Atmosphärische Stadtraumentwicklung als Gestaltungsform
06.11.2019
Architektur, Kultur
06.11.2019
Architektur, Kultur
Noch immer besteht Stadtplanung primär aus baulichen Maßnahmen. Seit einigen Jahren setzt sich aber mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass es neben den Gebäuden sehr stark um das gehen muss, was zwischen diesen entsteht: Atmosphärische Stadtraumentwicklung des öffentlichen Raums.
Architektonisch könnte der öffentliche Raum nur als Fläche zwischen den ihn begrenzenden Gebäuden gesehen werden. Er bietet optische Orientierung und erfährt häufig eine bestimmte Nutzung. Allzu oft wird er leider als eine Art Restraum in Hinterhöfen oder zwischen Wohnanlagen vergessen. Oder, das wird wohl die häufigste Nutzung sein, als Abstellfläche für Fahrzeuge vorgesehen.
Der französische Antrophologe Marc Augé spricht bei diesen Restraum von „Nicht-Orten“. Orte, die den Verlust von Ortsqualitäten an und durch sich selbst zum Ausdruck bringen. Gleich, austauschbar, ohne Eigenschaften.
Er ist der Ort der Polis, des Austausches, des Treffens, der gesellschaftlichen Realität. Öffentlicher Raum ist Möglichkeitsraum. Ziel einer atmosphärischen Stadtraumgestaltung muss schließlich sein, Plätzen nötige Infrastrukturen anzubieten, ohne ihnen die Freiheit der individuellen Erfahrbarkeit zu nehmen. Öffentliche Plätze müssen daher im wahrsten Sinne des Wortes Raum lassen.
Raum für spontane Situationen, für öffentliches Leben. Um es mit den Worten des Soziologen Hans Paul Bardt zu formulieren: “Trotz aller Kasuistik erlaubter Themen kann sich aus der Frage nach dem Weg ein Flirt entwickeln”. Somit wird der öffentliche Raum in seiner Funktion immer mehr zur Schnittstelle zwischen Privatem und Allgemeinem, zu einer Art öffentlichem Wohnzimmer.
In der Soziologie wird diese Teilöffentlichkeit als “third place” bezeichnet. Als Räume, in denen der Mensch sich neben den ersten beiden Orten, dem Zuhause und dem Arbeitsplatz, wohl und heimisch fühlt.
Nun ist Realität bekanntlich das, was passiert, während man andere Pläne macht. Ist ein Möglichkeitsraum daher überhaupt planbar? Sicherlich nicht im determinierenden Sinne. Stadtplanung kann jedoch Angebote schaffen, beobachten, ausprobieren was passieren will und diese Nutzung verstärken.
Stadtmarketing ist hierfür ein wichtiger Partner in der Stadt. Diese Organisationen verfügen in der Regel über wichtige Netzwerke, kennen die handelnden Akteure vor Ort und sind erprobt in der Bespielung des öffentlichen Raums.
Wobei der Begriff der Bespielung nicht im Sinne der Bespaßung und Eventisierung zu verstehen ist. Sondern im eigentlichen Wortsinne des Spiels, des „Homo Ludens“ (Huizinga) als Kennzeichnung des Spiels als Grundkategorie menschlichen Verhaltens.
Die Entwicklung des „Werkzeugkastens“ der atmosphärischen Stadtraumgestaltung folgt zwar grundsätzlich gewissen Mustern und nötigen Kompetenzen, muss aber immer vor Ort individuell entwickelt werden.
In Feldkirch/Vorarlberg entstand der Werkzeugkasten im Laufe der letzten 10 Jahre aus einer Messe heraus. Die ArtDesign war anfangs eine Designmesse, organisiert vom Stadtmarketing, in der jährlich über hundert Gestalter aus dem Bereich Kunst, Design und Mode zusammenkamen. Die Messe ergänzte man anfangs um Bespielungen im öffentlichen Raum, quasi als „Rahmenprogramm“.
Die Verantwortlichen merkten rasch, dass das Rahmenprogramm eine eigene Kraft entwickelte. Dass während der Messetage ein besonderer Spirit in der Stadt vorherrschte, der aktiv genutzt werden konnte. Die Messe wurde zum Festival ausgeweitet. Sie wendet sich dank neuen Namens „POTENTIALe Feldkirch“ viel stärker eben diesen städtischen Potentialen zu und macht seit dem den Stadtraum zum Thema.
Die Erfahrungen der ersten Jahre wurden folglich in einer Kooperation mit der Universität Liechtenstein nochmals verdichtet und ausgebaut und stehen nun als Stadt/Studio ganzjährig zur Verfügung.
„Das Stadt/Studio ist eigentlich eine neue Form des Städtebaus. Es geht um einen angewandten, experimentellen Städtebau. Der Mehrwert für die Stadt besteht darin, dass auf einer ganz subtilen Ebene Qualitäten in den Vordergrund kommen. Diese Qualitäten, die im Alltag oft etwas vergessen sind, werden so aufbereitet, dass sie für die Bürger in der Stadt wieder erfahrbar und erlebbar werden“, so Martin Mackowitz.
Für Ingo Türtscher, dem Leiter der POTENTIALe, ist das Stadt Studio ein Konzept, das räumlich auch woanders aufschlagen kann. Es ist eine Möglichkeit, in einem wissenschaftlichen Umfeld sich mit einem Ort, einem Platz, einer Gegebenheit in verschiedenster Weise auseinanderzusetzen.
In enger Abstimmung mit der Stadtplanung und weiteren Abteilungen der Stadt kann die POTENTIALe in Feldkirch nun an Orten aktiv werden, die für die städtische Entwicklung relevant sind.
2019 beispielsweise in einer neu eingeführten Fußgängerzone, der Neustadt. Dort zeigen Jungdesigner und Studierende aus ganz Europa Designobjekte, Kleinserien und nachhaltige Projektideen – von Lehmmöbeln bis zu alternativen Verpackungslösungen.
Messe & Festival für Design, Fotografie und Medienkunst in Feldkirch.
Werkschau, Werkstatt, Vorträge, Workshops, Führungen, Fotoausstellung, Vintage, Design Labor sowie Hochschulen und junge Labels.
Öffnungszeiten:
Fr 8. November, 12–22 Uhr
Sa 9. November, 10–20 Uhr
So 10. November, 10–18 Uhr
Locations:
Messe im Reichenfeld-Areal (Altes Hallenbad, Pförtnerhaus, Konservatorium)
Design Labor in der Neustadt (Neustadt 14, Neustadt 25, marte.marte)
Special Location beim Kraftwerk am Mühletorplatz
Messe & Festival Pass 12 Euro
Potentiale.at
Titelbild (c) Angela Lamprecht
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