ladenbesitzern oder Kindern, die auf dem Platz vor ihrem Haus spielen.“
Ein gut gestalteter öffentlicher Raum ermöglicht es uns, Gemeinschaft, Vertrauen und eine beliebte Nachbarschaft aufzubauen.
Eugene fährt fort: „Die Bevölkerung von Wien wird bald wieder zunehmen, aber der Platz, den wir alle haben, nimmt nicht zu. Der öffentliche Raum ist daher von zentraler Bedeutung, um uns Freiheit, Möglichkeiten und wertvollen Kontakt zu anderen zu geben.
Wien hat erstklassige öffentliche Räume wie den Donaukanal, den Yppenplatz und das Museumsquartier, in denen Menschen joggen, tanzen, sprühen und küssen. Es ist auch ein Ort, an dem sie ihre Filterblase platzen lassen können, indem sie Leute außerhalb ihres eigenen sozialen Kreises und ihrer Klasse treffen. Dies ist im Zeitalter der Polarisierung wertvoll.
Wenn ich durch die Stadt laufe, ist es fast unmöglich, auf den Fußwegen 2 m Abstand zu anderen zu halten, da diese zu eng sind und Autos oft über den Fußweg parken.
Dennoch haben die Menschen die Vorteile des Gehens entdeckt, für die geistige Gesundheit, für die Kreativität (Zeit zum Nachdenken), für die körperliche Gesundheit und um den ganzen Tag zu Hause denselben vier Wänden zu entkommen.“
Eugene Quinn sieht starke Trend-Entwicklungen hin zu einer ’15-minütigen Stadt‘, in der alles ganz leicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden kann. Die Menschen würden die Vorteile eines mühelosen Zugangs zu Kultur, Bildung, Einkauf und Gesundheitsversorgung in der Nähe ihres Wohnorts sehen.
Dadurch könnten die BewohnerInnen nicht nur dem lokalen Handel Loyalität entgegenbringen, sondern sich auch in unserer Nachbarschaft eingebunden fühlen.
Eugenes Empfehlung lautet: „Geht zur Schule, zur Uni, zur Arbeit, zur Party, zum Abendessen, zum Freunde treffen oder in einen Wald. Gehen ist sexy, theatralisch lustig, einfach, kostenlos, gesund, ökologisch, sozial und politisch.
Und um die Anzahl der Parkplätze wie in Amsterdam um 10% pro Jahr zu reduzieren, haben wir nur noch 10 Jahre Zeit, bis es zu spät ist, Änderungen vorzunehmen. Autos sind katastrophal für die soziale Interaktion in der Stadt.„
Pandemie-Maßnahmen anderswo
Weltweit finden sich spannende architektonische Maßnahmen, die so vielschichtig sind, wie das Virus. Architektur, die mutiert, sich schnell verändert, schnell anpasst und irgendwo einnisten kann.
Eines dieser Konzepte heißt ‚Fortnightism‘ und stammt vom Berliner Architekten Gustav Düsing. Er erklärt die Entstehung so: „Wenn Pandemien zukünftig Teil unserer Realität bleiben werden, muss die Architektur reagieren.
Bevor die Impfungen gegen die neuen Viren entwickelt sind, sind Regeln zum Social Distancing das beste Mittel, um eine virale Verbreitung zu verhindern.“ Er hat eine mobile und medizinische Quarantäneeinrichtung für einen zweiwöchigen (fortnight) – Aufenthalt entwickelt.
Nach jeder Krise haben sich die Städte verändert, sagt Niklas Maak. Er ist ein Architekturkritiker, der in Harvard Architekturgeschichte lehrt und das Kunstressort bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ leitet.
Er führt das Beispiel der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkrieg an. Die konnte sich aufgrund unhygienischer Verhältnisse in den engen Gassen der Städte besonders leicht verbreiten.
Der Bauhaus Stil mit seiner Maxime ‚Licht, Luft und Sonne‘, mit den fast klinisch weißen Räumen, die teilweise nach Krankenhaus aussahen, war eine Reaktion auf diese Erfahrungen, die die Gesellschaft gemacht hat, erklärt Maak.
In London sind Mitte des 19. Jahrhunderts 30.000 Menschen durch mehrere Choleraepidemien gestorben. Man dachte, die Krankheit werde durch faulige Gerüche übertragen.
Nur der Arzt John Snow erkannte, dass die Erreger aus den zahllosen Sickergruben der Stadt in das Grundwasser und in die Themse gelangten und sich so verbreiteten. Es dauerte, bis er Gehör fand. Erst als im Sommer 1858 die ganze Stadt unerträglich stank, begann man mit dem Bau einer Kanalisation.
In New York, in früheren Zeiten ein Konglomerat aus heterogenen Grundstücken, Sümpfen, Hügeln und Bauernhöfen, legten die Verantwortlichen schon 1811 das Modell von “The Grid” vor. Es ist ein Straßenraster, der den schematischen Umbau der Stadt reflektierte. Das Ziel des Grids: Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und soziale Kontrolle zu ermöglichen. Aber auch leicht zu reinigen, um Seuchen zu vermeiden.
Die Frage, ob die Corona-Epidemie Konsequenzen für die Stadtplanung bringen wird, bejaht Maak. Covid-19 sei ein großer unfreiwilliger Feldversuch für die Stadt der Zukunft, sagt Niklas Maak. Man hätte schließlich nie zuvor auf einer derart breiten Basis ausprobiert, ob das Arbeiten zuhause funktioniere oder nicht.
Es wäre auch noch nie so radikal ausprobiert worden, wie eine Stadt aussieht, wenn nicht überall Autos herumfahren. Und man könne sich aufgrund der leeren weiten Flächen in den Städten rund um den Globus nun besser vorstellen, wie eine Stadt der Zukunft ohne Autos aussieht.
Wie wollen wir leben?
Das ist die Frage, die sich wahrscheinlich die Stadtplaner, Immobilienbetreiber, Architekten und so viele andere Entscheidungsträger nach Pandemien in der Vergangenheit gefragt haben.
Niklas Maak fragt provokant: „Wollen wir in einer lieblosen Schuhschachtel-Architektur leben, in Wohnanlagen kostensparender, gewinnorientierter Investorenarchitektur? In Wohnformen, die für viele ältere Menschen oder alleinerziehende Menschen gerade sichtbar zur Vereinsamung führen?“
Diese Krise ist ein Weckruf. Wir müssen das Bauen neu definieren. Die Bevölkerung zu Ideenwettbewerben einladen. Interdisziplinäre Expertenrunden formieren und über die ’neue‘ Stadt mit einer ’neuen Identität‘ diskutieren. Und dann ganz im Sinne des New Work Gedankens agil handeln und ‚tun‘.
Die Blütezeit der Architektur der neuen 20er Jahre
Niklas Maak erarbeitet mit seinen Studenten in Harvard Nutzungspläne für leerstehende Einkaufszentren oder überflüssige Büros, um eine völlig neuartige Nutzung zu designen.
Maak ist optimistisch, dass wir auf eine Blütezeit der Architektur zusteuern. „Wir haben lauter Gebäude, die zu nichts mehr nütze sind. Bürotürme, Einkaufszentren, Postämter stehen alle rum und werden durch Digitalisierung und Robotisierung irgendwann überflüssig.
Wenn wir aber sagen: Was kann man denn mit diesen Gebäuden machen? Kann man wirklich zu spannenden neuen Lösungen kommen.“
Auswirkungen von Covid: Veränderungen brauchen Zeit
Pandemien verändern nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Städte und die Menschen, die dort leben. Das wird bei den Auswirkungen von Covid nicht anders sein. In welchem Maß, wissen wir noch nicht. Und man sollte auch nicht immer auf all die selbsternannten Zukunftsforscher hören, die so rasch mit Prognosen zur Hand sind.
Ein Beispiel dazu: Nach den Anschlägen auf die New York Twin Towers haben Trendforscher das Ende der Hochhäuser verkündet, ganz Verwegene sahen gar das Ende der Stadt gekommen. Solche dystopischen Vorhersagen muss man nicht immer ernst nehmen. Aber diskutieren kann man sie. Nachhaltige Veränderungen brauchen auf alle Fälle eines: Zeit.
Titelbild (c) Nicolas Hippert
Daniela Krautsack
DanielaKrautsackist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren.DanielaKrautsackist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.
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