Hochhaus, nein danke? Die Rolle der Hochhäuser in der städtebaulichen Verdichtung
20.03.2017
Architektur, Wohnen
20.03.2017
Architektur, Wohnen
Sind Hochhäuser für die Verdichtung der Städte das Nonplusultra oder die Ultima Ratio? In Europa gilt ein eigener Maßstab: der menschliche.
Rund 7,5 Milliarden Menschen bevölkern derzeit die Erde – mehr als die Hälfte davon lebt bereits in Städten. Die UNO prognostiziert, dass die Weltbevölkerung bis 2050 um weitere 30 Prozent ansteigen wird. Dazu kommt, dass in vielen Küstenregionen der Welt der Meeresspiegel kontinuierlich so stark ansteigt, dass diese in geraumer Zeit nicht mehr bewohnt werden können. Stellt sich dir Frage: Wo bringen wir all die Menschen unter? Darauf muss jeder Kontinent, jedes Land und jede Region ihre eigenen Antworten finden.
Dass Architekten und Städteplaner den Platzmangel lösen, indem sie in die Höhe bauen, ist gar nicht so neu. So hat die Altstadt von Edinburgh bereits im Mittelalter die Stadt mit schmalen, aber hohen Bauten verdichtet. Gebäude von zehn oder mehr Stöcken gehörten schon damals zum Stadtbild. Sie gelten auch heute noch als eine der ältesten Hochhäuser aller Zeiten. Heute würden wir diese Gebäude freilich nicht mehr als „Hochhäuser“ bezeichnen, wie wir sie kennen.
Der Ehrgeiz der Investoren und Architekten hat sich in den Jahren immer wieder selbst übertroffen: Das heute höchste Hochhaus der Welt – der Burj Khalifa – steht in Dubai und misst ganze 828 Meter und beherbergt über 160 Stockwerke. Der Turmgigant wird in seiner Höhe übrigens gefolgt vom Shanghai Tower mit 632 Metern Höhe, dem Superwolkenkratzer One World Trade Center in New York City mit 541 Metern Höhe und dem Chow Tai Fook Centre im chinesischen Guangzhou mit 520 Metern Richtung Himmel.
Der Burj Khalifa ist eindeutig eines der größten Prestigeobjekte der arabischen Stadt, doch der erste Platz in der Liste der höchsten Gebäude der Welt wird bald Geschichte sein, denn der riesige Turm wird schon bald von einem anderen übertroffen: Der Kingdom Tower in Saudi-Arabien soll bis 2020 entstehen und mit über 1.000 Metern Höhe die Wolkendecke durchbrechen. Dann wird erstmals ein Gebäude die 1 km-Marke überragen! Immer ausgeklügeltere Bautechniken, die sich teilweise an Mustern aus der Bionik orientieren, führen dazu, derartige Höhenmeter möglich zu machen.
Die Konstruktion des Kingdom Towers wurde spiralförmig angelegt, sodass der Wind nur eine geringe Angriffsfläche hat. Angesichts des enormen Wartungsaufwandes solcher Gebäude waren auch selbstreinigende Fensterflächen eine Revolution.
Doch auch der Kingdom Tower wird sich nicht lange an der Spitze der Wahnsinnshäuser halten. Denn der Irak steht zwischenzeitlich schon in den Startlöchern und bereitet sich auf den Bau des nächsten Himmelsriesen vor: „The Bride“. Ein Komplex aus vier Türmen soll gleich 1.152 Meter in den Himmel wachsen und damit den Burj Khalifa um 324 Meter und den Kingdom Tower um 144 Meter überragen.
Im Vergleich dazu: Das höchste Gebäude in Österreich ist der DC-Tower in Wien 22, der mit 250 Metern, 60 Geschossen und einer Bruttogeschossfläche von 93.600 m2 in die Höhe ragt. Beherbergt sind hier vor allem Büros und – ganz oben – die Wien-Dependance der drittgrößten Hotelkette Europas, des Meliá Hotels mit seinem exklusiven Restaurant im 57. Stock.
Türme wie diese stellen in Österreich – wie überhaupt in Europa – eher die Ausnahme dar. Sie beherbergen meist Büroflächen oder Hotels aber sind für dauerhaftes Wohnen noch nicht stark relevant. Gemäß § 7 Abs. f der Wiener Bauordnung gelten bei uns übrigens Gebäude mit mehr als 35 Metern Höhe als Hochhäuser. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung und der Ausdehnung der Städte ist es notwendig, sich damit auseinanderzusetzen, wie eine Stadt mit dem Thema Hochhaus umgehen will. An Stadträndern entstehen durchaus zunehmend neue Stadtteile, die noch nicht historisch in die Vertikale gewachsen sind wie etwa in Wien die Donau City. Stadtteile, in denen es Sinn machen kann, ein Konzept für die angemessene Integration von Hochhäusern zu erarbeiten. Zu Berücksichtigen sind dabei die verschiedensten Faktoren – angefangen von den Baukosten über die Nutzungsart bis hin zu den Erhaltungskosten.
Der Schweizer Raumplaner Sandro Lang hat in Hinblick auf die Schweiz, wo das Thema Verdichtung durch Hochhäuser immer wieder aufflammt – den Nutzen des Hochhauses in seiner Diplomarbeit näher beleuchtet. Er kommt zu dem Schluss, dass Bauten mit einer Höhe von 25 Metern und mehr bzw. acht Geschossen und darüber hinaus nur die Ultima Ratio sein können. Er begründet dies vor allem damit, dass der Aufwand im Bau und in der Erhaltung überproportional zum Nutzen des Gebäudes steht.
Die Mehrkosten, die durch Statik, Brandschutz und Betrieb entstehen würden, lägen seinen Erhebungen nach bei zehn bis 20 Prozent. Dazu kommen diverse baurechtliche Hindernisse, welche die Raumplaner vor große Herausforderungen stellen. Bauabstände und Bestimmungen zum Schattenwurf müssten eingehalten werden. Darüber hinaus sei gewiss, dass derartige Bauten immer Kontroversen auslösen würden. Denn neben der ausreißenden Optik wird der Bau von Wolkenkratzer oft auch mit einem beunruhigenden Gefühl in Verbindung gebracht: mit Zukunftsangst.
In Asien, wo die wirtschaftliche und technologische Entwicklung in rasantem Tempo voranschreitet, haben emotionale Befindlichkeiten wie diese keinen Platz. Dort werden bereits ganze Skyscraper-Cities geplant. Tokio etwa bastelt bereits an Plänen für eine gigantische „Himmelsstadt“ in einem Gebäude, das 36.000 BewohnerInnen und 100.000 Arbeitsplätze unterbringen soll.
In Europa hingegen werden prestigeträchtige Wolkenkratzer und Hochhäuser nur akzentuiert und vor allem im Business-Kontext eingesetzt. Für den Wohnbau haben sie nur marginale Bedeutung. Ein entscheidendes Kriterium in europäischen Städten ist auch, dass sich Hochhäuser möglichst gut in das Umfeld einfügen müssen. Dies ist jedoch an sich schon ein Widerspruch in sich bei Städten, die über die Jahrhunderte hinweg historisch gewachsen sind.
In Amerika und Asien kann man aufgrund der jungen Entwicklungsgeschichte viel ungezwungener an die Thematik herangehen. Dennoch werfen überdimensionale Gebilde die Frage auf, inwieweit sie für den – in jeder Hinsicht „menschlichen“ – Alltag tauglich sind. Die Dimensionsverschiebung am Singapur-Fluss verdeutlicht dies. Die alten vier- bis fünfgeschossigen Bauten werden dort von neuen Wolkenkratzern überragt. Es scheint so, als seien die beiden Bautypen für zwei unterschiedliche Spezies gebaut worden. Nicht umsonst finden fast alle Freizeitaktivitäten vor den niederen Häusern am Fluss statt, erläutert Jan Gehl in seinem Buch „Städte für Menschen“.
Das Zauberwort für die richtige Proportion der Gebäudehöhe lautet „Menschliches Maß“. So wuchsen historische Städte über Jahrhunderte „organisch“ auf Basis täglicher Aktivitäten und Bedürfnisse ihrer BürgerInnen. Man ging zu Fuß und baute Häuser in Bauweisen, die sich über Generationen bewährt hatten. Das Ergebnis waren Städte in einem den Sinnen und Möglichkeiten des Menschen angemessenen Maßstab. Jetzt, durch die neuen Stahlkonstruktionsriesen, wird dieses Maß aber gebrochen. Somit geht das traditionelle Wissen um die Maßstäblichkeit und die Proportionen allmählich verloren. „Siedlungen werden weltweit daher schon oft in Dimensionen realisiert, die weit von dem entfernt sind, was Menschen als sinnvoll und angenehm empfinden“, schreibt Gehl.
Lesen Sie dazu: Ideen für eine menschenfreundliche Stadt
Hochhäuser und hohe Häuser können tatsächlich zur baulichen Verdichtung eingesetzt werden. In vielen Metropolen der ganzen Welt werden sie vor allem als Prestigeobjekte gebaut. In welchem Ausmaß sie zur städtebaulichen Verdichtung im Gesamtkonzept Sinn machen, hängt davon ab, wie die Stadt historisch gewachsen ist – oder auch nicht.
Literatur & Buchempfehlung:
„Städte für Menschen“, Jan Gehl, Verlag jovis € 32,–
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